Ausgangssperre in Paris: Plötzlich steht die Weltmetropole still

Seit dem 17.März gilt in Paris eine Ausgangssperre. Ein ansässiger Fotograf fängt die gespenstische Leere der sonst so lebhaften Weltstadt ein.

Von William Daniels
bilder von William Daniels
Veröffentlicht am 8. Apr. 2020, 15:14 MESZ
Place du Trocadéro

Die Polizei patrouilliert am 17. März am Place du Trocadéro. Es war der erste Tag der Ausgangssperre. Wenn die Pariser ihre Wohnung verlassen, müssen sie einen Zettel bei sich führen, auf dem steht, warum sie sich draußen aufhalten und wann sie ihre Wohnung verlassen haben. Wer keinen Zettel hat, riskiert ein Bußgeld.

Foto von William Daniels, National Geographic

In den fast zwanzig Jahren, die ich nun schon in Paris lebe, habe ich die Stadt noch nie so ruhig gesehen. Es ist eine unheimliche, leere Stille.

Das Forum des Halles im Zentrum von Paris ist eines der größten kommerziellen Einkaufszentren Europas. An normalen Tagen gehen hier mehr als 150.000 Besucher ein und aus. Nun liegt das Gebäude verlassen. Die einzigen Geräusche sind das Rattern der Rolltreppen – und der Gesang von Vögeln.

Foto von William Daniels

Am Anfang hat es ein wenig gedauert, bis die Menschen verstanden, was gerade geschah – dass das neue Coronavirus weitaus mehr war als nur ein asiatisches Problem. In Paris schlossen die Schulen am 12. März. Aber am darauffolgenden Wochenende lag der Frühling in der Luft. Es war sonnig und wunderschön, und die Pariser konnten dem Drang nicht widerstehen, das Wetter im Freien zu genießen.

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    Am 16. März wurde dann allen das ganze Ausmaß der Situation klar. Präsident Macron ordnete an, dass die Menschen ab dem Mittag des nächsten Tages landesweit 15 Tage lang zu Hause bleiben sollten. An jenem erwähnten darauffolgenden Tag bildete sich vor meinem örtlichen Supermarkt eine 180 Meter lange Schlange. Als ich ein Foto davon machte, protestierten einige der Menschen. Ich unterhielt mich mit ihnen und verstand, dass sie einfach nur Angst hatten. Einige von ihnen waren wütend auf die Regierung, weil sie die Krise nicht früher hatte kommen sehen.

    Als die Geduldsprobe für die Franzosen gerade erst begann, herrschte in London und New York City noch der übliche geschäftige Trubel. Ich glaube, Paris zählte zu den ersten großen Städten, in denen es leer wurde. Bis zum 30. März hatten sich 11.838 Menschen in Paris und seinen Vorstädten mit COVID-19 infiziert. 954 waren gestorben. Landesweit gab es 44.550 bestätigte Fälle und 3.024 Tote. Viele hier vermuten, dass die tatsächliche Zahl viel höher sein muss, da nur Erkrankte mit schweren Symptomen getestet wurden. In Frankreich gibt es nicht genügend Tests – anders als in Deutschland, wo mehr als 100.000 Menschen pro Woche auf das Coronavirus getestet werden. Auch die Zahl der Todesfälle muss hier wohl eigentlich höher sein, weil nur die Toten gezählt werden, die in Krankenhäusern versterben.

    Sechs Tage nach der Ausgangssperre ist der Pariser Geschäftsbezirk La Défense leer und verlassen.

    Foto von William Daniels

    Einigen Behörden zufolge werden die Fallzahlen in der Region Paris am Ende wohl denen in Norditalien ähneln, wo allein bis zum 29. März 6.818 Menschen an COVID-19 gestorben sind.

    Weltweit werden Flüge gestrichen. Der Zug vom Stadtzentrum zum Flughafen Charles de Gaulle wirkt wie ein Geisterschiff.

    Foto von William Daniels

    Wer seine Wohnung verlassen will, braucht einen offiziellen Zettel, auf dem der Grund für den Ausflug und der Zeitpunkt stehen, an dem man das Haus verlassen hat. Andernfalls droht eine Geldbuße. Zu Beginn des Lockdowns ging ich auf einen Markt in Barbès, einem ärmlichen Viertel im Norden von Paris. An jedem Tag waren dort viele Menschen unterwegs, aber keiner von denen, mit denen ich gesprochen habe, hatte so einen Zettel dabei. Allerdings habe ich auch keine Polizisten gesehen, die Geldstrafen verhängt haben.

    Die Station Châtelet-Les Halles ist der größte U-Bahnhof Europas. An diesem Tag ist hier nichts los.

    Foto von William Daniels

    Durch Châtelet-Les Halles verlaufen die Strecken von drei Regionalzügen und fünf U-Bahnlinien. An einem normalen Tag passieren 750.000 Reisende die Station. Während des Lockdowns dürfen nur Menschen aus systemrelevanten Berufsgruppen den öffentlichen Nahverkehr nutzen.

    Foto von William Daniels

    In diesen armen Bezirken, in denen das Leben schon in gewöhnlichen Zeiten schwierig ist, sind Kämpfe zwischen jungen Männern ausgebrochen und die lokalen Märkte haben geschlossen. Dank meines Presseausweises darf ich in den Straßen und auf öffentlichen Plätzen Fotos machen. Ich habe Glück – für arme Familien in kleinen Wohnungen ist es schwieriger.

