Bikepacking Trans Germany

Eine Fahrradroute quer durch Deutschland. Über 1.600 Kilometer, der Großteil davon auf unbefestigten Wegen, schlängelt sie sich von Basel nach Rügen.

Von Lukas Winkelmann, Sven Garbe
Veröffentlicht am 9. Mai 2018, 11:22 MESZ

Lukas und ich wuchten die voll beladenen Räder aus dem Zug, eine Hand am Lenker, eine am Rahmen. Auch wenn wir nur das Nötigste dabeihaben, Leichtgewichte sind sie trotzdem nicht mehr. Fast wirkt es exotisch, diese fremde Sprache um uns herum; unsere Euros nutzlos – ein Abenteuer im Ausland.

Na gut, ich verstehe Schwitzerdütsch zwar nicht wirklich besser als Arabisch, aber wenn wir ehrlich sind, gibt es wildere Orte als Basel, den Startpunkt unserer Tour. Hier beginnt die „Bikepacking Trans Germany“. Eine Langstreckenroute durch Deutschland, abseits der befestigten Wege. Zweieinhalb Wochen sind eingeplant für das Land, von dem viele Deutsche denken, es eigentlich zu kennen.

Wir haben beide weder das nötige Kleingeld, um mal eben nach Südamerika zu fliegen, noch die Zeit und den notwendigen Vorlauf für eine solche Tour. Die Trans Germany ist also perfekt. Das Zugticket kostete ein paar Euro, der organisatorische Aufwand hielt sich in Grenzen und falls etwas schiefgehen sollte, sind wir heute Abend wieder zuhause.

So schwingen wir uns auf die Sättel, schlängeln uns durch den Baseler Stadtverkehr, dann weiter entlang des Rheins, Richtung Lörrach, der nächsten und ersten deutschen Stadt.

Relativ unspektakulär strampeln wir 80 Kilometer durch die Ebene, bevor wir den Abend mit einem ersten Anstieg beenden. Unter dem Wellblechdach eines Holzarbeiterschuppens finden wir uns am nächsten Morgen in den südlichen Ausläufern des Schwarzwaldes wieder.

Während wir am Vortag noch auf asphaltierten Radwegen von Dorf zu Dorf unterwegs waren, fahren wir jetzt auf Forstwegen, teils in steilen, nebelverhangenen Hängen. Hin und wieder können wir zwischen den Bäumen einen Blick auf die verschneiten Alpen am südlichen Horizont erhaschen.

Nebelverhangene Schwarzwaldhänge erstrecken sich am ersten Morgen nördlich der Alpen.
Foto von Lukas Winkelmann und Sven Garbe

Zwischen Bärlauchfeldern, Kiefern und Lichtungen kurven wir am Rande des Schwarzwaldes entlang. Die Steigungen sind teilweise heftig, aber nur der Vorgeschmack für die Schwäbische Alb.

Mittlerweile sind wir am dritten Tag angelangt. Das Wetter ist kalt und grau, wir sind völlig demotiviert, eine Nacht im Freien zu verbringen. Doch plötzlich, hinter einer Kurve, entdeckten wir ein altes Gemäuer – die Burgruine Greifenstein.

Während wir die Alb sehr gut kennen, hatte es uns doch während meiner Zeit in Stuttgart immer wieder hierher verschlagen, haben wir vorher noch nie etwas von diesem beeindruckenden Ort gehört. Direkt an der felsigen Kante oberhalb Lichtensteins, zwischen den Überbleibseln der alten Burgmauer, machen wir es uns am Lagerfeuer gemütlich. Es gibt Essen aus der Tüte und Chips zum Nachtisch.

Die folgende Etappe entlang des Albtraufes ist für uns beide etwas ganz Besonderes. Immer wieder erkennen wir Wege, die wir bereits auf bisherigen Ausflügen entdeckt hatten. Aber leider nicht nur deswegen: Die vielen Höhenmeter, gepaart mit einem unablässigen Gegenwind, kosten sehr viel Kraft und Motivation. Wir kommen einfach nicht so voran wie geplant und fragen uns langsam, ob wir es zeitlich überhaupt rechtzeitig nach Rügen schaffen, wenn es so weitergeht.

Nach vier kräftezehrenden Tagen sind wir dann endlich in Aalen angelangt, die Alb ist bezwungen! Plötzlich geht es dann ganz schnell. In Mittelfranken stoßen wir auf eine verglaste Wetterschutzhütte, die uns einem 5-Sterne-Hotel gleichkommt, in Erlangens Altstadt schlagen wir uns den Bauch mit Pizza und Panna Cotta voll und rasen dann durch die Täler der fränkischen Schweiz.

