Allein unter wilden Tieren
Großkatzen, Elefanten und Nashörner in ihrem Lebensraum zu beobachten ist ein unvergleichliches Ereignis. Und muss nicht einmal teuer sein. Eine Safari auf eigene Faust durch Südafrika.
Eine Safari könnten sich nur wohlhabende Menschen leisten, hatte ich geglaubt. Ich verband solche Reisen mit Luxus-Lodges, Himmelbetten und großen Geländewagen, in denen einheimische Fahrer ihre Gäste durch die Savanne chauffieren. Alles jenseits meines Budgets. Die scheinbar einzige bezahlbare Möglichkeit, die Big Five zu sehen, war zugleich mein größter Albtraum: eingepfercht zu sein in einem Minibus mit lauter „Abenteuertouristen“ in Outdoorkleidung. Ich hatte mich schon damit abgefunden, Nashorn und Löwe nur im Zoo zu sehen.
Dann gab eine Freundin mir den entscheidenden Tipp. „Glaubst du denn, dass normale Südafrikaner Hunderte Euro pro Tag ausgeben, um einen Elefanten zu sehen?“ Sie musste es wissen: Sie ist mit einem Südafrikaner verheiratet und lebt seit Jahren in Kapstadt. „Wenn du wirklich auf Safari gehen willst, mach es wie die Einheimischen“, riet sie mir. „Miete dir ein billiges Auto und fahre selbst. Für den Preis einer eintägigen Luxus-Safari kannst du eine Woche lang wilde Tiere beobachten.“
Plötzlich tat sich die neue Möglichkeit auf: Ich würde Südafrika auf eigene Faust erkunden. Es war Herbst auf der Südhalbkugel, als ich in Durban landete, der größten Stadt in der östlichen Provinz KwaZulu-Natal. Im günstigsten Mietwagen, den ich finden konnte machte ich mich zu meinem ersten Ziel auf: dem Hluhluwe-iMfolozi-Park nördlich von Durban. Dort könne man gut Nashörner beobachten, hatte meine Freundin mir geraten. Anschließend wollte ich den Kruger-Nationalpark besuchen, mit knapp 20 000 Quadratkilometern fast so groß wie Sachsen-Anhalt und Lebensraum für alle Big Five: afrikanischer Elefant, Löwe, Leopard, schwarzes Nashorn und Kapbüffel.
Da ich zum ersten Mal in Südafrika war, hielt ich mich an die Ratschläge, die Einheimische mir mit auf den Weg gaben. Vor allem solle ich nicht nachts fahren, hieß es, zu gefährlich wegen des Wildwechsels und der Kriminalität. Eine Safari auf eigene Faust sei kein Problem, ich solle nur meinem gesunden Menschenverstand folgen. Und tatsächlich: Das Schlimmste, das mir passierte, war eine Beule am Kopf, nachdem ich zu schnell über eine Bodenwelle gefahren war.
Auf dem Weg von Durban in Richtung Norden zogen ständig wechselnden Landschaften wie im Film an mir vorbei, von den Zuckerrohrfeldern bis zur Savanne. Nach einer halben Tagesreise sah ich mein erstes Wildtier. Es war in der Nähe des Ortes Mkuze, wo das Ghost Mountain Inn über einen riesigen Garten verfügt, der direkt an den Jozini-See grenzt. Eine Gruppe Vervet-Meerkatzen huschte über die Wiese, während die Farben des Sonnenuntergangs ineinander verschmolzen: purpurrote Streifen und ein dunkelblauer Himmel wie im kitschigsten aller Gemälde. Dann sah ich den Steg – perfekt, um die Spiegelung des Farbenspiels zu genießen. In diesem Moment auch das Schild: „Vorsicht, Krokodile!“
Mit geschärften Sinnen achtete ich auf jede Bewegung des Wassers, jedes Rascheln im Gras. Plötzlich, ohne Warnung, tauchte unter lautem Prusten das Nilpferd auf, gerade mal 20 Meter von mir entfernt. Mit aufgerissenem Maul schaute es mich an; seine riesigen Zähne ließen keinen Zweifel daran, dass Nilpferde als gefährlichste Tiere Afrikas gelten. Meine Knie zitterten.
