Königin Cynethryth: Auf den Spuren einer rätselhaften Herrscherin

Im 8. Jahrhundert n. Chr. regierte eine der mächtigsten angelsächsischen Königinnen aller Zeiten das Königreich Mercia. Nur wenig ist über ihr Leben bekannt. Ausgrabungen an einem mittelalterlichen Kloster sollen nun die Geheimnisse um ihr Leben lüften.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 17. Aug. 2022, 09:28 MESZ
Die Ausgrabungsstätte an der Themse von oben.

Die Ausgrabungsstätte an der Themse: An diesem Ort soll die mächtige angelsächsische Königin Cynethryth einst ihren Lebensabend verbracht haben – als Äbtissin eines Klosters.


 

Foto von University of Reading

Briefe, die Karl der Große Mitte des 8. Jahrhunderts an den Herrscher von Mercia – einem der sieben angelsächsischen Königreiche jener Zeit – schrieb, waren nicht nur an den mercischen König Offa adressiert, sondern auch an dessen Frau, Königin Cynethryth. Ein deutliches Zeichen für die Macht, die Cynethryth innehatte, und die zur damaligen Zeit für eine Frau äußerst ungewöhnlich war. Trotzdem ging der Thron nach Offas Tod im Jahre 796 n. Chr. nicht an sie, sondern an Offas und Cynethryths Sohn Ecgfrith. Die Königin hingegen verließ den Hof und ging in ein Kloster im heutigen Berkshire, dem sie bis zu ihrem Tod als königliche Äbtissin vorstand. 

Über den Klosteralltag der royalen Bewohnerin ist bisher allerdings wenig bekannt. Um das zu ändern, will ein archäologisches Team nun Ausgrabungen vornehmen, um mehr über das Leben in dem mittelalterlichen Kloster herauszufinden – insbesondere über das der ehemaligen Königin. „Cynethryth ist eine faszinierende Figur, eine weibliche Führungspersönlichkeit, die zu ihren Lebzeiten zweifellos echten Status und Einfluss hatte“, sagt Thomas Gabor, Archäologe an der Universität Reading in England. „Die Ausgrabungen bieten eine wertvolle Gelegenheit, ein Fenster in eine entscheidende Periode der englischen Geschichte zu öffnen.“

“Cynethryth ist eine faszinierende Figur, eine weibliche Führungspersönlichkeit, die zu ihren Lebzeiten zweifellos echten Status und Einfluss hatte.”

von Thomas Gabor

Alltag in einem mittelalterlichen Kloster

Das Kloster, in dem Cynethryth vermutlich ihre letzte Ruhe fand, ist nur eines einer ganzen Reihe von Klöstern, die im 8. Jahrhundert die Themse säumten. Die Lage am Fluss sicherte ihnen Einfluss und Reichtum, was vermutlich eine wichtige Motivation für Cynethryth war, sich nach dem Tod ihres Mannes hierhin zu begeben. Dass es trotz ihres besonderen Status keine Dokumentationen über ihr Leben an diesem Ort gibt, ist wohl auch dem Mangel an archäologischen Funden geschuldet. „Das Kloster lag jahrhundertelang im Verborgenen“, so Gabor. „Das macht es jetzt zu einem ausgezeichneten Ort für Entdeckungen, die Aufschluss über das angelsächsische Leben dieser relativ unerforschten Region Englands geben können.“

Überreste des Klosters, in das die ehemalige Königin einzog, wurden bereits bei Ausgrabungen im Jahr 2021 in dem nahe an der Themse gelegenen Ort Cookham im Süden Englands entdeckt. Der Fund lieferte damals erste Belege für den genauen Standort des Klosters und seine regionale Vernetzung. Bei den aktuellen Ausgrabungen sollen nun anhand von Essensresten, Keramikgefäßen und persönlichen Kleidungs- und Schmuckstücken tiefere Einblicke in den Klosteralltag gewonnen werden.

BELIEBT

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    Dieser Penny mit der Darstellung der Königin Cynethryth ist die erste Münze, auf der eine angelsächsische Königin abgebildet wurde.

    Foto von Classical Numismatic Group / CC BY-SA 3.0

    Verschollene sterbliche Überreste

    Wo und wann Cynethryth geboren wurde, ist bis heute nicht bekannt. Die ersten historischen Aufzeichnungen, in denen sie erwähnt wird, stehen in Zusammenhang mit ihrem Mann Offa, der zwischen 757 und 796 n. Chr. über Mercia herrschte. Eines der beeindruckendsten historischen Dokumente ist eine Münze aus den 780ern, auf der Cynethryths Kopf und ihr Name eingeprägt sind. Sie war die erste bisher bekannte angelsächsische Königin, der diese Ehre zuteilwurde. 

    Cynethryths Ruf als intrigante und bösartige Herrscherin, der auf einigen teilweise schlecht verifizierbaren Berichten basiert, hält sich bis heute – ein Narrativ, das im Zusammenhang mit mächtigen Frauen keine Seltenheit ist. Ob es den Archäologen gelingt, bei ihren Ausgrabungen Hinweise zu finden, die diese Erzählung bestätigen oder widerlegen, wird sich zeigen. In erster Linie hoffen sie auf weitere Münzen mit Cynethryths Abbild – und im besten Fall auf die Entdeckung ihrer Gebeine.

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