BELIEBT

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    Verschnaufpause – einen Ständer haben unsere Räder nicht.
    Foto von Lukas Winkelmann und Sven Garbe

    Am 6. Tag, nach 14 Stunden im Sattel, kurz vor Bayreuth, erreichen wir im Schein unserer Stirnlampen die Pension, in der wir uns unseren einzigen, aber bitter notwendigen Pausentag eingeplant hatten.

    Völlig erschöpft sind wir zu nichts Weiterem imstande, als den ganzen Folgetag im Bett zu liegen und fernzusehen, nur unterbrochen von einem kurzen Ausflug per Anhalter zum nächsten Supermarkt, um uns mit Süßigkeiten einzudecken. Die Räder lassen wir heute stehen.

    Tags drauf setzen wir unsere Reise gestärkt und erholt fort. Nördlich von Bayreuth kreuzen wir eine asphaltierte Straße, die ich sofort wiedererkenne. Zwei Monate vorher quälte ich mich hier einen zähen Aufstieg hinauf, als ich zwischen verschneiten Wäldern von Bonn nach Wien geradelt bin. Dieser ungeplante und überraschende Wegpunkt markiert gleichzeitig Neuland.

    Wir erreichen das Fichtelgebirge, eine Ecke Deutschlands, die wir beide noch gar nicht kennen. Die Vegetation hat sich auffallend verändert und die Hügel und Täler wirken sanfter und weitläufiger als das steile Terrain der Schwäbischen Alb. Weit weg von größeren Städten geht es mal über alte Steinbrücken, mal entlang kleiner Kanäle, einfach idyllisch!

    Im Fichtelgebirge sind wir, ziemlich allein, auf fast romantischen Wegen unterwegs.
    Foto von Lukas Winkelmann und Sven Garbe

    Fließend geht es über ins Vogtland. Das Wetter ist traumhaft, die Sonne scheint, für Anfang April ist es ziemlich warm.

    Doch je höher wir kommen, desto mehr merkt man, dass der Winter noch nicht lange her ist. Unsere Route ist immer häufiger von Schnee bedeckt. So quälen wir uns teilweise in Schrittgeschwindigkeit im Sattel, teilweise zu Fuß, die Räder schiebend entlang der Nadelbäume. Die Radwegschilder an den Bäumen entlang des Weges wirken fast ironisch.

    Nach einer gefühlten Ewigkeit müssen wir uns eingestehen, dass es keinen Sinn hat, der eigentlichen Route zu folgen, und weichen auf parallele Asphaltstraßen aus. Der Schnee am Straßenrand wird immer höher, aber wenigstens wir haben freie Fahrt und erreichen den Gipfel des Fichtelbergs kurz vor Sonnenuntergang.

    1.214 Meter – der höchste Berg Sachsens und auch der höchste Punkt unserer Tour. Die tiefstehende Sonne zieht lange Schatten über die verschneiten Wälder vor uns, ein prächtiger Anblick. Wir genießen den Ausblick ein paar Minuten, dann wird uns schnell klar, dass der hübsch aussehende Schnee natürlich auch wieder auf unserer Route liegt. Schlitternd und rutschend kämpfen wir uns den Berg hinunter zur nächsten geräumten Straße, welche uns dann direkt zu unseren nächsten Gastgebern führt – einem Ehepaar, das wir auf Warmshowers, einer Website wie Couchsurfing speziell für Radfahrer, entdeckt haben. Im Dunkeln, viel später als erwartet, werden wir mit einer großen Portion Nudeln und zwei gemütlichen Gästebetten erwartet. Es ist einer dieser Momente der Gastfreundschaft, die Radtouren wie diese so besonders machen.

    In einer der vielen Wetterschutzhütten genießen wir unser Abendessen vom Spirituskocher.
    Foto von Lukas Winkelmann und Sven Garbe

    Nun geht es zügig durch Sachsen, bei Königstein überqueren wir die Elbe und radeln zwischen den bizarren Sandsteinstrukturen der Sächsischen Schweiz entlang. In der Oberlausitz stehen wir, wie so oft, etwas ratlos am Wegesrand und überlegen, wo wir die nächste Nacht verbringen, als uns ein junger Vater anspricht, der gerade in dem Grundstück neben uns mit Gartenarbeit zugange ist. Ein paar nette Worte hin und her, schon werden wir eingeladen, dort zu zelten. Die für diesen Abend geplante Gartenparty lassen wir uns natürlich nicht entgehen und so feiern wir mit unseren Gastgebern und dessen Freunden gemütlich mit Würstchen, Salat und ein paar Bier! Die Party ist noch lange nicht zu Ende, aber da wir am nächsten Morgen früh raus müssen, ziehen wir uns unters Tarp zurück, während unsere Gastgeber noch fröhlich weiterfeiern.

