Problematischer Tradwives-Trend: Darum zelebriert das Netz alte Rollenbilder
Keine Arbeit, Backen, Zeit für gute Bücher und Pilates – auf den ersten Blick klingt das nach einem guten Leben. Der aktuelle Trend der Tradwives ist jedoch ein großes Problem für die Gleichstellung.

Die Hausfrau der 50er Jahre: Vorbild für Tradwives
Seit langer Zeit kämpfen Frauen für eine Gleichstellung in der Gesellschaft – für gleiche Rechte, gleiche Chancen. Doch für viele Frauen bleibt es ein Wunsch, denn die Realität sieht ganz anders aus. In Afghanistan werden Frauen aktuell durch die Taliban massiv aus dem öffentlichen Leben verdrängt, sie verlieren ihre Perspektive auf eine freie Zukunft und ihnen werden Regeln und Gesetze auferlegt, die sie unterdrücken. Sie werden wie Ware gehandelt und zwangsverheiratet. In der westlichen Welt können Frauen zwar frei leben und an der Gesellschaft teilnehmen. Jedoch wird auch in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau durch einen Femizid getötet – ein Mord an einer Frau, nur weil sie eine Frau ist. Gender Pay Gap, Gender Care Gap, Gewalt an Frauen: Ist das eine gleichgestellte Gesellschaft?
Im Kampf um Gleichstellung wirkt der aktuelle Gegentrend der „Tradwives“ (traditioneller Frauen), die auf Social Media Videos über das romantisierte Leben als Hausfrau posten, nicht nur wie ein Rückschritt, sondern auch wie Hohn. Was in den Videos zunächst nach einem schönen und leichten Alltag aussieht, kann fatale Auswirkungen auf das Leben vieler Frauen haben. Denn eine Tradwife holt das Frauenbild der 50er Jahre wieder in die Gegenwart.
Silvi Carlsson, Autorin und Kulturkritikerin erklärt: „Tradwives bringen sich freiwillig in finanzielle Abhängigkeit ihres Partners. Sie sind angepasst, immer folgsam, hübsch zurechtgemacht und eine fleißige Hausfrau, die immer verfügbar für die Bedürfnisse des Mannes ist. Zusammengefasst: Sie propagieren ein rechtskonservatives Geschlechterrollenbild“.
Der Zuspruch, den die Tradwives bekommen, zeigt, dass ein Teil der Gesellschaft sich mit diesen veralteten Rollenbildern sehr wohlfühlt. Das geht auf die lange Geschichte der Unterdrückung der Frau zurück, die tief in ihr verankert ist.

Silvi Carlsson hält nichts vom Trend der Tradwives.
Anfänge der Unterdrückung der Frauen
Während der Jäger-und-Sammler-Zeit gingen Frauen genauso auf die Jagd wie Männer und beide Geschlechter kümmerten sich gleichermaßen um die Kinder. Der Beginn der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern war ein schleichender Prozess, nachdem die Menschheit vor etwa 12.000 Jahren sesshaft wurde. Durch zunehmende Schwangerschaften konnten Frauen immer weniger am gesellschaftlichen und Arbeits-leben teilnehmen. Aufkommende Kriege verliehen Männern Macht, Frauen wurden mehr und mehr aus der Philosophie, Politik, Wissenschaft und dem Leben ausgeschlossen. Zudem unterstützte die aufstrebende Kirche diese Geschlechterteilung noch weiter.
Die erste Welle des Feminismus während der Französischen Revolution
Einen bedeutenden Wendepunkt für die Frauenrechte markiert die erste Welle des Feminismus während der Französischen Revolution im späten 18. Jahrhundert. Frauen forderten politische und soziale Gleichstellung. Trotz dieser Forderungen blieben patriarchale Strukturen weitgehend bestehen, und Frauen, die für ihre Rechte kämpften, wurden oft verfolgt und sogar getötet. Dennoch legte diese Bewegung den Grundstein für spätere feministische Wellen, indem sie ein Bewusstsein für die systematische Diskriminierung von Frauen schuf und den Diskurs über Geschlechtergleichheit initiierte.
