Hochmodernes KI-Projekt soll die Sprache der Wale entschlüsseln

Künstliche Intelligenz, Robotik, Linguistik: Ein interdisziplinäres Team will in einem neuen Langzeit-Projekt die neusten Fortschritte der Wissenschaft nutzen, um herauszufinden, was sich Pottwale so erzählen.

Von Craig Welch
bilder von Brian Skerry
Veröffentlicht am 21. Apr. 2021, 16:55 MESZ
Pottwale wie dieses erwachsene Tier und sein Kalb, die in der Nähe der Karibiknation Dominica schwimmen, ...

Pottwale wie dieses erwachsene Tier und sein Kalb, die in der Nähe der Karibiknation Dominica schwimmen, kommunizieren mit Klicklauten. In der vermutlich größten Studie zur Kommunikation zwischen verschiedenen Arten in der Geschichte wollen Wissenschaftler mithilfe von maschinellem Lernen versuchen zu entschlüsseln, was diese Tiere einander erzählen.

Foto von Brian Skerry

An einem kühlen Frühlingsmorgen im Jahr 2008 belauschte Shane Gero zwei Wale, die sich unterhielten. Der kanadische Biologe hatte Pottwale vor dem karibischen Inselstaat Dominica verfolgt, als zwei männliche Tiere – Babys aus derselben Familie – nicht weit von seinem Boot auftauchten. Die Tiere, die die Spitznamen „Drop“ und „Doublebend“ trugen, berührten gegenseitig ihre großen, kastenförmigen Köpfe und begannen zu plaudern.

Pottwale „sprechen“ in Klicks, die sie in rhythmischen Reihen produzieren, den sogenannten Codas. Drei Jahre lang hatte Gero mit Unterwasserrekordern Codas von Hunderten von Walen aufgezeichnet. Aber so etwas hatte er noch nie gehört. Die Wale schnalzten 40 Minuten lang hin und her, manchmal reglos, manchmal zwirbelten sie ihre silbernen Körper umeinander wie Stränge eines Seils, aber nur selten schwiegen sie lange. Noch nie hatte sich Gero so verzweifelt gewünscht, zu verstehen, was die Wale sagten. Er fühlte sich, als würde er Brüder belauschen, die in ihrem Zimmer miteinander rangen. „Sie redeten und spielten und waren einfach Geschwister“, sagt er. „Da spielte sich eindeutig eine Menge ab.”

In den folgenden 13 Jahren würde Gero, ein National Geographic Explorer, Hunderte von Pottwalen aufnehmen und kennenlernen. Aber er kam immer wieder auf eine Erkenntnis zurück, die ihm kam, als er Drop und Doublebend zugehört hatte: Wenn Menschen jemals die Sprache der Wale entschlüsseln oder überhaupt feststellen wollen, ob Wale etwas besitzen, das wir tatsächlich „Sprache“ nennen könnten, müssen wir ihre Klicks mit dem Kontext verknüpfen. Der Schlüssel zur Kommunikation der Wale wäre das Wissen darum, wer die Tiere sind und was sie tun, wenn sie ihre Laute von sich geben.

Der Meeresbiologe Shane Gero hat Hunderte von Pottwalen rund um Dominica kennengelernt, darunter auch diese aus der von ihm so bezeichneten Familieneinheit F. Er und das CETI-Team hoffen, dass die Betrachtung von Walklicks im Kontext des Verhaltens der Tiere helfen wird, die Bedeutung ihrer Laute zu entschlüsseln.

Foto von Brian Skerry

Eine der beständigsten Sehnsüchte der Menschheit ist die faszinierende Vorstellung, dass wir uns eines Tages mit anderen Spezies unterhalten könnten. In den Jahren seit Geros Erkenntnis – und teils auch gerade deswegen – ist das Potenzial, diese Kommunikationslücke zu überbrücken, weniger phantastisch geworden. Am 19. April gab ein Team von Wissenschaftlern bekannt, dass sie sich auf eine fünfjährige Odyssee begeben haben, um auf Geros Arbeit mit einem hochmodernen Forschungsprojekt aufzubauen: Sie wollen versuchen zu entschlüsseln, was Pottwale sich so erzählen.

