Auf der Jagd nach dem Licht: Winzige Peilsender offenbaren die unglaublichen Flugrouten der Küstenseeschwalben

Von Ed Yong
Veröffentlicht am 6. März 2018, 16:57 MEZ
Foto von Oddurben

Ich bin gerade von London nach North Carolina geflogen, etwa 6.200 Kilometer. Das ist allerdings ein Witz gegen die unglaubliche Reise der Küstenseeschwalben. Jedes Jahr machen die großartigsten Reisenden des Tierreichs sich auf einen 70.000 Kilometer langen Rundflug. Unermüdlich auf der Jagd nach dem Tageslicht führt es sie einmal um den Globus. Den Sommer verbringen die Tiere in der sonnendurchfluteten Arktis und für den Winter machen sie sich auf zu den nicht weniger hellen Gefilden der Antarktis. In seinen 30 Lebensjahren legt dieser Meisterflieger mehr als 2,4 Millionen Kilometer zurück – das Äquivalent zu drei Reisen zum Mond und zurück.

Der Marathonflug der Küstenseeschwalben ist weithin bekannt, aber die tatsächliche Länge so einer unfassbaren Strecke zu schätzen, ist nicht einfach. Man kann hier wohl nachsichtig mit den Wissenschaftlern sein, die deutlich daneben lagen, da sie nur Beobachtungen auf dem Meer und das Einfangen beringter Vögel an verschiedenen Orten als Forschungsgrundlage zur Verfügung hatten. Aber nur wenige hätten wohl gedacht, wie falsch die Angaben in den Lehrbüchern sind. In diesen steht normalerweise, dass die Seeschwalben 40.000 Kilometer pro Jahr zurücklegen. Die Vögel sollten beleidigt sein – tatsächlich ist es fast doppelt so viel.

Sein wahrer Reiseplan wurde erst durch die Nutzung winziger Peilsender aufgedeckt. Ähnliche Geräte konnten zuvor schon die Zugrouten größerer Seevögel wie Albatrosse, Sturmvögel und Sturmtaucher dokumentieren. Doch diese Sender waren zu groß und klobig, um sie an kleinere Flieger anzubringen – einen 400 Gramm schweren Rekorder an einen 100 Gramm schweren Vogel zu binden, wird keine sehr genauen Erkenntnisse über sein Flugverhalten liefern.

Carsten Egevang von der dänischen Universität Aarhus änderte das, indem er winzige Geolokatoren entwickelte, die weniger als 1 Gramm wiegen. Diese Positionsanzeiger können die Bewegungen von Zugvögeln aufnehmen, indem sie den Lichteinfall an verschiedenen Punkten der Reise messen. Sie wurden zudem schon bei der Dokumentation der kompletten Flugroute von Singvögeln erprobt. Egevang befestige sie an den Beinen von 50 Seeschwalben und schaffte es, 11 von ihnen in der darauffolgenden Saison wiederzubeschaffen, als die Vögel zurückkehrten.

Der Zug gen Süden ist der anstrengendere Teil der Reise. Am Ende der Brutsaison starten die Seeschwalben von Grönland und Island aus und fliegen Richtung Südwesten zu einem Zwischenhalt, den wir bislang nicht kannten. Er befindet sich mitten im Nordatlantik, wo die nahrungsreichen Gewässer des Nordens sich mit den wärmeren aber weniger reichhaltigen Strömungen des Südens vermischen. Die Seeschwalben verbringen durchschnittlich drei bis vier Wochen zwischen August und September hier, wo sie sich stärken, bevor sie Richtung Südosten und nach Afrika weiterfliegen.

Sie folgen alle der gleichen Route, bis sie zu den Kapverdischen Inseln vor der afrikanischen Westküste gelangen, wo sie sich in zwei Gruppen aufteilen. Die einen fliegen weiter entlang der afrikanischen Küste, während die anderen den Atlantik überqueren und der Linie von Brasilien folgen. Bei etwa 40 Grad Süd gehen beide Gruppen von ihrem bis dahin direkten Flug nach Süden zu eher chaotischen Ost-West-Bewegungen über. Einige schaffen es sogar bis zum Indischen Ozean.

Bis zum November erreichen sie alle ihr Ziel. Sie benötigen dafür durchschnittlich 93 Tage, die schnellsten Flieger schaffen es in 69. Und sie werden für ihre Mühen belohnt: Unbefristetes Sonnenlicht küsst die Antarktische Küste und gibt ihnen so rund um die Uhr die Möglichkeit, die nährstoffreichen Gewässer nach Krill und anderer Nahrung zu bejagen. Hier bleiben sie für einige Monate, Anfang bis Mitte April ist es wieder an der Zeit, zurück in den Norden zu ziehen.

