Denguefieber in Deutschland: „Es reicht eine infizierte Tigermücke“

In Deutschland kommt es immer öfter zu Infektionen mit Tropenkrankheiten. Müssen wir uns bald gegen Dengue-Fieber impfen? Und wie kommen tropische Parasiten zu uns? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Jürgen May vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 12. Sept. 2023, 13:18 MESZ
Eine adulte Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) bei der Blutmahlzeit von einem Wattestäbchen. Blut saugen nur die ...

Eine Asiatische Tigermücke (Aedes Albopictus) saugt im Sicherheitsinsektarium des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin Blut von einem Wattestäbchen.

Foto von BNITM

Leishmaniose, West-Nil-Virus, Bornaviren: Hinter diesen Namen verbergen sich Tropenkrankheiten. Längst haben diese sich aber über die Grenzen ihrer Ursprungsgebiete hinaus verbreitet und auch in Europa und sogar in Deutschland werden immer öfter Erkrankungsfälle registriert. 

Meldungen von Infektionen mit exotischen Erregern schüren Ängste – was man nicht kennt, ist schließlich besonders bedrohlich. Wie viel Grund zur Sorge die Lage wirklich bietet, weiß Prof. Dr. Jürgen May: Der Tropenmediziner forscht seit 1994 am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut (BNITM), seit Oktober 2021 ist er Vorstandsvorsitzender der Forschungseinrichtung.

Herr Prof. Dr. May, Leishmaniose, West-Nil-Virus und andere Tropenkrankheiten treten mittlerweile auch in Europa auf. Kann man überhaupt noch von Tropenkrankheiten sprechen?

Das ist eine gute Frage, weil sich das natürlich über die Jahrzehnte geändert hat. Tropenkrankheiten kommen eigentlich vor allem in der Region zwischen den Wendekreisen vor. Bei Tropen denkt man an Hitze und Feuchtigkeit, und ursprünglich haben bestimmte Temperaturbedingungen dafür gesorgt, dass sich ein Infektionszyklus halten konnte. Inzwischen ist aber gar nicht mehr so sehr die Temperatur schuld, sondern die Armut in diesen Ländern. 

Weil die medizinische Versorgung schlechter ist? 

Unter anderem. Ein Beispiel ist die Malaria, die es bei uns auch gab – nicht die Malaria tropica, sondern andere Malariaformen. Es gab Zeiten Ende des 19. Jahrhunderts, als hier bei uns in Norddeutschland die Hälfte der Bevölkerung infiziert war. Aber das ist vorbei. Grund dafür ist nicht, dass sich die Temperaturen verändert haben – im Gegenteil, es ist in den letzten 100 Jahren ja sogar wärmer geworden –, sondern dass wir es geschafft haben, mithilfe einer ordentlichen Kanalisation, durch Mückenbekämpfung, durch Therapien und Surveillance-Systeme die Krankheit wegzukriegen. Unser Wohlstand und unsere Gesundheitssysteme sorgen dafür, dass sich solche Krankheiten nicht extensiv ausbreiten. Auch wenn es natürlich einzelne Fälle gibt. 

Welche?

Auf Korsika gibt es zum Beispiel Fälle von Bilharziose, einer Tropenkrankheit, die durch Würmer ausgelöst wird, deren Zwischenwirt Wasserschnecken sind. Der Gesundheitsstandard in Frankreich ist mit unserem vergleichbar – aber zum Schutz der Umwelt und der Biodiversität setzen wir weniger Insektizide ein. Das ist gut für die Natur, führt aber auch dazu, dass sich Infektionsüberträger wie Stechmücken – oder wie in diesem Fall bestimmte Schneckenarten – ausbreiten können, die für die Infektionszyklen notwendig sind.

Es kommt in Europa – trotz Wohlstand – immer häufiger zu Infektionen mit Tropenkrankheiten. Wie kommen die Erreger aus den Tropen denn zu uns?

Auf unterschiedlichen Wegen. Bei der Tigermücke, die unter anderem das Dengue-Fieber überträgt, sind zum Beispiel Autoreifen ein klassischer Verbreitungsweg. In den Mänteln der Reifen sammelt sich Wasser – das ist schön warm und die perfekte Brutstätte für Mückenlarven. Auf diese Weise legen sie große Entfernungen zurück, bevor sie schließlich hier schlüpfen. So ist die Tigermücke wahrscheinlich zu uns gekommen.

