Kongo - Ton, Steine, Sterben

Im Kongo wird mit dem Abbau von Mineralien für unsere elektronischen Geräte unvorstellbare Gewalt finanziert.

Von Jeffrey Gettleman
bilder von Marcus Bleasdale

Im Kongo wird mit dem Abbau von Mineralien für unsere elektronischen Geräte unvorstellbare Gewalt finanziert.

Der erste Kindersoldat springt aus dem Busch, in einer Hand eine Kalaschnikow, in der anderen frische Marihuana-Knospen. Der Junge, etwa 14 oder 15, hat dieses breite, diebische Grinsen im Gesicht, als hätte er gerade etwas geklaut – was wohl auch der Fall ist –, und trägt eine Damenperücke mit falschen Zöpfen. Nur Sekunden später taucht seine Bande aus dem dichten grünen Blattwerk auf, etwa zehn weitere schwer bewaffnete Jungen, alle in schäbigen Tarnanzügen und dreckigen T-Shirts. Sie blockieren den roten Lehmpfad und stoppen unseren kleinen Toyota-Pick-up.

Das Ganze passiert auf der Straße nach Bavi am wilden Ostrand der Demokratischen Republik Kongo. Dort kontrollieren Rebellen eine Goldmine. Der Kongo ist das größte Land in Schwarzafrika und auf dem Papier auch eines der reichsten, denn es verfügt über Bodenschätze im Wert von Billionen: Diamanten, Gold, Kobalt, Kupfer, Zinn, Wolfram und Tantal, ein stahlhartes, graues, korrosionsbeständiges Element, das bei der Herstellung von elektronischen Geräten verwendet wird. Man braucht es etwa für Mobiltelefone und im Autobau. Nach Angaben des gemeinnützigen „Enough Project“ stammen 20 bis 50 Prozent* des weltweit geförderten Metalls Tantal aus dem Osten des Kongo.

Doch tatsächlich ist der Kongo einer der ärmsten Staaten der Welt, zudem traumatisiert von einem schier endlosen Krieg. Von Milizen beherrschte Minen im Osten des Landes beliefern die weltgrößten Elektronik- und Schmuckunternehmen mit Rohmaterialien – und schüren zugleich das Chaos.

Auch in Ihrem Laptop, Ihrer Spielkonsole oder Ihrer Kamera stecken vermutlich Metalle aus solchen Minen – und damit Spuren des Elends im Kongo. Allein Ihr Handy enthält an die 40 verschiedene Metalle, darunter Gold, Wolfram, Zinn und Tantal.

Die Mine in der Region Bavi ist ein treffendes Beispiel. Sie wird von einem schmerbäuchigen Warlord namens Cobra Matata beherrscht, obwohl „beherrscht“ vielleicht ein zu starkes Wort ist. Es gibt nämlich da draußen keine erkennbaren Grenzen, die anzeigen, wo die Macht der Regierung endet und Cobras Territorium beginnt. Hier hocken keine Truppen in Schützengräben und belauern einander durch Zielfernrohre. Stattdessen gibt es chaotische, verschwommene, mehr oder weniger starke Einflüsse der einen oder anderen Seite; da hängen ein paar Typen von der kongolesischen Regierung unter einem Mangobaum herum, und drei Kilometer weiter kiffen ein paar von Cobras Kindersoldaten. Dazwischen ist nichts als große, leere, leuchtend grüne Wildnis.

«Sigara! Sigara!», schreien die Kindersoldaten. Sie wollen Zigaretten. Fotograf Marcus Bleasdale und ich werfen rasch einige aus dem Fenster. Dazu ein paar tausend zerknüllte kongolesische Francs, weniger als vier Euro wert. Im Nu fallen gierige kleine Hände darüber her. Dann rumpeln wir wieder weiter, über eine holprige, unbefestigte Piste, vorbei an Bananenbäumen und Dörfern mit strohgedeckten Hütten. In der Ferne berühren riesige Berge den Himmel.

In Bavi angekommen, setzen wir uns mit den Dorfältesten zusammen und reden über Gold. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Weltmarktpreis für Gold vervierfacht, doch hier draußen gibt es keinerlei Anzeichen für Fortschritt oder neuen Wohlstand. In Bavi herrscht die gleiche desolate Stimmung wie in jedem anderen Dorf im Osten des Kongo: längs der Straße runde geduckte Hütten, ein Markt, Läden aus Zweigen, apathische Händler, die Berge von Secondhand-Kleidung verkaufen, Männer mit glasigen Augen, die nach Selbstgebranntem stinken und über staubige Wege stolpern. Es gibt weder Strom noch fließendes Wasser, und die Ältesten sagen, sie brauchten Medikamente und Bücher für die Schule. Die Kinder laufen barfuß herum und ihr Bauch ist vorgewölbt wie ein Ballon: die Folge von Mangelernährung oder Würmern oder beidem.

