Intrigen und Ränkespiele: Als eine Teenagerin Königin von England wurde
Dieses Porträt von Lady Jane Grey, die im Jahr 1553 9 Tage lang Königin von England war, entstand rund vierzig Jahre nach ihrem Tod.
Als der englische König Henry VIII. Im Jahr 1547 starb, war sein Sohn Edward VI., der ihm auf den Thron folgte, erst neun Jahre alt. Bis er die Volljährigkeit erreichte, übernahmen Berater die Regierungsgeschäfte. Henrys Nichte Lady Jane Grey war zum Zeitpunkt ihrer Geburt Vierte in der Thronfolge. Als ihr gleichaltriger Cousin Edward König wurde, rückte sie auf den dritten Platz vor. Nur Henrys Töchter – und Edwards Halbschwestern – Mary und Elizabeth hatten vor ihr Anspruch auf den Thron.
In den folgenden Jahren gaben sich Edwards Berater viel Mühe, den kränklichen, leicht manipulierbaren König in ihrem Sinne zu beeinflussen. Als er und Jane ins Teenageralter kamen, hatte John Dudley, der Herzog von Northumberland, in diesem Ränkespiel die Spitzenposition eingenommen.
Er war der Berater, dem Edward am meisten vertraute – und das machte Herzog Dudley in gewisser Weise zum mächtigsten Mann Englands. Zudem sollte er schon bald Jane Greys Schwiegervater werden.
Spielball im Kampf um die Thronfolge
Für eine junge Frau ihrer Zeit war Jane außergewöhnlich gebildet. Sie sprach mehrere Sprachen, war akademisch und in häuslichen Tätigkeiten begabt und galt als fromm, fleißig und charismatisch. Doch selbst über ihre Zukunft entscheiden durfte sie nicht. Wie von allen Töchtern aus Adelshäusern wurde auch von ihr erwartet, dass sie durch die Heirat mit einem für sie ausgewählten Mann die Macht und das Ansehen ihrer Familie festigte.
Der englische Künstler Frederick Richard Pickersgill malte diese Darstellung von Lady Jane Grey im 19. Jahrhundert, lange nach ihrem Tod.
Im Jahr 1553, als Jane 16 Jahre alt war, arrangierten ihre Eltern darum die Hochzeit mit Guildford Dudley, dem Sohn des Herzogs von Northumberland. Überlieferungen widersprechen sich in dieser Hinsicht zwar, mit großer Wahrscheinlichkeit hat Jane sich aber gegen diese Ehe gesträubt. In einem Bericht aus der Zeit heißt es gar, ihr Vater hätte sie so lange verprügelt, bis sie in die Hochzeit einwilligte.
In der Zwischenzeit war König Edward schwer erkrankt. Als er auf dem Sterbebett lag, schürte sein Berater, der Herzog von Northumberland, bei ihm die Angst vor einer Machtübernahme durch seine Halbschwestern. Die Katholikin Mary würde die Church of England zerstören und sowohl sie als auch Elizabeth würden Außenstehende heiraten und so die Macht der britischen Königsfamilie zersetzen. So schaffte der Herzog es, Edward davon zu überzeugen, seine Halbschwestern aus der Thronfolge auszuschließen – und sorgte damit dafür, dass stattdessen dessen Cousine Jane, seine frischgebackene Schwiegertochter, dem König auf den Thron folgte.
Auch wenn juristische Querelen über diese Entscheidung nicht ausblieben, wurde Jane zu Edwards Erbin ernannt. Und als dieser am 6. Juli 1553 starb, war sie Königin von England.
Dieser Stich zeigt Lady Jane Grey, die in Sion House, der Westlondoner Residenz des Herzogs von Northumberland, widerwillig die Krone annimmt.
Lady Jane Grey: Königin wider Willen
Eine Neuigkeit, über die die junge Jane mehr als überrascht war, denn niemand hatte sie im Vorfeld über die Änderung der Thronfolge informiert. Während Menschen um sie herum ehrfürchtig in die Knie gingen, soll sie erklärt haben, wie ungeeignet sie für diese Aufgabe sei und sich selbst bemitleidet haben.
Noch unter Schock stehend bereitete sie panisch ihren Umzug in den Tower of London vor, in dem sich junge Monarchen traditionell bis zu ihrer Krönung aufhielten. Am 10. Juli kam sie dort in einer königlichen Barke an.
