Dieses Gleithörnchen ist die neuste Tierart Nordamerikas

Nordamerikas neustes Tierchen, das Humboldt-Gleithörnchen, hilft bei der Lösung eines Mysteriums der Evolution.

Von Virginia Morell
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:34 MEZ
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Das Humboldt-Gleithörnchen ist die dritte Gleithörnchenart, die man in Nordamerika entdeckt hat.
Foto von Nick Kerhoulas

Eine neue Gleithörnchenart wurde im Pazifischen Nordwesten entdeckt. Es wurde zu Ehren des berühmten Naturkundlers Alexander von Humboldt benannt.

Diese Entdeckung bedeutet, dass drei – und nicht nur zwei– Arten der plüschigen Tiere in Nordamerika heimisch sind. Das verändert unser Verständnis davon, wie sich diese Hörnchen entwickelt und über den Kontinent verbreitet haben, berichten Wissenschaftler im „Journal of Mammalogy“.

Die neue Art ist die 45. bekannte Gleithörnchenart der Welt. Bedenkt man die hohe Aussterberate, ist jeder neue Strich auf der Strichliste der Artenvielfalt eine gute Nachricht.

Wissenschaftler wollen nun genauer untersuchen, welche Rolle diese Hörnchen in ihrem Ökosystem spielen. Außerdem ist es von Interesse, wie gut es der Art insgesamt geht. Sie wurde bisher besonders in Gebieten gefunden, in denen auch der bedrohte Fleckenkauz heimisch ist. Dieser macht oft Jagd auf Gleithörnchen – wahrscheinlich auf diese neue Art.

Letztes Jahr lehnte es der Fish and Wildlife Service der USA ab, einer Hörnchenpopulation im Süden Kaliforniens den Status „stark gefährdet“ einzuräumen. Aktuell ist noch nicht klar, ob die Anerkennung als neue Art diese Entscheidung beeinflussen wird.

„Ich habe mich schon seit 1992 über diese Hörnchen gewundert“, sagt Brian Arbogast, ein Mammaloge an der Universität von North Carolina in Wilmington und der Hauptautor der Studie. „Irgendwas war einfach komisch an [den Hörnchen] von der Westküste.“

Eigentlich sind alle Gleithörnchen ein bisschen komisch. Sie haben fallschirmartige Membranen an beiden Seiten ihres Körpers, die sich vom Handgelenk bis zum Fußgelenk erstrecken. Wenn sie von Baum zu Baum springen, breiten sie ihren Körper zu einem Quadrat aus (einige Basejumper haben dieses Design kopiert). So können sie in einem einzigen Gleitflug eine Distanz von 45 Metern mit großer Genauigkeit überwinden.

Dabei benutzen sie ihre breiten, plüschigen Schwänze zum Steuern und zum Bremsen. So werden sie langsamer, bevor sie auf den Zielbaum treffen. Um Räubern zu entgehen, segeln sie für gewöhnlich nachts durch den Wald auf der Suche nach Beeren, Nüssen, Pilzen und Vogeleiern. Tagsüber schlafen sie in Baumlöchern, die sie mit Flechten und Moos auslegen. Die winzigen, nachtaktiven Geschöpfe sind für unsere Ohren fast nicht hörbar. Sie sind die geheimnisvollen Seelen der Wälder des Pazifischen Nordwestens – Tiere ohne jeglichen kommerziellen Wert, was sie vielleicht genau deshalb so wertvoll für alle macht, die das Glück haben, sie zu erspähen.

Auch wenn Arbogast und seine Kollegen zu diesen Glücklichen gehören, entdeckten sie die neue Hörnchenart nicht während ihrer Arbeit in der Wildnis. Stattdessen fanden sie sie durch eine genetische Studie, eine Analyse der Geschichte der Gleithörnchen und eine Kartierung ihres Lebensraums, der sich durch Gletscher und Wälder ausdehnte und schrumpfte.

Eine der zwei zuvor bekannten nordamerikanischen Arten, das Südliche Gleithörnchen (Glaucomys volans), lebt in kleinen, isolierten Populationen in Mexiko, Mittelamerika und im Osten der USA. Der Lebensraum dieser Hörnchen sind sommergrüne Hartholzwälder.

Die andere Art, das Nördliche Gleithörnchen (G. sabrinus), bewohnt die nördlichen Nadelwälder im Nordosten der USA, Kanada und Alaska. Außerdem findet man es auch in den höheren Lagen der Appalachen, den Rocky Mountains und in den östlichen Teilen der Staaten Oregon und Washington.

Biologen klassifizierten die Gleithörnchen von Kalifornien und dem Pazifischen Nordwesten als diese Nördlichen Gleithörnchen. Aber Arbogast, der die Ökologie und Genetik der beiden Arten untersucht hatte, begann sich über die Gleiter von der Westküste zu wundern, als er Museumsexemplare untersuchte. Einige von ihnen stammten aus dem frühen 19. Jahrhundert. Die waren üblicherweise kleiner und dunkler als die Nördlichen Gleithörnchen – ein rätselhafter Umstand.

Solche Unterschiede reichen aber oft nicht, um eine neue Art zu identifizieren. Das Hauptmerkmal, an dem Wissenschaftler die Nördlichen und Südlichen Hörnchen voneinander unterscheiden, ist der Penisknochen oder Baculum (kräftig und spitz beim Nördlichen, länger beim Südlichen Gleithörnchen), sagt Arbogast. Und dieser hält beide nicht davon ab, sich zu paaren und im Südosten Kanadas Hybride zu zeugen.

