Cover eines Tagebuchs.

Transsilvanien: Was mittelalterliche Tagebücher über die Kleine Eiszeit verraten

Schriftliche Quellen belegen, wie die Kälteperiode in Transsilvanien im 16. Jahrhundert wirklich ablief – und wie die Menschen mit den extremen Wetterbedingungen kämpften.

Chroniken wie diese liefern Einblicke in den Alltag der Menschen im Mittelalter. Sie zeigen auch, wie sie die Auswirkungen des Klimas zur damaligen Zeit wahrnahmen.

Foto von Gaceu et al., 2024
Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 21. Feb. 2025, 15:48 MEZ

Eisbohrkerne, Pollen und Sedimente haben eine Sache gemeinsam: Sie dienen als Klimaarchive – und verraten uns etwas über die klimatischen Veränderungen der Vergangenheit. Das Problem ist, dass sie keine präzisen Aussagen über lokale Gegebenheiten oder über die Auswirkungen auf die Bevölkerung treffen können. 

Dabei kommt das sogenannte ‚Archiv der Gesellschaft‘ ins Spiel. Es besteht unter anderem aus Tagebüchern, Reiseberichten, Kirchen- oder Klosterregistern und liefert wertvolle Informationen über Lebensaspekte der Vergangenheit. Dazu gehören auch Beobachtungen und Berichte über damalige Klimabedingungen. Ein Forschungsteam aus Rumänien hat diese Methode nun angewendet, um zu untersuchen, wie sich die Kleine Eiszeit auf die transsilvanische Bevölkerung im Zentrum Rumäniens ausgewirkt hat. Mit überraschendem Ergebnis: Die Kälteperiode verlief in Transsilvanien ganz anders als erwartet. 

Transsilvanien: Verspätete Eiszeit und klimabedingte Katastrophen

Die Kleine Eiszeit war eine jahrhundertelang andauernde kalte Periode mit wechselhaftem Klima in Europa und sowohl regional als auch zeitlich sehr unterschiedlicher Ausprägung. Ihre Hochzeit begann während des 16. Jahrhunderts und hielt bis ins letzte Drittel des 17. Jahrhunderts an. Damals war es in Europa im Mittel etwa 2,5 Grad Celsius kälter als heute. 

Vorerst allerdings nicht in Transsilvanien: Laut der neuen Studie, die in der Zeitschrift Frontiers in Climate erschien, gab es dort im 16. Jahrhundert eher Hitzewellen als frostige Tage. Vor allem aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts findet man in den untersuchten mittelalterlichen Überlieferungen – darunter Tagebücher und Chroniken – Berichte von besonders heißem und trockenem Klima. „Die Quellen versiegten, die Flüsse schrumpften zu bloßen Rinnsalen. Das Vieh fiel auf den Feldern, und die Luft war erfüllt von Verzweiflung, während die Menschen in Prozessionen betend um Regen flehten“, heißt es in einem historischen Dokument aus dem Sommer 1540, das im Rahmen der Studie ausgewertet wurde. 

Schrift aus einem Tagebuch.

Ausschnitt aus einer der mittelalterlichen Quellen, die die Forschenden im Rahmen ihrer Studie untersuchten.

Foto von Gaceu et al., 2024

Während Hitze und Dürren die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts dominierten, prägten starke Niederschläge und Überschwemmungen die zweite – besonders ab den 1590er-Jahren. Die Witterungsschwankungen hatten katastrophale Folgen wie Ernteausfälle, Pestausbrüche, jahrzehntelange Hungersnöte und Heuschreckenplagen. 

Diese extremen Umstände könnten dem Studienteam zufolge weitreichende Veränderungen von Siedlungen angestoßen haben. „Städte könnten hochwassersichere Infrastrukturen entwickelt oder sich in günstigere Gebiete verlagert haben“, sagt Tudor Caciora, Wissenschaftler an der Universität Oradea in Rumänien und einer der Studienautoren. Die Herausforderungen könnten zudem technologische Innovationen vorangetrieben haben, zum Beispiel verbesserte Bewässerungssysteme oder Lagermöglichkeiten. 

Archiv der Gesellschaft gibt Einblicke in menschliche Wahrnehmung

Die Studie verdeutlicht, dass die Untersuchung von Klimadaten aus dem ‚Archiv der Gesellschaft‘ genauso wichtig ist wie die Analyse der natürlichen Klimaarchive. „Chroniken und Tagebücher zeigen, wie Menschen klimatische Veränderungen wahrnahmen, von ihnen betroffen waren und auf sie reagierten“, so Caciora.

Gleichzeitig räumen die Forschenden Schwachpunkte der schriftlichen Quellen ein. Nur wenige Menschen hätten im Mittelalter lesen und schreiben können, Berichte seien deshalb oft subjektiv oder nur auf lokale Gegebenheiten beschränkt. Zudem seien die Aufzeichnungen teilweise lückenhaft. Nichtsdestotrotz: „Sie bieten eine menschzentrierte Perspektive auf vergangene Klimaereignisse“, sagt Caciora. Und das kann kein Eisbohrkern, Pollen oder Sediment dieser Welt. 

BELIEBT

    mehr anzeigen
    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2025 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved