Kann man Regenwald retten, indem man ihn kauft?
Ein Euro schützt einen Quadratmeter: Die Organisation Wilderness International will so ursprüngliche Natur in Peru und Kanada erhalten. Wie funktioniert das?

Ein Quadratmeter Regenwald bedeutet viel Lebensraum in der Höhe.
Die Theorie klingt simpel: Ein Euro Spende schützt einen Quadratmeter Regenwald. Hinter der Formel steckt die Organisation Wilderness International. Seit 2008 kauft die deutsche Stiftung mit Spendengeldern Grundstücke in den Regenwäldern von Peru und Kanada. Mit dem Erwerb von Land will sie noch intakte, akut bedrohte Lebensräume schützen.
Intakten Wald kaufen statt kaputtes Land aufforsten
Während sich andere Projekte der Aufforstung von verloren gegangenen Ökosystemen verschrieben haben, schützt Wilderness International bestehende Wälder – bevor es zu spät ist. „Selbst, wenn Bäume wieder gepflanzt werden oder nachwachsen, werden sich die biologische Vielfalt und die damit verbundenen Ökosystemleistungen der Wälder möglicherweise nie wieder vollständig erholen“, sagt Kai Andersch, Forstwissenschaftler und Vorstandsvorsitzender bei Wilderness International. Deshalb müsse man dort handeln, wo es noch nicht zu spät ist – und für den Schutz brauche es verhältnismäßig wenig monetäre Mittel, rechnet man vor.
Eben 1 Euro pro Quadratmeter. In Deutschland kostet ein Quadratmeter Wald aktuell rund 1,30 Euro, klingt also plausibel. Wilderness International nutzt von dem einen Euro aber sogar nur 38 Cent für die Prozesse des tatsächlichen Landkaufs. 19 Cent fließen nach Angaben der Organisation in die Vorbereitung, 18 Cent sollen die gekauften Flächen schützen – mittels Forschung und durch lokale Waldhüter. 20 Cent gehen in Umweltbildung und Kommunikation, die restlichen 5 Cent sind Verwaltungskosten.

Bevor ein Stück Land gekauft wird, schätzen Forschende der Organisation die Biodiversität während Expeditionen und mittels Kameraaufnahmen ein.
Ob ein Landstück in Frage kommt, bestimmt die Organisation gemeinsam mit Forscher*innen anhand von Faktoren wie der Artenvielfalt, der CO₂-Speicherkapazität oder der Bedrohungslage. Erfüllt ein Gebiet die Standards, wird der Kauf mittels Darlehen finanziert. „Wir sammeln keine Spenden für ein Landstück, das wir noch nicht besitzen“, sagt Andersch. Um den Besitz zu gewährleisten, können daher auch nur in Ländern mit hoher Rechtssicherheit – wie Kanada und Peru – Grundstücke erworben werden. Alle erworbenen Landstücke sind mit Grundbucheinträgen gesetzlich Eigentum der Stiftung und mittels Luftbildaufnahmen mit konkreten Koordinaten dokumentiert. Auf diese Weise können später auch individualisierte, auf den Quadratmeter genaue Urkunden an Spender*innen herausgegeben werden.
Artenreichtum von der Wurzel bis in die Baumkrone: Schutzgebiete in Peru und Kanada
Die Organisation konzentriert sich bei ihrer Arbeit aktuell auf Kanada und Peru. Darunter: das Schutzgebiet „Misty Forest“ auf Porcher Island in British Columbia, unweit der Grenze zum US-Bundesstaat Alaska. In dem temperierten Küstenregenwald finden sich neben Waldflächen aus bis zu 100 Meter hohen Douglasien auch Hochmoore, Seen und eine ausgedehnte Küstenlandschaft. Küstenwölfe, Weißkopfseeadler, Fischotter, Nerze und Schwarzwedelhirsche fühlen sich hier trotz – oder genau wegen – der hohen Niederschlagsmenge von jährlich durchschnittlich 3.000 Millimetern wohl.
Etwa 320 Kilometer südlich und etwas abseits der Küste werden zusätzlich bereits rund drei Millionen Quadratmeter als Schutzgebiet ausgewiesen. Das hier gekaufte Land soll als sichere Heimat für Grizzlybären dienen – und als Korridor zum genetischen Austausch einer gesunden Population beitragen.

