Überraschende Studie: Die 3 häufigsten Todesursachen von Robben

Robben sind die größten Raubtiere Deutschlands und trotzdem in Lebensgefahr. Studien enthüllen eine dramatische Entwicklung: Die seltenen Meeressäuger fallen nicht mehr der Jagd, sondern dem Meeresmüll zum Opfer.

Von Sophie-Claire Wieneke
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Veröffentlicht am 19. Apr. 2024, 09:00 MESZ
Seerobbe am Strand mit Fischernetz um ihren Hals.

Der Meeresmüll zählt zu den häufigsten Todesursachen von Robben. Häufig leiden die Meersäuger lange, bevor sie an den Folgen sterben. So zum Beispiel, wenn sie sich in einem Fischernetz verfangen. Das Material schneidet sich langsam in die Haut der Tiere, sorgt für Wunden, Entzündungen und führt so zum Tod. 

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Die gute Nachricht zuerst: Die Populationen beider Robbenarten, die der Kegelrobben und der Seehunde, erholen sich. Laut Zählungen aus dem Jahr 2023 umfasst der Bestand an Kegelrobben drei Populationen und damit 632.000 Tiere. Der größte Teil der ostatlantischen Population, rund 157.000 Tiere, lebt in Großbritannien. 2023 wurden 10.544 Kegelrobben im gesamten trilateralen Wattenmeer (Niederlande, Deutschland und Dänemark) gezählt. Die Ostsee bietet laut Daten aus dem Jahr 2021 ca. 42.000 Kegelrobben einen Lebensraum.

Der weltweite Bestand der Seehunde liegt Schätzungen zu Folge zwischen 315.000 und 640.000 Individuen. Während die Tiere international nicht auf der roten Liste als gefährdete Art aufgeführt werden, sieht es in Deutschland anders aus – hier gilt die Art als gefährdet. Und das, obwohl jüngste Zählungen darauf hindeuten, dass sich der Bestand erholt. So wurden Jahr 2022 wurden 23.654 Seehunde im trilateralen Wattenmeer gezählt. 

Doch die Erfolgsgeschichte der Meeressäuger bedeutet gleichzeitig, dass mehr Individuen dieser Arten mit Meeresmüll in Kontakt kommen – einer der Hauptbedrohungen für die Populationen, wie eine niederländische Studie herausfand. Im Vergleich zu früheren Studien hätten sich die tödlichen und nicht tödlichen Begegnungen zwischen Robben und Seehunden mit Müll in den Jahren 2010 bis 2020 vervierfacht. Die gesundheitlichen Folgen seien so gravierend, dass sie viele Tiere das Leben kostet. Das Forscherteam um Anna Salazar vom Robbenzentrum Pieterburen veröffentlichte ihre Ergebnisse in der Zeitschrift Oceans. Sie zeigen deutlich, dass die Gefahr für Robben im Wattenmeer durch Meeresmüll steigt. 

Belgische Küste: Zahl der toten Robben steigt

Nicht nur in den Niederlanden wurden alarmierende Entwicklung belegt. Dass auch an der belgischen Küste die Zahl der durch Meeresmüll verendeten Robben dramatisch steigt, untersuchten die Wissenschaftler Sophie Haelters und Francis Kerckhof vom Königlichen belgischen Institut für Naturwissenschaften, zusammen mit Sophie Brasseur vom Wageningen Marine Research, indem sie die tot aufgefundenen Robben an der belgischen Nordseeküste zahlenmäßig dokumentierten. Während die verendeten Tiere in den vergangenen Jahrzehnten die 50 nie überschritten, erreichte sie im Jahr 2021 ein Extrem-Hoch mit 101 Totfunden auf einem nur 67 Kilometer langem Abschnitt an der Nordseeküste. 

Meeresmüll gehört zu den Häufigsten Todesursachen von Robben. Wenn sie Glück haben, können Sie von Hilfsorganisationen gefangen, medizinisch versorgt und wieder freigelassen werden. Viele verenden jedoch qualvoll. 

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Robben-Population in Deutschland stark Rückgängig

Wie bedroht die deutsche Robbenpopulation ist, zeigt beispielsweise ihr deutlicher Rückgang um rund fünf Prozent in Schleswig-Holstein. Lebten im Jahr 2022 noch 8.384 Robben an der Küste, sind es im Folgejahr 2023 nur noch 7.936. Die Zahlen für Helgoland zeigen den Rückgang noch drastischer: Hier sank der ohnehin geringe Bestand um 27 Prozent – von 98 auf 72 Tiere. Lediglich in Hamburg und Niedersachsen sind Zuwächse von 17 Prozent zu verzeichnen.