Ein solches Unterfangen wäre noch vor ein paar Jahren absurd gewesen – aber dieser Versuch wird sich nicht nur auf Geros Arbeit stützen. Das Team besteht aus Experten für Linguistik, Robotik, maschinelles Lernen und Kameratechnik. Sie werden sich stark auf die Fortschritte in der künstlichen Intelligenz stützen, die mittlerweile eine menschliche Sprache in eine andere übersetzen kann, ohne dass ein Schlüssel benötigt wird, also eine Art Stein von Rosette. Das Projekt, das den Namen Project CETI (Cetacean Translation Initiative) trägt, ist wahrscheinlich das größte Projekt zur Kommunikation zwischen verschiedenen Spezies in der Geschichte.

Die Wissenschaftler haben bereits damit begonnen, spezielle Video- und Audio-Aufnahmegeräte zu bauen. Ihr Ziel ist es, Millionen von Wal-Codas aufzunehmen und sie zu analysieren. Die Hoffnung ist, die zugrundeliegende Architektur des Walgeredes aufzudecken: Aus welchen Einheiten setzt sich die Kommunikation der Wale zusammen? Gibt es eine Grammatik, eine Syntax oder irgendetwas, das mit Wörtern und Sätzen vergleichbar ist? Die Experten werden verfolgen, wie sich Wale verhalten, wenn sie Klicks machen oder hören. Und dank Durchbrüchen in der natürlichen Sprachverarbeitung – jenem Forschungszweig der künstlichen Intelligenz, der Alexa und Siri hilft, auf Sprachbefehle zu reagieren – können die Forscher schließlich versuchen, diese Informationen zu interpretieren.

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Nichts Vergleichbares ist je versucht worden. Wir haben Hunde darauf trainiert, auf unsere Befehle zu reagieren, und Delfine haben gelernt, menschliche Pfiffe nachzuahmen. Wir haben Schimpansen und Gorillas beigebracht, Zeichensprache zu verwenden, und Bonobos können Fragen beantworten, indem sie Symbole auf einer Tastatur antippen. Ein Elefant in Seoul namens Koshik kann sogar ein paar Worte auf Koreanisch sprechen.

Aber das Ziel ist nicht, die Wale dazu zu bringen, Menschen zu verstehen. Es geht darum, zu verstehen, was sich Pottwale untereinander sagen, während sie in freier Wildbahn ihr Leben leben.

Walklicks wie Morsecode

Das Projekt begann mit einem anderen Meeresbiologen und mit einer einfachen Überlegung: Große Fortschritte entstehen oft, wenn Top-Experten aus verschiedenen, schnell voranschreitenden Disziplinen zusammenarbeiten.

David Gruber ist ebenfalls ein National Geographic Explorer, aber seine Interessen überschreiten traditionelle Grenzen. Der Professor für Biologie und Umweltwissenschaften an der City University of New York hat U-Boote eingesetzt, um Korallenriffe zu untersuchen. Aber er entdeckte auch eine biofluoreszierende Meeresschildkröte auf den Salomonen; fand heraus, dass Schwärme von Laternenaugenfischen ihr Licht nutzen, um ihre Bewegungen zu koordinieren; untersuchte die Moleküle, die Katzenhaie und einige Aale leuchten lassen; und baute eine Kamera, um die Sicht eines Hais auf die Welt nachzuahmen. Einmal tat er sich mit einem Robotiker zusammen, um ein filigranes Gerät mit sechs Tentakeln zu entwickeln, mit dem Forscher Quallen einsammeln können, ohne sie zu verletzen.

“Ich dachte immer, wenn ich die Leute dazu bringen könnte, sich in Quallen zu verlieben, könnten sie sich in alles verlieben. ”

von Meeresbiologe DAVID GRUBER, NATIONAL GEOGRAPHIC EXPLORER

Im Jahr 2017, während eines Stipendiums am Radcliffe Institute der Harvard University, entdeckte Gruber seine Faszination für Pottwale. Er war selbst Taucher und hatte gerade ein Buch über Freitaucher gelesen, die diese Tiere erforschen. Eines Tages, als er auf seinem Laptop Wal-Codas hörte, kam eine andere Radcliffe-Stipendiatin vorbei, Shafi Goldwasser.

