Königliches Partyboot: Spektakuläres Schiffswrack der Gloucester entdeckt

Vor 340 Jahren sank die H.M.S. Gloucester vor der Küste Norfolks. An Bord: der zukünftige König von England. James II. überlebte die Havarie, doch das Wrack verschwand spurlos in der Nordsee – bis zwei Hobbyarchäologen es aufspürten.

Von Roff Smith
Veröffentlicht am 16. Juni 2022, 09:47 MESZ
Teil des Schiffswracks mit zwei Tauchern.

Im Jahr 2007 fanden die Brüder Lincoln und Julian Barnwell erste Überreste der H.M.S. Gloucester, hielten ihre Entdeckung jedoch zunächst geheim. „Bei einem Tauchgang sah ich Kanonen, die über den Meeresboden verstreut lagen“, sagt Lincoln. „Es war ein unvergesslicher Moment.“

Foto von Norfolk Historic Shipwrecks

Als die H.M.S. Gloucester an einem Frühlingsmorgen im Jahr 1682 in See stach, muss ihr Anblick atemberaubend gewesen sein: Ausgestattet mit fünfzig Kanonen und einem vergoldeten Heck, flatterte am Mast der kampferprobten Fregatte aus dem anglo-spanischen Krieg die königliche Flagge. Ihr Auftrag: Sie sollte Maria Beatrix d’Este, die hochschwangere Gemahlin von James II. – damals noch Duke of York – im schottischen Edinburgh abholen und nach London bringen.

Unter den Passagieren an Bord des Schiffs war der Duke selbst, der als jüngerer Bruder Charles II. von England direkter Erbe des englischen Throns war. Mit ihm reiste eine Schar schillernder Begleiter, die sich die Zeit in der ersten Klasse mit erlesenen Köstlichkeiten, seltenen Weinen und Live-Musik vertrieben. Eine Kreuzfahrt der gehobenen Sorte.

Im Jahr 1682 rammte die mit fünfzig Kanonen ausgestattete königliche Fregatte H.M.S. Gloucester eine Sandbank und sank. Obwohl er das Unglück überlebte, blieb die Havarie für den späteren englischen König James II. nicht ohne Folgen.

Foto von Photograph via Wikiemedia Commons

„Die Gloucester war eine Art Partyboot“, sagt Sean Kingsley, Marinehistoriker und Gründer der Zeitschrift Wreckwatch. „Der Duke und seine Gefolgschaft hatten eine ziemlich gute Zeit auf ihrer Seereise.“ Zur Entourage des Adeligen gehörte auch der unermüdliche Tagebuchschreiber und gesellschaftliche Emporkömmling Samuel Pepys. Er beobachtete das Treiben von seiner Liege auf einer der Yachten, die die Gloucester begleiteten, und hielt seine Erlebnisse in schriftlichen Aufzeichnungen fest.

Am 6. Mai 1682 befand sich die kleine Flotte rund 50 Kilometer vor der Küste der britischen Grafschaft Norfolk. Beschleunigt durch starken Wind lag sie gut in der Zeit. Die ausgelassene Stimmung an Bord war jedoch durch eine hitzige Auseinandersetzung zwischen Kapitänen und Navigatoren in der Nacht zuvor getrübt worden. Einige von ihnen hielten es für nötig, weiter auf See hinaus zu fahren, um die Sandbänke des Küstenabschnitts zu umschiffen, andere sprachen sich dagegen aus. Der Duke, der als Lord-Großadmiral gedient hatte und sich selbst für einen versierten Seemann hielt, hatte sich persönlich in den Streit eingeschaltet und den schicksalhaften Entschluss getroffen, den bisherigen Kurs zu halten.

Um 5:30 Uhr rammte die 750 Tonnen schwere Gloucester mit einer für eine Fregatte aus dem 17. Jahrhundert beachtlichen Geschwindigkeit von sechs Knoten eine Sandbank. Durch die Wucht des Aufpralls wurde das Schiffsruder abgerissen und der Mann an der Pinne getötet. Innerhalb von 45 Minuten sank das Schiff. 130 bis 250 der rund 330 Menschen an Bord starben. Der spätere König überlebte die Havarie zwar, trotzdem blieb das Unglück für ihn nicht ohne Folgen: Er zog nicht nur den Zorn der Royal Navy auf sich, auch seinen zahlreichen Feinden bot der Vorfall während seiner kurzen und turbulenten Herrschaftszeit immer wieder eine Angriffsfläche.

Suche nach dem sagenhaften Wrack

Wo genau sich das Wrack der Gloucester befand, war jahrhundertelang ein Rätsel – und in den letzten 15 Jahren ein Geheimnis. Denn im Jahr 2007 stießen zwei Hobbyarchäologen auf Holzfragmente und Kanonen der Fregatte, machten ihre Entdeckung jedoch nicht öffentlich. Erst musste belegt werden, dass es sich bei den Funden wirklich um die Reste des einstigen königlichen Partyboots handelte, danach die Fundstelle vor Zugriffen von außen gesichert werden.

Mit dem Fund dieser bronzenen Schiffsglocke im Jahr 2012 konnte die Identität des Schiffswracks endlich abschließend geklärt werden.

Foto von Norfolk Historic Shipwrecks
Links: Oben:

Ein bärtiges Gesicht ziert diesen Krug, der neben Kleidung, Schuhen, Schiffsgerät und ungeöffneten Weinflaschen zu den Artefakten aus dem 17. Jahrhundert gehört, die aus dem Schiffswrack geborgen werden konnten.

