Wind, Kälte und Höhenkrankheit: Winter am Südpol
Polarforscher Sven Lidström hat zwei Winter in der Antarktis verbracht. Der Ingenieur hat im kältesten und windigsten Labor der Welt gearbeitet – und es überlebt.
Zum Zeitpunkt dieses Interviews führt eine waghalsige Rettungsmission einen Wettlauf gegen die Zeit und die harten Wetterbedingungen um einem kranken Arbeiter am Südpol zu helfen. Gefährliche Winde, beißende Kälte und Dunkelheit rund um die Uhr machen Flüge in die Antarktis zu dieser Jahreszeit zu einem seltenen Ereignis. Aber Vorhersagen für schlechtes Wetter ist nichts Besonderes für das kleine Forscherteam, das während des Winters in der Amundsen-Scott-Südpolstation ausharrt.
Sven Lidström ist der Betriebskoordinator für das Norwegische Polarinstitut – und er war dort. Als Ingenieur hat Lidström mitgeholfen, das IceCube Neutrino Observatory aufzubauen. Dazu wurden 2.500 Meter tiefe Löcher in den Arktischen Eisschild gebohrt, um optische Sensoren zu installieren. Lidström verbrachte anschließend den Winter im Jahr 2012 am Südpol und sammelte wegweisende Daten aus dem Weltall. Er hat an mehr als 20 Expeditionen in die Antarktis teilgenommen (und an genauso vielen in die Arktis). Aktuell ist er jedoch nur während des Sommers auf den norwegischen Forschungsstationen Troll und Tor stationiert. „Der Winter verlangt einem viel ab“, sagt er.
Lidström hat mit National Geographic Adventure über die besonders harten Bedingungen, medizinische Risiken und die Kameradschaft innerhalb der Crew auf 90° Süd gesprochen.
Wie landet und startet man mit einem Flugzeug in der Antarktis?
Im Sommer gibt es beinahe täglich einen Flug zur McMurdo-Station, wenn es das Wetter erlaubt. Während des Winters fliegt niemand. Uns wurde gesagt, dass es „unmöglich“ sei und dass unsere einzige Möglichkeit ein Abwurf von Vorräten und Medikamenten wäre, wenn uns etwas passiert. Flüge im Winter bergen ein enorm hohes Risiko: die extremen Temperaturen, die Dunkelheit und das Wetter. Der Treibstoff AN-8 geliert bei minus 60° Celsius, geht also vom flüssigen in festen Zustand über. Alles auf und innerhalb der Flugzeuge wird extrem steif und empfindlich.
Welchen Temperaturschwankungen waren Sie normalerweise unterlegen und wie kalt war es am tiefsten Punkt?
Der Jahresdurchschnitt liegt bei minus 50° Celsius. Die normalen Temperaturen im Winter variieren zwischen minus 60° und minus 70° Celsius. Wir hatten einmal minus 78° Celsius, ohne den Wind miteinzubeziehen. Wenn man die Abkühlung durch den Wind noch mit einrechnet, waren das minus 100° Celsius!
Wie oft gab es Blizzards, Stürme und andere gefährliche Wettersituationen?
Normalerweise ist das Wetter am Pol gut. Es ist fast immer windig, aber kaum große Stürme oder Blizzards, wie man sie an der Küste erlebt. Schlechtes Wetter kann tagelang anhalten.
Gibt es während der Wintermonate Licht vom Mond oder den Sternen oder ist es vollkommen dunkel?
Wenn das Wetter gut ist, kann man Mond und Sterne sehen und außerdem Polarlichter, die wirklich spektakulär sind. Man versucht bei Mondlicht, so viel wie möglich draußen zu arbeiten, da es draußen bis auf ein paar rote Lampen an den Gebäuden zur Navigation keine Beleuchtung gibt. Wir stellen entlang unserer Wege Flaggen im Abstand von 10 Metern oder weniger auf, um uns in der Dunkelheit zurechtzufinden. Manchmal kann man die Flaggen nicht sehen, sie aber im Wind flattern hören.
