Macht und Pracht der Terrakotta-Armee

Wie wurde die Terrakotta-Armee einst bemalt? Woraus bestehen die Pigmente ihrer Farben? Wie können diese dauerhaft konserviert werden? Mit diesen Fragen befassen sich Forscher der Technischen Universität München.

Von Siebo Heinken
Foto von Marc Steinmetz

Dieser General hat keine Armee. Ein einziger Bogenschütze steht ihm zur Seite. Der ernste Blick des chinesischen Heerführers fällt auf griechische Denker und Götter, Sportler mit Waschbrettbauch und klagende Knaben. Sie stammen aus derselben Zeit wie er, den Künstler der Qin-Dynastie vor 2200 Jahren schufen und ihrem Kaiser mit auf den Weg ins Jenseits gaben. Im Museum für Abgüsse klassischer Bildwerke München sind nun Kopien von Statuen zweier zeitgleicher, weit voneinander entfernter Hochkulturen der Antike versammelt. Es sind Skulpturen, gemacht nach ähnlichen ästhetischen Vorstellungen. In detailgenauem Realismus. Und knallbunt.

Doch nur der General und der Schütze sind farbig bemalt, die meisten griechischen Figuren dagegen blendend weiß – wie es der Geschmack seit Ende des 18. Jahrhunderts empfahl. Von wegen: Auch die Griechen verliehen ihren Statuen einst ein ausgesprochen lebendiges Aussehen. «Leuchtende, dick aufgetragene Farben prägen die Bemalungen zu dieser Zeit im Osten wie auch im Westen», sagt Catharina Blänsdorf von der Technischen Universität München.

Auf Grundlage eines dreidimensionalen Scans rekonstruiert Felix Horn diesen Krieger virtuell. Mit einem haptischen Eingabegerät „erfühlt“ der Restaurator hier das auf dem Bildschirm in mehreren Stadien dargestellte Modell. Weshalb diese Terrakotta-Figur ein grünes Gesicht hatte, ist bisher ein Rätsel. «Möglicherweise sollte sie einen Schamanen darstellen», sagt Horn.

Seit anderthalb Jahrzehnten forscht die Restauratorin in China . Zusammen mit ihrer Kollegin Carolin Roth schuf sie die Repliken der beiden Krieger: das leuchtende Ergebnis einer vor mehr als zwei Jahrzehnten initiierten Kooperation mit Forschern der Provinz Shaanxi, die in München dringend benötigtes Know-how für die Restaurierung und den Einsatz moderner Technik suchten.

Restauratoren, die Objekte wiederherstellen oder konservieren, brauchen präzises Wissen über deren ursprünglichen Zustand. Doch ohne Technik und die Naturwissenschaften ist ihre Arbeit heute nicht mehr denkbar. Ihre Hilfsmittel sind Polarisationsmikroskope, Röntgendiffraktometrie, Rasterelektronenmikroskop.

Was die Münchner nach jahrelanger Forschung an der Terrakotta-Armee wissen: Deren Farben wurden mit verschieden dicken Pinseln auf eine Grundierung aus dem Saft des Ost-asiatischen Lackbaums aufgetragen, und sie waren von bester Qualität – wie es sich für die Grabanlage des Kaisers geziemte. Die Farben wurden immer nach gleichem Muster gemischt und bei allen Figuren nach einem wiederkehrenden Schema aufgebracht. Ärmelumschläge und das Innenfutter waren farblich abgesetzt, die Kragen unterschiedlich bemalt. «Oft ist eine Vielzahl lebhafter Farben an einer Skulptur kombiniert. Bei jeder Figur variieren Kleidungsfarbe und Hauttöne. Es gibt sogar verschiedene Augenfarben», sagt Blänsdorf. Das machte die Krieger zu individuellen Personen.

Fotos von Fragmenten, selbst Zeichnungen können niemals vermitteln, wie die Terrakotta-Krieger einst wirklich aussahen. Daher entschieden Blänsdorf und ihre Kollegen, die Repliken nach historischem Vorbild zu bemalen. Als Modelle wählten sie zwei Gipsabgüsse, die von chinesischen Malern mit dem schwarzbraunen Qi-Lack überzogen wurden: den Bogenschützen 02812 aus Grube 2, dessen Farbgebung zweifelsfrei rekonstruiert war, und einen General – technischer Name: T20 G10:97 – aus Grube 1. Parallel dazu rekonstruierte der Restaurator Felix Horn zwei weitere Krieger am Computer.