«Wir sind pleite», sagt Juma Mafu, einer der Ältesten. «Wir haben eine Menge Gold, aber keine Maschinen, um es zu fördern. Unsere Goldgräber arbeiten mit den Händen. Wenn wir keinen Frieden haben, werden auch niemals große Unternehmen hierherkommen.»

Der Minenminister schüttelt den feisten Kopf und sagt: «Ihr seid verhaftet.»

Wir gehen den Hügel hinunter zur Goldmine. In einer Kneipe am Markt machen wir halt, um den „Minenminister“ zu begrüßen. Er sitzt wie ein Buddha mit halb geschlossenen Augen hinter einer Batterie frisch geleerter Bierflaschen. Er ist ein Mann von gewaltigem Umfang und trägt einen billigen silbrigen Sakko, der im Rücken unschön über dicken Fettwülsten spannt.

«Hujambo, mzee», grüße ich ihn respektvoll auf Suaheli.

Er rülpst – laut. Ich sage ihm, wir seien Journalisten und würden gern die Goldmine besichtigen. Er lacht ein bösartiges kleines Lachen und sagt dann: «Wie soll ich wissen, dass ihr Journalisten seid? Vielleicht seid ihr ja Spione?» Das Wort „Spione“ schwirrt über den Markt wie ein Funke, entzündet eine Menschenmenge, die sich plötzlich um uns schart. Ein einäugiger Kindersoldat fingert an seiner Waffe herum. Ein junger Mann sagt, er arbeite für den kongolesischen Geheimdienst und wolle unsere Papiere sehen.

Zeit abzuhauen, denke ich. Zeit abzuhauen, und zwar sofort. So beiläufig wie ich kann, krächze ich: «Ok ... äh ... kein Problem. Dann gehen wir eben ... äh ... wieder nach Hause.»

Doch der Minenminister schüttelt den feisten Kopf. «Nein, ihr geht nicht. Ihr seid verhaftet.»

«Warum denn das?», frage ich. «Weil ihr in einer roten Zone seid.» Aber ist nicht fast der ganze Osten des Kongoeine rote Zone, kontrolliert von bewaffneten Gruppen? Wir werden abgeführt und in ein Auto verfrachtet, das uns fünf Stunden in die Stadt Bunia transportiert, wo man uns in einem dunklen Haus bei vorgehaltener Waffe verhört.

Die Geschichte des Kongo geht so. Die Regierung in der Hauptstadt Kinshasa ist schwach und korrupt und lässt das riesige Land verkommen. Der entlegene Osten ist in Anarchie versunken: Ein Sammelsurium von Rebellengruppen, die ihre Schreckensherrschaft mit gestohlenen Mineralien finanzieren, teilt sich die Region untereinander auf. Die Regierungstruppen sind oft nicht weniger bösartig. Es gibt wenige Menschen, die in solch schrecklichem Ausmaß gelitten haben wie die Kongolesen. Hier werden Männer, Frauen und Kinder zu Hunderten abgeschlachtet, Jahr für Jahr. Hier werden über eine Million Frauen vergewaltigt – und kaum jemand wird dafür bestraft.

Vor mehr als hundert Jahren nahm sich der belgische König Leopold II. dieses riesige Gebiet in der Mitte Afrikas als seine ganz persönliche Kolonie. Er wollte Kautschuk und Elfenbein, und er war es, der zu diesem gierigen, ungebremsten Angriff auf die kongolesischen Bodenschätze blies, der bis in die heutigen Tage anhält. Als die Belgier den Kongo 1960 plötzlich in die Unabhängigkeit entließen, brachen Aufstände aus, die einem ehrgeizigen jungen Militär, Mobutu Sese Seko, den Weg zur Macht ebneten – die er nicht mehr abgab. Mobutu herrschte 32 Jahre und stopfte sich mit frischer, aus Paris eingeflogener Patisserie voll, während sich kongolesische Kinder vor Hunger krümmten.

