Mit Walen sprechen dank KI: 3 neue Erkenntnisse und ihre Folgen

Verstehen, was Tiere sagen? Eigentlich unvorstellbar! Doch mit der Hilfe von KI könnte das bald funktionieren. Diese neuen Erkenntnisse gibt es bereits über die Sprache der Wale.

Von Sarah Langer
Veröffentlicht am 7. Nov. 2023, 09:12 MEZ
Wale haben einen sehr intensive Sprache untereinander. Diese wird vielleicht bald entschlüsselt.

Wale haben einen sehr intensive Sprache untereinander. Diese wird vielleicht bald entschlüsselt.

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Schon in den späten 1960er Jahren entdeckten Wissenschaftler, dass Wale miteinander kommunizieren. Der im Juni 2023 verstorbene Dr. Roger Payne löste damals durch seine Aufnahmen von Walgesängen die „Save the Wales“-Bewegung aus, die zu einer der erfolgreichsten Naturschutzinitiativen wurde. Durch sie trat das Gesetz zum Schutz der Meeressäugetiere in Kraft und damit das Ende des Walfangs, wodurch mehrere Populationen der Wale vor dem Aussterben gerettet wurden. Doch die Wissenschaft wollte mehr: Sie wollte wirklich verstehen, wie diese Tiere kommunizierten - was genau sie sagen. Aus diesem Grund gründete sich im Jahr 2020 das Projekt CETI. Schon damals berichtete National Geographic über die Anfänge. Der Autor und Filmemacher Tom Mustill äußerte sich nun im Interview mit National Geographic über die neusten Ziele und Erkenntnisse.

Kommunikation mit Meeresbewohnern – bald möglich?

Mithilfe von Künstlicher Intelligenz will das CETI-Team, das sich aus führenden Expert:innen der KI und Verarbeitung natürlicher Sprache, aus Kryptographen, Linguisten, Meeresbiologen, Robotikern und Unterwasserakustikern zusammensetzt, die Sprache der Wale entschlüsseln. Was klingt wie ein Märchen, entwickelte sich in den letzten drei Jahren immer weiter zur Realität. 

Tom Mustill, ein britischer Filmemacher ist seit dem Jahr 2015 von Walen fasziniert: Damals überlebte er bei einer Kajaktour den Zusammenstoß mit einem 30 Tonnen schweren Buckelwal, der aus dem Wasser sprang und sich auf ihn fallen ließ[1] . Seitdem steht im engen Austausch mit CETI, dem CEO David Gruber und früher mit Dr. Payne. Anfang 2023 veröffentlichte Mustill das Buch „Die Sprache Wale“, in dem er mit verschiedenen Wissenschaftlern spricht, Begegnungen zwischen Menschen und Walen dokumentiert und zeigt, dass sich eine Revolution in der Erforschung der Tierkommunikation anbahnt. 

Erkenntnis 1: Zuhören sorgt für Artenschutz

Kommunikation bedeutet Wissen. Nach so vielen Expeditionen unter Wasser kann der Mensch sich manche Fragen immer noch nicht erklären. Wieso verhalten sich Wale wie sie es tun? Wie gehen sie miteinander um? Was treibt sie an? 

Bei Pottwalen beispielsweise handelt es sich um die größten Raubtiere der Welt. Meist jagen sie Tintenfische, die sich vor allem in der Dunkelheit und Tiefe des Ozeans aufhalten. Für diese Jagd benutzen Wale ihre Echoortung. Mitthilfe eines speziellen Organs im Kopf der Tiere erzeugen sie Klickströme, die an Objekten in ihrer Umgebung abprallen und sie so orten können. Doch mittlerweile weiß man, dass die Klicks, genannt Codas, nicht nur für die Jagd, sondern auch für die Kommunikation mit anderen Walen genutzt wird. 

Mustill erklärt, es sei das Ziel, erstmal nur zuzuhören. „Für einen Großteil unserer jüngsten Geschichte haben wir nicht in Betracht gezogen, dass andere Arten etwas Ähnliches wie Sprache haben könnten. Jetzt können wir herausfinden, wie wahr das ist.“ Es gehe hierbei um Empathie für andere Lebewesen. „Wenn wir anderen zuhören, hilft es uns, uns um sie zu kümmern. Bei Walen wurden wir motiviert, sie zu retten, als wir lernten, dass sie singen. Wir hoffen, dass, wenn wir verstehen können, was andere Arten sagen, die Menschen mehr um sie kümmern und daran arbeiten, ihr Leben zu verbessern.“ Es gehe vorrangig also um den Artenschutz und das Verständnis. 

Erkenntnis 2: Wurde das erste Wort entschlüsselt?

Doch eine ganze Sprache zu entschlüsseln, ist ein weiter Weg. Bisher sind nur einige Codes bekannt. So jagen beispielsweise Pottwale (die größten Raubtiere der Welt) meist Tintenfische, die sich in der Dunkelheit und Tiefe des Ozeans aufhalten. Für diese Jagd benutzen Wale ihre Echoortung. Mit Hilfe eines speziellen Organs im Kopf der Wale erzeugen sie Klickströme, die an Objekten in ihrer Umgebung abprallen und sie diese orten können. Doch mittlerweile weiß man, dass die Klicks, genannt Codas, nicht nur für die Jagd, sondern auch für die Kommunikation mit anderen Walen genutzt werden.

