Vom Hassobjekt zum Stolz der Stadt: Der Eiffelturm

Gustave Eiffel war ein zutiefst unromantischer Mann, der das romantischste Bauwerk in ganz Paris entwarf.

Von Robert Kunzig
Veröffentlicht am 4. März 2021, 10:33 MEZ, Aktualisiert am 29. März 2021, 11:48 MESZ
Place du Trocadero in Paris

Ein Rollschuhfahrer saust über das Pflaster des Place du Trocadero in Paris, Juni 1985.

Foto von William Albert Allard, National Geographic

Wenn man Biografien über Alexandre Gustave Eiffel und seinen berühmten Turm liest, fällt einem zunächst ein Paradox auf: Wie konnte etwas so Kühnes, so Schönes, so Unerhörtes – denn 1889 empörte es viele – von einem so farblosen Langweiler gebaut werden?

Eiffel selbst gab zumindest einen Teil der Antwort: Die Form seines Turms habe der Wind diktiert.

Ein neuer Anstrich für den Eiffelturm
Ein Blick hinter die Kulissen einer Mammutaufgabe.

Es steckte nicht der kleinste Hauch von Romantik in diesem Mann. Derweil erinnern sich unzählige Paare an ihre Flitterwochen, als sie auf der Spitze seines 325 Meter hohen Turms standen, auf die Stadt des Lichts blickten und in ein kleines Büro starrten. Dort verbrachte Eiffel in späteren Jahren, nachdem er sich aus dem Bauwesen zurückgezogen hatte, seine Zeit mit meteorologischen Beobachtungen.

Er selbst hatte kein Glück in der Liebe. Nach sechs gescheiterten Umwerbungen verlangte er schließlich von seiner Mutter, sie solle ihm eine geeignete Braut finden. Damit meinte er „eine gute Haushälterin, die mich nicht zu sehr belästigt, die mich so wenig wie möglich betrügt und die mir schöne, gesunde Kinder schenkt, die auch tatsächlich von mir sind“. Diese Aussage mag viel Stoff für eine Psychoanalyse bieten – aber nicht viel Romantik.

Die berühmteste der Pariser Sehenswürdigkeiten ist zweifellos der Eiffelturm, hier im September 1914 abgebildet.

Foto von William Albert Allard, National Geographic

Als Geschäftsmann und Ingenieur durch und durch hatte sich Eiffel bereits einen Namen als Erbauer von hoch aufragenden Eisenbahnbrücken und Bahnhöfen gemacht. Dann kamen die Organisatoren der Pariser Weltausstellung von 1889 auf ihn zu, die auf der Suche nach einem Monument waren, das den Champ de Mars dominieren sollte.

Ein Assistent von Eiffel fertigte eine grobe Skizze an – Eiffel selbst war ein schlechter Zeichner. Die Skizze zeigte einen Turm, der sehr nach einem Pylonen auf einem Eisenbahnviadukt oder nach einem Ölturm aussah. Danach übernahm der Wind das Ruder.

Das in Eiffels Vertrag festgelegte Ziel war es, das höchste Bauwerk aller Zeiten zu errichten. Ganze 300 Meter sollte es in den Himmel ragen. Die Herausforderung bestand darin, dass der Wind die Konstruktion nicht umwerfen würde. Immerhin hatte 1879 ein Sturm eine Eisenbahnbrücke in Schottland zum Einsturz gebracht und so einen Zug mit 75 Passagieren in den Firth of Tay gestürzt.

Mit dem Eiffelturm im Hintergrund lassen Kinder im Juli 1936 Spielzeugboote auf einem Teich segeln.

Foto von William Albert Allard, National Geographic

Eiffels Lösung war eine doppelte: Erstens würde die Gitterform seines Turms dem Wind keine Angriffsfläche bieten. Der Eiffelturm ist, wenn man so will, leichter als Luft – all das Schmiedeeisen wiegt weniger als die Luftsäule, die es umgibt. Und zweitens würde die geschwungene, sich verjüngende Struktur des Turms die Last des Windes und das Gewicht des Turms sicher auf den Boden verteilen.

„Bevor sie an der hohen Spitze zusammentreffen“, schrieb Eiffel, „scheinen die Pfeiler aus dem Boden zu brechen und gewissermaßen durch die Einwirkung des Windes geformt zu werden.“

Der Eiffelturm, hier im Dezember 1946 zu sehen, wurde 1889 für die Weltausstellung fertiggestellt.

Foto von William Albert Allard, National Geographic

Mit anderen Worten: Die Schönheit des Turms entstand aus technischen Berechnungen. Und es war eine neue Art von Schönheit in der Welt, der Vorläufer des modernistischen Diktums, dass „die Form der Funktion folgt“. Im Jahr 1889 löste sie einen regelrechten Skandal unter den Pariser Intellektuellen aus.

Der berühmte Kurzgeschichtenautor Guy de Maupassant sagte später, er sei gezwungen gewesen, Frankreich zu verlassen, so sehr habe ihn der Turm irritiert.

Die Seine gleitet unter der Pont Grenelle in der Nähe des Eiffelturms hindurch, hier im Juli 1936.

Foto von William Albert Allard, National Geographic

In den ersten Jahrzehnten entging der Turm, der als Provisorium für die Weltausstellung gebaut worden war, nur knapp dem Abriss. Doch durch glückliche Umstände ziert er die Stadt noch heute und wirkt, dank regelmäßiger Anstriche, noch wie neu. Und er ist aus Paris nicht mehr wegzudenken.

Das Tor des Trocadero umrahmt den Eiffelturm in einer Aufnahme vom Juli 1921.

Foto von William Albert Allard, National Geographic

Lange nachdem der große Gustave verstorben war – gelangweilt und ein wenig verbittert –, huldigte ihm der Architekt Le Corbusier: „Ich bringe dem Turm das Zeugnis eines unermüdlichen Pilgers durch die Welt. In den Städten, in der Savanne, in der Pampa, in der Wüste, auf den Ghats und an den Flussmündungen, überall, bei den Bescheidenen und bei den anderen, ist der Turm im Herzen eines jeden, Symbol eines geliebten Paris, geliebtes Symbol von Paris.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

Als China Paris nachbaute

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