Wahlrecht im 19. Jahrhundert
Nach der Französischen Revolution konsolidierten viele europäische Länder konservative und patriarchale Wertvorstellungen. Frauen hatten weiterhin keinen Zugang zu Bildung und politischen Rechten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann jedoch eine Frauenbewegung, die das Wahlrecht, bessere Arbeitsbedingungen und den Zugang zu Bildung forderten.
Bedeutende Erfolge der Frauenbewegung im frühen 20. Jahrhundert
Anfang des 20. Jahrhunderts verbuchte die Frauenbewegung bedeutende Erfolge. In vielen Ländern wurden Frauenrechte allmählich erweitert. Frauen in Neuseeland erhielten 1893 als erste weltweit das Wahlrecht, gefolgt von Ländern wie Finnland (1906) und den Vereinigten Staaten (1920). Der Erste Weltkrieg spielte ebenfalls eine Rolle in der Veränderung der Geschlechterrollen, da Frauen in Abwesenheit der Männer in die Arbeitswelt eintraten und in zuvor rein männlichen Domänen tätig wurden.
Frauenrechte in der Zwischenkriegszeit und im Zweiten Weltkrieg
Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen brachte sowohl Fortschritte als auch Rückschläge für die Frauenrechte: Trotz erkämpfter Rechte waren traditionelle Geschlechterrollen weiterhin weit verbreitet. Im Zweiten Weltkrieg nahmen Frauen jedoch wieder, wie schon im Ersten Weltkrieg, gesellschaftlich relevante Positionen in der Arbeitswelt ein.
Rückschritte in den 40er und 50er Jahren
Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit verfestigten sich in den 1950er Jahren in vielen westlichen Gesellschaften traditionelle Geschlechterrollen erneut. Die Frau wurde zunehmend als Hausfrau und Mutter idealisiert und die häusliche Sphäre zu ihrem primären Wirkungsbereich. Dieses Rollenbild wurde nicht nur gesellschaftlich akzeptiert, sondern auch politisch und wirtschaftlich unterstützt.
Freiwillig vollzog sich dieser Rückschritt für die Frauen allerdings nicht. Ohne das Einverständnis ihres Mannes konnte eine Frau nicht arbeiten gehen, sie verfügte über kein eigenes Geld und war finanziell abhängig. Eine Scheidung hätte oftmals den finanziellen und gesellschaftlichen Ruin bedeutet.
Die Frauenbewegung und Wandlungen im späten 20. Jahrhundert
In der zweiten Welle des Feminismus in den 1960er und 1970er Jahren kämpften Frauen für das Recht auf Bildung, Berufstätigkeit und Selbstbestimmung. Diese Bewegung führte zu bedeutenden rechtlichen und sozialen Veränderungen, wie der Legalisierung von Abtreibung, der Einführung von Gesetzen gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung und der Etablierung von Kinderbetreuungseinrichtungen, die es Frauen ermöglichten, Beruf und Familie zu vereinbaren.
Gleichstellung heute
Obwohl Frauen auf dem Papier so viele Rechte wie noch nie haben, ist die Gesellschaft nach wie vor patriarchal strukturiert. Die feministische Bewegung steht Social Media Trends wie den Tradwives gegenüber und die Fronten rutschen weiter auseinander.

Putzen, kochen, den Mann und die restliche Familie versorgen: Alles Aufgaben der Tradwife – auf Social Media hübsch inszeniert.