„Die sind wirklich interessant – sie klingen wie Morsezeichen“, erinnert sich Gruber an Goldwassers Worte. Sie hatte für eine Gruppe von Radcliffe-Stipendiaten Vorträge über maschinelles Lernen gehalten, ein Teilgebiet der künstlichen Intelligenz, das Algorithmen einsetzt, um Muster in Daten zu finden und vorherzusagen. Heute steuert maschinelles Lernen alles von Suchmaschinen über Staubsaugerroboter bis hin zu autonomen Fahrzeugen. Sie drängte Gruber dazu, die Klicks mit ihrer Radcliffe-Gruppe zu teilen.

Zu dieser Gruppe gehörten auch ein paar Computergenies. Goldwasser selbst ist Informatikerin und eine der weltweit führenden Experten für Kryptografie. Michael Bronstein, Lehrstuhlinhaber für maschinelles Lernen am Imperial College London, gründete eine Firma für maschinelles Lernen, die er später an Twitter verkaufte, damit das Unternehmen Fake News in seinem Netzwerk erkennen konnte. Die Gruppe war von Grubers Präsentation fasziniert. Könnte maschinelles Lernen den Menschen helfen, die Kommunikation von Tieren zu verstehen?

Gruber sah eine Chance. Er hatte seine abwechslungsreiche Karriere damit verbracht, die Menschen für die Magie der Ozeane zu begeistern, indem er sich auf Dinge konzentrierte, die er bemerkenswert fand – Korallen, Biofluoreszenz, Quallen. Vielleicht war dies das Projekt, das die Menschen dazu inspirieren könnte, die Geheimnisse und Wunder des Meeres zu entdecken. „Ich dachte immer, wenn ich die Leute dazu bringen könnte, sich in Quallen zu verlieben, könnten sie sich in alles verlieben“, sagt Gruber. „Aber Wale haben etwas an sich, das die menschliche Neugier wirklich entfacht.“

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Gruber musste mit jemandem sprechen, der die Wale verstand. Also suchte er nach Gero, dem Gründer des Dominica Sperm Whale Project, das die Familiendynamik der Wale verfolgt, und schickte ihm eine E-Mail. Gero willigte ein, sich Grubers Idee anzuhören.

Linguisten behaupten, dass selbst den intelligentesten nicht-menschlichen Tieren ein Kommunikationssystem fehlt, das man als Sprache bezeichnen könnte. Aber könnten Wale eine Ausnahme darstellen? Die menschliche Sprache hat sich zumindest teilweise entwickelt, um soziale Beziehungen zu vermitteln – und Gero hat gezeigt, dass Pottwale ein komplexes Sozialleben führen.

Pottwale haben die größten Gehirne des Tierreichs, sechsmal größer als das unsere. Sie leben in von Weibchen dominierten sozialen Verbänden und tauschen Codas in einer Art Stakkato-Duett aus, besonders in der Nähe der Oberfläche. Sie teilen sich in Clans von Hunderten oder Tausenden Tieren auf, die sich mit unterschiedlichen Klick-Codas identifizieren. In gewisser Weise sprechen die Clans verschiedene Dialekte. Die Wale identifizieren sich auch gegenseitig durch spezifische Klickmuster, die sie wie Namen zu verwenden scheinen. Und sie lernen ihre Codas ähnlich, wie Menschen Sprache lernen: indem sie als Jungtiere Klicks brabbeln, bis sie das Repertoire ihrer Familie übernehmen.

Im Laufe der Jahre hat Gero Hunderte von Individuen aus zwei großen Clans vor Dominica identifiziert. Viele erkennt er auf den ersten Blick an den einzigartigen Markierungen auf ihren Fluken. Durch die Analyse von DNA aus Walfäkalien und Hautproben hat er Großmütter, Tanten, Brüder und Schwestern identifiziert.

Und er hat detaillierte Aufzeichnungen geführt, darunter Tausende von ausführlich kommentierten Aufnahmen von Klicklauten, die beschreiben, wer sie erzeugt hat, zu welchem Clan die Tiere gehörten, mit wem sie zusammen waren und was sie gerade taten.

