Sibirien: Das Mädchen aus der Höhle

Ein mysteriöser Fund in Sibirien lässt Forscher vermuten: Es gab eine dritte Menschenart. Zwei Backenzähen und ein Knochensplitter deuten darauf hin.

Von Jamie Shreeve
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Foto von Robert Clark

Im Altaigebirge im Süden Sibiriens , nahe der Mongolei, liegt in einem Felshang 30 Meter über dem Fluss Anuy die Denisova-Höhle. Der Name geht auf den Einsiedler Denis zurück, der im 18. Jahrhundert darin gelebt haben soll. Doch die Geschichte des Menschen scheint hier sogar mindestens 50.000 Jahre weit in die Vergangenheit zu reichen.

In der Jungsteinzeit, vor etwa 10000 Jahren, fanden Viehhirten in der Höhle Unterschlupf, etwas später Angehörige der Turkvölker: Gemeinsam mit ihren Tieren überstanden sie hier die rauen sibirischen Winter. Ihretwegen mussten sich Archäologen durch dicke Schichten aus Ziegendung graben, ehe sie auf die Ablagerungen stießen, die sie brennend interessierten.

Die Hauptkammer der Höhle hat eine hohe gewölbte Decke. Nahe der höchsten Stelle fällt durch ein Loch Sonnenlicht ins Innere. Hier herrscht eine Atmosphäre fast wie in einer Kirche. Weiter hinten, in einer Seitenkammer, untersuchte der junge russische Archäologe Alexander Tysbankow im Juli 2008 Schichten, die 30.000 bis 50.000 Jahre alt sind.

Dabei fiel ihm ein winziges Knochenstückchen auf: ein kantiges Bröckchen von der Größe und Form eines Steinchens, das man sich aus dem Schuh schüttelt. Ein Paläoanthropologe, mit dem ich mich später bei der Höhle traf, erzählte: «Es war das unspektakulärste Fossil, das ich jemals gesehen habe.» Aber es war ein Knochen. Tsybankow barg ihn in einer Tüte, um ihn im Lager einem Paläontologen zu zeigen.

Der identifizierte ihn als Stück des Fingers eines Primaten. Genauer gesagt, als Teil aus dem obersten Gelenk des kleinen Fingers. Weil es aber, so weit man weiß, in Sibirien vor 30.000 bis 50.000 Jahren außer den Menschen keine Primaten gab, weder Menschen- noch Kleinaffen, stammte das Fossil also vermutlich von einem Menschen. Bestimmte Merkmale wiesen auf ein noch nicht ausgewachsenes Gelenk hin. Dieser Mensch war demnach jung gestorben – vielleicht schon mit etwa acht Jahren.

Anatoli Derewianko, der Direktor des Instituts für Archäologie und Ethnografie in Nowosibirsk und Grabungsleiter im Altaigebirge, ordnete den Knochen anfangs unserer eigenen Art zu, dem Homo sapiens. Man hatte in derselben Schicht bereits ein hübsches Armband aus poliertem grünem Stein gefunden. Das konnte nur das Werk moderner Menschen sein. Andererseits: die DNA – das Erbgutmolekül – aus einem anderen Fossil, das früher in einer nahe gelegenen Höhle entdeckt worden war, stammte von einem Neandertaler. Gut möglich also, dass auch der Fingerknochen der Überrest eines Neandertalers war.

Video: Der Wissenschaftler Svante Pääbo, dessen Arbeit in dem Artikel vorgestellt wird, zeigt, dass sich der moderne Mensch mit Neandertalern paarte.

Derewianko entschloss sich, das Knöchelchen in zwei Teile zu zerschneiden. Die eine Hälfte schickte er an ein Labor in Kalifornien; von diesem Stück hat er seither nichts mehr gehört. Die andere ließ er persönlich bei Svante Pääbo abliefern, einem Evolutionsgenetiker am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) in Leipzig.

Der gebürtige Schwede Pääbo gilt weltweit als führender Experte für sehr alte DNA, insbesondere die von Menschen. 1984 isolierte er als Erster DNA aus einer ägyptischen Mumie. Das Gleiche gelang ihm 1997 zum ersten Mal mit dem Erbgut eines Neandertalers.