Ob das Schrumpfen der Population in direkter Verbindung mit dem Müll im Meer steht, ist noch nicht abschließend geklärt, dass dieser eine Bedrohung darstellt, lässt sich jedoch nicht abstreiten. Experten vermuten zudem verschlechterte Umweltbedingungen oder eine biologische Kapazitätsgrenze als Ursache. Letzteres beschreibt die maximale Bestandsgröße einer Art, die langfristig in einem Lebensraum überleben kann.

Für den Biologen Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz kommen folgenden Ursachen für die sinkenden Zahlen infrage: „Eingeschränkte Nahrungsressourcen oder Umweltgifte, welche die Tiere schädigen, sind sicher ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Zudem gibt es immer mehr Störungen durch zu viele Touristen (Übertourismus) und zumindest in Deutschland kein professionell aufgestelltes Meeressäuger-Management.“

BELIEBT

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    Seehunde und Kegelrobben sind aufgrund ihres Verhaltens für bestimmte Kontakte mit Meeresmüll anfällig. Während Seehunde eher mit Angelhaken in Berührung kommen, sind Kegelrobben für Fischernetze prädestiniert. 

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    Meeresmüll: Häufigste Todesursache von Robben

    Die Jagd auf Robben wird in dem beobachteten Kulturkreis nicht praktiziert und spielt keine gesellschaftliche Rolle – und trotzdem stellt der Mensch, zumindest indirekt, die größte Gefahr für die Meeressäuger dar. Denn er verursacht Meeresmüll, der vergessen durch die Weltmeere treibt und das Ende vieler Meerestiere bedeutet. Laut Nabu kosten die Reste unserer Wegwerfgesellschaft jährlich bis zu 135.000 Meeressäuger das Leben.

    Die niederländische Studie hat genau definiert, was als Meeresmüll eingestuft wird. Als Meeresmüll gilt demnach „jedes persistente, hergestellte oder verarbeitete feste Material, das direkt oder indirekt, absichtlich oder unabsichtlich in die Meeresumwelt entsorgt oder zurückgelassen wird“.

    Neben Abfall vom Land, der achtlos weggeworfen und über Flüsse und Wind ins Meer getragen wird (der Rhein schwemmt jährlich bis zu 380 Tonnen Kunststoff in die Nordsee), spielen regional auch die Einträge aus Fischerei, Schifffahrt und der Offshore-Industrie eine große Rolle. Wissenschaftler des The Ocean Cleanup-Projekts stellten fest, dass bis zu 86 Prozent des pazifischen Müllteppichs (GPGP) aus zurückgelassenem, verlorenem oder unsachgemäß entsorgtem Fischereizubehör bestehen.

    Fischernetze und angelschnüre werden den Meeressäugern zum Verhängnis. Die Tiere verheddern sich darin und werden langsam dabei aufgeschlitzt. 

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    1. Tod durch Fischernetze

    Laut Studie waren für 83,4 Prozent der gemeldeten Robbenfunde (tot oder verletzt) Materialien aus der Boots- und Fischereiindustrie verantwortlich. Dazu zählten Fischernetze, Seile, Angelschnüre, Angelhaken und weitere. 40,7 Prozent der Verletzungen durch Fischernetze sind durch Umwicklungen um den Halsbereich entstanden. 14,8 Prozent der Verletzungen wurden durch Netze und Schnüre hervorgerufen, die sich um den gesamten Körper der Robbe gelegt haben. 7,4 Prozent waren für Verletzungen an den Schwanzflossen verantwortlich und rund 3,7 Prozent für das Verheddern an der Schnauze.

    2. Tod durch Ertrinken

    Das müllbedingte Robbensterben ist dabei keinesfalls ein Problem, welches nur Belgien und die Niederlande betrifft. 2017 wurden in Deutschland 23 verendete Robben im Küstenbereich der Insel Rügen angespült. Die Tiere waren ausgewachsen, allesamt gut genährt und wiesen keine äußeren Verletzungen auf. Damit auch eine Epidemie ausgeschlossen werden konnte, wurden bakteriologische und virologische Untersuchungen durchgeführt, dies jedoch ohne Ergebnis. Die entdeckten Symptome deuteten jedoch auf ein Herz-Kreislauf-Versagen hin, wie es beim Ertrinkungstod der Fall ist. Linda Westphal forscht am Deutschen Meeresmuseum in Stralsund zu Kegelrobben und schlussfolgert: „Nach Ausschluss aller anderen Todesursachen ist der Tod durch Ertrinken die einzig verbliebene mögliche Todesursache.“ 

    Vielen Robben werden die Fischernetze nicht nur deshalb zum Verhängnis, weil sie darin stecken. Zahlreiche Tiere ertrinken, da sie nicht mehr an die Wasseroberfläche gelangen, um zu antmen. 

