Klimawandel im Mittelalter: Vom Wärmeoptimum in die Kaltzeit

Die warmen und trockenen Phasen zwischen dem 8. und 14. Jahrhundert bescherten Europa eine goldene Zeit. Doch es folgte eine Kaltzeit mit Hungersnöten, Kriegen und Revolutionen.

Von Armando Alberola Romá
Veröffentlicht am 19. Sept. 2022, 12:33 MESZ
Pieter Bruegel Gemälde Sommer

Der niederländische Renaissance-Maler Pieter Bruegel der Älteren malte 1565 Bilder der verschiedenen Jahreszeiten. Hier: „Die Kornernte“ im Hochsommer.

Foto von Wikimedia Commons

„Es schien, als ob die Erde sich schüttelte, um sich vom Altertum zu befreien und sich in einen weißen Mantel aus Kirchen zu hüllen. Fast alle Kirchen, Klöster und auch die kleinsten Kapellen auf dem Land wurden erneuert.“ So verheißungsvoll beschrieb der Benediktiner Rodulfus Glaber die erste Jahrtausendwende. Er lebte als Mönch in einigen Klöstern, darunter im burgundischen Cluny. Als Zeitzeuge und Historiker, der er auch war, beschäftigte er sich in seinem Hauptwerk „Historiae“ vor allem mit den Jahren zwischen 900 und 1040. Das war eine Zeit im Umbruch, voller Tatendrang und Energie, in der die romanische und später gotische Kunst aufblühte. Die Ernten fielen reich aus, die Wirtschaft wuchs, und weite Teile Europas profitierten von einer deutlichen Verbesserung des Klimas.

Die mittelalterliche Warmzeit 1965 prägte der britische Klimatologe Hubert H. Lamb, einer der führenden Klimahistoriker, den Begriff der „mittelalterlichen Warmzeit“ – auch bekannt als Mittelalterliche Klimaperiode, Mittelalterliche Klimaanomalie oder Klimaoptimum. Aus einer Fülle von dokumentarischen Quellen und geologischen Daten entwickelte Lamb Indizien für die Sommerfeuchte und die Winterstrenge und kam zu dem Schluss, dass die nördliche Hemisphäre zwischen dem 8. und frühen 14. Jahrhundert eine Klimaperiode durchmachte, die durch steigende Mitteltemperaturen gekennzeichnet war. Dies führte zum Abschmelzen der arktischen Eiskappe sowie zum Anstieg des Meeresspiegels, zum Rückzug der alpinen Gletscher und zur Entstehung einer höheren Gebirgsvegetationsgrenze. Obwohl im Mittelmeerraum Dürreperioden zunahmen, waren die Getreideernten aufgrund einer Reihe von warmen und trockenen Sommern und weniger kühlen Wintern besonders in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gut. Experten datieren den Höhepunkt der Periode um das Jahr 1100, die günstigen Bedingungen führten zu besseren Lebensbedingungen. Skandinavische Völker wie die Dänen und die Wikinger fühlten sich ermutigt, den Nordatlantik zu befahren.

​Das warme Mittelalter: Höhere Ernten und katastrophale Fluten

Mit dem Wachstum vervielfachte sich der Bedarf an Ackerland, und die Kulturflächen wurden um Grenzertragsböden erweitert. Diese sumpfigen, steilen, schwereren und auch härteren Böden verlangten nach neuen Geräten, und so wurde der Streichblechpflug entwickelt, mit dem man die Erdstreifen anheben und wenden konnte. Auch die dreijährige Fruchtfolge, die teilweise noch heute Anwendung findet, stammt aus dieser Zeit. Im ersten Jahr wurde die Parzelle mit Getreide bepflanzt, im nächsten Jahr mit Hafer und Hülsenfrüchtlern, die im Boden Stickstoff binden. Im dritten Jahr lag das Feld dann brach und konnte sich regenerieren. Das warme Mittelalter förderte die landwirtschaftliche Produktion. Die Vegetationsperiode des Getreides dauerte drei Wochen länger als zuvor: Warme Sommer und milde Winter ermöglichten den Anbau von Pflanzen in höheren Lagen und geografischen Breiten. Beispielsweise waren europäische Weinberge 300 bis 400 Kilometer weiter nördlich als heute zu finden.

