Bioplastik: Nachhaltige Zukunft oder Greenwashing-Lüge?

Die Nutzung von Biokunststoffen ist umstritten und das Verbraucherwissen lückenhaft.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 16. Nov. 2018, 17:40 MEZ
Besonders für Einwegprodukte wie Strohhalme und Besteck entwickeln sich Biokunststoffe zu einer beliebten Alternative.
Besonders für Einwegprodukte wie Strohhalme und Besteck entwickeln sich Biokunststoffe zu einer beliebten Alternative.
Foto von Rebecca Hale and Mark Thiessen, National Geographic

Bis heute hat die Menschheit mehr als 18 Billionen Tonnen Kunststoff produziert. Jedes Jahr landen etwa 8 Millionen Tonnen Plastik im Meer. Meerestiere verfangen sich darin oder verhungern qualvoll, weil sie zu viel Plastik fressen. Mikroplastik landet in Speisefischen, auf unseren Tellern, in unserem Tafelsalz und letztendlich auch in unserem Körper.

Immer mehr Studien befassen sich mit den schädlichen Auswirkungen von Plastik auf die Umwelt und ihre Organismen – Menschen eingeschlossen. Zunehmend sehen sich Verbraucher und Hersteller nach Alternativen um. Bioplastik spielt dabei eine große Rolle.

Auf den ersten Blick klingt der Name vielversprechend: Die Vorsilbe „Bio“ verheißt Umweltfreundlichkeit. Aber sind Biokunststoffe wirklich das Patentrezept für unsere Umweltprobleme?

Eine einfache, eindeutige Antwort darauf gibt es nicht, warnen Wissenschaftler, Hersteller und Umweltexperten.

Was ist Bioplastik?

Biokunststoffe oder Bioplastik sind Materialien, die auf Basis nachwachsender Rohstoffe hergestellt werden.

Sie können beispielsweise aus Polymilchsäuren (PLA) hergestellt werden, die aus Pflanzen wie Mais und Zuckerrohr gewonnen werden, oder aus Biopolymeren (Polyhydroxyalkanoate oder kurz PHA), die von Mikroorganismen erzeugt werden. PLA wird für gewöhnlich für Lebensmittelverpackungen verwendet, während PHA oft bei medizinischen Produkten wie Fäden und Gefäß-Patches Einsatz findet.

Da PLA oft aus denselben großen Industrieanlagen kommt, die auch Produkte wie Ethanol herstellen, ist es derzeit der preiswerteste Biokunststoff. Außerdem ist er am verbreitetsten und wird beispielsweise für Flaschen, Textilien und Besteck genutzt.

„Das Argument für [bio-basierte Kunststoffe] ist die Reduzierung der CO2-Bilanz“, sagt der Chemieingenieur Ramani Narayan von der Michigan State University, der Bioplastik erforscht.

Etwa acht Prozent des weltweit genutzten Erdöls wird zur Kunststoffproduktion verwendet. Verfechter von Bioplastik führen eine Verringerung dieser Nutzung oft als großen Vorteil an. Ihr Argument basiert auf der Annahme, dass Bioplastik bei der Zersetzung nur die Menge an CO2 abgibt, die vorher während des Wachstums der verwendeten Pflanzen aus der Luft gezogen wurde. Kunststoffe auf Erdölbasis setzen der Luft zusätzliches CO2 zu, das vorher tief unter der Erde gespeichert war.

Allerdings ist das nicht die ganze Geschichte. Im Jahr 2011 führte die University of Pittsburgh eine Studie zu Umweltproblemen durch, die mit dem Anbau von Pflanzen für die Bioplastikproduktion einhergehen. Zu den großen Problemfaktoren zählen: Verschmutzung durch Dünger und die Nutzung von Landflächen, die zuvor für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung standen.

Der weltweite Nahrungsmittelbedarf wächst zunehmend, weshalb die Verwendung von Maispflanzen zur Produktion von Kunststoffen statt Nahrung umstritten ist.

„Das andere Nutzenversprechen ist, dass pflanzliche Biomasse nachwächst“, sagt Narayan. „Die wächst überall auf der Welt. Erdöl konzentriert sich in bestimmten Regionen. Biokunststoffe begünstigen eine ländlich geprägte Wirtschaft.“

Bio-basiertes Plastik hat seine Vorteile, aber nur, wenn zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden, sagt die Umweltingenieurin und National Geographic Explorer Jenna Jambeck von der University of Georgia.

