Wie Segler der Forschung helfen

Eine Expedition mit einem Forschungsschiff ist teuer. Deshalb setzen Wissenschaftler auf die Hilfe von Seglern, die überall auf den Weltmeeren unterwegs sind.

Von Kathrin Fromm
Veröffentlicht am 29. Juli 2019, 11:32 MESZ
Rennjacht "Malizia"
Mit seiner Rennjacht "Malizia" hilft der Segler Boris Herrmann bei der Erforschung des Klimawandels.
Foto von Jean Marie LIOT

Auf der Rennjacht „Malizia“ von Boris Herrmann steht eine Box, die nichts mit dem Segelsport zu tun hat. Auf etwa einem Kubikmeter sind darin Sensoren und Messgeräte untergebracht. Ein Schlauch führt durch eine Öffnung am Kiel ins Wasser und pumpt Meerwasser durch. Die Geräte bestimmen die Temperatur, den PH-Wert, den Salz- und den CO2-Gehalt. Überall, wo der Skipper aus Hamburg hinfährt, sammelt er so Daten für die Wissenschaft.

Seit die Box vor rund einem Jahr in Kiel eingebaut wurde, war Herrmann in Guadeloupe und auf den Azoren. Dieses Jahr will er insgesamt vier Mal den Atlantik überqueren. Eigentlich sind die Fahrten aber nur Training für das nächste große Ziel: die Vendée Globe, eine Non-Stop-Regatta für Solo-Segler einmal um die Welt. Im November 2020 will Herrmann dabei als erster Deutscher überhaupt starten. Mehr als zwei Monate wird er allein unterwegs sein. Von Frankreich aus segeln die Boote am Kap der Guten Hoffnung in Südafrika vorbei, passieren Australien und kehren über das Kap Hoorn, den südlichsten Punkt Südamerikas, wieder zurück nach Frankreich: Mehr als 24.000 Seemeilen, 43.000 Kilometer, werden sie zurücklegen.

Der Segler Boris Herrmann.
Foto von Andreas Lindlahr

Diese Route ist für die Wissenschaft besonders interessant. „Gerade im Südozean westlich von Chile sind sonst kaum Boote unterwegs. Deshalb haben wir von dort auch kaum Daten“, sagt der Meereschemiker Toste Tanhua vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Er hat den Einbau der Box in das Boot von Boris Herrmann wissenschaftlich begleitet.

Seit mehr als zehn Jahren setzen Wissenschaftler auf die Mithilfe von Regattabooten. Damals waren die Geräte allerdings noch Prototypen. Heute sind die Sensoren kleiner, leichter und genauer. „Ein Forschungsschiff kostet etwa 50.000 Euro pro Tag. Das ist zu teuer, um damit ständig alle Winkel der Erde abzufahren. Deshalb sind wir auf Hilfe anderer Schiffen angewiesen“, erklärt Tanhua. Das Projekt „Sailing and Science” ist Teil des Global Ocean Observing System, das von der UN unterstützt wird. Auch die Besatzungen von Containerriesen helfen mit, aber die sind eben vor allem auf den Hauptrouten zwischen Amerika, Europa und Asien unterwegs.

Die Boote und Schiffe dokumentieren zum Beispiel aktuelle Wetterdaten oder helfen – wie die Geräte auf Boris Herrmanns Jacht – den Kohlendioxidgehalt des Wassers zu bestimmen. Ein Drittel bis ein Viertel des Kohlendioxids, das jedes Jahr auf der Welt ausgestoßen wird, nehmen die Ozeane auf und sind damit ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den Klimawandel. „Um zu verstehen, welchen Beitrag die Ozeane genau leisten und was das mit ihnen macht, brauchen wir möglichst viele Messdaten. Jedes Schiff zählt“, sagt Tanhua. Unter anderem soll es um die Fragen gehen, warum sich der CO2-Gehalt des Wassers sich an verschiedenen Stellen unterscheidet. Auch die Meeresgesundheit wollen die Forscher in den Blick nehmen. Denn es ist zwar gut für die Atmosphäre, wenn die Ozeane CO2 aufnehmen, aber dadurch versauert das Wasser, und das ist zum Beispiel schlecht für Korallen.

BELIEBT

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    Die Box mit den Sensoren an Bord der Jacht.
    Foto von Team Malizia

    Viel tun müssen die Skipper bei der CO2-Messung nicht. Ist die Box erst einmal an Bord, laufen die Messungen automatisch. Wenn Herrmann einen Hafen anläuft, steckt er einen USB-Stick in das Gerät und transferiert die Daten darauf. Diese gehen dann zu Peter Landschützer am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, der die Daten auswertet und in eine internationale Datenbank einpflegt. Das sei ein wichtiger Schritt, betont Tanhua: „Daten müssen veröffentlicht und verknüpft werden. Nur dann werden daraus Informationen.“ 

    Eine Hürde für die Segler ist eher das Gewicht. Etwa 30 Kilo wiegt die Box. Außerdem verbrauchen die Sensoren und Geräte Strom, und der ist eine wichtige Ressource auf den Rennbooten. Herrmann setzt bei seiner Jacht komplett auf erneuerbare Energien, vor allem auf Solarstrom: „Da muss man genau haushalten.“ Ein weiterer Punkt sind die Anschaffungskosten von rund 60.000 Euro. Der Skipper hat dafür Sponsoren gesucht. Eine andere Möglichkeit wären vielleicht Forschungsgelder.

    Für ein anderes Projekt, das der Forscher und Segler Toste Tanhua angestoßen hat, war mehr Einsatz erforderlich. Beim letzten Volvo Ocean Race – ebenfalls eine Segelregatta um die Welt, allerdings in Teams – hat er vor eineinhalb Jahren zwei Boote nicht nur mit CO2-Sensoren, sondern zusätzlich mit Edelstahlfiltern ausgestattet. Damit wurde Mikroplastik aus dem Wasser gefischt. Die Tüten mit den Plastikteilchen kamen zu ihm nach Kiel ins Labor, der Inhalt wurde ausgewertet. „Anders als bei der CO2-Messung mussten die Segler dabei Hand anlegen und die Filter wechseln. Das geht natürlich nur mit einer Mannschaft an Bord, nicht aber, wenn man allein unterwegs ist“, sagt Tanhua.

    Der Meereschemiker hofft, dass es in Zukunft zu noch mehr solcher Kooperationen kommt. Die Frage sei immer, was sich umsetzen und finanzieren lasse. Aktuell arbeitet er mit den Eignern von rund zehn Segelbooten zusammen, die ab und zu für ihn messen. „Das ist mehr so eine lose formierte Gruppe. Wir brauchen mehr Struktur“, sagt Tanhua. Dafür setzt sich auch Boris Herrmann ein, der mit seinem Team „Malizia“ beim nächsten Ocean Race, das im Herbst 2021 beginnt, an den Start gehen wird. Bis dahin will er bei seinen Segelkollegen Lobbyarbeit leisten. „Vielleicht können solche Messgeräte sogar verpflichtend Teil des Rennreglements werden“, sagt der Skipper. „Der Klimawandel ist ein wichtiges Thema. Es ist doch gut, wenn wir neben unserem Sport einen Beitrag für die Forschung leisten können.“

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