Als Pääbo 2008 das Päckchen von Derewianko erhielt, waren er und seine Arbeitsgruppe gerade damit beschäftigt, das erste vollständige Genom eines Neandertalers zu erstellen. Der kleine russische Fingerknochen fand deshalb erst Ende 2009 das Interesse von Johannes Krause, damals leitender Mitarbeiter in Pääbos Arbeitsgruppe (mittlerweile arbeitet er an der Universität Tübingen). Auch Krause nahm zunächst an, dass der Knochen von einem frühen Homo sapiens stammt.

Zusammen mit der Studentin Qiaomei Fu gewann er aus dem Fingerknochen die Mitochondrien-DNA (mtDNA). Die Mitochondrien sind die Energielieferanten in lebenden Zellen, es gibt sie hundertfach in jeder Zelle, sie haben ein eigenes kleines Erbgutmolekül, und diese DNA ist in alten Knochen relativ leicht zu finden. Krause und Fu verglichen die Abfolge der DNA-Bausteine mit jenen von Neandertalern und heutigen Menschen. Dann wiederholten sie die Analyse noch einmal. Und noch einmal. Und konnten nicht glauben, was sie entdeckt hatten.

An einem Freitagnachmittag rief Krause alle Kollegen des Instituts zusammen und fragte, ob jemand eine andere Erklärung für die Beobachtungen geben könne. Niemand konnte. Ihr Chef Pääbo war gerade auf einer Tagung in den USA. Krause wählte seine Handynummer. «Johannes hat mich gefragt, ob ich sitze», erinnert sich Svante Pääbo. «Dann empfahl er mir, ich solle mir einen Stuhl suchen.»

Krause nennt diesen Freitag den «wissenschaftlich aufregendsten Tag meines Lebens». Das winzige Stück eines Fingerknochens ist weder von einem modernen Menschen. Noch von einem Neandertaler. Sondern von einer Menschenart, die man nie zuvor gesehen hatte.

Zwei Jahre später organisierte Derewianko wenige hundert Meter von der Denisova-Höhle entfernt eine kleine wissenschaftliche Tagung. 50 Forscher waren nach Sibirien gekommen, unter ihnen auch Pääbo. Er wollte den Fundort mit eigenen Augen sehen und die Ansichten der Kollegen hören, wie der rätselhafte neue Mensch in die Evolution des Menschen einzuordnen sei.

2010, ein Jahr zuvor, hatte man zwei andere Fossilien gefunden, die ganz ähnliche DNA enthielten wie der Fingerknochen. Es sind zwei Backenzähne. Der erste Zahn war unter den Funden aus der Denisova-Höhle, die bereits in Derewiankos Institut in Nowosibirsk aufbewahrt wurden. Er ist größer als entsprechende Zähne von modernen Menschen oder Neandertalern. In Größe und Form erinnert er an die Backenzähne viel älterer Arten der Gattung Homo, die vor Jahrmillionen in Afrika gelebt hatten. Der zweite war in derselben Höhlenkammer entdeckt worden, in der auch der Fingerknochen gelegen hatte.

Video: Der Wissenschaftler Svante Pääbo, dessen Arbeit in dem Artikel vorgestellt wird, zeigt, dass sich der moderne Mensch mit Neandertalern paarte.

Dieser Backenzahn ist noch größer als der erste, seine Kaufläche ist doppelt so breit wie die beim Zahn eines modernen Menschen. Wegen seiner auffälligen Abmessungen hielt der Paläontologe Bence Viola vom Max-Planck-Institut ihn sogar fälschlich für den Zahn eines Höhlenbären. Erst die DNA-Analyse bestätigte, dass er von einem Menschen stammt, genauer gesagt von einem Denisova-Menschen, wie Forscher den neuen Vorfahr mittlerweile nennen. «Seltsame Burschen müssen das gewesen sein», sagte mir Viola auf der Tagung. «Zumindest hatten sie sehr seltsame Zähne.»

Pääbos Team konnte aus den Zähnen nur eine winzige Menge DNA entnehmen. Sie reichte gerade für den Nachweis, dass sie von Menschen derselben Art stammen wie der Finger, aber nicht vom selben Individuum. Da war der Fingerknochen deutlich ergiebiger.