Beeinflusst die Höhe (etwa 2.800 Meter über dem Meeresspiegel) die Wetterbedingungen am Südpol?
Man hat nicht die Fallwinde wie man sie entlang der antarktischen Küste erlebt. Das Wetter am Pol (und auch sonst auf dem Polarplateau) ist tatsächlich besser als an der Küste – oder zumindest weniger windig. Aber die Höhenlage lässt es auch deutlich kälter werden als in tieferen Regionen. Das Polarplateau ist der kälteste Ort auf der Erde. Und es ist im Winter wirklich kalt!
Welche Ausrüstung, Kleidung und andere Gegenstände haben Sie für die Überwinterung mitgenommen? Hatten die Teammitglieder ein Gewichtslimit für ihr Gepäck?
Man bekommt alles, was man an Kleidung braucht vor der Abreise im U.S. Antarctic Program Clothing Distribution Center (CDC) in Christchurch, New Zealand. Man zieht sich Schicht für Schicht an, und es sind eine Menge Schichten, wenn es draußen minus 70° Celsius hat. Wenn ich mich richtig erinnere, lag das Maximalgewicht bei gut 60 Kilo für Überwinterer. Aber ehrlich gesagt braucht man gar nicht so viel: Man lebt und arbeitet in der gleichen Kleidung, wenn man da unten ist. Außerdem hat man einen kompletten Satz Ausrüstung, der außerhalb der Station für den möglichen Eintritt eines Notfalls deponiert wird.
Welche medizinischen Probleme gab es auf der Station und wie wurde mit Notfällen verfahren?
Höhenkrankheit, Erfrierungen und normale Arbeitsunfälle waren am häufigsten. Während des Winters können auch körperliche Probleme und Depressionen auftreten. Es gab einige medizinische Notfälle und sie wurden alle sehr gut abgewickelt. Das U.S. Antarctic Program hat gute Regelungen, wie man in einem solchen Fall verfährt. Ich hätte mich nie zu einer Überwinterung bereiterklärt, wenn ich kein Vertrauen in die Fähigkeiten der entsprechenden Leute auf der Station gehabt hätte. Die Notfallteams trainieren speziell, um die verschiedensten Notfälle händeln zu können.
Allerdings wird man vor der Überwinterung auch deutlich über die extremen Umweltbedingungen und die Abgeschnittenheit aufgeklärt und es ist klar, dass man keine Hilfe von außen erwarten kann, wenn etwas passiert. Wenn sie jetzt eine Evakuierung mitten im Winter versuchen, bedeutet das zwingend, dass eine ernsthaft bedrohliche Situation vorliegt, denn es werden Menschenleben dabei aufs Spiel gesetzt. Die Antarktis ist ein sehr rauer Kontinent und die Winter dort unten sind in jeder nur denkbaren Form extrem. Es gibt nur wenig Raum für Fehler.
Wie verbringt man die Zeit, wenn man nicht gerade arbeitet?
Man arbeitet viel, aber abgesehen davon haben wir für die verschiedenen Notfallteams trainiert, Sport gemacht (es gibt dort einen tollen Fitnessbereich), Filme geschaut und gelesen. Es gibt eine Bibliothek, einen Musikraum und auch ein Zimmer für künstlerische und handwerkliche Aktivitäten. Man kann sich viel beschäftigen, wenn man will.
Hatten Sie das Gefühl, bis zum Ende des Winters auf sich allein gestellt zu sein?
Man fühlt sich nicht einsam. Dort ist eine komplette Wintercrew und man lernt alle wirklich gut kennen. Manchmal ein bisschen zu gut vielleicht.
Für viele ist es am schwierigsten, dass die Sonne sechs Monate lange nicht aufgeht. Man kann sich in der Tat vom Rest der Welt isoliert fühlen. Ein Kollege nannte es immer Planet Antarktis und es fühlt sich wirklich oft so an, als wäre man auf einem fremden Planeten und nicht mehr auf der Erde.
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