Das war mehr als genug für einen Test. Mit Hilfe von KI-Techniken und einigen von Geros Audiodaten trainierten Grubers Kollegen für maschinelles Lernen einen Computer darauf, einzelne Pottwale anhand ihrer Geräusche zu identifizieren. Der Computer lag in mehr als 94 Prozent der Fälle richtig.

Aufgeregt stellte Gruber eine Arbeitsgruppe zusammen, um dieses vielversprechende Ergebnis auszubauen. Neben Gero und Grubers Radcliffe-Computerkollegen gibt es noch den Walbiologen Roger Payne. Der MacArthur-Preisträger hat in den 1960ern und 1970ern die faszinierenden Gesänge der Buckelwale populär gemacht und damit die „Rettet die Wale“-Bewegung losgetreten. Mit von der Partie ist auch Robert Wood, ein Harvard-Roboterforscher, der zusammen mit Gruber das Quallenfanggerät konstruiert hat und dessen Labor selbstfaltende Origami und eine insektengroße Flugdrohne gebaut hat. Und da ist Daniela Rus, eine weitere MacArthur-Preisträgerin und Direktorin für Computerwissenschaften und künstliche Intelligenz am Massachusetts Institute of Technology.

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Maschinelles Lernen zur Mustererkennung

Das heißt aber nicht, dass die Chancen für die Wissenschaftler gut stehen.

In den letzten Jahrzehnten haben wir eine Menge über die einzigartigen Kommunikationsstrategien von Tieren gelernt. Präriehunde variieren ihre Rufe, je nachdem, ob sie von Falken, Kojoten oder Menschen angegriffen werden. Sie geben sogar unterschiedliche Laute von sich, wenn die Person, die sie sehen, groß oder klein ist, oder Weiß oder Rot trägt. Auch einige Affenarten geben bei bestimmten Gefahren unterschiedliche Alarmlaute von sich. Sie kreischen anders, wenn sich Leoparden nähern, als beim Anblick eines Adlers.

Die Entdeckung der Tierkommunikation wird zunehmend durch KI unterstützt. Mithilfe von maschinellem Lernen entschlüsselten Forscher 2016 die Rufunterschiede zwischen Nilflughunden, die sich um Nahrung streiten, und solchen, die um Ruheplätze kämpfen. Ratten und Mäuse kommunizieren weit über den Bereich des menschlichen Gehörs hinaus. Wissenschaftler wandelten diese Geräusche in Sonogramme um und ließen die entstandenen Bilder durch künstliche neuronale Netze laufen, die sich an den Schaltkreisen des menschlichen Gehirns orientieren. So verknüpften die Wissenschaftler 2019 verschiedene Geräusche mit verschiedenen Verhaltensweisen, beispielsweise der Flucht vor Gefahr oder dem Versuch, einen Partner anzulocken. Die Forscher tauften ihren Algorithmus „DeepSqueak“.

Pottwale verbringen nur etwa zehn Minuten pro Stunde in der Nähe der Oberfläche. Deshalb bauen Forscher eine Reihe von Audio- und Videorekordern, um aufzuzeichnen, was sie tief unter der Oberfläche miteinander reden. Künstliche Intelligenz wird dann nach Mustern in den Gesprächen suchen.

Foto von Brian Skerry

Solche Einblicke sind mittlerweile möglich, weil die Durchbrüche im maschinellen Lernen in den letzten zehn Jahren in rasantem Tempo erfolgten. Die Algorithmen wurden immer ausgefeilter und die Rechenleistung der Computer explodierte förmlich.

Ein Teil des maschinellen Lernens ist „begleitet“. Das heißt, Wissenschaftler geben Algorithmen Beispiele, die von Menschen kommentiert wurden, um sie zu trainieren. Durch die Analyse von Tausenden von Bildern, die mit „Katzen“ beschriftet sind, können Algorithmen zum Beispiel lernen, Katzen auf anderen Fotos zu erkennen.

