Die einsamsten Elefanten der Welt

2015 erhielt der mittlerweile verstorbene Elefant Hanako diesen Titel, aber in ganz Japan leben andere wie sie isoliert in ihren Zoogehegen.

Von Jani Actman
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:40 MEZ
Miyako ist schon ganze 44 Jahre allein in ihrem Gehege im Utsunomiya Zoo.
Miyako ist schon ganze 44 Jahre allein in ihrem Gehege im Utsunomiya Zoo.
Foto von Elephants in Japan

Miyako ist ein weiblicher Asiatischer Elefant, der mit sechs Monaten nach Tokyo in den Utsunomiya Zoo gekommen ist. Dort lebt sie seit 44 Jahren ohne die Gesellschaft anderer Elefanten. Sie wird in einem kleinen Betongehege in der Nähe des Vergnügungsparks des Zoos gehalten, sagt Keith Lindsay. Der Naturschutzbiologe und Elefantenexperte lebt im englischen Oxford.

„Sie ist schon ihr ganzes Leben lang an diesem Ort, ohne andere Elefanten und ohne Platz, um sich irgendwo hinzubewegen“, sagt er.

Lindsay beobachtete Miyako Anfang des Jahres, als er zwei Wochen lang 14 japanische Zoos besucht hat, die ihre Elefanten in Einzelhaltung halten. Er fasste den Zustand der Tiere und ihrer Umgebung in einem neuen Bericht zusammen, den er am 11. August veröffentlichte.

Laut dem Bericht sind fünf der Elefanten schon ihr ganzes Leben lang allein. Acht gingen in Einzelhaltung über, nachdem ihr Gefährte starb oder umgesiedelt wurde. Einer durfte zu seinem früheren Gefährten zurückkehren, musste aber in einem getrennten Gehege gehalten werden. „Die Elefanten waren im Grunde psychotisch. Einige versuchten verzweifelt, mit Menschen zu interagieren, andere wandten ihnen den Rücken zu“, sagt Lindsay.

Der Auslöser für seine Reise nach Japan war ein Elefant, dem er nie begegnet ist. Es war das Weibchen namens Hanako, das mehr als 60 Jahre lang allein in seinem beengten Gehege im Inokashira Park Zoo in Tokyo gelebt hat. Im Herbst 2015 geriet Hanako in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Eine Zoobesucherin, Ulara Nakagawa, schrieb einen Blogpost über Hanako und erstellte eine Unterschriftensammlung, die darum ersuchte, dass der Elefant in seine Heimat Thailand in ein Schutzzentrum gebracht würde.

„Völlig allein in einem kleinen, kahlen Betongehege mit absolut KEINER Annehmlichkeit oder Stimulation stand sie fast leblos dort – wie eine Figur“, schrieb Nakagawa.

Die Petition erhielt fast 470.000 Unterschriften und News über Hanakos Leid überschwemmten das Internet. Aber der Zoo hielt es für zu riskant, den alten Elefanten zu transportieren. Ein paar Monate später starb der sogenannte „einsamste Elefant der Welt“ im Alter von 69 Jahren.

Für Nakagawa markierte Hanakos Tod den Beginn von umfassenderen Bemühungen, um den einsamen Zooelefanten Japans zu helfen. Sie schloss sich mit Zoocheck zusammen, einer gemeinnützigen kanadischen Organisation, die sich dem Tierschutz verschrieben hat, und startete eine Kampagne namens Elephants in Japan. Sie warb Lindsay an, um zu überprüfen, wie die Elefanten – hochsoziale und intelligente Tiere – in den Zoos in Japan leben, wo es keine Standards für deren Haltung in Gefangenschaft gibt.

„Die neue Kampagne ist zum Andenken [an Hanako] und soll sicherstellen, dass andere Elefanten in Japan nicht das gleiche Leben leben müssen wie sie“, sagt Nakagawa. Auf die Frage, warum sie ausgerechnet einsame Elefanten in Japan untersucht, obwohl es bei Weitem nicht das einzige Land ist, in dem sie gehalten werden, antwortete sie: „Irgendwo mussten wir anfangen.“

Viele der 14 Elefanten, die Lindsay beobachtet hat, darunter auch Miyako, waren unterdurchschnittlichen Verhältnissen ausgesetzt. Zu denen zählte er auch zu kleine Gehege und einen Mangel an Stimulation und Beschäftigung.

Aber Miyako, so sagt er, steht an der Spitze der Liste und führt die herzzerreißendste Existenz dieser Elefanten. Er sah ihr zu, wie sie vor und zurück lief, und bemerkte, dass sie immer wieder auf eine Metallstange in ihrem Gehege biss. Diese Verhaltensweisen sind Anzeichen für psychischen Stress. „Das habe ich noch nie zuvor gesehen“, sagt er.