Die DNA, aus der unser Erbgut besteht, ist ein stabiles Molekül. Dennoch zerfällt es mit der Zeit. Deshalb ist sie in Knochen, die Zehntausende von Jahren alt sind, meist nur noch in geringen Mengen enthalten. Außerdem macht die eigene DNA des Knochens in der Regel nur einen Bruchteil der gesamten DNA-Menge in und an einem Fund aus. Der Rest stammt vorwiegend von Bodenbakterien – und von Menschen, die ihn gefunden und angefasst haben. Von den Neandertalerfossilien, die Pääbos Team untersuchte, enthielt keines auch nur fünf Prozent eigener DNA; meistens sogar weniger als ein Prozent. Die DNA in dem Fingerknochen dagegen war zur Verblüffung der Forscher zu rund 70 Prozent die des Denisova-Menschen. Die Kälte in der Höhle hatte sie gut konserviert.

Mit so viel Erbgut konnten die Wissenschaftler zweifelsfrei feststellen, dass der Fund kein männliches Y-Chromosom enthält. Die Fingerspitze gehört also zu einem kleinen Mädchen, das vor Zehntausenden von Jahren in der Denisova-Höhle oder in ihrer Nähe gestorben ist.

Eine Zeit lang glaubten sie, man habe auch den Zeh des Mädchens gefunden. Im Sommer 2010 war zusammen mit dem Zahn auch ein menschlicher Zehenknochen ans Licht gekommen. Seine DNA wurde in Leipzig von der Doktorandin Susanna Sawyer analysiert. Auf der Tagung im Jahr 2011 präsentierte sie ihre Befunde: Dieser Knochen gehört zu einem Neandertaler. Der Fundort wurde immer rätselhafter.

Das Armband aus grünen Steinen, das man zuvor in derselben Schicht gefunden hatte, ist mit ziemlicher Sicherheit von modernen Menschen gefertigt worden. Der Zehenknochen ist der eines Neandertalers, der Fingerknochen gehört zu einer völlig anderen Art. Eine Höhle – drei Arten von Menschen. «So weit wir bisher wissen», sagt Pääbo, «ist diese Höhle auf der ganzen Welt die einzige Stelle, an der sowohl Neandertaler als auch Denisova- und moderne Menschen gelebt haben.»

Wie waren die drei Menschenarten an diesen Ort gelangt? Wie waren Neandertaler und Denisova-Menschen untereinander und mit unserer Art, die als einzige heute noch lebt, verwandt? Hatten sie Sex mit unseren Urahnen? Das sind Fragen, die den schlaksigen 58-Jährigen trotz jahrelanger Erfahrung auf diesem Gebiet spürbar erregen. Man sieht es daran, dass die ausgeprägten Augenbrauen an seinem schmalen Kopf lebhaft auf und ab zucken, sobald er darüber redet.

Die Neandertaler-DNA, die er 1997 entschlüsselt hatte, unterschied sich deutlich vom Erbgut der heute lebenden Menschen. Das schien ein Beleg dafür, dass die Neandertaler eine eigene Art waren, die später ausstarb. Verdächtig bald nachdem der moderne Mensch dem Neandertaler aus Afrika gefolgt und nach Westasien und Europa eingewandert war.

Aber bei der damals untersuchten DNA handelte es sich ebenfalls um mitochondriales Erbgut. Die Mitochondrien sind nicht Teil des Zellkerns, der den größten Teil der DNA enthält. Die energieliefernden Organellen enthalten nur 37 Gene, die ausschließlich über die Mutter vererbt werden. Man kann mitochondriale DNA mit der Information auf einer ausgerissenen Seite aus einem sehr dicken Buch vergleichen. Sie verrät einiges, aber nicht die ganze Geschichte. Auch die erste Probe aus dem Finger von Denisova war mitochondriale DNA.

Beim Treffen der Forscher 2011 an der Fundhöhle war allerdings dank Pääbos Untersuchungen seit 1997 schon viel mehr über das gesamte Genom des Neandertalers bekannt. Die wichtigste Entdeckung: Das Erbgut der modernen Menschen enthält einen kleinen, aber nennenswerten Teil der Neandertaler-DNA. Durchschnittlich sind es 2,5 Prozent.

Die Neandertaler wurden zwar möglicherweise durch die modernen Menschen verdrängt, als sie vor 30.000 Jahren in Europa und Asien aufeinandertrafen. Doch als die letzten vor rund 28000 Jahren starben, hatten sie als Folge leidenschaftlicher Beziehungen schon ein wenig von sich in unserer Art hinterlassen. Nur eine Gruppe moderner Menschen entging dem Einfluss: die Afrikaner. Die Vermischung spielte sich außerhalb des Kontinents ab, von dem alle Menschen herstammen.

