Für die Liebe mit dem Fahrrad von Indien nach Schweden

Von einer Prophezeiung inspiriert reiste PK Mahanandia über 6.400 Kilometer weit.

Von Simon Worrall
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:30 MEZ
Kumar Mahanandia mit seiner Frau
Pradyumna Kumar Mahanandia mit seiner Frau Lotta in ihrem Haus bei Boras in Schweden.
Foto von Stefan Volk, Laif, Redux

 

Pradyumna Kumar „PK“ Mahanandia wurde in einem abgelegenen Dorf der „Unberührbaren“ in Indien geboren – in der Region, die Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“ inspiriert hat. Als ein Mitglied der niedrigsten Kaste in Indien hatte er keine Hoffnung, jemals der Armut und Diskriminierung zu entkommen. Aber die zufällige Begegnung mit einer wohlhabenden schwedischen Frau – und die legendäre Fahrradreise, die er über mehrere Kontinente hinweg unternahm, um mit ihr zusammen zu sein – änderte sein Leben und erfüllte eine Prophezeiung, die ihm bei seiner Geburt gemacht wurde.

Kumars Saga wird von Per J. Anderson in dem Buch „Vom Inder, der mit dem Fahrrad bis nach Schweden fuhr...: Eine wahre Geschichte“ erzählt, und es gibt Gerüchte über eine Verfilmung von Hollywood mit Schauspieler Dev Patel. Als National Geographic mit Mahanandia in seinem Haus in Schweden per Telefon sprach, erzählte er, wie es war, in den 1970ern den Hippie trail entlangzureisen, ob sein Trip heute inmitten der Auswanderungs- und Flüchtlingskrise noch möglich wäre, und dass das Geheimnis einer glücklichen Ehe ist, sein Ego draußen zu parken.

Als Sie geboren wurden, hat der Astrologe des Dorfes eine Prophezeiung über Sie gemacht. Erzählen Sie uns, was sie besagt hat.

Auf meinem Ausweis steht 5. Dezember 1951, aber ich fand später heraus, dass ich eigentlich zwei Jahre nach der Unabhängigkeit geboren wurde, also 1949. In Indien ist es so üblich, dass die Eltern einen Astrologen einbestellen, wenn ein Neugeborenes das Licht der Welt erblickt hat. Laut der Prophezeiung würden meine Frau und ich keine arrangierte Ehe führen wie viele andere Leute in Indien. Man hat meinen Eltern auch gesagt, dass meine Frau aus einem weit entfernten Land kommen und im Sternzeichen Stier geboren sein wurde, dass sie die Besitzerin eines Dschungels oder Walds sei und eine Musikerin, die Flöte spielt. Ich habe fest an diese Prophezeiung geglaubt und weiß nun, dass alles auf dieser Welt vorausgeplant ist.

Rudyard Kipling wohnte in der Nähe Ihres Dorfes und die Mythen Ihres Volks inspirierten seinen Klassiker, „Das Dschungelbuch“. Erzählen Sie uns von Ihrer Kindheit. Sind Sie wie Mowgli aufgewachsen?

Wir sprechen das „Mongoli“ aus, was Sonnenaufgang bedeutet, aber im Englischen sagt man „Mowgli“. Das ist ein Name, den Sie in Bombay oder Delhi nicht finden werden. Aber es ist ein verbreiteter Stammesname. Mein Großvater hat mir erzählt, dass ein Mann namens Valentine Ball in den 1880ern mein Dorf besuchte und ein Buch namens „Jungle Life in India“ schrieb, das später als Inspiration für Rudyard Kipling diente. Die Gegend, in der ich aufwuchs, war die erste Dschungelverwaltung unter dem britischen Raj. Sie befindet sich in Zentral-Orissa und heißt jetzt Angul. Mein Dorf lag in der Nähe des Flusses Mahanandi. Dort wurde ich geboren, zwischen dem Fluss und den Bergen.

Mowgli war auch ein „Unberührbarer“, nicht wahr? Können Sie uns etwas über das Kastensystem erzählen und wie es Ihr Leben beeinflusst hat?