Und mit ihr das Dengue-Fieber?

Noch nicht, aber möglicherweise ist das nur eine Frage der Zeit. Wir haben gerade einen Dengue-Fieber-Ausbruch am Gardasee gesehen, einem der beliebtesten Urlaubsorte der Deutschen. Es reicht im Prinzip eine infizierte Reiserückkehrerin, die von einer Tigermücke gestochen wird, die dann das Virus weiterträgt – oder eine infizierte Mücke, die hierher gelangt. Dennoch wird es in Deutschland eher keine großen Ausbrüche geben, dafür ist einfach die heiße Zeit des Sommers zu kurz.

Sind Stechmücken bei der Verbreitung dieser Krankheiten die größte Gefahr?

Auf dem Vormarsch sind bei uns vor allem Virusinfektionen, die über Stechmücken übertragen werden, ja. Bei milderen Wintern können mehr von ihnen bei uns überwintern und sich besser entwickeln. Die Phasen im Jahr, in denen kontinuierlich die nötigen Temperaturen herrschen, werden länger – und längere warme Sommer führen dazu, dass sich solche Infektionskrankheiten eher durchsetzen können. Jedes Grad höher beschleunigt die Entwicklung der Viren in den Mosquitos bis zu einem bestimmten Level. Das West-Nil-Virus gab es hier in Deutschland zum Beispiel nie, jetzt haben wir Fälle in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen. Nicht viele, aber die Erkrankung hat sich nun wohl etabliert. Dabei sind jedoch nicht nur die Mücken ein Problem.

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    Sondern?

    Bei der Verbreitung der Viren spielen auch Wirtstiere eine Rolle – das haben wir in den USA gesehen: 1999 wurde das West-Nil-Virus in die USA eingeschleppt. Es wird vermutet, dass ein infizierter Moskito per Flugzeug aus Tel-Aviv nach Manhattan gekommen ist. Zunächst starben Raben. Eine aufmerksame Ärztin, die die Erkrankung aus ihrem Heimatland kannte, hat das Vogelsterben untersucht und das West-Nil-Virus identifiziert. Aber da war es eigentlich schon zu spät. Durch die Vögel hat sich das Virus sehr schnell über das Land ausbreiten können. Jetzt ist die Erkrankung in den USA etabliert – und so wird das bei uns wahrscheinlich auch passieren.

    Übertragen unsere heimischen Stechmücken das West-Nil-Virus? Oder braucht es dafür tropische Spezies wie Tigermücken?

    Das versuchen wir am Institut gerade herauszufinden: Für eine bessere Risikoabschätzung untersuchen unsere darauf spezialisierten Forschenden heimische Stechmücken und testen, ob sie bestimmte Viren aus den Tropen übertragen könnten. In unserem Sicherheits-Insektarium haben unsere Mückenforscher und Virologinnen gesehen, dass einige heimische Culex-Arten in der Lage sind, das West-Nil-Virus, das Usutu-Virus oder das Sindbis-Virus zu übertragen.

    Wie wird bei dieser Forschung vorgegangen?

    Wir haben natürlich unzählig viele Mücken in der Zucht, aber die meisten sind einheimisch und nicht infiziert. Aus den Käfigen werden immer zehn entnommen, kommen in das Labor und werden dort infiziert. Am Ende des Tages müssen dann auch zehn wieder zurückkommen.

    Und im Labor bekommen die Mücken dann infiziertes Blut zu trinken?

    Genau. Die einen mögen es gern, wenn man ihnen das Blut auf einem Wattestäbchen gibt, die anderen müssen durch eine Membran stechen, wieder andere trinken einfach aus einem Tropfen. Das ist von Spezies zu Spezies unterschiedlich.

    Sie züchten hier im Institut diverse Parasiten zu Forschungszwecken. Das klingt erstmal riskant…

    Es ist nicht riskant. Und vor allem muss es sein, sonst kriegt man keine Impfstoffe und keine Medikamente, versteht diese Erreger nicht und kann keine Bekämpfungsmaßnahmen einleiten. Wir bilden Mediziner und Studierende aus, die das Mikroskopieren lernen und wissen müssen, wie diese Parasiten aussehen. Unser Routinelabor muss natürlich auch für Vergleiche immer etwas vorrätig haben, weil es manchmal nicht ganz einfach ist, Parasiten zu erkennen und einzuordnen. Dafür halten wir alle möglichen Parasiten im Labor vor und züchten in Kulturbehältern die nächsten Generationen.