Der Vergleich des Erbguts aller drei Menschenarten lässt zwar erkennen, dass die Denisova-Menschen mit den Neandertalern enger verwandt waren als mit uns, aber auch der Homo sapiens trägt Spuren des Denisova-Erbguts in seinen Zellen. Das trifft allerdings nicht für alle modernen Menschen zu. Es kommt darauf an, in welcher Region ihre Ahnen lebten. In Russland und China zum Beispiel fanden die Forscher keine Spur von Denisova-DNA. Wohl aber bei den Bewohnern Neuguineas, auf Melanesien und bei den australischen Ureinwohnern, den Aborigines. Deren Genom enthält etwa fünf Prozent der DNA des Denisova-Menschen. Bei einigen dunkelhäutigen Volksgruppen auf den Philippinen sind es bis zu 2,5 Prozent.

Mit all diesen Daten entwickelten Pääbo und seine Kollegen folgendes Szenario: Irgendwann vor mehr als 500.000 Jahren spalteten sich die Vorfahren der modernen Menschen in Afrika von der Abstammungslinie ab, aus der Neandertaler und Denisova-Menschen hervorgingen. Urahn aller drei Arten war vermutlich der Homo heidelbergensis. Die Ahnen des Homo sapiens blieben zunächst in Afrika, der gemeinsame Vorfahr von Neandertalern und Denisova-Menschen wanderte aus. Diese beiden Linien entwickelten sich erst später getrennt voneinander weiter: Die Neandertaler wanderten anfangs in westlicher Richtung nach Europa, die Denisova-Menschen breiteten sich nach Osten aus und bevölkerten später große Teile des asiatischen Kontinents.

Schließlich wagten sich auch die modernen Menschen aus Afrika hinaus. Im Nahen Osten und in Zentralasien trafen sie auf die Neandertaler und vermischten sich mit ihnen. Eine Gruppe der modernen Menschen wanderte weiter nach Südostasien, wo sie vor rund 40000 Jahren den Denisova-Menschen begegnete. Auch die hatten gemeinsame Kinder, und als der Homo sapiens weiter nach Australien zog, nahm er die Denisova-DNA mit sich.

Dieses Szenario erklärt einiges, lässt aber auch viele Fragen offen. Wenn die Denisova-Menschen damals so weit verbreitet waren, warum findet man dann keine Spur von ihnen im Genom der Han-Chinesen oder anderer asiatischer Bevölkerungen zwischen Sibirien und Melanesien? Warum hinterließen sie keine archäologischen Spuren, zum Beispiel charakteristische Werkzeuge? Wie sahen sie aus?

Video: Der Wissenschaftler Svante Pääbo, dessen Arbeit in dem Artikel vorgestellt wird, zeigt, dass sich der moderne Mensch mit Neandertalern paarte.

Was den Forschern wirklich helfen würde, wäre DNA des Denisova-Menschen in einem Schädel oder einem anderen Fossil mit typischen anatomischen Merkmalen. Einige Kandidaten gibt es. Die meisten stammen aus China. Besonders interessant sind drei Schädel, 100.000 bis 250.000 Jahre alt. Pääbo arbeitet mit Paläoanthropologen in Peking zusammen und hat dort auch ein Labor für DNA-Analysen aufgebaut. Leider bleibt DNA bei höheren Temperaturen nicht gut erhalten. Bisher konnte keines dieser Fossilien anhand seiner DNA als Denisova-Mensch identifiziert werden.

Im vorigen Jahr dann veröffentlichte Pääbos Arbeitsgruppe eine neue Version des Genoms aus dem Fingerknochen. Diese Sequenz ist in Genauigkeit und Vollständigkeit mit einer Genomanalyse eines heute lebenden Menschen vergleichbar. Der Durchbruch gelang Matthias Meyer, einem Mitarbeiter Pääbos.