    Am 26. März schlossen in Paris 50 U-Bahnstationen. Der Bus- und Zugverkehr wurde stark reduziert, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen.

    Foto von William Daniels

    Ich komme eigentlich aus der Normandie und lebe nun seit 18 Jahren in Paris. In Frankreich selbst war ich nur selten als Fotojournalist unterwegs. Stattdessen habe ich eher soziale Probleme in Afrika und die Kriege in der Zentralafrikanischen Republik, in Libyen, in Syrien und im Irak dokumentiert. Wenn man über Kriege berichtet, muss man einen gewissen Abstand zum Schmerz und Leid der Menschen wahren. Diesen Abstand braucht man, um objektiv berichten zu können und nicht von seinen Gefühlen überwältigt zu werden.

    Mit Blick auf die Krise des benachbarten Italien zögerte Frankreich nicht lange, ehe es Geschäfte wie das Einkaufszentrum Forum des Halles schließen ließ. Seit dem 14. März dürfen nur Läden für den täglichen Bedarf geöffnet haben.

    Foto von William Daniels

    Das erste Mal, dass ich über schlimme Vorfälle in meinem eigenen Land berichtete, war 2015, als ich die Folgen der Terroranschläge auf ein Konzert, ein Café und ein Fußballstadium fotografierte. Die Katastrophe, die das Coronavirus auslöste, ist völlig anders. Sie betrifft alle von uns: Fremde, Freunde, Familie, meine Nachbarn und mich selbst.

    Auf gewisse Weise ist es viel schwieriger, den eigenen Wohnort und die eigenen Nachbarn zu fotografieren. Eines der Dinge, die ich einfangen wollte, war die Stimmung der berühmtesten Orte der Stadt während der Ausgangssperre: der Louvre, der Eiffelturm, der Geschäftsbezirk La Défense, alle zu unterschiedlichen Tageszeiten mit unterschiedlichem Licht. Es ist sehr schwierig, Leere zu fotografieren. Ich habe an jedem der Orte viel Zeit verbracht, manchmal drei Stunden oder mehr. Mittlerweile habe ich sicher 4.000 Bilder.

    Auf der berühmten Rue de Lappe, in denen das Pariser Nachtleben sonst tobt, haben Bars, Restaurants und Clubs geschlossen.

    Foto von William Daniels

    Auf der berühmten Rue de Lappe, in denen das Pariser Nachtleben sonst tobt, haben Bars, Restaurants und Clubs geschlossen.

    Foto von William Daniels

    Zwei Tage, nachdem Bars, Café und andere verzichtbare Geschäfte schließen mussten, dokumentierte der Fotograf William Daniels diese Ladenfronten.

    Foto von William Daniels

    Zwei Tage, nachdem Bars, Café und andere verzichtbare Geschäfte schließen mussten, dokumentierte der Fotograf William Daniels diese Ladenfronten.

    Foto von William Daniels

    Ich muss in vertrauten Umgebungen Schönheit und Bedeutung in Dingen finden, die ich jeden Tag sehe. Ich bin so an meine Umgebung gewohnt, dass ich vielleicht interessante Szenen oder Momente verpasse. Im Stadtzentrum sehe ich jetzt so viele Obdachlose, die mir vorher inmitten der täglichen Menschenmassen nie aufgefallen sind. Ihre aktuelle Situation ist noch schlimmer als sonst. Sie können Passanten nicht um Geld bitten, weil kaum noch jemand unterwegs ist. Die öffentlichen Toiletten, die sie sonst benutzen, sind geschlossen. Früher bekamen sie Unterstützung von kleinen Hilfsorganisationen, aber aktuell haben fast all diese Gruppen ihre Arbeit eingestellt.

    Die Schönheit des Frühlings im Jardin des Halles im Stadtzentrum von Paris bleibt von den meisten, die zu Hause bleiben müssen, unentdeckt.

    Foto von William Daniels

    Ich will zeigen, wie die Pandemie die Obdachlosen trifft, und die Immigranten und Flüchtlinge in den Camps direkt hinter den Stadtgrenzen von Paris. Für sie ist Social Distancing ein Ding der Unmöglichkeit. Sie haben keinen Zugang zu Masken und Handschuhen. Auch die regelmäßige Körperpflege ist eine Herausforderung. Außerdem plane ich, über die Arbeit von Ärzte Ohne Grenzen zu berichten: Sie helfen diesem besonders schutzlosen Teil der Bevölkerung, indem sie mobile Kliniken auf die Beine stellen, um die Menschen auf das Virus zu testen und ihnen zu zeigen, wie sie sich selbst so gut wie möglich schützen.

    Ein Polizeiauto kontrolliert die Ausgangssperre am Place du Trocadéro, der gegenüber dem Eiffelturm am anderen Ufer der Seine liegt. Die Ausgangssperre wurde bis zum 15. April verlängert.

    Foto von William Daniels

    In den kommenden Wochen will ich meine Arbeit fortsetzen, um den Menschen überall auf der Welt wenigstens einen kleinen Einblick in meine Stadt während der Pandemie zu geben. Als ich durch Paris zog, fiel mir auf, dass die Luft viel besser ist – es gibt weniger Luftverschmutzung. Und als ich den Haupteingang von Les Halles fotografierte, eines der größten Einkaufszentren in Europa, hörte ich Vögel singen. Mir war nie aufgefallen, dass es ausgerechnet bei Les Halles Vögel gibt. Das hat mir etwas Hoffnung gegeben.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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