Der Botschafter Jehan Scheyfve, der diesen Moment beobachtete, schrieb: „Keiner der Anwesenden zeigte irgendein Zeichen der Freude, niemand rief ‚Lang lebe die Königin!‘.“
Jane schien das Ganze zutiefst unangenehm zu sein. Man musste sie dazu drängen, sich die Krone aufsetzen zu lassen. Offenbar war ihr bewusst, dass all dies ein abgekartetes Spiel des Herzogs war, um durch ihre Ehe mit seinem Sohn an Macht zu gewinnen. Als sie sich weigerte, Guildford den Titel des Königinnengemahls ohne Zustimmung des Parlaments zu verleihen, schäumte der Herzog vor Wut.
Gefangene von Mary I.
Nur wenige Tage später schickte die übergangene Mary eine Armee nach London, um die Absetzung Janes zu erreichen. Zunächst versuchte der Herzog von Northumberland noch, im Namen der neuen Königin eine eigene Armee zusammenzustellen. Doch dann zerfiel Janes Beraterstab innerhalb kürzester Zeit und die Teenagerin und ihre wenigen verbliebenen Unterstützer waren im Tower of London gefangen. Unterdessen erklärte der Bürgermeister von London Mary zur Königin.
Als schließlich Janes Vater zum Tower kam, seiner Tochter nahelegte, abzudanken, und ihr sagte, sie müsse die königlichen Gewänder ablegen, soll diese geantwortet haben: „Ich ziehe sie lieber aus als an.“
Zwischen Janes Ernennung zur Königin im Tower of London und ihrer Abdankung am 19. Juli 1553 waren nur neun Tage vergangen. Doch obwohl sie den Thron ohne Gegenwehr geräumt hatte, war ihr Schicksal besiegelt.
Während die triumphierende Mary sich auf den Weg nach London machte, um den Thron zu besteigen, war der Herzog von Northumberland auf der Flucht, um sein Leben zu retten. Er wurde jedoch gefasst und gemeinsam mit seinen Söhnen, darunter auch Guildford, im Tower of London eingesperrt. Obwohl er in einem Versuch, Marys Wohlwollen zu erlangen, zum Katholizismus konvertierte, wurde er wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und geköpft.
In einem Brief an Mary erklärte Jane, wie es zu ihrer Inthronisierung gekommen war, entschuldigte sich dafür, die Krone getragen zu haben und flehte sie an, ihr Leben zu verschonen. In dem Text stellt sie sich als Bauernopfer im Machtspiel ihrer ehrgeizigen Eltern und Schwiegereltern dar und schreibt, sie sei fassungslos und verstört darüber, wie sie auf den Thron gelangt war.
Vom Thron aufs Schafott: die Hinrichtung der Jane Grey
Zwar wurden sowohl Jane als auch Guildford des Hochverrats schuldig gesprochen, doch eine Zeit lang sah es so aus, als würde Mary die junge Frau am Leben lassen. Dann allerdings schloss Janes Vater sich einem kurzlebigen Widerstand gegen die geplante Hochzeit von Mary mit dem spanischen König an – und der Königin von England riss der Geduldsfaden. Jane und Guildford wurden zum Tode verurteilt.
Möglicherweise hätte Jane durch eine Konvertierung zum Katholizismus ihr Leben retten können, doch sie lehnte ab. Ebenso weigerte sie sich, ihren Ehemann Guildford, für den sie in der Zwischenzeit scheinbar echte Gefühle entwickelt hatte, vor der Hinrichtung noch einmal zu sehen. Sie wolle sich das Leid und den Schmerz ersparen, der mit einem solchen Treffen einhergehe.
Dieses Gemälde des französischen Historienmalers Paul Delaroche aus dem Jahr 1833 zeigt die Hinrichtung der Lady Jane Grey.
Am 12. Februar 1554 wurde Jane kurz nach ihrem Ehemann hingerichtet. „Ich bin gekommen, um zu sterben“, soll sie Berichten zufolge der versammelten Menge verkündet haben. Bevor die Axt fiel, beichtete sie ihre Sünden, las ein Gebet und bat den Henker, sich zu beeilen. Dann wurde sie geköpft – ein Opfer von Gier und Sucht nach Macht und des historischen Kampfes um die Vorherrschaft auf den Thron.