„Himmelsinseln“ zeigen die Evolution in Aktion

Die Himmelsinseln im Südwesten Indiens sind einer der Hotspots für Artenvielfalt auf der Erde.

Von Shaena Montanari
bilder von Prasenjeet Yadav
Veröffentlicht am 30. Okt. 2017, 09:58 MEZ
Himmelsinseln bei Nacht
Ein seltener grüner Meteor taucht über den Himmelsinseln in den Westghats in Indien auf.
Photograph by Prasenjeet Yadav

Inseln gibt es nicht nur im Ozean.

Der Grundgedanke einer Insel – ein isoliertes Stück Land, das an allen Seiten von einer unwirtlichen Umgebung eingeschlossen ist – findet sich mitunter auch in luftigen Höhen. Sogenannte „Himmelsinseln“ sind die Gipfel hoher Berge, die ökologisch voneinander isoliert sind, obwohl sie geografisch nah beieinanderliegen.

Die Westghats sind eine Gebirgskette im Südwesten Indiens und weisen einige einzigartige und spektakuläre Himmelsinseln auf. Trotz ihrer beeindruckenden Artenvielfalt ist aus wissenschaftlicher Perspektive relativ wenig über sie bekannt.

Das hat den National Geographic Explorer und Fotografen Prasenjeet Yadav dazu veranlasst, die einzigartige Biodiversität und die Herausforderungen zum Schutz dieser Arten fotografisch zu dokumentieren.

Die Gipfel der Westghats ragen etwa 900 bis fast 2.700 Meter in die Höhe und weisen eine fast schon unglaubliche Vielfalt an Mikroklimata auf. Von Weitem wirken sie wie „große Waldstücke, die auf einem Grasmeer schwimmen“, sagt Yadav. Die Vielfalt der ökologischen Umgebungen führte zu einer großen Zahl einheimischer Arten, die nirgendwo sonst auf der Welt vorkommen.

SCHATZINSELN

„Es ist nicht nur die Höhe, die diese Himmelsinseln erzeugt, sondern auch die Umgebung“, erklärt Yadav. Ihm zufolge gibt es keine „offizielle“ Höhe, ab der ein Berggipfel als Himmelsinsel bezeichnet werden kann.

 „Sobald man aus der kalten, feuchten Gebirgsgegend rauskommt, ist es 100 Meter weiter unten völlig trocken.“

Einer der besonderen Lebensräume, die man nur auf den Himmelsinseln findet, sind sogenannte Sholas. Dabei handelt es sich um hoch gelegene tropische Wälder mit niedriger Temperatur und hoher Feuchtigkeit. Die recht niedrigen Bäume wechseln sich mit Grasland ab.

Von winzigen Fröschen über leuchtend bunte Schlangen bis zu zierlichen Vögeln strotzen diese Himmelsinseln nur so vor wildem Leben. Da viele der Gegenden aber unerforscht sind, finden Forscher regelmäßig Überraschungen, wenn sie sich bestimmte Tierarten genauer ansehen – besonders die Vögel.

Bis vor Kurzem nahm man an, dass es sich bei der Westghats-Population einer Brachypteryx-Art, die nur in den Sholas vorkommt, um eine einzige Art handeln würde, die durch die Berggipfel voneinander getrennt lebt. Bei genauerer Betrachtung des Gefieders wird jedoch deutlich, dass es noch weit größere Unterschiede gibt.

BELIEBT

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    Jahrzehntealte Exemplare aller drei Arten der Gattung Sholicola. Eines stammt aus dem Trivandrum Museum und zwei aus dem Bombay Natural History Museum in Maharashtra.
    Foto von Prasenjeet Yadav
    Der Evolutionsbiologe V.V. Robin holt einen Sholicola aus einem Netz, um eine Probe des Erbmaterials zu nehmen.
    Foto von Prasenjeet Yadav
    Die Evolutionsbiologen Uma Ramakrishnan and V.V. Robin nehmen Daten eines Sholicola.
    Foto von Prasenjeet Yadav

    Nicht nur die Farbe des Gefieders unterscheidet sich (manche sind deutlich blauer und andere eher orangefarben): Die Population jedes Berggipfels hat eigene Gesangsmuster und einen eigenen genetischen Fingerabdruck. Es kommt also nicht nur auf Meeresinseln zur Artenbildung durch räumliche Trennung, sondern auch auf Himmelsinseln.

    Die Forschung, die von V. V. Robin vom Indian Institute of Science Education and Research geleitet wurde, zeigte, dass die mutmaßliche Brachypteryx-Art in den Westghats eigentlich aus drei Arten besteht, von denen jede ausschließlich auf ihrem eigenen Berggipfel vorkommt.

    Selbiges wurde für eine Vogelart der Gattung Garrulax festgestellt – und trifft vermutlich auch auf andere einzigartige Arten von Säugetieren, Vögeln und Reptilien in der Region zu.

    „In diesen Bergen werden weiterhin neue Arten entdeckt. Allein 2017 wurden mehr als ein Dutzend neuer Froscharten, etwa drei Pflanzenarten, zwei neue Vogelgattungen und eine neue Vogelart beschrieben“, sagt Robin.

    SCHUTZ UND ERHALT

    Diese Trennung der Populationen, durch die aus einer Art im Laufe der Zeit mehrere wurden, geht auf eine Vergletscherung vor vier Millionen Jahren zurück. Die Trockenheit, die durch die Vergletscherung ausgelöst wurde, trieb viele Arten – darunter auch die der Gattungen Brachypteryx und Garrulax – in die höheren Berglagen, wo es geeignetere Lebensräume für sie gab.

    „Wenn wir die evolutionäre Vergangenheit dieser Himmelsinseln verstehen, hilft uns das auch dabei, jene Gebiete zu priorisieren, die wir in Zukunft erhalten sollten“, sagt Uma Ramakrishnan. Die Molekularökologin vom National Centre for Biological Sciences in Bangalore war an der Forschung zur Artenbildung der Vögel beteiligt.

    Als die Gletscher sich zurückzogen und das Klima sich veränderte, blieben die Pflanzen und Tiere auf ihre bevorzugten Regionen beschränkt – auf voneinander getrennte Himmelsinseln. Die Untersuchung der Unterschiede in Farbe, Form und Genetik dieser Populationen zeigt nun, dass sie sich in den Millionen von Jahren der Trennung zu eigenständigen Arten entwickelt haben. „Hier kann man die Evolution in Aktion erleben“, sagt Yadav.

    Wie an vielen Orten der Erde gefährdet das menschliche Vordringen auch diese Hotspots der Artenvielfalt, indem es die einzigartigen Lebensräume verkleinert. Mindestens 50 Prozent der Sholas in den Westghats gelten schon als verloren. Menschen pflanzen dort Nahrungspflanzen wie Tee an, um den steigenden Bedarf zu decken.

    Yadav liegt der Schutz der Westghats und seiner Himmelsinseln jedoch am Herzen. Mit einem Blick auf eine Nachtaufnahme der funkelnden Stadtlichter in den Tälern zwischen den Gipfeln erzählt er, dass die Arten sowohl durch Menschen als auch durch den Klimawandel bedroht werden.

    „Diese Inseln schwimmen auch im Meer der Urbanisierung.“

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