DNA besteht aus zwei verbundenen Strängen, der berühmten Doppelhelix. Früher konnte man die Sequenz aus Fossilien nur dann ermitteln, wenn beide Stränge erhalten waren. Meyer hatte eine Methode entwickelt, auch kurze, einzelsträngige DNA-Abschnitte zu rekonstruieren. Damit verschaffte er sich eine wesentlich größere Menge an Untersuchungsmaterial. Mit dem neuen Verfahren erstellte er eine so präzise Abfolge der Erbgutbausteine aus dem Genom des Denisova-Mädchens, dass das Team zwischen väterlich und mütterlich vererbten genetischen Informationen unterscheiden kann. Nun haben die Wissenschaftler zwei Denisova-Genome, von jedem Elternteil eines. Das öffnet ein neues Fenster in die Geschichte dieser Menschen.

Auffällig ist, dass zwischen den elterlichen Genomen nur wenige Unterschiede bestehen – deutlich weniger als zwischen zwei heutigen Menschen. Weil sich die Unterschiede aber über das ganze Genom verteilen, ist Inzucht ausgeschlossen: Wären die Eltern des Denisova-Mädchens eng verwandt gewesen, müssten lange Abschnitte ihrer DNA exakt übereinstimmen.

Das kleine Mädchen in der Höhle war vor 50.000 Jahren vielleicht eine der Letzten ihrer Art.

Zur gleichen Zeit nahm damals die Anzahl der modernen Menschen rasch zu. Diese Geschichte ist durch unzählige Fossilien, Bibliotheken voller Bücher und die DNA von sieben Milliarden Menschen dokumentiert. Svante Pääbo dagegen ermittelte die bislang bekannte Geschichte der Denisova-Menschen aus einem einzigen winzigen Knochensplitter.

Weil er und seine Kollegen nun die genetische Information dieser Menschen praktisch Buchstabe für Buchstabe in der Hand haben, können sie deren Gene mit unseren vergleichen und als Nächstes daran gehen, eines der größten Geheimnisse zu lüften: Welche Eigenschaften unseres Genoms machen uns zu dem, was wir sind? Was veränderte sich in unserem Erbgut, nachdem wir uns von den letzten gemeinsamen Vorfahren abgespalten hatten?

Die Wissenschaftler nahmen jene Stellen unter die Lupe, die bei allen heutigen Menschen gleich sind, wo das Erbgut der Denisova-Menschen aber noch mehr dem von Menschenaffen ähnelt. Die Unterschiede ergaben eine erstaunlich kurze Liste, «die genetische Bauanleitung für den modernen Menschen», wie Pääbo sagt. Es sind 25 Veränderungen, welche wahrscheinlich die Funktion einiger Proteine beeinflussen.

Fünf dieser Proteine sind wichtig für die Gehirnfunktion, die Entwicklung des Nervensystems sowie für die Entwicklung von Sprache und Sprechfähigkeit. Wie diese Gene dafür sorgen, dass wir anders denken, handeln und sprechen als die Denisova-Menschen oder alle anderen Lebewesen, ist im Detail noch zu klären. Pääbo aber ist sicher, dass die Analyse der Denisova-DNA hilft, solche Fragen zu klären: «Wir werden herausfinden, was den modernen Menschen zu dem machte, was er heute ist.»

Und das kleine Mädchen aus der Höhle? Von ihr war anscheinend nur dieses Stück Knochen erhalten geblieben, und das – zumindest jene Hälfte, die nach Leipzig geschickt wurde – ist nun auch fast ganz weg. Es wurde zum großen Teil verbraucht, als Krause, Fu und später Meyer die DNA daraus gewannen. Was übrig geblieben ist, brachte Pääbo seinem Kollegen Derewianko im Januar zurück, als der in Nowosibirsk seinen 70. Geburtstag feierte.

Das Mädchen gibt es heute aber noch als eine genetische Buchstabenfolge, die man für weitere Untersuchungen leicht immer wieder kopieren kann. In einem Fachartikel erwähnt Pääbo einige Erkenntnisse, die er aus diesen Buchstaben herausgelesen hat: Das Mädchen hatte wohl dunkle Haare, dunkle Augen und eine dunkle Haut. Das ist nicht viel, aber es ist alles, womit wir uns begnügen müssen. Bis man vielleicht eines Tages doch noch einen weiteren Überrest dieser mysteriösen dritten Menschenart findet.

Video: Der Wissenschaftler Svante Pääbo, dessen Arbeit in dem Artikel vorgestellt wird, zeigt, dass sich der moderne Mensch mit Neandertalern paarte.

 

(NG, Heft 7 / 2013, Seite(n) 90 bis 101)

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