Wie „Prey“ der Diskriminierung indigener Menschen in Hollywood entgegenwirkt

Viel zu lange fanden indigene Menschen und Themen in Hollywood nicht statt oder wurden falsch dargestellt – eine moderne Fortsetzung der Ungerechtigkeit, die den Gemeinschaften seit Jahrhunderten widerfährt. Der Film Prey ändert das nun.

Von Simon Ingram
Veröffentlicht am 19. Aug. 2022, 09:52 MESZ
Naru, eine erfahrene Komantschen-Kriegerin und die Hauptfigur des Film Prey.

Alles begann im Jahr 1987 mit dem Film Predator, in dem Arnold Schwarzenegger mit seinem Maschinengewehr einen unsichtbaren Feind im Dschungel jagt. Jetzt hat die Reihe eine neue Fortsetzung bekommen, die eine lange übersehene Kultur in einer bisher nicht dagewesenen Intensität in den Fokus rückt.

Foto von 20TH CENTURY STUDIOS / DISNEY+

Prey, der neueste Teil der Predator-Reihe, erzählt die altbekannte Geschichte mit neuem Twist. Auch in diesem Film werden Jäger im Kampf gegen die plötzlich auftauchende, außerirdische Gefahr zu Gejagten und schlagen mit den ihnen eigenen Mitteln zurück. Der große Unterschied zwischen Prey und seinen Vorgängern ist jedoch nicht die Kulisse des ländlichen Amerikas des 18. Jahrhunderts, sondern vor allem seine Darstellung der indigenen Bewohner Nordamerikas und deren Einbindung in das Projekt vor und hinter der Kamera.

Denn die indigenen Figuren in Prey – darunter auch die Hauptrolle, die Amber Midthunder übernommen hat – werden ausschließlich von Schauspielern mit indigener Abstammung verkörpert. Auch die Mehrheit der Mitarbeiter von Filmcrew und Produktionsteam – darunter die Produzentin Jhane Myers – haben indigene Wurzeln.

Amber Midthunder spielt Naru, eine junge Kriegerin der Komantschen, die bei den männlichen Mitgliedern ihres Stammes auf den Great Plains ihre Fähigkeiten als Jägerin unter Beweis stellen will. Die passende Gelegenheit tritt in Form eines außerirdischen Killers auf, der rätselhafte Spuren in den Jagdgründen hinterlässt. Doch die Komantschen werden nicht nur von diesem übernatürlichen Wesen, sondern auch von einer Gruppe französischer Pelzhändler bedroht, die ihr Lager in der Prärie aufgeschlagen haben und noch weniger Respekt für das dortige Leben an den Tag legen, als der furchterregende Predator.   

Die Einordnung in ein Genre fällt schwer: Prey ist sowohl ein historischer Action- als auch ein Science-Fiction-Film und in beiden Kategorien ein voller Erfolg. Die Filmkritikerin Clarisse Loughrey vom Independent beschreibt ihn als „brutale, aufregende und emotionsgeladene Geschichte einer Komantschin, die um ihr Überleben kämpft“. Sie schreibt weiter: „Dass ein Hollywood-Filmprojekt so stolz eine Geschichte erzählt, in dessen Mittelpunkt Indigene stehen, ist von großer Bedeutung.“

Amber Midthunder in ihrer Rolle als Naru in dem Film Prey.

Foto von 20TH CENTURY STUDIOS / DISNEY+

Akzeptanz durch Ehrlichkeit

„Ehrlichkeit war mir sehr wichtig“, sagt Amber Midthunder, die den Völkern der Assiniboine, Hunkpapa und Sisseton-Dakota angehört. „Um die dunklen Seiten unserer Geschichte zu zeigen, aber auch, um die indigenen Gemeinschaften in den Zeiten vor der Kolonialisierung zu normalisieren. Zu zeigen, wie gut die Dinge in einer Gesellschaft waren, die für sich selbst verantwortlich war und ihre eigenen Entscheidungen getroffen hat. Dass diese Menschen innovativ und intelligent waren. Und die alltäglichen Dinge: Dass es Hygiene gab, dass die Leute sich die Zähne geputzt haben.“  

Gerade die Szenen, die das Leben der Komantschen abseits des Jagens und Kämpfens zeigen, bieten einen bereichernden Einblick in den Alltag des Volks zur damaligen Zeit – und einen in der oft unrühmlichen Geschichte der Darstellung amerikanischer Ureinwohner auf der Leinwand extrem seltenen.