Im Moment sei es aber noch so, als hätte man „eine Meinung über das Leben der mikroskopischen Welt, bevor man ein Mikroskop verwendet“, so Mustill. „Man kann eine Idee haben, aber sie könnte komplett falsch sein!“ Um das zu ändern, wird die Sprache der Wale über weiche Tags, die sogenannten „Arrays“, die mithilfe von Drohnen abgeworfen werden und sich auf den Rücken der Wale mit Saugnäpfen festsetzen, aufgezeichnet. Seit diese Arrays verbessert wurden, halten sie selbst dem enormen Wasserdruck stand, während die Wale tief tauchen. In einem Nachtrag schreibt Mustill darüber in seinem Buch: „Da die Tags auch dann an Ort und Stelle bleiben, wenn die massiven Tiere über einen Kilometer tief tauchen, konnten sie beobachten, wie die Wale während der Jagd schweigen, dann aber miteinander plappern, wenn sie an die Oberfläche zurückkehren.“ 

Womöglich habe CETI mittlerweile auch das erste „Wort“ von Pottwalen entschlüsselt – ein Signal, das die Tiere nutzen, um ihren Tauchgang einzuleiten. Ebenfalls wird angenommen, dass die bisherige Annahme, die Tiere benützten nur eine Kombination aus rund drei Codas, nicht annähernd ausreichend ist. Nach diesen Erkenntnissen könnte die Sprache der Wale der menschlichen ähnlicher sein, als erwartet. Auch weitere Geräusche neben den bekannten Clickgeräuschen der Wale wurden durch das Abhören von CETI herausgefiltert - darunter ein Grunzen.  Gesicherte Ergebnisse wurden dazu nach heutigem Stand jedoch noch nicht veröffentlicht. 

BELIEBT

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    Erkenntnis 3: Es braucht feste Regeln, um mit Walen zu kommunizieren

    Sollte es den Forschern gelingen, die Sprache der Wale zu entschlüsseln, muss im nächsten Schritt die Frage geklärt werden, wie damit umgegangen wird. Bekommt irgendjemand die Rechte an den wissenschaftlichen Ergebnissen? Wie wird auf die Tiere zugegangen? Eine große Sorge des Tierfreunds Tom Mustill ist, dass die Kommunikation und ihre Werkzeuge von Menschen zu ihrem Vorteil missbraucht werden könnten: „Wale haben unglaubliche stimmliche Fähigkeiten, leistungsstarke Gehirne, ein langes Sozialleben und eine Vielzahl von Kommunikationsmitteln. Sie verwenden diese Laute, um sich gegenseitig Dinge beizubringen und ihr Leben miteinander zu verbinden“, erklärt er. In ihr Leben einzugreifen, indem man versuche, mit ihnen zu kommunizieren, könne fatale Auswirkungen haben. Es müsse vorher ganz genau festgelegt werden, wozu die Kommunikation genutzt würde, wer sie benutzen dürfe, wer die Daten wohin weitergeben dürfe. Am allerwichtigsten sei jedoch die Frage, wie man die Wale um Erlaubnis für einen Kontakt mit Menschen bitten könne.

    In seinem Buch beschreibt Mustill ein Gespräch mit David Gruber, dem Gründer von CETI: "Es ist wichtig zu überlegen, wer die Forschung durchführt und warum", sagte er zu mir. "Für CETI geht es darum, immer wieder zu fragen, ob diese Anstrengung dem Wohl der Wale dient, wie sie unsere Verbindung vertiefen und unseren Schutz des Lebens im Ozean verbessern kann.“

    Tom Mustills wünscht sich in erster Linie Zurückhaltung: „Vielleicht können wir, während wir darüber nachdenken, mit anderen Tieren zu sprechen, von einem alten menschlichen Brauch geleitet werden: Erst zuhören, dann sprechen.“ Kommunikation könne uns lehren, Tiere nicht mehr nur als Arten zu sehen, sondern als Individuen mit Persönlichkeit. Der verstorbene Dr. Roger Payne schrieb in einem seiner letzten Artikel für das Time-Magazin: „Jede Spezies, einschließlich der Mensch, ist darauf angewiesen, eine Reihe anderer Arten zu erhalten, um die Welt für sie bewohnbar zu machen. Man muss herausfinden, wie wir uns selbst und unsere Mitmenschen dazu motivieren können, den Artenschutz zu unserer höchsten Berufung zu machen“. 

    Wie es mit CETI weiter geht, ob jemals eine Kommunikation mit Walen stattfinden wird – all das kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Das Tempo, mit dem sich die Technik und KI weiterentwickeln, geben den Wissenschaftlern jedoch Hoffnung. Ob es gut oder schlecht wäre, den Kontakt zu Walen aufzunehmen, muss an anderer Stelle geklärt werden.

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