Das Kastensystem in Indien ist organisierter Rassismus. Zu Hause als Kind spürte ich davon nichts, aber als ich in die Schule kam, kam ich auch mit Hindus in Kontakt. Dort bekam ich das Gefühl, dass ich nicht wie sie war. Es ist wie in einem Hochhaus ohne Aufzug. Man wird auf einer Etage geboren und auf der stirbt man auch.

Mobbing ist heutzutage ein verbreitetes gesellschaftliches Problem, und als Unberührbarer wurden sie als Kind gemobbt. Können Sie über diese Erfahrung sprechen und wie sind Sie mit Mobbing umgegangen, als Sie Lehrer in Schweden wurden?

Mobbing war in der Gesellschaft unter den Maharajas akzeptiert. Aber als ich geboren wurde, im unabhängigen Indien, hätte mich das Gesetz eigentlich beschützen sollen. Aber es hat nicht funktioniert. Meine Grußmutter hatte noch im Klassenzimmer sitzen dürfen, während ich draußen sitzen musste. Ich dachte: „Mein Gott, unter den Briten ist es besser gewesen.“ Heutzutage kehren die Menschen zurück zu den Kasten-Gesinnungen, dem alten Rassismus. Ich kann den Indern nicht die Schuld geben. Sie sind herzliche Menschen. Es ist das System, das sie dazu bringt, sich so zu verhalten.

Als ich in Schweden Lehrer wurde, gab es nur einen sehr großen Jungen, der andere mobbte. Ich schrie ihn sehr laut in meiner Muttersprache an: „Knie nieder!“ Er hat mir später erzählt, dass er das Feuer in meinen Augen gesehen hat. Ich bin herumgehüpft und er hat solche Angst bekommen, dass er sich hingekniet hat. [Lacht] Der Junge ist jetzt erwachsen, aber ich sehe ihn manchmal und wir lachen über das Ganze.

Nachdem Sie Ihr Dorf verlassen hatten, wurden Sie ein Straßenkünstler in Delhi. Sie hatten viele berühmte Freunde wie die russischen Astronautin Valentina Tereshkova und die Premierministerin Indira Ghandi. Erzählen Sie uns etwas über diese Zeit.

Als ich geboren wurde, wurde vorhergesagt, dass ich mit Farben und Kunst arbeiten würde. Ich konnte gut zeichnen. Schließlich bekam ich ein Stipendium von Orissa für das College of Art, das von den Briten 1942 ins Leben gerufen wurde.

Es war nicht erlaubt, auf der Straße Bilder zu malen, also nahm mich die Polizei oft auf die Wache mit. Das war eigentlich richtig nett. Ich hab da geschlafen und sie haben mir zu essen gegeben. Ich war ein Vagabund, der zwischen Hoffnung und Verzweiflung existierte. Aber drei Jahre lang habe ich die Lektionen des Lebens gelernt. Nachdem ich all diese Menschen getroffen hatte, fing ich an, anders zu denken.

Valentina Tereshkova war von Indira Ghandi nach Indien eingeladen worden. Ich sah sie eines Tages auf der Straße, als man sie eskortierte. Irgendwie habe ich es geschafft, mich durch die Menschenmenge zu winden und stand ihr dann direkt gegenüber. Sie hat mich angelächelt und ich wurde von der Indo-Soviet-Gesellschaft in den Parliamentary Club eingeladen. Am Ende zeichnete ich zehn Porträts von Valentina und trat im Fernsehen auf. Über Nacht wurde ich in Delhi berühmt.

Die wichtigste Frau, die Sie als Straßenkünstler getroffen haben, war natürlich Ihre zukünftige Frau, Charlotte Von Schedvin. Beschreiben Sie uns den Moment, als Sie vor Ihnen auftauchte.

Ich erinnere mich ganz genau: Es war der 17. Dezember 1975. Eine Frau mit wundervollem, langem blonden Haar und blauen Augen trat an mich heran. Es war Abend. Als sie vor meiner Staffelei auftauchte, hatte ich das Gefühl, als hätte ich kein Gewicht. Worte sind nicht exakt genug, um so ein Gefühl zu beschreiben.