 „Das war ein Schock, als darüber berichtet wurde“, sagt er über die Nord-Süd-Hybridhörnchen. Arbogasts neue Studie zeigt, dass die zwei Arten tatsächlich eng verwandt sind – Schwestertaxa, wie Wissenschaftler es nennen.

Ein weiterer Schock kam, als Wissenschaftler die DNA von Gewebeproben untersuchten, das sie von Knochenproben nahmen oder von Museumsexemplaren des westlichen Gleithörnchens schabten und schnitten. Sie untersuchten außerdem die DNA neuerer Exemplare von Pelzjägern, die oft Gleithörnchen in den Fallen finden, die sie für Marder aufstellen.

„Wir dachten, die westlichen Hörnchen seien durch glaziale Zyklen von der nördlichen Art getrennt worden“, sagt Arbogast. Nach dem Rückzug des Eises, das einen Großteil Nordamerikas bedeckt hatte, wären die Hörnchen zur Paarung wieder aufeinandergetroffen. Ein solches Ereignis hätte einen Genfluss zwischen beiden Gruppen ausgelöst und hätte sich in der DNA der Gleithörnchen widergespiegelt.

Das ist im Grunde auch das, was mit den Nördlichen und Südlichen Gleithörnchen passiert ist. Als das Eis nach Süden vordrang, drängte es auch die Hörnchen nach Süden und die Populationen wurden voneinander isoliert. Später, als das Eis schmolz und die Wälder sich wieder nach Norden ausdehnten, drangen auch beide Arten wieder rasch nach Norden vor. Die Nördlichen Gleithörnchen dehnten sich bis nach Alaska und an die Westküste Kanadas aus. Das brachte sie in Kontakt mit den westlichen Hörnchen.

Trotz dieses Kontakts konnte die Studie keinen Genfluss zwischen den Nördlichen und den westlichen Gleithörnchen nachweisen – selbst in British Columbia oder Washington nicht, wo sie Seite an Seite leben. „Aus irgendeinem Grund zeugen sie keinen gemeinsamen Nachwuchs“, sagt Arbogast. „Vielleicht, weil sie es nicht können.“

Arbogast vermutet, dass die Gleithörnchen der Pazifikküste während der glazialen Periode andere Erfahrungen gemacht haben und eventuell in den südlichen Regionen der Pazifikküste isoliert wurden. In jedem Fall war ihre Expansion nach Norden und Osten mit der Erwärmung des Klimas nicht so schnell oder weitreichend wie die der nördlichen und südlichen Arten. Obwohl sie auch einen nördlichen Nadelwald bewohnen, ist ihr Lebensraum generell dunkler, feuchter und milder als die kälteren Wälder weiter innen im Kontinent.

KRYPTISCHE KREATUREN

Die DNA-Analyse der 185 Exemplare aus ganz Nordamerika bestätigte Arbogasts Ansicht des Westküsten-Hörnchen. Es war anders und seltsam genug, um als neue Art klassifiziert zu werden: G. oregonensis – das Humboldt-Gleithörnchen.

„Die sind etwas, das wir als ‚kryptische Art‘ bezeichnen. Also eine, die sich genau vor unseren Augen versteckt, weil sie so große Ähnlichkeit mit einer anderen Art hat, dass man nie vermuten würde, dass die zwei sich unterscheiden“, sagt er.

Mittlerweile benutzen Wissenschaftler regelmäßig DNA-Abschnitte, um neue Arten zu identifizieren, deren Eigenheiten für das bloße Auge nicht leicht zu erkennen sind.

Aber Arbogasts Entdeckung ist mehr als das, sagt Peter Weigl. Der Wirbeltierökologe ist ein emeritierter Professor an der Wake Forest Universität in Winston-Salem, North Carolina. „Er hat ihre Genetik, aber er hat auch gezeigt, wie ihre Geografie, ihr Klima und ihre Vegetation sich mit der Zeit verändert haben. Es ist die ganze Geschichte.“

Die große Herausforderung besteht nun darin, „herauszufinden, was zum Teufel die Nördlichen und die Humboldt-Gleithörnchen machen“, so Weigl. „Was trennt sie voneinander? Ist es die Ökologie oder ihr Verhalten? Sind sie auf bestimmte Weisen spezialisiert, sodass sie nicht in Konkurrenz zueinander stehen?“

Für den Schutz der beiden Arten ist es wichtig, diese Fragen zu beantworten. Es könnte zum Beispiel sein, dass ein Gleiter öfter in dichten Bereichen altbestehender Wälder zu finden ist, während der andere sowohl in alten als auch jüngeren, lichteren Beständen gut zurechtkommt. Ebenso wichtig ist auch Weigls letzte Frage: „Wir kann man sie unterscheiden?“

„Daran arbeiten wir“, sagt Arbogast. Er und seine Kollegen sehen sich Museumsexemplare genauer an und werden auch einige Hörnchen einfangen, um zu sehen, ob sie einige Hauptunterscheidungsmerkmale ausmachen können.

„Momentan führt der einfachste Weg über die Genetik und die Geografie.“

Virginia Morell schreibt für National Geographic und ist die Autorin des New York Times Bestsellers „Animal Wise: How We Know Animals Think and Feel“.

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