„Wenn man in einer Weise dargestellt wird, die sich falsch anfühlt oder zu der man keine Beziehung hat, dann macht das etwas mit einem“, sagt Midthunder. „Ich bin damit aufgewachsen, dass meine Eltern über die falsche Darstellung Indigener Witze gelacht haben statt deswegen verletzt oder beleidigt zu sein. Aber je älter ich wurde, desto klarer wurde mir, dass es wichtig ist, indigene Kultur und Leben in Filmen korrekt und respektvoll abzubilden. Vor allem auch, weil sie für Menschen, die nicht in indigenen Gemeinschaften aufwachsen oder in deren Nähe leben, oft die einzige Informationsquelle sind.“

Am äußersten Rand der Filmindustrie

Jhane Myers gehört den Völkern der Blackfeet und Komantschen an. „In Bezug auf Authentizität und Repräsentation hängt der Film die Latte ziemlich hoch – und er ändert die Erzählweise, die Hollywood für die Indigenen Amerikas etabliert hat“, sagt sie. „Man sieht uns, wenn überhaupt, meist vor der Kamera. Wenn ich an einem Projekt mitarbeite, bin ich oft die einzige Indigene im Produktionsteam. Bei Prey war das ganz anders, wir hatten Indigene in jedem Arbeitsbereich.”

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    “In Bezug auf Authentizität und Repräsentation hängt der Film die Latte ziemlich hoch – und er ändert die Erzählweise, die Hollywood für die Indigenen Amerikas etabliert hat.”

    von Jhane Myers
    Regisseurin von Prey

    Grundsätzlich sind nordamerikanische Indigene im Kino mehr als unterrepräsentiert. Inzwischen wurde dieser Umstand als schädigend für die gesamte indigene Kultur identifiziert.

    In einer Kolumne, die im Jahr 2021 in Variety erschien, schreibt Crystal Echo Hawk Filmen eine entscheidende Rolle dabei zu, „wie Menschen andere Kulturen und wichtige soziale Themen einordnen und mit ihnen fühlen“. Darauf, wie nicht-indigene Kinder amerikanische Ureinwohner wahrnehmen, hätten sie einen starken Einfluss. In der Kolumne wird eine Studie zitiert, für die Medieninhalte aus den Jahren 2018 und 2019 analysiert wurden. Die Repräsentation von nordamerikanischen Indigenen hatte ihr zufolge lediglich einen Anteil zwischen 0,3 und 0,5 Prozent. Laut einer neueren Analyse des Hollywood Diversity Report lag die Zahl im Jahr 2021 bei 0,6 Prozent. „Sichtbarkeit ist wichtig“, schreibt Echo Hawk, „aber die Qualität der Darstellung ist noch entscheidender.“

    Eine Aussage, die umso mehr Gewicht hat, wenn man sich vor Augen führt, wie konsequent indigene Gemeinschaften in Filmen vorwiegend falsch oder in schädigender Weise dargestellt oder von der Populärkultur gleich ganz übersehen wurden.

    Schädigender Stereotyp

    Im 17. Jahrhundert begann mit der Ankunft der ersten europäischen Siedler in Nordamerika für die indigenen Völker die kulturelle Vernichtung. Die weißen Kolonisten brachten Krieg und Krankheiten, bekämpften die Indigenen auf brutale Weise und zwangen sie, das Land ihrer Ahnen zu verlassen.

    Als das Kino im späten 19. Jahrhundert diese Geschichte für die Massen aufbereitete, waren die Filme durchtränkt mit Vorurteilen. In Sein letztes Kommando aus dem Jahr 1941 liefert Errol Flynn eine stark romantisierte Darstellung des gewalttätigen Oberstleutnants und Generalmajors George Custer ab. Traumatische Ereignisse wie das Massaker von Wounded Knee im Jahr 1890, bei dem hunderte Lakota und Sioux – unter ihnen auch Frauen und Kinder – den Tod fanden, wurden viele Jahre lang als „Schlacht“ relativiert.