Doch schließlich fiel auch Mobutu, und mit ihm ging der Kongo unter: Das benachbarte Ruanda litt 1994 unter einem grausamen Völkermord, fast eine Million Menschen kamen um. Viele der Killer flohen in den Ostkongo, von wo aus sie Ruanda weiter destabilisierten. Ruanda verbündete sich daher mit Uganda, marschierte 1997 in den Kongo ein und stürzte Mobutu. Als Nachfolger wurde Laurent Kabila eingesetzt. Bald jedoch war man über ihn so verärgert, dass ruandische Truppen erneut einmarschierten. In diese zweite Phase des Krieges im Kongo wurden der Tschad, Namibia, Angola, Burundi, der Sudan und Zimbabwe mit hineingezogen – oft spricht man von Afrikas Erstem Weltkrieg.

 

Wir waren verwirrt. Sollte die Regierung die Rebellen denn nicht bekämpfen?

Nach dem Krieg wurde der Ostkongo quasi zur gesetzesfreien Zone. Ausländische Truppen und Rebellengruppen rissen sich Hunderte Minen unter den Nagel. Wegen des intensiven internationalen Drucks zogen sich die ausländischen Truppen nach der Jahrtausendwende offiziell zurück. Sie hinterließen den Kongo als Trümmerhaufen. Brücken, Straßen, Häuser, Schulen waren zerstört, ganze Familien ausgelöscht. Nicht weniger als fünf Millionen Kongo- lesen hatten ihr Leben verloren. Friedenskonferenzen wurden veranstaltet, die Vereinten Nationen schickten Tausende Blauhelmsoldaten – heute sind etwa 17000 im Kongo stationiert –, doch das Blutvergießen ging weiter. Geberstaaten unterstützten 2006 eine Wahl mit etwa 400 Millionen Euro – die erste Wahl im Kongo, an der wirklich alle Bevölkerungsschichten beteiligt waren. Aber auch das änderte die Lage nicht. Der Osten des Kongo blieb Kampfzone. Ugander, Ruander und Burundier unterstützten verschiedene Rebellengruppen, die die Erlöse aus dem Mineralienabbau nutzten, um weitere Waffen zu kaufen und noch mehr Rebellen zu bezahlen – so wie die perückentragenden Jungen von Cobra Matata. Trotz des internationalen Aufschreis wusste niemand, was zu tun war.

Etwa um 2005 begannen eine UN-Expertengruppe, Menschenrechtsaktivisten und später auch amerikanische Gesetzgeber die entscheidende Frage zu stellen: Was wäre, wenn man den Mineralienhandel des Kongo säubern würde? Eine Kampagne gegen „Blutdiamanten“ hatte Ende der neunziger Jahre ein Schlaglicht auf den westafrikanischen Diamantenhandel geworfen, mit dem die Rebellionen dort unterstützt wurden. Wie wäre es mit einer ähnlichen Kampagne für den Kongo – gegen „Blutmineralien“?

Am 21. Juli 2010 unterschrieb US-Präsident Barack Obama ein Finanzreformgesetz – den sogenannten Dodd-Frank-Act, der einen besonderen Abschnitt über „Blutmineralien“ enthält. Das Gesetz verlangt von börsennotierten Unternehmen offenzulegen, ob in ihren Produkten Mineralien aus Minen enthalten sind, die von bewaffneten Gruppen im Kongo und anderen Staaten beherrscht werden. Obwohl der Dodd- Frank-Act den Unternehmen nicht explizit verbietet, Mineralien kongolesischer Rebellen zu verwenden, dachten große Firmen fortan zweimal darüber nach, ob sie mit der wohl weltweit größten humanitären Katastrophe in Verbindung gebracht werden wollten.

Bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes hatten einige führende Elektronikkonzerne wie Intel, Motorola und HP begonnen, die Spur der Mineralien in ihren Produkten zu verfolgen. Seit das Gesetz in Kraft ist, haben nach Informationen des „Enough Project“ viele andere Firmen ebenfalls Fortschritte bei der Überprüfung ihrer Zulieferketten gemacht.

Kritiker des Dodd-Frank-Acts befürchteten, dass das Gesetz Elektronikunternehmen veranlassen könnte, einfach alle Mineralien aus dem Kongo zu boykottieren – fatal für die örtlichen Bergarbeiter. Und so war es auch, zumindest am Anfang. Multinationale Konzerne kauften keine Zinn- und Tantalerze mehr von Hüttenwerken, die nicht nachweisen konnten, dass mit ihren Mineralien keine Kämpfe finanziert wurden. Im September 2010 verhängte die kongolesische Regierung auch noch ein sechsmonatiges Verbot für sämtliche Abbau- und Handelsaktivitäten im Osten – ein Schock für Tausende von Bergarbeitern, die ihren Lebensunterhalt nicht mehr finanzieren konnten.

