Wie sich der Waldrapp die Alpen zurückerobert

Von Menschen begleitet treten die Vögel im ersten Jahr den Flug in den Süden an. Ohne diese Hilfe hätte der Waldrapp keine Chance, aber einfach ist die Wiederansiedlung trotzdem nicht.

Von Kathrin Fromm
Veröffentlicht am 17. Okt. 2019, 14:14 MESZ
Waldrapp
Ein junger Waldrapp, noch mit Gefieder am Kopf: Bei einem Auswilderungsprojekt in den Alpen begleiten Menschen den Nachwuchs im ersten Jahr beim Flug in den Süden.
Foto von Waldrappteam

Ein schönes Tier ist er vielleicht nicht gerade, der Waldrapp. Mit seinem nackten Kopf, dem langen roten Schnabel und den markanten schwarzen Federn am Hals ist er aber eine auffällige Erscheinung. Noch bis ins 17. Jahrhundert war der etwa gänsegroße Ibis-Vogel ein gewöhnlicher Anblick in Mitteleuropa. Dann wurde er ausgerottet. Die Menschen jagten und verspeisten ihn. Außerdem gab es klimatische Veränderungen durch die Kleine Eiszeit.

Der österreichische Verhaltensbiologe Johannes Fritz kam vor mehr als 20 Jahren bei Grundlagenforschung erstmals mit dem Waldrapp in Kontakt – seitdem lässt ihn der Vogel nicht mehr los. Als er den Film „Amy und die Wildgänse“ sah, überlegte er, ob das auch nicht eine Möglichkeit für den Waldrapp wäre: eine von Menschen geleitete Migration nach Italien.

Heute leitet Fritz das von der EU gefördertes LIFE-Projekt, das den Waldrapp wieder in Europa ansiedeln will. „Ein innovatives und ambitioniertes Ziel“, nennt es der Wissenschaftler, aber er kann schon erste Erfolge verbuchen.

Inzwischen gibt es zwei eigenständig wachsende Brutkolonien, eine im bayerischen Burghausen und eine im österreichischen Kuchl. Eine dritte Kolonie in Überlingen am Bodensee bauen Fritz und seine Kollegen gerade auf. Rund 130 Tiere zählt das Auswilderungsprojekt. Dieses Jahr sind allein 37 Jungvögel flügge geworden. In freier Wildbahn kommt der Waldrapp aktuell nur noch in Marokko vor. Er gilt als hochgradig bedroht.

In einem Ultraleichtfluggerät mit Fallschirm dran begleiten Menschen die jungen Vögel in die Toskana.
Foto von Waldrappteam

Für die Auswilderung verbringen Ziehmütter einen ganzen Sommer mit Waldrappküken aus Zoohaltung – wie Eltern. Im Herbst geht es dann mit den Jungtieren über die Alpen in die Toskana, 1000 Kilometer in sieben Etappen. Mit dem Schwarm Vögel fliegen zwei Paraplanes. In den Ultraleichtfluggeräten mit Gleitschirm dran haben jeweils zwei Personen Platz, eine Ziehmutter und der Pilot. Johannes Fritz ist einer von ihnen. In der Toskana werden die Waldrappe dann ausgewildert.

Ob die ganze Aktion erfolgreich ist, erfahren die Wissenschaftler erst drei Sommer später. So lange dauert es, bis die Vögel geschlechtsreif sind und hoffentlich zurückkommen zum Ort ihrer Kindheit, um dort zu brüten. „Das ist eine langwierige Prozedur“, sagt Fritz.

Seit 2002 kümmert sich der Biologe nur um den Waldrapp, drei Jahre später flog er zum ersten Mal in die Toskana. 14 Mal ist er die Reise inzwischen angetreten. „Wir haben Schritt für Schritt die Methoden optimiert und zum Beispiel noch mal die Fluggeräte gewechselt“, erklärt Fritz. Anfangs waren gerade mal 30 Kilometer pro Tag möglich, heute sind es bis zu 360 Kilometer. Auch die Zahl der mitfliegenden Vögel stieg. Trotzdem: Allein könnten selbst die beiden wachsenden Populationen noch nicht bestehen. Im Falle einer Naturkatastrophe bräuchte es zum Beispiel mehr Tiere, damit sich der Bestand aus eigener Kraft erholen kann.

BELIEBT

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    Der österreichische Verhaltensbiologe Johannes Fritz arbeitet seit Jahren mit Waldrappen und leitet das LIFE-Projekt.
    Foto von Waldrappteam

    Eine große Gefahr für den Waldrapp sind italienische Jäger. Gegessen werden die Vögel heute nicht mehr, es geht mehr um „sportliche“ Motive. Gelegentlich kommen die Wissenschaftler den Jägern auf die Schliche. Denn jedes Tier lässt sich per GPS tracken. „Die Vögel haben eine Art Rucksack auf dem Rücken. Darin steckt ein GPS-Gerät, das mit Photovoltaik betrieben wird“, erklärt Fritz. Durch diese Technik kann man nicht nur die Migration beobachten, sondern auch tote Tiere finden. Wird ein Jäger ermittelt, drohen Anzeige und Geldstrafe. Zusätzlich versuchen die Wissenschaftler die Öffentlichkeit mit einer Aufklärungskampagne für den Waldrapp zu sensibilisieren. „Das hat Wirkung gezeigt“, sagt Fritz.

    Das andere Problem sind Strommasten, genauer: solche mit Mittelspannung. In Deutschland sind seit 2016 etwa 90 Prozent dieser Leitungen isoliert. „Seitdem haben wir dort praktisch keine Verluste mehr“, sagt Fritz. Trotzdem sei in Italien und Österreich noch nicht einmal ein Problembewusstsein für das Thema da, der politische Wille fehle. Dort sterben die Waldrappe weiterhin häufig durch einen Stromschlag.

    Das Waldrapp-Projekt schaffe die Grundlage für andere Artenschutzmaßnahmen, erklärt Fritz. Generell sieht der Biologe die Wiederansiedlung des Vogels als Bereicherung für die Umwelt rund um die Alpen. Das Tier richte keinen Schaden an und ernähre sich von Würmern und Larven, die im Umfeld von Kulturpflanzen vorkommen. Es ist also abhängig von landwirtschaftlicher Nutzfläche, die es ja zuhauf gibt.

    Gerade gibt es aber noch eine ganz andere Hürde. Ende dieses Jahres läuft das LIFE-Projekt aus. Eine zweite Runde ist für 2021 beantragt, die Hälfte der Kosten wäre damit wieder gedeckt. In der Zwischenzeit soll diese Summe mit Spenden überbrückt werden – damit der Waldrapp weiterhin über den Alpen zu sehen ist.

    Mehr Infos auf: waldrapp.eu

    Mehr über bedrohte Tiere steht in der Ausgabe 10/2019 des National Geographic Magazins mit dem Titel "Die Letzten ihrer Art".

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