Die Wälder Kanadas werden etwa durch die Papierindustrie bedroht. Die Heimat dieses Weißkopfseeadlers (Haliaeetus leucocephalus) ist durch das kanadische Schutzgebiet auf Porcher Island vor Ausbeutung gesichert.
Im globalen Süden befindet sich im peruanischen Regenwald, entlang des Tambopata-Flusses, die größte erworbene Schutzfläche der Organisation. Von den Flussläufen und Altarmseen bishin zu den prächtigen Ceiba- und Paranussbäumen sind die über sieben Millionen m2 des „Secret Forests“ etwa das Zuhause von Faultieren, Jaguaren, Aras oder Haubenkapuzineraffen.

Ein junges Haubenkapuzineräffchen (Sapajus apella) sitzt im Dickicht des „Secret Forests“ in Peru.
In einem Quadratmeter Regenwald steckt somit viel mehr als nur eine eindimensionale Fläche, erklärt Kai Andersch: „In die Höhe betrachtet sind zum Beispiel 64 m2 im tropischen Regenwald ein Mikrokosmos an Artenvielfalt und enthalten allein schon bis zu 3.200 Kubikmeter Lebensraum. Von der Rinde über die Äste bis hin zur Baumkrone, jede Nische wird von hochspezialisierten Tieren, Pflanzen oder Pilzen bewohnt.“ Ebenso vielfältig sähe es in Flusssystemen aus.
Waldhüter*innen schützen vor illegalen Machenschaften
Um die reiche Biodiversität effektiv zu schützen, werden in den Gebieten regelmäßig Daten durch Forscher*innen erhoben. Da diese jedoch nur zeitweise vor Ort sind, wurde in Peru ein Waldhüter*innen-Programm gegründet. 24 Hüter*innen sind in Vollzeit im Einsatz, um die Flächen aktiv zu schützen. Ihre Präsenz auf Booten entlang des Tambopata sowie den dichten Pfaden des Regenwaldes ist unabdinglich, um die Schutzgebiete des „Secret Forest“ vor illegalen Machenschaften wie Baumfällarbeiten oder Goldwäscherei zu bewahren.
Weltweit gehen jährlich Millionen Hektar an Wald verloren
Die tatsächlichen Zahlen darüber, wie viel Waldfläche jährlich durch Menschenhand verloren geht, schwanken je nach Quelle stark. Nach Angaben des Global Forest Review der NGO World Resource Institute (WRI) waren es im Jahr 2023 28,17 Millionen Hektar. Dazu gehören nördliche Borealwälder, Wälder in gemäßigten Breiten, subtropische Wälder zwischen gemäßigten und tropischen Klimazonen sowie Tropenwälder.

Der Verlust der weltweiten Waldfläche seit 2001.
Gründe für die Rodung der wertvollen Lebensräume weltweit sind etwa die Schaffung von Weideland für die Fleischindustrie sowie der Anbau von Nutzpflanzen. Der peruanische Regenwald wird außerdem durch die Holzwirtschaft und illegale Goldminen bedroht. Und so kommt es, dass Peru allein im Jahr 2024 um 203.000 Hektar Waldfläche ärmer wurde, eine Fläche, die 80 Prozent des Saarlandes entspricht.
Klimawandel: Nur intakter Regenwälder bündeln CO₂
Neben den sichtbaren Erfolgen ist auch das unsichtbare Thema der CO₂-Speicherung ein Thema. Im Jahr 2024 stieg der Verlust tropischer Primärwälder laut dem WRI um alarmierende 80 Prozent. 4,1 Gigatonnen an Treibhausgasen wurden allein durch die weltweiten Waldbrände 2024 freigesetzt – mehr als das Vierfache des gesamten Luftverkehrs im Jahr 2023.
Das Vorhaben von Wilderness International wirkt anhand dieser gigantischen Zahlen wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Dennoch stellen die insgesamt 15 Millionen Quadratmeter an bislang geschützten Gebieten sicher, dass 970.000 Tonnen CO₂ genau dort verbleiben: in den Böden, den Hochmooren, den Douglasien und den Paranussbäumen der Regenwälder. „Urwälder sind weltweit betrachtet unser wichtigster Puffer gegen den menschenverursachten Klimawandel. Sie zu schützen hat oberste Priorität, wenn wir das Klima retten wollen“, sagt Andersch.
Dafür hat sich die Organisation ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Bis 2050 sollen die letzten noch verbliebenen 2,8 Prozent unversehrter Ökosysteme durch rechtssicheren Kauf vor Zerstörung bewahrt werden – die Landflächen, die gemessen an den strengsten Kriterien tatsächlich noch als intakt gelten. Und so kommen sie ihrem Ziel im Wettlauf gegen die Zeit mit jedem Quadratmeter – und jedem Euro – einen Schritt näher.
