Jäger der Arktis: Inughuit-Traditionen und ihr Wissen über Narwale

Seit Generationen jagen die Inughuit in den eisigen Gewässern vor der Küste Grönlands Narwale. Sie finden: Es ist an der Zeit, dass Wissenschaftler und Regierungsbeamte den indigenen Kenntnissen über die Tiere mehr Beachtung schenken.

Von Gleb Raygorodetsky
Veröffentlicht am 18. Aug. 2024, 20:18 MESZ
Inughuit-Jäger in der Arktis

Mit einem Netz an einer langen Stange fängt Pullaq Ulloriaq Krabbentaucher aus der Luft über ihren Nistplätzen nahe Siorapaluk, einer Inughuit- Siedlung nordwestlich von Qaanaaq. Im Robbenbalg fermentierte Krabbentaucher sind eine traditionelle Spezialität der Inughuit

Foto von Kiliii Yüyan

Qillaq Kristiansen lenkt sein Kajak von der Eiskante hinaus auf das offene Meer. Er verfolgt einen Narwal. Der 35-jährige Jäger der Inughuit ist mit seinen Kameraden aus dem nordgrönländischen Qaanaaq im Frühjahr 2023 eine halbe Tagesreise mit dem Hundeschlitten dorthin gefahren, wo das Meereis endet und das offene Meer beginnt. Qaanaaq liegt etwa 1200 Kilometer oberhalb des Polarkreises und ist eine der nördlichsten Städte der Welt. Am westlichen Ende von Qeqertarssuaq (Herbert Island) dringt gedämpftes Prusten aus dem spiegelglatten Wasser: Ein Narwal stößt Luft aus. Das Tier verharrt an der Wasseroberfläche, als ob es sich den Jägern darböte. Zumindest würden manche Inughuit es vielleicht so formulieren. Mit einer schwungvollen Bewegung seiner rechten Hand löst Qillaq die Harpune und schleudert sie in den Rücken des Narwals, der mit einem klatschenden Schlag seiner Schwanzflosse abtaucht. Die Harpune, deren Widerhaken am Kopfstück sich im Körper des Narwals festsetzt, ist mit einer Boje aus einem mit Luft gefüllten Robbenbalg verbunden und macht es dem verwundeten Tier schwer, abzutauchen. Triumphierend streckt Qillaq sein Paddel über den Kopf. Seine Gefährten kommen rasch herbeigepaddelt und holen den verletzten Wal ein. Sie treffen ihn mit einer weiteren Harpune und töten ihn schließlich mit einem Gewehrschuss.

Waljäger: „Europäische Nahrungsmittel interessieren mich nicht“

Im Schlepptau befördern sie den Narwal mit der Schwanzflosse voran zu einer freien Eisfläche in der Nähe ihres Camps und ziehen ihn aus dem Wasser. Kaum liegt der Wal auf dem Eis, werden die Messer gezückt. Die Jäger lassen sich das köstliche mattak schmecken, wie die Inughuit die Walhaut samt darunterliegender Fettschicht nennen. Sie ist reich an Vitaminen und Mineralstoffen. „Europäische Nahrungsmittel interessieren mich nicht. Ich möchte mir mein Essen aus dem Meer holen, wie es bereits unsere Vorfahren taten“, sagt Qillaq. Für die Inughuit ist die Narwaljagd eine wichtige Nahrungs- und Einnahmequelle, mit der sie ihr Leben auf ihrem angestammten Territorium rund um Pikialasorsuaq bestreiten, einer offenen Wasserfläche nördlich des Polarkreises, die im Hochsommer mehr als 80000 Quadratkilometer umfassen kann. In diesem auch als Nordwasser-Polynia bezeichneten Meeresgebiet überwintern Narwale, Weißwale, Walrosse und Grönlandwale.

In den Gewässern wimmelt es von Schwarzem Heilbutt, Polardorschen und anderen Fischarten; die Felsküsten bieten mehreren zehn Millionen Krabbentauchern einen Brutplatz. Seit Jahrhunderten sind die Wildtiere der Region Lebensgrundlage der Inughuit. Früher zählten dazu auch Jagdgründe auf dem kanadischen Ellesmere Island. „In meinem Volk gab es viele Riten“, sagt Hivshu R. E. Peary, der das traditionelle Inughuit-Erbe bewahren will. Nach dem Verbot durch Missionare gingen diese Riten größtenteils verloren.

Fangquoten bedrohen die alten Praktiken

„Wir betrachteten alle Tiere als unsere Vorfahren, die zu uns kommen, um uns mit ihren Körpern zu ernähren“, sagt er. Die Inughuit sorgen sich um die Tiere, von denen sie abhängig sind. Um die Wale im Fjord, wo sie kalben und im Sommer ihre Jungen säugen, nicht unnötig zu stören, fahren die Jäger weniger Motorboot, sie nutzen stattdessen leisere Kajaks.

Damit nicht der geringste Teil eines getöteten Tieres vergeudet wird, teilen Inughuit-Jäger ihren Fang mit allen an der Jagd Beteiligten und möglichst auch mit ihrer Gemeinschaft. Diese Praktiken seien bedroht, heißt es bei zahlreichen Inughuit-Waljägern. „Unsere Kultur der Narwaljagd verschwindet – wegen des Quotensystems“, erklärt Hivshus Sohn Aleqatsiaq, ein Jäger und Musiker aus Qaanaaq. „Die Fangquoten sind so niedrig, dass ein Jäger den gesamten Fang für sich allein behalten muss, um genügend Geld zu verdienen.“

Cover National Geographic 9/24

Cover National Geographic 9/24

Foto von National Geographic

Die ganze Reportage über die Inughuit-Jäger lesen sie in der vollständigen Reportage im NATIONAL GEOGRAPHIC Magazin 7/24. Verpassen Sie keine Ausgabe mehr: Sichern Sie sich die nächsten 2 Ausgaben zum Sonderpreis! 

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