Aber neuronale Netzwerke können Muster in Dingen wie Sprache auch ohne Starthilfe von Menschen finden. Ein Netzwerk wurde beispielsweise mit Millionen von Nachrichtenartikeln aus Google News gefüttert, zusammen mit Phrasen mit fehlenden Elementen – „_ oder nicht sein“. So konnte das Netzwerk ein mathematisches Modell für die Sprache erstellen. Dieses Modell lernte dann Assoziationen zwischen Wörtern, zum Beispiel, dass „Paris“ sich zu „Frankreich“ verhält wie „Rom“ zu „Italien“. Solche Modelle sind heute ein Eckpfeiler der natürlichen Sprachverarbeitung und werden beispielsweise verwendet, um vorherzusagen, ob eine Restaurantkritik auf Yelp negativ ist, oder um Spam-E-Mails zu erkennen.

Aber die Herausforderungen sind vielfältig. Die maschinelle Übersetzung ist für menschliche Sprache zum Teil auch deshalb möglich, weil Wortassoziationen in verschiedenen Sprachen in der Regel ähnlich sind: „Mond“ und „Himmel“ beziehen sich auf die gleiche Weise aufeinander wie die französischen Wörter „lune“ und „ciel“. „Bei Walen ist die große Frage, ob es so etwas überhaupt gibt“, sagt Jacob Andreas, ein Experte für die Verarbeitung natürlicher Sprache am MIT und Mitglied des Project CETI-Teams. „Gibt es minimale Einheiten innerhalb dieses Kommunikationssystems, die sich wie Sprache verhalten, und gibt es Regeln, um sie zu kombinieren?“

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Um das herauszufinden, will das Team eine Vielzahl von Techniken einsetzen. Ein Deep-Network-Ansatz versucht zum Beispiel, ein System von Regeln für Sprache zu skizzieren. Dann prüft es, ob „Einheiten“ der Konversation diese Regeln erfüllen. Wenn dies nicht der Fall ist, nimmt es Anpassungen vor und versucht es erneut. Computer führen „diesen Prozess des Optimierens und Validierens von Regeln sehr schnell durch und wiederholen ihn tausende oder Millionen Mal, um eine Reihe von Regeln zu erstellen, die die Daten gut erklären“, sagt Andreas.

Natürlich hängt der Fortschritt davon ab, ob die Forscher genügend Daten sammeln. Maschinelles Lernen erfordert riesige Mengen an Informationen, aber Geros Aufnahmen gehen nur in die Tausende. Um Muster in der Walsprache zu finden, werden wahrscheinlich mehrere zehn Millionen Codas benötigt, vielleicht sogar mehr.

Und wie Gero schon bei Drop und Doublebend vermutete, glauben die Wissenschaftler, dass sie die Kommunikation mit dem Verhalten abgleichen müssen. Gibt es eine bestimmte Coda, die vor der Jagd auftaucht, oder eine Sequenz, die produziert wird, wenn sich die Wale zur Paarung zusammenfinden?

„Es ist das Cocktailparty-Problem“, sagt Gruber. Verteilt man ein paar Mikrofone auf einer Party, nimmt man Gesprächsfetzen auf. Aber wenn man die Leute beobachtet – wer berührt wessen Arm, wer sucht den Raum nach besserer Gesellschaft ab –, „dann fängt die ganze Szene an, mehr Sinn zu ergeben“, sagt Gruber.

Revolution in der Tierkommunikationsforschung

Am Montag stellte das Team wichtige Schritte vor, um dieses Ziel zu erreichen. Die CETI-Leiter haben eine Partnerschaft mit Dominica geschlossen, um in den Gewässern des Landes mehr Technologie zur Walüberwachung einzusetzen. CETI wurde außerdem zum Ted Audacious Project ernannt, wodurch das Projekt mit acht großen philanthropischen Spendern in Verbindung gebracht wurde. Das Team hat außerdem Förderung von der National Geographic Society erhalten.

Die CETI-Forscher haben bereits ein Jahr damit verbracht, ein massives Array hochentwickelter, hochauflösender Unterwassersensoren zu entwickeln, die 24 Stunden am Tag Geräusche in einem großen Teil von Geros Walstudiengebiet aufzeichnen werden. Drei dieser Abhörsysteme, die jeweils an einer Boje an der Oberfläche befestigt sind, werden direkt auf den Grund hinabgelassen und sind alle paar hundert Meter mit Hydrophonen versehen.