    Eine Stechmücke wird unter dem Binokular untersucht.

    Foto von BNITM

    Wie groß ist die Gefahr, dass durch die Virusforschung Krankheiten nach Hamburg kommen?

    Das geht gegen null. Wir werden streng kontrolliert, alles ist doppelt und dreifach gesichert. Ebola hat bei uns die Sicherheitsstufe vier: Die Erreger werden eigentlich ausschließlich in ihren Gefäßen untersucht – unter einer Abzugshaube. Kämen sie da raus, wären sie im Labor gefangen, das mit Unterdruck über Schleusen gesichert ist und die Mitarbeiter tragen diese Astronautenanzüge. Nach der Schleuse gibt es noch einen anderen Raum, in dem auch wieder Unterdruck herrscht. Es ist also extrem unwahrscheinlich, dass ein Erreger diesen Bereich verlässt. Das einzige Risiko ist, dass man sich bei der Arbeit stechen und infizieren könnte – das kann man nie völlig ausschließen. Aber das weiß man dann ja und so entsteht keine Gefahr für die Bevölkerung.

    Eine der bekanntesten Tropenkrankheiten ist Malaria. Ist damit zu rechnen, dass sie bei uns ein Comeback erlebt?

    Tatsächlich gibt es immer wieder Einzelfälle bei uns. Weil sie aber sofort bemerkt werden und uns genug Gegenmaßnahmen zur Verfügung stehen, ist es unwahrscheinlich, dass sich die Erkrankung hier wieder ausbreitet. In den Jahren 2014/15 kam die Angst auf, Ebola könnte zu uns kommen. Aber auch hier sind die Chancen gering.

    Warum?

    Weil es die Flughunde, die für den Zyklus notwendig sind, hierzulande gar nicht gibt – zum Glück muss man sagen: Bei zoonotischen Erkrankungen, deren Zyklus ein Wirtstier miteinschließt, ist die Ausrottung nämlich besonders schwer. 

    Bei der Tollwut ist das in Deutschland 2008 gelungen.

    Genau, aber das war sehr aufwändig. Die Leishmaniose ist ein weiteres Beispiel. Das ist eine typische sogenannte vernachlässigte Tropenkrankheit, die durchaus tödlich enden kann und die es in den Mittelmeerländern gibt. Die Parasiten werden von Sandmücken übertragen und befallen vor allem Hunde und andere Tiere. Daher ist es schwer, an den Erreger ranzukommen – denn insbesondere streunende Hunde gehen ja nicht zum Arzt, wenn sie sich krank fühlen.

    Stecken sich Menschen schneller an, die in Gebieten leben, in denen Tropenkrankheiten nicht alltäglich sind?

    Vor allem ist eine Infektion gefährlicher. Bei Infektionserregern ist es meistens so, dass man eine Immunität aufbaut – bei Masern zum Beispiel lebenslang, bei anderen Erkrankungen hält sie ein paar Jahre. Nach der ersten Infektion ist das Erkrankungsrisiko geringer. Je öfter man sich ansteckt, desto besser ist man geschützt. Aber vor der ersten Infektion sind wir alle immunologisch naiv. Wenn Sie noch nie Kontakt zu Malariaerregern hatten, ist das eine sehr gefährliche Erkrankung: In Ihrem Körper sind keine Antikörper und der Erreger kann sich ungehindert im Körper ausbreiten. Sie sind dann immunologisch auf demselben Stand wie ein kleines Kind in Afrika. In Äquatorial- und Subsahara Afrika ist die Malaria vorwiegend eine Kinderkrankheit.

    Sind infizierte Kinder als Erwachsene dann immun? 

    Eine vollständige Immunität gegen Malaria gibt es nicht. Man sieht das zum Beispiel bei Fußballspielern aus Afrika, die hier in der Bundesliga spielen und sich lange nicht in ihren Heimatländern aufhalten. Nach wenigen Jahren haben sie ihre Immunität verloren und ein größeres Risiko, wieder zu erkranken, wenn sie ihre Familie besuchen. Die Parasiten sind sehr komplex: Wenn man zum Beispiel in Afrika eine gute Immunität erworben hat und dann nach Asien reist, trifft man auf ganz andere Parasitentypen, obwohl die Spezies eigentlich die gleiche ist. Dann steigt das Erkrankungsrisiko wieder.