Rechts: Unten:

Das Wappen der Familie Legg – den Vorfahren von George Washington – ist in das Glas dieser Flasche geprägt.

bilder von Norfolk Historic Shipwrecks

Im Jahr 2003 hatten die Brüder Lincoln und Julian Barnwell – zwei leidenschaftliche Taucher aus dem Küstenstädtchen Great Yarmouth in Norfolk – mit ihrer Suche nach dem Wrack begonnen. Aus der Freizeitbeschäftigung wurde schnell eine teure Obsession: Die beiden Männer nahmen Hypotheken auf, um sich ein zwölf Meter langes Boot zu kaufen, dass es ihnen ermöglichte, jeden Moment der kurzen Tauchsaison in der sommerlichen Nordsee mit ihrer Suche zu verbringen.

„Wir haben über 6.500 Kilometer Strecke abgesucht, aber alles, was wir fanden, war Sand“, sagt Lincoln Barnwell. „Eines Tages stießen wir dann bei einem Tauchgang auf eine Reihe von Kanonen, die über den Meeresboden verstreut lagen. Es war ein unvergesslicher Moment.“

Karte des Ortes, an dem das Wrack entdeckt wurde.

Foto von Norfolk Historic Shipwrecks

Doch die Brüder fanden bald heraus, dass zwischen dem Aufspüren eines Schiffswracks und seiner Identifizierung Welten liegen. Gerade dann, wenn es sich um ein historisch so wichtiges Schiff wie die Gloucester handelt, sind konkrete Beweise unverzichtbar. Ein solch nötiger Beweis tauchte zwar im Jahr 2012 in Form einer Schiffsglocke auf, doch nun musste dafür gesorgt werden, dass die Fundstelle, die mutmaßlich reich an Artefakten war, hinreichend gesichert wird. Aus diesem Grund wurde die Entdeckung bis heute geheim gehalten.

Ein Untergang führt zum Untergang

„Dieses Wrack hat wortwörtlich den Lauf der Geschichte verändert“, sagt Claire Jowitt, Expertin für Meeresgeschichte an der University of East Anglia in Norwich, England. Was genau zum Sinken der Gloucester führte, wie sie sank und wer an der Havarie die Schuld trug, war jahrelang Inhalt erhitzter Debatten. James II. wies jegliche Verantwortung von sich, beschuldigte stattdessen den Navigator der Gloucester und forderte, ihn umgehend zu hängen. Dazu kam es jedoch nicht. Der Angeklagte wurde zwar vor ein Kriegsgericht gestellt und zu lebenslanger Haft verurteilt, ein Jahr später setzte man ihn aber heimlich, still und leise wieder auf freien Fuß.

Dass der zukünftige König befohlen hatte, seine Hunde zu retten, während unzählige Seemänner im Meer ertranken, war ein Umstand, den dessen Gegenspieler dankbar nutzten, um ihn zu diskreditieren. Als er dann auch noch den Navigator zum Sündenbock erklärte, brachte ihm das nicht nur die lebenslange Feindseligkeit der Admiralität ein, sondern schockierte sogar seine Verbündeten. James II. hatte sich selbst ins Aus gespielt und obwohl er versuchte, sich mit Entschädigungszahlungen an die Familien der getöteten Seemänner zu rehabilitieren, wurde er den Makel nie los.

Nachdem er schließlich den Thron bestiegen hatte, war seine Herrschaft nur von kurzer Dauer. Innerhalb von weniger als vier Jahren kam es zu seiner Absetzung – vorrangig aufgrund seiner religiösen und politischen Ansichten und seiner Wahrnehmung als grausamer Barbar, doch der Schandfleck des Gloucester-Unglücks dürfte ebenfalls einen Anteil am Ende seiner Regentschaft gehabt haben. „Es gab einfach kein Vergessen“, sagt Jowitt.

Auf dem Meeresgrund konnte dieser Flaschenzug freigelegt werden, der zur Ausstattung der Gloucester gehörte. Es wird angenommen, dass hier noch viele weitere Artefakte vergraben liegen.

Foto von Norfolk Historic Shipwrecks

Das gilt für die heutige ebenso wie für die damalige Zeit. Das Wrack der Gloucester öffnet ein Fenster in einen geschichtsentscheidenden Moment und lässt einen Blick auf die Menschen zu, die ihn erlebt haben. Unter den faszinierenden Fundstücken sind unter anderem ungeöffnete Weinflaschen, noch immer befüllt mit französischem Claret aus dem 17. Jahrhundert. Manche dieser Flaschen tragen das Wappen der Legge-Familie, den Vorfahren des ersten US-amerikanischen Präsidenten George Washington.

„Die bisherigen Entdeckungen sind nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Sean Kingsley von Wreckwatch. „Worauf wir uns wirklich freuen können sind die Besitztümer der Schönen und Reichen an Bord – und möglicherweise liegt auch noch königliches Gepäck auf dem Meeresgrund.“

Kingsley zufolge bietet die Gloucester „einen einzigartigen Blick durch das Schlüsselloch hinein in die privilegierte Welt der Paläste und der höheren Gesellschaft zu Zeiten des Hauses Stuart. Man könnte sagen: Der Buckingham-Palast trifft im Meer auf Downton Abbey.“

Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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