Doch dann gab es erste Anzeichen für eine Reform des Handels. Kongolesische Behörden begannen, Minen zu inspizieren. Die Armee jagte Milizionäre und skrupellose Soldaten hinaus, Bergbaupolizisten kontrollierten den Abbau vor Ort. Bewaffnete Gruppen, die mit Zinn, Tantal und Wolfram handelten, mussten erleben, wie ihre Gewinne um 65 Prozent fielen. Die Minen im Kongo wurden allmählich sauber.

kurz vor unserer Verhaftung hatten wir eine „grüne“, also konfliktfreie Mine in Nyabibwe besucht, einem Bergbauzentrum, das sich kilometerweit in einem Tal nahe dem Kivusee erstreckt. Am Berghang wimmelte es von muskulösen jungen Männern in zerlumpten Kleidern und mit Stirnlampen, die hämmerten, gruben, schaufelten, schöpften, kratzten und jedes Steinchen auflasen, das nach gelblichem Kassiterit – Zinnerz – aussah. In ihren dicken Backen steckten Zuckerrohrstücke, die Energie spenden sollten. Eine riesige Ameisenarmee, die eine riesige, ferne, globale Industrie versorgte.

In Nyabibwe ist sämtlicher leicht erreichbarer Kassiterit schon vor langer Zeit abgebaut worden. Daher müssen die Minenarbeiter tief in den Berg graben. Sie verwenden dazu nur Hammer und Schaufel. Wir folgten ihnen in einen Stollen. Die Wände waren feucht und glitschig. In der Dunkelheit hatte man kein Gefühl für oben oder unten, man hörte nur das Tropf-Tropf-Tropf des Wassers und den fernen Gesang der Männer in den Eingeweiden der Erde.

Auf dem Rücken schleppten sie die Säcke mit Kassiterit aus den Stollen und schleiften sie zu einer kleinen Hütte am Fuß des Berges. Dort wurden die Säcke gewogen und in einem Buch registriert. Ein Plastikschildchen mit einem Streifencode zeigt an, dass dieser Kassiterit „konfliktfrei“ ist. Dann geht es per Motorrad oder Pick-up in die Provinzhauptstadt Bukavu, wo die Säcke auf Sattelschlepper geladen werden. Weiter nach Ruanda und Daressalam in Tansania. Der Kassiterit landet schließlich in Malaysia, wo er bei mehr als 1200 Grad verhüttet und dann an Elektronikunternehmen verkauft wird.

Laut Berichten soll es in der Mine möglicherweise noch immer vom Militär organisierten Schmuggel geben. Aber als wir im Januar dieses Jahres dort waren, sahen wir weder Soldaten noch Milizionäre oder Kinderarbeiter. Die Bücher wirkten ordentlich. Nyabibwe sah nach Fortschritt aus. Das Problem: Nur etwa zehn Prozent der Minen im Osten – 55 insgesamt – werden als konfliktfrei eingestuft. Die meisten Zinn-, Tantal- und Wolframminen wurden zwar entmilitarisiert, doch die Goldminen bleiben weitgehend in der Hand von Armee oder Rebellen. Beamte machen heimlich gemeinsame Sache mit Rebellenchefs wie Cobra Matata, um sich zu bereichern, wie wir bei unserem Versuch, in die Goldmine von Bavi zu gelangen, erfahren.

Nach unserer Verhaftung wurden wir in dem dunklen kleinen Haus in Bunia stundenlang von Soldaten verhört. «Wer hat euch nach Bavi gebracht? Was wollt ihr hier eigentlich?», brüllten sie.

Wir waren verwirrt. Wir wussten, dass Bavi in der Hand der Rebellen ist. Wir hatten ja all diese Kindersoldaten mit eigenen Augen gesehen. Warum aber hatte uns dann ein staatlicher Geheimagent verhaften lassen? Sollte die Regierung die Rebellen denn nicht bekämpfen? Nachdem man uns freigelassen hatte, observierten uns Sicherheitsleute.

«Ihr seid in ein Spiel hineingestolpert», erklärt uns ein UN-Mitarbeiter später. «Die teilen sich die illegalen Geschäfte. Die Regierung bröckelt, und alle versuchen, noch schnell Kasse zu machen und Kinshasa auszumanövrieren. Diese Typen in Bavi wollten nicht, dass Sie sehen, was sie im Schilde führen.»

Wir fragen ihn, was denn notwendig sei, um Ordnung in den Kongo zu bringen. Er schweigt lange und schaut auf seine blank geputzten Schuhe. «Es gibt keine einfache Lösung», sagt er. «Und ich bin nicht einmal sicher, ob es überhaupt eine Lösung gibt.»

(NG, Heft 10 / 2013, Seite(n) 78 bis 95)

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