Ihre Augen waren so blau und groß und rund. Ich hatte Gefühl, dass sie mich nicht ansieht, sondern in mich hineinsieht, wie ein Röntgenapparat! Ich dachte, dass ich ihrer Schönheit gerecht werden musste. Aber beim ersten Mal hat es nicht geklappt. Ich war so nervös, dass meine Hand zitterte. Also sagte ich: „Wäre es möglich, dass du morgen wiederkommst?“ Am Ende kam sie dreimal wieder und ich habe drei Porträts gemalt. Jedes Mal habe ich sie um 10 Rupien gebeten, aber sie hat mir 20 gegeben. Ich sagte: „Nein! Du darfst mir nicht mehr geben, weil du so schön bist, und ich akzeptiere nie doppelte Zahlungen von einer schönen Frau wie dir. Nur von glatzköpfigen Männern.“ [Lacht]

BELIEBT

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    Mahatma Ghandi trifft sich 1926 mit den "Unberührbaren", Mitgliedern von Indiens niedrigster Kaste. Mahanandia und andere "Unberührbare" sind auch viele Jahre später noch immer von Diskriminierung betroffen.
    Photograph by Alamy

    Haben Sie an die Prophezeihung gedacht?

    Ja! Nach dem zweiten Mal hatte ich das Gefühl, dass sie die Richtige ist! Sie kam aus einem weit entfernten Land. Ich habe sie gefragt, ob sie im Sternzeichen Stier geboren wurde. „Ja“, hat sie gesagt. Dann fragte ich: „Bist du Besitzerin eines Dschungels?“ Sie sagte: „Ja, mir gehört ein Wald." „Spielst du Flöte?“ „Ja, ich liebe es, Flöte und Klavier zu spielen.“

    „Das wurde im Himmel beschlossen“, sagte ich in gebrochenem Englisch. „Es ist Schicksal, das wir einander begegnen.“ Ich wurde so nervös, dass sie es zuerst nicht verstand. Sie blickte in den Himmel, während sie meine Hand hielt, und sagte: „Was wurde im Himmel beschlossen?“ Ich sagte: „Das Schicksal hat vorausbestimmt, dass wir uns begegnen, und es sind noch mehr Dinge vorausbestimmt.“ „Woher willst du das wissen?“ „Wenn du mir nicht glaubst“, hab ich gesagt, „kann ich dir mein Horoskop zeigen. Du wirst meine Frau werden.“

    Wir haben Glück, dass Charlotte auch da ist. Also, Charlotte, erzählen Sie uns Ihre Version der Geschichte.

    [Lacht] Seit ich ein Kind war, wollte ich unbedingt mal nach Indien. Als ich etwa elf Jahre alt war, hatte ich einen Lehrer, der uns Schwarz-Weiß-Filme über Indien zeigte, wie „Elephant Boy“. Später arbeitete ich in London, wo ich mit vielen Indern und indischer Kultur in Kontakt kam. Ich bin zu einem Konzert von George Harrison und Ravi Shankar in der Albert Hall gegangen. Ich habe mir auch die Stammesaufführungen aus Orissa angesehen, PKs Staat, und war wie hypnotisiert.

    Spulen wir vor: Wir haben uns einen VW-Bus organisiert, vier Erwachsene und ein einjähriges Kind. Wir sind den ganzen Weg von Schweden bis nach Indien gefahren und haben in der Nähe des Connaught Place geparkt, wo PK seine Porträts malte. Es war dunkel, und ich sah einen kleinen, lockigen Jungen, der dort saß und Porträts malte. Mich hat es sofort dorthingezogen. Ich ging zu ihm und sagte „Kannst du mein Porträt malen?“ Von Beginn an war da ein sehr inniges und herzliches Gefühl, als ich ihn mit seinem Lockenkopf, seinem Lächeln und seinen weißen Zähnen sah. [Lacht]

    Sie sind dreimal wieder hingegangen und am dritten Tag sagt er plötzlich: “Du wirst meine Frau werden.“ Sie müssen gedacht haben, er ist verrückt!

