Bewahrung der Tradition: Māori-Modell als Vorbild für den Erhalt indigener Sprachen
Ein von Māori entwickeltes Modell ist für indigene Gemeinschaften zum Vorbild geworden, um ihre eigene Sprache zu bewahren.
Ein von Māori entwickeltes Modell ist für indigene Gemeinschaften zum Vorbild geworden, um ihre eigene Sprache zu bewahren.
Vor fünf Jahren grübelten Kanen’tó:kon Hemlock und Ieronhienhá:wi Tatum McComber auf ihrem Stammesgebiet am kanadischen Sankt-Lorenz-Strom gegenüber von Montréal über eine Frage, die ihnen ihr Freund und Mentor gestellt hatte, der Māori-Sprachaktivist Sir Tīmoti Kāretu. Kanien’kéha, eine Mohawk-Sprache aus der Irokesen-Familie, ist bedroht. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hatten sich McComber und Hemlock zusammen mit anderen darum bemüht, eine Mohawk-Sprachschule zu betreiben. Die Schüler sollten Lehrer haben, die die Sprache fließend beherrschen. Als sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts Pläne für die Schule schmiedeten, sah sich McComber auf der ganzen Welt nach Anregungen um. Sie knüpfte Beziehungen zu Projekten, die ebenfalls bedrohte indigene Sprachen wiederbelebt hatten.
Wettrennen gegen die Zeit
Wie es tatsächlich funktioniert, das wusste in diesem Augenblick – und weiß wohl bis heute – niemand besser als der Mann, der McComber, Hemlock und einer Gruppe von Kanien’kéha-Sprechern am Küchentisch ihrer Schule gegenübersaß. Sir Tīmoti Kāretu stellte eine ganz einfache Frage: Was wollten sie im Idealfall erreichen? Ihre Antwort: Zeit gewinnen, um die Feinheiten des Kanien’kéha mit den Erstsprachlern zu studieren. Das waren zu dem Zeitpunkt zumeist ältere Menschen. Kāretu lehnte sich zurück: „Nun, ihr hattet schon so viel Zeit mit ihnen. Hat es geholfen?“ Ja, aber nicht genug, noch nicht. Die Ältesten wurden älter, und der Nachwuchs hatte noch viel zu lernen.
Hemlock sagt, dies sei eine sehr Tīmoti-typische Antwort gewesen. Direkt und überlegt, zugewandt und lehrreich. McComber ist Gründerin und seit mehr als zehn Jahren Lehrerin einer Sprachschule für Kanien’kéha. Sie sagt, sein Vorbild und seine Motivation hätten sie und die anderen Kanien’kéha-Sprecher seit ihrem ersten Treffen im Jahr 2019 angespornt. „Wartet nicht auf Geld, wartet nicht auf die Zustimmung anderer. Wartet nicht darauf, dass jemand an Bord kommt“, sagt McComber – das wäre sein Rat gewesen. Macht euch einfach an die Arbeit. Dieselbe Botschaft hatten Tīmoti und seine Mitstreiter vor sechs Jahrzehnten, als Te Reo Māori, die Māori-Sprache, kurz vor dem Aussterben stand. Und dieselbe Botschaft verkündet er heute, wenn er mit einer Delegation von Te Reo-Sprecherinnen und -Lehrern zu indigenen Gemeinschaften in aller Welt reist.
Kolonialismus: Zerstörung der indigenen Sprache
In den frühen 1970er Jahren gründete eine Gruppe junger, städtischer und akademisch gebildeter Māori in Aotearoa – dem Te Reo-Wort für Neuseeland – eine Bewegung. Die Aktivisten nannten sich Ngā Tamatoa, Junge Krieger. Zusammen mit anderen regionalen Gruppen organisierten sie sich gegen die Marginalisierung und erzwungene Assimilierung der Māori-Gemeinschaften durch die neuseeländische Regierung. 1867 hatte Neuseeland ein Gesetz zu Schulen für die indigene Bevölkerung (Native Schools Act) erlassen. Es verbot den Gebrauch des Te Reo in Schulen. Lehrer schlugen Schüler, die es wagten, ihre Muttersprache zu verwenden. Aus den misshandelten Māori-Kindern wurden später Māori-Eltern.
Um ihre eigenen Kinder vor demselben Schicksal zu bewahren, untersagten sie diesen, Māori zu sprechen; zunächst in der Öffentlichkeit, dann zu Hause. In der Folge schrumpfte die Zahl der Erstsprachler, die Sprache drohte verloren zu gehen. „Die Menschen lernten, wie man ein Kolonist ist“, sagt Tame Iti, ein bekannter MāoriAktivist und Künstler, der mit 17 Jahren der Ngā Tamatoa beitrat. Im Jahr 1972 marschierten Iti und andere Junge Krieger zusammen mit der Te Reo Māori-Gesellschaft zu den Stufen des neuseeländischen Parlaments in Wellington. Sie trugen eine von mehr als 30000 Menschen unterzeichnete Petition mit sich, die forderte, dass in allen öffentlichen Schulen Māori unterrichtet werden sollte. Iti ist der Ansicht, dass die große Öffentlichkeit des Protests den Māori-Gemeinschaften in ganz Aotearoa die Zuversicht verlieh, Te Reo Māori einzufordern.
Cover National Geographic 9/24
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