„Wo erfolgt der Anbau? Wie groß ist die Anbaufläche? Wie hoch ist der Wasserverbrauch?“

Ob Biokunststoffe letztlich besser für unsere Umwelt sind als Kunststoffe auf Erdölbasis, „ist eine große Frage mit vielen ‚Wenns‘“, sagt sie. Mit anderen Worten: Bislang gibt es darauf keine klare Antwort.

Wegwerfen – und dann?

Je nach Art des zur Herstellung verwendeten Polymers muss weggeworfenes Bioplastik entweder auf die Müllhalde, zum Recycling oder auf einen Industriekompost.

Ein privater Gartenkompost genügt nicht, um die nötige Hitze zu erzeugen, die es den Mikroben ermöglicht, das Plastik zu zersetzen. Ohne entsprechend hohe Temperaturen zersetzt sich Bioplastik nicht in einem sinnvollen Zeitraum. Wenn Biokunststoffe im Meer landen, verhalten sie sich ähnlich wie Kunststoffe auf Erdölbasis: Sie zersetzen sich in immer kleinere Teile, treiben jahrzehntelang im Wasser und stellen eine Gefahr für Meeresbewohner dar.

„Wenn PLA ins Meer gelangt, wird es sich dort nicht auflösen“, sagt Jambeck. „Es unterscheidet sich nicht großartig von synthetischen Polymeren. Es kann in einer industriellen Anlage kompostiert werden, aber wenn eine Stadt so was nicht hat, ist es nicht viel anders.“

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    Dune Ives, die Direktorin der gemeinnützigen Umweltorganisation Lonely Whale, sieht die Nutzung von Biokunststoffen kritisch. Ohne eine ausreichende Kompost-Infrastruktur und Verbraucherwissen könnten Bioplastikprodukte als ein bloßes Beispiel für Greenwashing enden. Der Begriff wurde von Umweltschützern geprägt und beschreibt die Irreführung von Konsumenten mit vermeintlich nachhaltigen Produkten.

    „Das Marketing sorgt dafür, dass wir beim Kauf dieser Produkte ein gutes Gefühl haben“, sagt sie. „Aber in Wahrheit bestehen die Systeme noch gar nicht, um diese Materialien zu verwerten.“

    Das Biodegradable Products Institute (BPI) ist eine gemeinnützige Organisation, die sich für die Nutzung von Biokunststoffen und eine bessere Infrastruktur für die Müllverwertung einsetzt. Sie sieht bislang ungenutztes Potenzial im Bereich der Industriekompostierung.

    „Kompostierung ist grundsätzlich eine lokale Angelegenheit“, sagt Rhodes Yepsen, der Leiter des BPI. „Es wird keinen Sinn machen, Nahrungsabfälle in ein anderes Land zu verschiffen. Sie vergammeln schnell und bestehen größtenteils aus Wasser.“

    Er verweist darauf, dass Recycling oft ineffizient ist und nur ein Fünftel des weltweit produzierten recycelbaren Materials verwertet wird.

    „Fünfzig Prozent unserer Abfälle sind biologisch abbaubar, Dinge wie Nahrung und Papier“, sagt Narayan, der auch als wissenschaftlicher Berater für das BPI tätig ist. Er hält Mülldeponien für den falschen Ansatz und empfiehlt, sie durch eine effektivere Müllsammlung zu ersetzen.

    „Mülldeponien sind Gräber. Wir konservieren unseren Müll. Das ergibt doch keinen Sinn“, sagt er.

    Ives hofft vor allem auf nachhaltige Alternativen ganz ohne Plastik. Im Vereinigten Königreich produziert ein Hersteller leichte Möbel aus Pilzen, während das Landwirtschaftsministerium der USA einen Film auf Milchbasis kreiert hat, der Lebensmittel frisch hält.

     „Es gibt keinen Mangel an unglaublichen Möglichkeiten für Alternativen, die sich im Meer auflösen und die unsere Anbauflächen und unser Lebensmittelproduktionssystem nicht überfordern", sagt Ives.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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