    “Unsere Missionen sind die globale Gesundheit, die Gesundheit in ressourcenarmen Regionen und die Erforschung von vernachlässigten Krankheiten.”

    von Jürgen May
    Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin

    Wir haben hierzulande immer häufiger mit Tropenkrankheiten zu tun. Wäre es eine gute Idee, standardmäßig gegen diese Erkrankungen zu impfen? Zumindest die vulnerablen Gruppen?

    Das ist durchaus vorstellbar. Dazu muss es aber erst einmal eine Impfung geben – gegen Dengue gibt es sie. Aber letztendlich ist die Frage immer, wie viele Krankheitsfälle man durch eine Impfung verhindern kann und wann es sich auch volkswirtschaftlich lohnt. Natürlich ist auch wichtig, wie gefährlich eine Erkrankung ist. Man impft ja nicht die ganze Bevölkerung, um eine Handvoll Dengue-Fälle zu verhindern. Aber wenn das Risiko steigt, fängt man damit wohl an, am besten bei den gefährdeten Bevölkerungsgruppen – vor allem bei Kindern und älteren Menschen, wie es bei Influenza der Fall ist.

    Für wen forscht das Tropeninstitut eigentlich?

    Unsere Missionen sind die globale Gesundheit, die Gesundheit in ressourcenarmen Regionen und die Erforschung von vernachlässigten Krankheiten. Ich sehe eine Verpflichtung, die Länder, in denen die Krankheiten vorherrschen, beim Forschen zu unterstützen. Und je mehr wir über das, was in diesen Ländern passiert, wissen, desto eher können wir uns auch selbst schützen.

    Das BNITM hat in ostafrikanischen Ländern wie Kenia und Uganda mobile Labore im Einsatz, in denen nationale Fachleute für den allgemeinen Laborbetrieb ausgebildet und zu aktuellen diagnostischen Verfahren und zum Infektionsschutz geschult werden. 

    Foto von Taiplus

    Also geht es vor allem um die globale Gesundheit?

    Nicht nur, wir arbeiten natürlich auch in Deutschland, vor allem bei der Stechmücken-Forschung. Oder bei Bornaviren, die zu einer Enzephalitis, also zu einer Hirnentzündung, führen. Da gab es vor einigen Jahren drei unerklärliche Todesfälle in Sachsen-Anhalt. Die Erkrankten und dann Verstorbenen waren ältere Männer. Ein Kollege hier vom Institut hat zusammen mit dem Friedrich-Loeffler-Institut herausgefunden, dass sie mit Bornaviren infiziert waren, die eigentlich nur in den Tropen zu finden sind. Und wie kamen die hierher? Alle Männer haben Bunthörnchen gezüchtet, die aus den Tropen nach Deutschland gekommen sind und die möglicherweise Viren mitgebracht haben. Wobei es auch eine nah verwandte Virusart gibt, die natürlicherweise in Deutschland in Feldspitzmäusen vorkommt.

    Sie ermitteln also auch, woher die Erreger kommen?

    Ja, vieles, was wir machen, ist Detektivarbeit. Wir haben eben vor allem ein wissenschaftliches Interesse an diesen Dingen. Das hat uns alle irgendwann in diesen Bereich gebracht: Wie funktionieren Erreger, woher kommen sie, wie können sie überleben? Das ist das, was uns so treibt.

    Sind Tropeninstitute heute wichtiger denn je?

    Früher wurde unsere Notwendigkeit oft in Frage gestellt – aber nach den Ebola-Ausbrüchen und COVID-19 ist jetzt deutlich geworden, wie wichtig die Beschäftigung mit solchen Krankheiten ist.

    Erfahrt mehr über die paradiesischen Orte, aus denen die Tropenkrankheiten stammen. Zum Tag der Tropenwälder sendet National Geographic am 14.9. ab 22:30 gleich sieben Regenwald-Formate am Stück. National Geographic und National Geographic WILD empfangt ihr über unseren Partner Vodafone im GigaTV Paket.  

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