Camp der Wikinger: So sah die erste europäische Siedlung in Amerika aus

Ein abgeschiedener Ort der Weltgeschichte: Wo im Jahr 1021 Europäer im kanadischen Neufundland siedelten, ist heute ein archäologischer Park.

Von Von Hubert Filser
Veröffentlicht am 20. Juni 2024, 18:01 MESZ
L'Anse aux Meadows in Neufundland

Ein abgeschiedener Ort der Weltgeschichte: Wo im Jahr 1021 Europäer im kanadischen Neufundland siedelten, ist heute ein archäologischer Park.

Foto von D. Gordon, E. Robertson

Wer über die Holzstege geht und in dem stets wehenden Wind übers Meer blickt, kann sie sich vorstellen: die bunt gestreiften Segel der Wikingerschiffe. Erst das große Tuch, dann der in Schalen aufgebaute Rumpf, die Mannschaft. Ob jemand an Land war, um den historischen Moment zu beobachten, der weltgeschichtlich zunächst folgenlos blieb? Im Jahr 1021 lebten hier an der Nordspitze Neufundlands erstmals Europäer in der Neuen Welt, 471 Jahre vor Kolumbus.

L’Anse aux Meadows heißt der Ort – „die Bucht der Wiesen“ oder „die Quallen-Bucht“. Das Kauderwelsch aus Englisch und Französisch beschreibt die Gegebenheiten recht gut. Ohne die breiten Stege, die zu den nachgebauten Wikingerhäusern führen, versänken die Füße der wenigen Besucher im moorigen Untergrund. Acht Häuser errichteten die Nordmänner in L’Anse aux Meadows, das größte mit einer Fläche von 160 Quadratmetern. Dazu eine Schmiede, in der sie Eisen verarbeiteten. Die Unterkünfte boten Platz für 70 bis 90 Personen.

Isländersaga beruht auf Tatsachen

„Die Aufteilung in drei Komplexe spiegelt möglicherweise drei Schiffsmannschaften wider“, sagt Matthias Toplak, Leiter des Wikingermuseums Haithabu in Schleswig-Holstein. Aber es finden sich weder Scheunen noch Stallungen für die Tiere wie zu Hause auf Island oder Grönland. Offenbar war die Siedlung nicht auf Dauer angelegt. Mehrere Gebäude sind heute rekonstruiert, ganz nach Wikingerart: Wände und Dächer aus Holzstämmen, alles rundherum mit Torf und Grassoden gegen Wind und Kälte eingepackt. Von den anderen Behausungen sind nur Vertiefungen im Grün geblieben.

Das Wissen um die Siedlung ist dem norwegischen Archäologenpaar Helge und Anne Stine Ingstad zu verdanken. Die Forscher wollten nachweisen, dass die isländischen Vinland-Sagas auf historischen Tatsachen beruhen. Tatsächlich fanden sie in L’Anse aux Meadows Hinterlassenschaften der Wikinger: Seilreste, eine bronzene Mantelnadel, Knochennadeln, Holzstücke und Nägel, sogar einen Spinnwirtel. 1978 erklärte die UNESCO L’Anse aux Meadows zum Weltkulturerbe, den archäologischen Park gibt es seit 2017.

Warum endeten die Reisen der Wikinger?

Zunächst wusste niemand, wie alt die Artefakte waren. Erst vor drei Jahren lieferte ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Groningen eine jahrgenaue Datierung. Das Holz zeigt nicht nur Jahresringe, sondern weist Spuren eines kosmischen Ereignisses auf: Ein Sonnensturm oder der Ausläufer einer Supernova-Explosion fegte im Jahr 993 über die Erde, sodass der betreffende Jahresring im Holz einen erhöhten Gehalt am Kohlenstoffisotop C14 hat und eine Art Eichstrich bildet.

Wie lange die Wikinger geblieben sind, ist unklar. Möglich ist, dass sie ein Jahrhundert lang regelmäßig die achttägige Reise aus Grönland auf sich nahmen, um Holz zu holen. Die Sagas erzählen auch vom anfänglich friedlichen Handel. Die Indigenen brachten Felle und Pelze und tauschten sie gegen Wollstoff, Schwerter und Lanzenspitzen aus Eisen. Irgendwann blieben die Wikinger weg. Wegen der Entfernung zur Heimat? Oder Spannungen mit den Menschen vor Ort? Forschungen sollen das aufklären.

Cover National Geographic 5/25

Foto von National Geographic

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