    Sonnenaufgang, außer uns ist der Garten leer. Wir packen unsere sieben Sachen und machen uns auf den Weg. Den letzten Aufstieg bezwungen, genießen wir die abschließende Abfahrt und strampeln Richtung Niederlausitz, vorbei an dem beachtlichen Tagebau Jänschwalde. Immer öfter stoßen wir auf Überbleibsel des zweiten Weltkrieges sowie der DDR – die gesprengten Brücken der Rosenstadt Forst oder Grenzpfähle militärischer Anlagen. In der Niederlausitz angekommen, zeigt das GPS-Gerät dann eine Schleife in der Route direkt vor uns an.

    „Sollen wir abkürzen?“

    „Hmm, wer weiß, was uns erwartet.“

    Einer der grasbewachsenen Hangars steht völlig verlassen im Wald.
    Foto von Lukas Winkelmann und Sven Garbe

    Und plötzlich entdecken wir ein unerwartetes Highlight: Mitten im Wald liegen die Überreste eines alten Militärflughafens. Mehrere Hangars, versteckt in Hügeln, verbunden mit riesigen Betonplatten. Überwältigend, so etwas haben wir noch nie gesehen! Inmitten der weitläufigen Anlage sind wir komplett allein, nicht ein einziger Mensch. Doch gleichzeitig sprüht um uns herum das Leben. Vögel singen in den verschiedensten Stimmen und sogar die Hirsche röhren – eine unglaubliche Atmosphäre.

    Laut Höhenprofil haben wir nun alle signifikanten Höhenunterschiede hinter uns gelassen, jetzt sollte es also alles etwas flotter gehen, nicht wahr? Schnell werden wir eines Besseren belehrt – zwar finden wir keine Hügel und Berge mehr, aber je weiter wir in den Nordosten vorstoßen, desto öfter finden wir uns auf Sandpisten wieder, die unsere Reifen zu verschlingen scheinen. Zwischen Heidepflanzen müssen wir uns jeden Meter hart erkämpfen. Immer wieder wird der Sand abgelöst von groben Pflastersteinstraßen mitten im Wald, wie wir sie im Rest von Deutschland noch nicht vorgefunden haben. So geht es immer weiter Richtung Ostsee. Im Spreewald rasen wir asphaltierte Radwege entlang und scheuchen Wildschweine im Müritz-Nationalpark auf. In Stralsund übernachten wir bei Laura, einer Studentin, die wir wieder auf Warmshowers gefunden haben, und stärken uns für den Endspurt.

    Am letzten Tag kommt dann – schon lange überfällig – das schlechte Wetter. Der Nieselregen ist uns aber egal, wir können die weißen Klippen von Rügen schon fast sehen und geben nochmal alles. Eine kurze Pause beim Bäcker ist noch drin, Berliner und Kakao zwischendurch muss sein, dann nehmen wir die Wittower Fähre und bezwingen die letzten Kilometer.

    Nach 16 Tagen erreichen wir unser Ziel – den Leuchtturm am Kap Arkona, der nordöstlichste Punkt Deutschlands. Wir sind erstmal völlig platt und es fühlt sich seltsam an. Die letzten zweieinhalb Wochen ging es jeden Tag darum, möglichst viele Kilometer zu schaffen – und auf einmal hört der Weg vor uns auf, stattdessen schauen wir Richtung Meer.

    Am Ziel angekommen, vertreten wir uns erschöpft aber glücklich die Beine am Ostseestrand.
    Foto von Lukas Winkelmann und Sven Garbe

    Erst auf dem Weg zum Hotel kommt die Euphorie und wir begreifen langsam, was hinter uns liegt: über 1.600 Streckenkilometer mit knapp 20.000 Höhenmetern. Quer durch Deutschland, mit dem Fahrrad. Wir haben unsere Heimat noch mal ganz neu entdecken dürfen. Orte, mit denen niemand rechnen würde, und Menschen, die uns einluden, als wären wir nie Fremde gewesen. Und das alles, obwohl wir nie weit weg waren.

    Lukas (21) und Sven (23) haben sich in Stuttgart kennengelernt, während dem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik. Schnell sind sie darauf gekommen, ihre beiden gemeinsamen Hobbys Film/Fotografie und Radsport zu kombinieren. Während Lukas seinen Bachelor fast abgeschlossen hat und sich auch in Zukunft dem Raketenbau widmen wird, hat Sven Stuttgart verlassen und macht nun eine Ausbildung zum Linienpiloten.
    Foto von Lukas Winkelmann und Sven Garbe

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