Diese Reise ist direkter. Voll mit Krill-Energie und begleitet von Rückenwind schaffen die Seeschwalben eine enorme Strecke von 500 Kilometern pro Tag und benötigen so im Durchschnitt nur 40 Tage, um wieder nach Hause zu kommen. Sie meiden ihre Routen entlang der Küsten und fliegen stattdessen in gerader Linie über tiefes Wasser. Dort machen sie einen kleinen Schlenker zum südwestlichen Zipfel Afrikas, überqueren den Atlantik und steuern dann den gleichen nordatlantischen Zwischenstopp an wie bei ihrem Zug in den Süden. Im Mai erreichen sie schließlich ihr Zuhause in der Arktis, erschöpft und in Brutstimmung.

Die Küstenseeschwalbe ist der begnadetste Zugvogel von allen gefiederten Reisenden, aber sie ist nicht der einzige. Viele Vögel nisten in der Arktis, nur um dann im Winter südlichere Gefilde aufzusuchen. Zugbewegungen sind jedoch kein Spaziergang im Park – es ist ein kräftezehrender Marathon, der Energie frisst und die Tiere extremen Wetterbedingungen aussetzt. Viele sterben auf dem Weg und die Überlebenden müssen mit der harten Umwelt der Arktis zurechtkommen und stark genug sein, um hier zu Brüten.

Helikopter-Retter im Einsatz an schwer erreichbaren Orten
Der Nepalese Chhirring Dhenduk Bhote seilt sich von einem Hubschrauber ab, um verletzte Bergsteiger zu retten. Er hat bereits 21 Rettungsaktionen im Himalaya durchgeführt und seine Fähigkeiten erlauben es ihm, an Orte zu gelangen, an denen Hubschrauber nicht landen können. Er und sein hoffen darauf, ihre eigene Rettungsstation eröffnen zu können, damit sie Bergsteigern in noch größerem Umkreis helfen können.

Warum nimmt man so eine gewaltige Reise auf sich? Es muss einen triftigen Grund geben, der für das nördlichere Endziel spricht, um diesen Preis auf sich zu nehmen. Vorangegangene Studien haben zwei Antworten gefunden: Höhere Breitengrade bedeuten weniger Parasiten und mehr Stunden Tageslicht geben den Vögeln mehr Zeit, um das benötigte Futter zu fangen. Aber die Vögel könnten diese Vorteile auch nutzen, wenn sie weiter südlich in der subarktischen Zone bleiben und ihre Reise damit erheblich verkürzen würden. Außerdem könnten sie damit in milderem Klima brüten.

Laura McKinnon von der University of Quebec hat eine dritte Antwort gefunden, die vielleicht diesen letzten Schub in den Norden erklärt: Es ist sicherer. McKinnon untersuchte den Einfluss von, den gesamten Kontinent umfassenden Studie. Sie baute über 1.500 künstliche Nester an Brutplätzen in ganz Kanada auf, von den subarktischen Regionen am 53. Breitengrad bis zur Hocharktis bei 83 Grad.

Räuberisches Verhalten zu beobachten ist furchtbar schwierig. Elternvögel könnten die Gefahr durch gierige Räuber durch aggressive Verteidigung, das Verlassen auf ihre Tarnung oder das Brüten zu günstigen Zeiten beeinflussen. Diese Variablen würden normalerweise ein solches Experiment torpedieren, aber McKinnons künstliche Nester erlaubten es ihr, alle Eventualitäten zu beseitigen und sich nur auf Ort, Ort und Ort zu konzentrieren.

Sie fand heraus, dass die Brut nur einen einzigen Breitengrad höher schon das Risiko senkt, gefressen zu werden. In dem Experiment trennten 29 Grad die nördlichsten und südlichsten Nistplätze – das überträgt sich auf 65% weniger Risiko, Räubern zum Opfer zu fallen. Das wäre ein sehr gutes Argument für jeden Vogel, aber wiegt es tatsächlich den Energieverbrauch des Zuges auf?

Das ist eine Frage für eine andere Studie.

Quellen:

Egevang et al. 2010. Tracking of Arctic terns Sterna paradisaea reveals longest animal migration. PNAS http://dx.doi/10.1073/pnas.0909493107

Mckinnon et al. 2010. Lower Predation Risk for Migratory Birds at High Latitudes. Science http://dx.doi.org/10.1126/science.1183010

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