    In dieser Szene aus Der schwarze Falke (1956) packen die Schauspieler John Wayne (links) und Martin Pawley (rechts) die Komantschin Look, gespielt von Beulah Archuletta, einer Maricopa, an den Armen. Der Film wurde für seine Behandlung indigener Amerikaner gleichermaßen gelobt und kritisiert: Einerseits entlarve und verurteile der Film Rassismus, andererseits stütze er den eindimensionalen Stereotyp des amerikanischen Ureinwohners als brutaler Wilder.


     

    Foto von United Archives Gmbh / Alamy

    In späteren Westernfilmen wurden indigene Menschen entweder als aggressive Wilde dargestellt, die von heldenhaften Cowboys bezwungen werden müssen, oder als „gute Indianer“, die gut sind, weil sie Bündnisse mit weißen Siedlern eingehen. Auch in Ringo und Der schwarze Falke – in dem der weiße Schauspieler Henry Brandon entsprechend der damaligen Casting-Tradition einen Komantschen-Häuptling verkörpert – werden die Indigenen auf rassistische Weise als Feinde der tugendhaften, zivilisierten Kultur der Weißen dargestellt.

    Doch keine Regel ohne Ausnamhen: Der Regisseur James Young Deer (auch bekannt als James Young Johnson), der sich als Angehöriger des Volks der Winnebago identifizierte, drehte zwischen 1910 und 1913 im Auftrag des großen französischen Studios Pathé etwa 150 Stummfilme. Die Protagonisten waren oft heldenhafte Indigene, die in den Filmen die moralische Oberhand behielten und ein Leben ohne Unterdrückung führten. White Fawn's Devotion aus dem Jahr 1910, einer seiner wenigen erhaltenen Filme, wurde 2008 in das National Film Register der Library of Congress aufgenommen.

    Sacheen Littlefeather hält bei der Oscar-Verleihung im Jahr 1973 die achtseitige Rede von Marlon Brando in der Hand, mit der der Schauspieler seine Auszeichnung ablehnt. Vorlesen durfte die Apachin den Text nicht – ihr wurden nur 60 Sekunden gegeben, um Brandos Beweggründe zu erklären.


     

    Foto von PictureLux / The Hollywood Archive / Alamy

    Der Oscar-Skandal

    Im Jahr 1973 kam es zu einer Art Wendepunkt – vor den Augen aller, auf der wichtigsten Bühne der Filmindustrie. Marlon Brando sollte für seine Rolle als Mafiaboss Vito Corleone in Der Pate den Oscar als bester Schauspieler erhalten. Er entschied sich dazu, die Ehrung abzulehnen, tat dies allerdings nicht persönlich, sondern schickte an seiner Stelle die White Mountain Apachin Sacheen Littlefeather zu der Zeremonie.

    Die 26-jährige Schauspielerin und Vorsitzende des National Native American Affirmative Image Committee erschien in den traditionellen Kleidern ihres Stammes. Als Roger Moore und Liv Ullman ihr stellvertretend für Brando den Oscar übergeben wollten, hob sie ablehnend die Hand und erklärte in einer Rede, der Schauspieler verzichte auf die Auszeichnung aus Protest gegen „die ungerechte Behandlung der amerikanischen Ureinwohner in der Filmindustrie und im Fernsehen.“ Littlefeather ging auch auf die damals aktuellen Geschehnisse in Wounded Knee ein: Von Februar bis Mai 1973 besetzen Aktivisten den Ort in South Dakota um gegen die Korruption und die Verletzung der Bürgerrechte von indigenen Menschen seitens der Regierung zu demonstrieren.

    Das Publikum reagierte auf ihre Rede mit Applaus, aber auch mit Buh-Rufen. Viele hielten den Auftritt für einen Scherz. Clint Eastwood machte sich darüber lustig und John Wayne war Berichten zufolge so erzürnt, dass man ihn auf seinem Sitz festhalten musste. Im Jahr 2021 erzählte Littlefeather dem Guardian, dass sie mit Kampfgebrüll und Handgesten unterbrochen worden sei, die einen Tomahawk nachahmten. Brando war einer von nur drei Schauspielern, die in der 94-jährigen Geschichte der Academy Awards die Auszeichnung nicht annahmen – und der Einzige, der damit gegen die Filmindustrie protestierte.

    Ab den Siebzigerjahren bemühten sich Filme wie Little Big Man aus dem Jahr 1970, Einer flog über das Kuckucksnest von 1975 und Der mit dem Wolf tanzt von 1990 um eine differenziertere Darstellung indigener Amerikaner. Sie gingen auf ihre Erfahrungen und ihre Verdrängung ein, taten dies jedoch weiterhin aus der Perspektive einer weißen Hauptfigur.

