Wie die Haustierhaltung von Kaninchen ihr Gehirn verändert hat

Weil zahme Kaninchen weniger Gefahren ausgesetzt sind als ihre wilden Artgenossen, sieht ihr Gehirn anders aus. Das hat ein schwedisches Forscherteam jetzt herausgefunden.

Von Kathrin Fromm
Veröffentlicht am 25. Juli 2018, 10:54 MESZ
Diese Illustration zeigt die deutlichen Unterschiede zwischen dem Gehirn eines Wildkaninchens (li.) und dem eines Hauskaninchens. Letztere haben eine verkleinerte Amygdala (oranger Bereich) und einen vergrößerten medialen präfrontalen Cortex (blauer Bereich). Beide Veränderungen lassen sich auf die schwächer ausgeprägte Fluchtreaktion zurückführen.
Foto von Fabian Sinzinger

Wildkaninchen sind ständig auf der Hut. Sie werden von Adlern, Falken und Füchsen gejagt, zum Teil sind auch noch menschliche Jäger hinter ihnen her. Um in freier Natur zu überleben, müssen die Tiere deshalb wachsam und reaktionsschnell sein. Das ausgeprägte Fluchtverhalten ist auch im Gehirn verankert. Wie sehr, dass hat ein schwedisches Forscherteam in einer Untersuchung jetzt herausgefunden.

Leif Andersson, Genetikprofessor an der Universität Uppsala, der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften und der Texas A&M, hält es außerdem für wahrscheinlich, dass es bei anderen Haustieren wie Hunde, Katzen und Vögel ähnliche Veränderungen in den Gehirnen geben könnte.

Für ihre Studie haben die Wissenschaftler 16 Kaninchen unter ähnlichen Bedingungen gezüchtet. Die acht Wildkaninchen wurden in einem Außengehege gehalten, die acht Hauskaninchen in Käfigen. Später wurden die Gehirne der Tiere per Magnetresonanztomographie (MRT) untersucht – und zwar ohne, dass die Wissenschaftler, die die Untersuchung durchführten, wussten, ob es sich um ein Wild- oder ein Hauskaninchen handelt.

Hauskaninchen sind weniger ängstlich

Das Ergebnis: Die MRT-Daten zeigen gleich drei deutliche Unterschiede. Erstens kommen die Wildkaninchen auf einen höheren Enzephalisationsquotienten als Hauskaninchen, das heißt ihr Gehirn ist in Relation zur Körpermasse größer. Zweitens haben Hauskaninchen eine verkleinerte Amygdala (auf Deutsch auch als Mandelkern bekannt) und einen vergrößerten medialen präfrontalen Cortex. Der Hirnbereich also, der beim Empfinden von Angst eine Rolle spielt, die Amygdala, ist bei den gezähmten Tieren kleiner, während der Bereich, der die Reaktion auf Angst kontrolliert, der mediale präfrontale Cortex, größer ist. Drittens haben die Forscher generell bei Hauskaninchen weniger weiße Substanz gefunden, also Leitungsbahnen und Nervenfasern im Zentralennervensystem.

„Diese Unterschiede im Aufbau des Gehirns sind logisch vor dem Hintergrund, dass Hauskaninchen weniger ängstlich sind und im Vergleich zu Wildkaninchen eine schwächer ausgeprägte Fluchtreaktion haben,“ erklärt Mats Fredrikson, der an der Studie mitgewirkt hat und als Psychologieprofessor an der Universität Uppsala und am medizinischen Karolinska-Institut arbeitet. „Die geringere Menge an weißer Substanz lässt vermuten, dass bei Hauskaninchen die Informationsverarbeitung beeinträchtigt ist, was möglicherweise erklärt, warum sie langsamer reagieren und insgesamt phlegmatischer sind als ihre wilden Artgenossen.“

Von der Deutlichkeit der Ergebnisse waren die Wissenschaftler dennoch selbst überrascht: „Als wir die Studie begonnen haben, befürchteten wir, dass etwaige Unterschiede zu fein sein könnten, um sie im MRT zu erkennen. Aber das war eindeutig nicht der Fall“, sagt der Genetikprofessor Leif Andersson. Den Größenunterschied der Amygdala findet er besonders bemerkenswert. Vermutlich habe sich der Aufbau des Gehirns über viele Generationen sukzessive verändert. Schließlich gab es zahme Kaninchen schon vor 500 Jahren, wie Gemälde zeigen.

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