Tradwives: Eine aufgesetzte Show, die Frauen gefährlich werden kann
Viele Expert*innen haben mit den Tradwives ein Problem: Denn sie vermitteln nach außen ein Leben in finanzieller Abhängigkeit. Jedoch verdienen diese Frauen über ihre Social Media Accounts eine Menge Geld. „Die Frauen profitieren also davon, das Frauenbild der 50er Jahre neu in Szene zu setzen“, so Silvi Carlsson. Dabei sei nicht jede Hausfrau automatisch eine Tradwife, stellt die Autorin klar. Es gebe viele Paare oder Familien, in denen eine individuelle Regelung gefunden wurde. In diesen Fällen verdiene die Frau aber wirklich kein Geld damit, die Rolle der Hausfrau einzunehmen. Eine Tradwife wiederrum romantisiere das Leben einer Hausfrau, doch eigentlich arbeitet sie selbst - nämlich als Influencerin. „Es ist eine rechtskonservative Verkaufsmasche, die andere Frauen wirklich in die Selbstzerstörung führen kann“, fasst Carlsson zusammen. „Grundsätzlich ist es nicht antifeministisch, stereotypische Rollenbilder zu erfüllen. Eine Tradwife ist aber ganz klar antifeministisch.“
Jede fünfte Frau in Deutschland ist armutsgefährdet
Denn finanzielle Abhängigkeit vom Partner klingt harmlos, ist sie aber nicht. Laut dem Statistischen Bundesamt sind Frauen aufgrund ihres geringeren Einkommens im Alter wesentlich häufiger armutsgefährdet als Männer - jede fünfte Frau in Deutschland ab 65 gilt damit von Armut gefährdet. So fiel die Armutsgefährdungsquote bei Frauen ab 65 Jahren im Jahr 2023 mit 20,8 Prozent höher aus als bei den gleichaltrigen Männern (15,9 Prozent). Frauen, die früher ein traditionelles Hausfrauenleben geführt und wenig oder gar nicht gearbeitet haben, spüren diese Auswirkungen heute bei ihrer Rente.
Die Autorin wirft einen Blick in die Zukunft: „Das gleiche droht nun wieder, nur noch schlimmer, da Renten geringer ausfallen. Eine Besserung ist nicht in Sicht und die Lebenskosten steigen stetig. So ein Leben ist nicht menschenwürdig“. Würde die Gesellschaft also wieder vermehrt den Weg zurück zu den alten Rollenbildern einschlagen, würde eine „zerstörerische Abhängigkeit“ wieder Normalität werden. Doch nicht nur das Frauenbild würde leiden. „Alles, was nicht in die konservative Norm-Box passt, wird als bedrohlich empfunden. Femizide würden weiter zunehmen, genauso wie Rassismus und Gewalt gegenüber queeren Personen – das alles passiert ja schon jetzt.“
Auf Social Media propagieren Tradwives ihren Lebensstil und erreichen damit vor allem ein junges Publikum: TikTok spricht weltweit am meisten Menschen zwischen 13 und 34 Jahre an, 62 Prozent davon weiblich, 38 Prozent männlich. Zeitgleich wählen vor allem jüngere Männer immer mehr rechte und rechtsextreme Parteien. Silvi Carlsson erklärt den Gedanken hinter dieser Entscheidung: „Das liegt vor allem daran, dass junge Männer diejenigen sind, die vermeintlich von so einem System profitieren und sich sicher fühlen durch unterdrückende Strukturen gegenüber Frauen“. Junge Frauen hingegen agieren und denken immer mehr linksorientiert. Die Folge: Konfrontation und ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern. Die Tradwives sollen Abhilfe verschaffen, indem sie „wieder Ordnung und damit Sicherheit herstellen“ – doch genau das Gegenteil sei der Fall.
Frauen als Eigentum ihrer Partner
Doch wenn die Bewegung der Tradwives so gefährlich ist, wieso gibt es sie dann überhaupt? Politische Unruhen, Klimawandel, unsichere Arbeitsmärkte und Inflation kreieren Unsicherheiten in der Gesellschaft. Konservative, patriarchale Strukturen versprechen dagegen vermeintlich Sicherheit. Der Preis, der gezahlt werden müsse, sei vielen nicht bewusst, so Silvi Carlsson. Die Menschen würden vergessen, dass Frauen in den 50ern Eigentum der Ehemänner waren. Warum also dahin zurückwollen? „Frauen sind erschöpft. Wir haben keine Gleichberechtigung, sondern doppelt so viel Arbeit.“ Zahlen bestätigen das: Der sogenannte „Gender Care Gap“ liegt bei 43,8 Prozent, Frauen haben also fast zehn Stunden pro Woche mehr als Männer, die sie für unbezahlte Arbeit aufwenden.
Tradwives würden für diese Probleme ihre individuellen Lösungen suchen, würden damit aber eher zu einem weiteren Teil des Problems werden. Silvi Carlsson wünscht sich Unterstützung aus der Politik. „Care-Arbeit anständig zu vergüten und auch Hausarbeit generell anders zu behandeln, wurde schon häufig in der Politik angebracht. Aber es hat augenscheinlich einfach keine Priorität.“

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