    Erst seit vergleichsweise kurzer Zeit werden auch Geschichten aus dem Blickwinkel der modernen indigenen Gemeinschaften umgesetzt. Filme wie Smoke Signals aus dem Jahr 1998 und Skin aus dem Jahr 2002, die beide von dem den Cheyenne-Arapaho-stämmigen Regisseur Chris Eyre mit einer größtenteils indigenen Crew gedreht wurden, waren kommerziell erfolgreich und wurden von der Kritik hochgelobt.

    Eine Szene aus der Serie Reservation Dogs, die für ihre ungeschönte Darstellung des Lebens in einem Muskogee-Reservat viel Beifall geerntet hat.

    Foto von Everett Collection Inc / Alamy

    Trotz Aliens authentisch

    Obwohl Prey die indigene Thematik in das Sci-Fi-Genre überträgt, macht der Film in Bezug auf die Authentizität der Darstellung keine Kompromisse.

    „Es gibt nur wenige Überlieferungen aus der Zeit“, sagt Jhane Myers. „Wenn man sich auf die Suche nach Artefakten unserer Völker macht, findet man kaum etwas aus dem 18. Jahrhundert. Die Geschichte der Stämme dieser Zeit wurde in Erzählungen weitergegeben. Bei den Komantschen gibt es Menschen, die noch über dieses Wissen verfügen und es weitergeben. Daran haben wir uns orientiert, um alles korrekt und zeitgemäß rekonstruieren zu können.“ Ein Ansatz, der sich durch die Wahl der Farben der Kleidung – die mit Pigmenten aus Pflanzen behandelt wurde, die zu jener Zeit in der Region wuchsen –, über Frisuren und Gesichtsbemalung bis hin zu Kampftechniken und Waffen zieht.

    „Bei der Bemalung von Tierhäuten, die man am Ende des Films sieht, handelt es sich um eine für die damalige Zeit typische Kunstform“, erklärt Myers. „Die Menschen dokumentierten das aktuelle Geschehen mit den Bildern auf den Häuten.“

    In einem frühen Entwurf des Drehbuchs zu Prey wurde festgelegt, dass alle Dialoge auf Comanche – auch Numinu genannt – gesprochen werden sollten. In der finalen Filmfassung sprechen die Figuren neben ihrer Muttersprache auch Englisch und Französisch, es steht aber auch eine alternative synchronisierte Comanche-Fassung zur Verfügung, die die Schauspieler selbst eingesprochen haben – eine Premiere für einen Hollywoodfilm.

    Masken- und Kostümbildner benutzten für den Film pflanzliche Pigmente und Materialien, die im Komantschengebiet im frühen 18. Jahrhundert verfügbar waren.


     

    Foto von 20TH CENTURY STUDIOS / DISNEY+

    Gedreht wurde der Film ausschließlich im Freien und mit natürlichem Licht an einer Location außerhalb von Calgary, Kanada. „Die Produktion fand auf dem Land der Stoney Nakoda statt. Amber ist zum Teil Nakoda – ich ebenso, von Seiten meiner Großmutter“, sagt Myers. „Wenn wir mit einem Dreh beginnen, kommt normalerweise ein Mitglied der indigenen Gemeinschaft zu uns, um eine Zeder-Zeremonie durchzuführen und alles zu segnen. Bei diesem Film hatten wir so viele indigene Mitarbeiter am Set, dass wir eine Pfeifenzeremonie durchgeführt haben.“

    An der Zeremonie nahmen neben den Anführern lokaler indigener Stämme auch die Schauspieler Amber Midthunder, Dakota Beavers und Stormee Kip teil, außerdem Jhane Myers und der Regisseur Dan Trachtenberg. „Es war wirklich fantastisch – und eine große Ehre für mich“, sagt Myers. „Dass jemand möchte, dass die Dinge für dich gut laufen – so sehr, dass er diesen Wunsch dem Schöpfer vorträgt.“

    Prey ist im Stream auf Disney+ verfügbar.

    (Die Walt Disney Company ist Mehrheitseigner von 20th Century Pictures und National Geographic).

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.co.uk veröffentlicht.

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