    [Lacht] Ich hab ihn ein bisschen beruhigt. Ich habe nicht gesagt, dass wir heiraten würden. Ich sagte, wir gehen sein Heimatdorf besuchen. Ich bin meinem Herzen gefolgt. Dort habe ich seinen Vater, seine Brüder und seine Schwester getroffen. Ich mochte sie und sie mochten mich. Es war wie nach Hause zu kommen. Falls Sie an Reinkarnation glauben, ich hatte – und habe – das starke Gefühl, dass ich schon mal in Indien gelebt habe.

    Wir hielten eine Stammeszeremonie ab. Sein älterer Bruder ist in sein Puja-Zimmer gegangen und hat dort eine Weile meditiert. Dann kam er mit einem breiten Lächeln wieder heraus und sagte: „Ja, das ist die Frau, die du heiraten wirst. Folge ihren Fußspuren.“

    Mahanandia ist an einem Fluss im Staat Orissa in Indien aufgewachsen. In der Hauptstadt Bhubaneswar sieht man einen Tempel in der Vegetation.
    Foto von <p> The Print Collector, Print Collector, Getty Images</p><p>&nbsp;</p>

    PK, der Weg, den Sie von Indien nach Schweden genommen haben, heißt auch Hippie trail. Sie hatten 80 Dollar und ein paar Hundert Rupien. Was waren einige der Hindernisse, die Sie überwinden mussten?

    Wir waren für zwei bis drei Wochen zusammen und dann ist sie gegangen. Wir haben uns anderthalb Jahre nicht gesehen. Wir haben uns Briefe geschrieben, aber schließlich dachte ich, es sei Zeit, den ersten Schritt zu tun. Also habe ich alles, was ich besaß, verkauft und habe ein Fahrrad gekauft.

    Ich bin aber nicht nur mit dem Rad gefahren. Ich bin auch auf Lastwägen mitgefahren. Ich hatte einen Schlafsack und habe unter den Sternen geschlafen. Manchmal haben mich Leute zu sich eingeladen und mir Essen gegeben, wenn ich für sie gezeichnet habe. Ich habe die 80 Dollar in meinem Gürtel versteckt und nie angerührt. Auf dem Weg habe ich Briefe von Charlotte bekommen, in Knadahar, Kabul und Istanbul. Das hat mich ermutigt.

    Ich hatte auch eine Menge Hippiefreunde, die mir zu essen gegeben, mich unterrichtet und mir den Weg gewiesen haben. Ich war nicht allein. Ich habe nicht eine einzige Person getroffen, die ich nicht mochte. Das war eine andere Zeit, eine andere Welt voller Liebe und Frieden und, natürlich, Freiheit. Das größte Hindernis waren meine eigenen Gedanken, meine Zweifel.

    Mittlerweile gibt es eine Migrationswelle aus ärmeren Ländern nach Europa. Denken Sie, dass Ihre Reise heutzutage noch möglich wäre?

    Ja. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Alles ist möglich! Es kommt darauf an, welche Einstellung man hat. Heutzutage wäre es definitiv schwerer. Aber immer noch möglich. Angst und Zweifel sind unsere schlimmsten Feinde. Sie machen das Leben schwer.

    Sie sind seit mehr als 40 Jahren glücklich mit Charlotte verheiratet. Teilen Sie Ihr Geheimnis einer glücklichen Ehe mit uns.

    Ich habe ein Geheimnis. Es gibt kein Geheimnis! [Lacht] Die Ehe ist nicht nur eine physische Einheit, sondern auch eine spirituelle. Wenn man das erkennt, kann man wie Wellen im Wasser wachsen.

    Wenn ich das Haus betrete, parke ich mein Ego draußen. Das Ego ist mit dem Geist verbunden. Ich nenne meinen menschlichen Geist einen verrückten Affen. Aber wenn man sein Ego draußen lässt, ist drinnen im Haus nur Offenheit.

    Dieses Interview wurde zugunsten der Länge und Deutlichkeit editiert.

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