Von der Zombie-Ameise zum Schleimball: Der Lebenszyklus der Leberegel

Er kann Ameisen zu Zombies machen und wohnt eine Zeit lang in der Leber von Weidetieren. Der Leberegel durchlebt als Parasit kuriose Lebensphasen, in denen er Insekten, Schnecken und Säugetiere als Wirt nutzt.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 22. Sept. 2023, 08:37 MESZ
Nahaufnahme des Leberegels, der an einen kleinen Wurm erinnert.

Ein Kleiner Leberegel (Dicrocoelium dendriticum) unter dem Mikroskop. Der zwischen 5 und 15 Millimeter große Parasit gehört zur Klasse der sogenannten Saugwürmer und befällt vor allem Weidetiere.

Foto von Public Domain / Wikimedia

Weidetier – Landschnecke – Schleimball – Zombie-Ameise: Der Lebenszyklus des Kleinen Leberegels (Dicrocoelium dendriticum) erscheint nicht nur auf den ersten Blick skurril. Die neue Studie eines dänischen Forscherteams von der Universität Kopenhagen, Dänemark, hat die verschiedenen Stadien des Parasiten rekonstruiert und festgestellt: Die Fähigkeit der Kleinen Leberegel, gleich mehrere Wirte zu manipulieren, ist noch viel beeindruckender als zunächst gedacht.

Von der aufregenden Reise eines kleinen Saugwurms durch die Körper von Schnecken, Ameisen und Kühen.

Vom Ei zur Larve im Schneckenschleim

Das Leben der Kleinen Leberegel beginnt als Ei, ausgeschieden in den Exkrementen von Weidetieren, die als Wirt für die erwachsenen Tiere dienen. Als ersten Zwischenwirt wählen die jungen Leberegel aber zunächst ein kleines Tier: die Landschnecke. Diese nimmt die Leberegeleier mit den Ausscheidungen der Weidetiere auf.

Im Inneren der Schnecke angekommen, schlüpfen die Leberegel-Larven und machen sich bereit für den nächsten Stopp ihrer Reise. Als Transportmittel dient ihnen ein Ball aus Schleim, den die Schnecken aufgrund des Parasitenbefalls bilden und über ihr Atemloch ausstoßen. Die Larven der Kleinen Leberegel werden von den Schnecken also geradezu in die weite Welt hinausgenießt.

Dort angekommen warten die infektiösen Larven dann darauf, dass der Schneckenschleim von ihrem zweiten Zwischenwirt gefressen wird: den Ameisen. Diese werden von den kleinen Parasiten regelrecht belagert: Ist die Ameise erst von einem der Parasiten infiziert, kommen schnell mehrere Hundert weitere hinzu – und verwandeln die Ameise in eine Art Zombie, die dem Willen der Parasiten hörig ist.

Zombie-Ameise: Per Anhalter zum nächsten Wirt

Wenn die Parasiten die Ameise befallen haben, bahnt sich einer von ihnen den Weg ins Gehirn der Ameise und steuert das Insekt von dort aus. Die restlichen Leberegel harren im Magen der Ameise aus und warten auf den nächsten Stop der Reise. „Der Egel im Gehirn der Ameise veranlasst diese dazu, in einem Zustand vorübergehender Tetanie mit den Mandibeln auf die Vegetation zu klettern und sich festzubeißen“, so die Forschenden. Als Tetanie bezeichnet man eine Störung der Motorik, die einer Art Muskelkrampf gleicht. Die befallenen Ameisen klettern also hoch hinauf auf Grashalme, verharren dort regungslos und warten, bis ein Weidetier das Gras frisst. So können die Leberegel einen neuen Wirt, zum Beispiel eine Kuh, befallen.

BELIEBT

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    Sezierte Ameise, bei der man die eingekapselten Parasiten (weiße ovale Strukturen) sehen kann, die aus dem Hinterkörper austreten. 

    Foto von Brian Lund Fredensborg

    Von allen Stadien, die die Leberegel durchlaufen, ist der Lebensabschnitt im zweiten Wirt der komplexeste und stand deshalb im Fokus der Studie. Um besser nachvollziehen zu können, wie genau die Parasiten das Verhalten einer Ameise steuern können, beobachtete das Studienteam das Verhalten von 1.264 infizierten Insekten. Dabei zeigte sich: Die Ameisen begeben sich vor allem zu Tagesbeginn und -ende auf die Grashalme, sie richten sich dabei nach der Temperatur. 

    Dieses Verhalten hat einen doppelten Zweck: Einerseits sitzt die Ameise genau zum richtigen Zeitpunkt oben am Grashalm – dann, wenn die Weidetiere am liebsten grasen. Andererseits werden sowohl Wirt als auch Parasit vor möglicher tödlicher Hitze geschützt. „Das zeigt, dass der Parasit noch raffinierter ist, als wir ursprünglich glaubten“, sagt Brian Lund Fredensborg, Biologe und Mitautor der Studie.

    Blut saugen im Hauptwirt

    Gemeinsam mit der Ameise in ihrem Hauptwirt angekommen, sterben sowohl die Ameise als auch der Leberegel, der das Gehirn der Ameise kontrolliert hat, in der Magensäure des Säugetieres. Die restlichen Parasiten sind durch eine Art Kapsel geschützt, die sich erst im Darm des neuen Wirts auflöst. Von dort aus haben die Parasiten dann leichtes Spiel: Durch die Gallengänge des Wirts gelangen die Parasiten in die Leber, wo sie – getreu ihres Namens – vom Blut der Wirtsleber leben und sich so zu erwachsenen Egeln entwickeln, die bis zu 15 Millimeter lang werden können.

    Diese legen dann wiederum im Inneren des Weidetieres ihre Eier, die der Wirt ausscheidet. Kommt dann eine Schnecke vorbei, beginnt der Zyklus von Neuem.

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