Als Vorlage dienten Aquarelle. Mit ihnen hatte Catharina Blänsdorf ihre Erkenntnisse festgehalten. Zum Beispiel die Muster auf dem Panzer des Generals. Hellgrüne Ornamente auf schwarzem Grund zeigen stilisierte Vogelpaare mit Sonnen und geometrischen Mustern, jeweils drei applizierte grüne Schleifen auf Brust und Rücken setzen Akzente. Archäologische Funde bestätigen, dass wertvolle Seidenkleider mit ähnlichen Mustern vor gut zwei Jahrtausenden in China getragen wurden. Nicht nur das: Die Künstler und Handwerker der Qin-Dynastie bemalten die Terrakotta-Krieger so realistisch, dass sich die Ornamente über dem Körper wie bei einem Stoffmuster verzogen.

All das wollten auch Catharina Blänsdorf und Carolin Roth originalgetreu darstellen. Drei Monate lang arbeiteten sie an den Figuren. Sie mahlten die Pigmente und mischten sie mit Ei und Leim. Stunde um Stunde gestalteten sie die Ornamente, die über den Rundungen des Körpers verzerrt dargestellten Rauten. Und sie suchten den besten Farbton für die Gesichter, erst eine dunkle Schicht rosa, darüber eine helle Schicht, um den Eindruck durchscheinender Haut zu erzeugen. «Wenn man die Nuance nicht trifft, sieht es entweder käsig oder aber geschminkt aus», sagt Blänsdorf. Mit feinsten Pinseln malten sie die Brauen, den Bart, sogar die Nackenhaare.

So wie vor 2200 Jahren die Handwerker in Zentralchina. Bei jeder einzelnen Figur der Terrakotta-Armee. Mindestens 6000-mal.

Die Skulpturen in München geben nun einen lebendigen Eindruck von den Kriegern des ersten chinesischen Kaisers. Doch die einzigartige Grabbeigabe ist mehr denn je bedroht. Versuche, den abblätternden Lack zu festigen, verliefen erfolgversprechend. Langfristig könnte eine andere Methode wirken, die ein Team um den Chemiker Heinz Langhals entwickelte. Sie sieht vor, das Monomer HEMA, einen Kunststoff, durch die Pigmentschicht und die Grundierung dringen zu lassen, um es dann durch Elektronenbeschuss zu polymerisieren. So könnte der Lack dauerhaft an den Ton gebunden werden. Doch kleine und kostengünstige Geräte stehen noch nicht zur Verfügung.

Eine größere Gefahr droht der Terrakotta-Armee durch die Modernisierung Chinas. Vor 25 Jahren, als Erwin Emmerling vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege zum ersten Mal nach Xi’an reiste, war dies eine Kleinstadt und der heutige Stadtbezirk Lintong ein Bauerndorf. Jetzt leben hier Millionen Menschen. Der Wasserverbrauch steigt, der fallende Grundwasserspiegel lässt die Erde austrocknen – und die Lackschicht der Armee bröckelt. «Die Hallen mit den Grabungsstätten müssten klimatisiert werden», sagt Emmerling, heute Professor an der TU München. «Wir brauchen eine intelligente Technik, Bepflanzung und am besten neue Gebäude aus Lehm, um die Luftfeuchtigkeit auf natürliche Weise zu regulieren. Aber das moderne China besteht nun einmal aus Beton.» Emmerling befürchtet, dass die Zeit davonläuft.

Geht den Generälen ihre Armee verloren?

Lesen Sie passend dazu auch unseren Artikel "Chinas sagenhafte Terrakotta-Krieger "!

(NG, Heft 06 / 2012, Seite(n) 82 bis 85)

Auf Grundlage eines dreidimensionalen Scans rekonstruiert Felix Horn diesen Krieger virtuell. Mit einem haptischen Eingabegerät „erfühlt“ der Restaurator hier das auf dem Bildschirm in mehreren Stadien dargestellte Modell. Weshalb diese Terrakotta-Figur ein grünes Gesicht hatte, ist bisher ein Rätsel. «Möglicherweise sollte sie einen Schamanen darstellen», sagt Horn.
Foto von Marc Steinmetz

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