Miyakos Leben hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem von wilden Asiatischen Elefanten. Die Weibchen leben oft in engen Verbänden von bis zu 50 Tieren, und die Männchen haben ebenfalls oft sozialen Umgang mit anderen Männchen, sobald sie die sexuelle Reife erlangen und den Familienverband verlassen. Selbst wenn die Elefanten keine Zeit mit ihren Kameraden verbringen, erinnern sie sich an sie und kommunizieren über Gerüche und Geräusche mit ihnen.

„Der soziale Aspekt im Leben eines Elefanten ist der wichtigste für sein Wohlergehen. Wir wären um das psychische Wohl jedes Elefanten besorgt, der allein gehalten wird“, sagt Georgina Allen von Wild Welfare. Die gemeinnützige Organisation hat sich der Verbesserung der Lebensumstände von Tieren in Gefangenschaft verschrieben.

Zusätzlich zu Gesellschaft brauchen Asiatische Elefanten viel Platz. In der Wildnis durchstreifen sie an die 600 Quadratkilometer auf der Suche nach Nahrung und Partnern. Sie sind für ihre Intelligenz bekannt und zeigen Trauer und andere Emotionen wie Freude und Ärger. Sie sind sogar zu Aha-Erlebnissen wie der Erkenntnis fähig, dass ein Hocker ihnen dabei helfen kann, Futter zu erreichen.

Laut den Tierschutzexperten macht es ihre Intelligenz für die Tiere umso schlimmer, wenn sie in kargen Umgebungen ganz allein gehalten werden. Auch wenn Lindsay Miyakos Situation besonders trostlos fand, war sie damit bei Weitem nicht allein.

Andere Elefanten, die er vorgefunden hat, warum zum Beispiel:

Teru, ein Asiatischer Elefant, der seit dem Jahr 2000 allein im Kofu City Yuki Park Zoo gehalten wird. Die 38 Jahre alte Elefantendame hat keinerlei Anreize in ihrem Betongehege und wurde wiederholt beobachtet, wie sie von Seite zu Seite wiegte und mit ihrem Kopf nickte.

Himeko, ein 40 Jahre alter Asiatischer Elefant, ist seit ihrer Ankunft im Himeji City Zoo im Jahr 1994 allein. Sie muss 18 Stunden am Tag drinnen verbringen, für Besucher auftreten und wiegt sich über lange Zeit am Stück hin und her oder steht in ihrem eigenen Urin.

Izumi, ein Asiatischer Elefant, starb im Alter von 62 Jahren kurz nach Lindsays Besuch im Kiryugaoka Zoo. Sie hatte dort seit 1964 in einem kleinen, dunklen Stall mit einem Außengehege ohne Schatten gelebt.

Lindsay hielt nur vier der 14 Zoos für „aufgebessert“, was hieß, dass sie zumindest versucht hatten, die Gehege zu vergrößern, innovative Besonderheiten hinzuzufügen und andere Verbesserungen durchzuführen. Die restlichen Zoos blieben dahinter zurück. Einige schienen seit ihrem Bau in den 1950ern unverändert.

Die meisten Zooverbände stimmen dem Bericht zufolge zu, dass Elefanten genug Platz haben sollten, um sich frei zu bewegen und nach Futter zu suchen, und dass sie die Möglichkeit haben sollten, mit anderen Elefanten zu interagieren. Der amerikanische Verband für Zoos und Aquarien – eine Agentur, die Richtlinien für die Haltung von Elefanten entwickelt hat – empfiehlt Gruppen von nicht weniger als drei Weibchen, zwei Männchen oder drei gemischtgeschlechtlichen Tieren.

Einige Zoos haben angesichts ihrer komplexen Bedürfnisse infrage gestellt, ob man Elefanten überhaupt in Gefangenschaft halten kann. Mindestens 44 Zoos weltweit haben ihre Elefantengehege geschlossen oder ihre Absicht bekanntgegeben, selbiges zu tun, wie man in dem Bericht nachlesen kann.

Der japanische Verband für Zoos und Aquarien hat laut Lindsay jedoch noch keine Richtlinien aufgestellt und überwacht Zoos auch nicht regelmäßig, um sicherzugehen, dass die Bedürfnisse zum Wohl der Tiere erfüllt werden. (Zum Redaktionsschluss hatte der leitende Geschäftsführer der JAZA noch nicht auf die Anfrage zu einem Kommentar reagiert.)

Lindsay hofft, dass Japan entsprechende Standards entwickeln wird. Für die unmittelbare Zukunft drängt er die Zoos mit Elefanten in Einzelhaltung, die Tiere umzusiedeln, sofern sie gesund genug sind. Sie sollen in Einrichtungen kommen, in denen sie zumindest die Möglichkeit haben, mit anderen Elefanten Kontakt zu haben – und wo sie sich vielleicht sogar im Dreck wälzen, herumrüsseln und im Pool planschen können.

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