„Was soll ich tun, wenn ich auf einen Elefanten treffe?“, fragte ich am nächsten Tag die Safariführerin Jean aus Botswana, die seit mehr als 20 Jahren nahe dem Hluhluwe-iMfolozi-Park lebt. „Am besten weichst du langsam zurück“, erklärte sie mir. „Und Nashörner?“ Jean schaute mich verschwörerisch an und trat an mich heran, als wollte sie mir ein Geheimnis anvertrauen: „Diese Tiere sind fast blind, also eigentlich kein Problem. Park nur dein Auto nicht auf einem Kothaufen. Nashörner haben einen sehr guten Geruchssinn. Sie könnten dich für einen Artgenossen halten und sich bedroht fühlen. Glaub mir: Einen Nashornangriff willst du nicht erleben.“
Der Hluhluwe-iMfolozi-Park gehört zu den ehemaligen Jagdgründen der Zulu-Könige und ist das älteste Wildreservat Südafrikas. Schroffe grüne Hügel wechseln sich mit weiten Savannen ab. Außer einigen mehrstöckige Safaritrucks begegnete ich nur Autos der Ranger. Sie gehen gegen Wilderer vor, die Tiere auch in Nationalparks jagen. Mehr als 200 Nashörner wurden allein im vergangenen Jahr in der Provinz KwaZulu-Natal illegal getötet. Doch die Arbeit der Wildhüter zahlt sich aus: Vor einiger Zeit gab es im Hluhluwe- iMfolozi-Park nicht mehr als 25 Nashörner, heute sind es 1800.
Ich beobachtete Dutzende Tiere in freier Wildbahn: Antilopen und Gnus, Warzenschweine und Paviane. Und die Big Five? Auf dem Weg zum Hilltop Camp versperrte mir zu meiner Freude eine stattliche Herde von Kapbüffeln den Weg. Träg nahmen die mächtigen Rinder mit den gebogenen Hörnern die ganze Straße für sich ein. „Rückzug und Anpassung“ wurde zu meinem Safari-Motto. Und schließlich wurde auch mein Traum wahr: Auf einer Lichtung erspähte ich zwei schwarze Nashörner. Ich blieb stehen und freute mich wie ein kleines Kind.
Durch das bergige Königreich Swasiland nahm ich die kürzeste Route zum Kruger-Nationalpark. Tagesbesucher dieses großartigen Schutzgebiets sollten früh aufstehen und bereits um sechs Uhr am Eingang sein. Um diese Zeit sind die Tiere längst munter und auf der Suche nach ihrem Frühstück. Während meiner Reise wurde das südliche Afrika gerade von einer Dürre heim- gesucht. Für mich war das Glück im Unglück, denn so konnte ich eine Vielzahl sonst recht scheuer Tiere beobachten. Elefanten und Giraffen wanderten zwischen Schirmakazien umher, Wildhunde suchten Schattenplätze unter Marula-Bäumen, und ein Leopard schaute verstohlen vom anderen Flussufer zu mir herüber. Die Nilpferde badeten ausgiebig, während sich riesige Krokodile auf Felsen sonnten.
Dann erreichte ich den Fluss Sabie. Ein Paar beobachtete konzentriert etwas durch sein Fernglas. „Ein Löwe“, sagte der Mann. „Wollen Sie mal sehen?“ Ich griff nach dem Feldstecher – und dort stand er wirklich, nicht weit weg von uns am Flussufer. Ich bewunderte gerade seine Rockstar-Mähne, als er auf einmal aufmerksam wurde. Er hatte die Eindringlinge in seinem Reich bemerkt.
„Steig am besten rasch ins Auto“, riet der nette Südafrikaner. Ich sank auf den Fahrersitz, mein Herz klopfte schnell vor Aufregung und Glück. Ein Löwe in freier Wildbahn! In diesem Moment fühlte ich mich wie ein Millionär.
Dieser Text wurde gekürzt und bearbeitet. Lesen Sie den gesamten Artikel in der Ausgabe 3/2018 des National Geographic Travelers. Jetzt ein Magazin-Abo abschließen!