Die Wärme schmolz die Eiskappen, was zu einem erheblichen Anstieg des Meeresspiegels der Nordsee um 60 bis 80 Zentimeter führte. Besonders bei Weststürmen kam es zu katastrophalen Überschwemmungen wie in den Jahren 1164 und 1212, 1214, 1219, 1248 und 1282. Die verheerendste Flut ereignete sich an St. Luzia von 1287 und kostete 50000 Menschen das Leben. Die „Grote Mandrenke“ (das „große Ertrinken“) von 1362 tötete 25000. Das Ergebnis war, dass das Meer einen großen Teil der Niederlande überflutete und ein riesiges Binnenmeer – die Zuiderzee – bildete. 1932 wurde ein künstlicher Damm gebaut, der die Zuidersee in das Wattenmeer und einen Binnensee, das Ijsselmeer, teilt.

​Der Abschied von der Warmzeit

Die ersten Vorboten vom Ende des Mittelalterlichen Wärmeoptimums waren der eisige Winter von 1310 bis 1311 und die schweren Regenfälle, die zu Ostern 1315 begannen. In dem Jahr, in dem sie andauerten, wurden die Feldfrüchte der Bauern vernichtet. Die folgenden sieben Jahre brachten mit Kälte und Stürmen eine verheerende Hungersnot in das nördliche Europa. Nach Jahrzehnten guter Ernten und guten Wetters wurden die neuen klimatischen Bedingungen als göttliche Strafe angesehen.

Auf die Warmzeit folgte eine kleine Eiszeit. In seiner Reihe der vier Jahreszeiten hielt Pieter Bruegel auch den Winter fest. Hier sein Gemälde „Die Jäger im Schnee“ von 1565.

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Diese Kleine Eiszeit, so bezeichnet vom niederländischstämmigen Geologen François Matthes, folgte auf die Mittelalterliche Warmphase mit guten Ernten und einem deutlichen Bevölkerungswachstum. Sie ließ Europa etwa vom Ende des 13. bis hinein ins 19. Jahrhundert erzittern, unterbrochen von kürzeren wärmeren Phasen. Der genaue Beginn dieser Kälteperiode ist Gegenstand von Diskussionen, die Hochphase der Kleinen Eiszeit fiel in Europa ungefähr auf die Zeit von Ende des 16. bis Ende des 17. Jahrhunderts. Jedenfalls waren die Winter immer öfter lang, die Sommer kühl und verregnet, und die Vegetationsphase war merklich kürzer. Schlechte Ernten und Hungersnöte waren die Folge. Der Getreideertrag fiel mitunter auf nur noch die Hälfte des Durchschnitts früherer Zeiten.

In zahlreichen Ländern reihte sich Missernte an Missernte. Die Preise für Nahrungsmittel explodierten: Im Winter 1315/16 betrug die Teuerung von Weizen in Antwerpen sagenhafte 320 Prozent. Weite Teile der Bevölkerung hungerten, die Ärmsten verhungerten. Vor allem in den Ballungsräumen spielten sich Szenen ab wie in einem Horrorfilm. In einer Thüringer Chronik heißt es, dass „unzählige tote Körper auf den Straßen, in den Städten und Dörfern lagen, und fünf große Gruben wurden vor den Toren der Stadt (Erfurt) ausgehoben, in welche man täglich zahlreiche Kadaver warf“.

Durch die Mangelernährung wuchsen die sozialen Spannungen in Europa, das Elend der Bevölkerung wurde immer schlimmer. Die Kälte bereitete den Boden für Revolutionen und Kriege, etwa den Dreißigjährigen Krieg oder den Machtwechsel in China von der Ming- zur Qing-Dynastie, dem Jahre voller Ernteausfälle vorausgingen. Auch vor der Französischen Revolution häuften sich Extremwetterereignisse wie Dürren, Überflutungen und Hagelstürme, die die Ernteerträge schmälerten und die Preise weiter in die Höhe trieben, bis sich die Unzufriedenheit der Masse in der Revolution und der Absetzung des Königs Bahn brach.

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