“Es geht darum, den Walen in ihrer eigenen Umgebung zuzuhören, zu ihren eigenen Bedingungen.”

von Meeresbiologe DAVID GRUBER, NATIONAL GEOGRAPHIC EXPLORER

Der Harvard-Roboterforscher und National Geographic Explorer Wood und das Exploration Technology Lab von National Geographic halfen bei der Entwicklung einer neuen Videokamera, die mit Saugnäpfen an Walen befestigt wird. Im Gegensatz zu früheren Versionen kann diese Kamera dem Druck in der Tiefe, in der die Wale jagen, standhalten, Bilder in fast völliger Dunkelheit aufnehmen und Audioaufnahmen in hoher Qualität machen.

Rus arbeitet am MIT an weiterer Robotik und hilft bei der Entwicklung von Luft-, Schwimm- und Unterwasserdrohnen, die unauffällig Ton und Video aufzeichnen können. Kürzlich half sie beim Bau eines Schwimmroboters, der sich lautlos fortbewegt und die wellenförmigen Schwanzbewegungen von Rifffischen nachahmt.

„Wir wollen so viel wie möglich wissen“, sagt Gruber. „Was macht das Wetter? Wer redet mit wem? Was passiert in zehn Kilometern Entfernung? Ist der Wal hungrig, krank, trächtig, paart er sich? Aber wir wollen dabei so unsichtbar wie möglich sein.“

Außenstehende Experten sagen, dass CETI Elemente der Wildtierforschung revolutionieren könnte. Janet Mann ist eine Professorin an der Georgetown University, die seit Jahrzehnten Delfine in Australien studiert. Ihr zufolge könnte das Projekt „bahnbrechend für Pottwale sein, aber auch für die Untersuchung anderer tierischer Kommunikationssysteme“.

Die Akustikökologin Michelle Fournet von der Cornell University sagt, dass das Projekt ein zentrales Problem der Tierforschung anspricht: Menschen, einschließlich Wissenschaftler, neigen dazu, in Tierverhalten menschenähnliche Muster zu sehen. „Wir sehen einen Buckelwal, der mit seiner Brustflosse winkt, und denken, dass er Hallo sagt“, sagt sie. Aber Buckelwale sind normalerweise einfach nur aggressiv. Künstliche Intelligenz kann unsere Voreingenommenheit ausgleichen und die Bedeutung von Kommunikation und Verhalten akkurater bestimmen, so Fournet.

Für die CETI-Forscher liegt ein Großteil des Wertes in der Entdeckungsreise selbst. Die Apollo-Mission brachte Menschen auf den Mond, aber auf dem Weg dorthin erfanden sie Taschenrechner, Klettverschlüsse und Transistoren. Und sie halfen, das digitale Zeitalter einzuläuten, das dieses Projekt möglich macht. Selbst wenn CETI den Code des Pottwals nie knackt, werden die Forscher mit Sicherheit bedeutende Fortschritte im Bereich des maschinellen Lernens und der Tierkommunikation machen – und sie werden unser Verständnis für eines der geheimnisvollsten Lebewesen der Welt erweitern.

Und in einigen Jahren, wenn die Struktur der Pottwalvokalisationen klarer wird, könnte das Team versuchen, mit den Walen zu kommunizieren – allerdings nicht, um einen Dialog zwischen den Arten zu führen, sondern um zu sehen, ob die Wale vorhersehbar reagieren. Das Ziel wäre es, die Einschätzung des Teams zur Pottwal-Kommunikation zu validieren.

„Da kommt durchaus die Frage kommt auf: Was werden wir zu ihnen sagen? Das geht aber irgendwie am Thema vorbei“, sagt Gero. „Es setzt voraus, dass sie eine Sprache haben, um über uns und Boote oder das Wetter oder was auch immer zu reden.“

Gruber stimmt dem zu. „Es geht nicht darum, dass wir mit ihnen reden“, sagt er. „Es geht darum, den Walen in ihrer eigenen Umgebung zuzuhören, zu ihren eigenen Bedingungen. Die zugrundeliegende Idee ist, dass wir wissen wollen, was sie sagen – dass wir uns dafür interessieren.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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