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    3. Verschluckter Müll als Todesursache

    Im Vergleich zwischen Kegelrobben und Seehunden wurde durch die Studie deutlich, dass 93,8 Prozent der Kegelrobben eher von äußeren Verstrickungen, wie z. B. durch Fischernetze, verletzt werden. Seehunde hingegen sind anfälliger für innere Verletzungen, wie beispielsweise durch das Verschlucken von Angelhaken oder anderem Müll. Eine weitere Gefahr sind die im Körper freigesetzten Giftstoffe durch den Kunststoff, welche als indirekte Todesfolge gewertet werden. Schadstoffe wie Bisphenol (BPA) werden im Körper nicht verstoffwechselt. Eine Folge sind endokrine Störungen. Der Sammelbegriff bezeichnet Erkrankungen der Hormonproduktion oder -funktion der Schilddrüse. Wachstums- und Fortpflanzungsstörungen können ebenfalls auftreten.

    Darum unterscheiden sich die Todesursachen nach Robbenart

    Die Forscher erklären sich diese unterschiedlichen Todesursachen mit den verschiedenen Verhaltensweisen beider Arten: Kegelrobben haben ein ausgeprägt spielerisches Verhalten, welches besonders bei Jungtieren zu beobachten ist. Sie entfernen sich bei der Suche nach Nahrung häufig weiter von ihren Fangplätzen und jagen größere Beute. Das bringt sie eher in die Nähe von aktiven Fischgründen. Das spielerische Verhalten in Kombination mit ihrer neugierigen Art führt dazu, dass sie sich eher in Fischernetzen verfangen als Seehunde. 

    Da Seehunde vorzugsweise in flachen Gewässern jagen und auf kleinere Beutetiere spezialisiert sind, kommen Sie primär mit der Freizeitfischerei in Kontakt. So erklären sich die Forscher der niederländischen Studie, wieso die Tiere häufiger Angelhaken und Schnüre verschlucken. Ein geschluckter Angelhaken kann die peristaltischen Darmbewegungen beeinträchtigen und zu einem Darmverschluss führen. Auch innere Verletzungen der Verdauungsorgane durch den Haken sind möglich. Eindeutige wissenschaftliche Belege gibt es für diese Hypothesen jedoch noch nicht. 

    Kommen Meeressäuger also mit Müll unterschiedlicher Art und Herkunft in Kontakt, kann dies das Verhalten der Tiere negativ beeinträchtigen und lebensbedrohliche Folgen haben. Robben, die durch ein Fischernetz oder ein Seil in ihrer körperlichen Beweglichkeit eingeschränkt sind, können nicht mehr wie gewohnt jagen. Zum einen macht sie die zu leichte Beute für andere Prädatoren, zum anderen kann die Robbe verhungern. Zudem entstehen teils schwere Verletzungen, die sich entzünden und früher oder später zum Tod führen. Gleiches gilt für innere Verletzungen, bedingt durch verschluckte Angelhaken oder anderen Müll. 

    Körperlagen der Verstrickungen und deren Häufigkeit nach Arten getrennt. Oben in der Abbildung sind die Nummern der grauen Seehunde und unten die Nummern der Seehunde angezeigt.

    Illustriert von Salazar-Casals et al.

    EU-Strategien für weniger Plastikmüll im Meer

    Der Müll im Meer ist ein bekanntes Umweltproblem, welches sich mittlerweile aktiv auf die Lebensräume verschiedener Tierarten auswirkt. Schätzungen zufolge befindet sich im Jahr 2050 dem Gewicht nach gemessen mehr Plastikmüll im Meer als Fische. Der Schutz der Meeresumwelt wird damit zum Schutz für die darin lebenden Tierarten. 

    Um die Natur und die Meere zu schützen, hat die Europäische Union einzelne Maßnahmen geplant, die jedoch teilweise nicht ausreichend umgesetzt werden. 

    Beispielsweise bestimmt die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) der Europäischen Union seit 2008 den Rahmen für einen ganzheitlichen Meeresschutz in der EU. Sie bildet ein Schlüsselelement in Europa und fokussiert die Problematik der Meeresverschmutzung durch Müll. Dieser wird in den Richtlinien als wichtiges Kriterium ausgewiesen, der den Umweltzustand verschlechtert.

    Gegen Geisternetze geht neben einem internationalen Übereinkommen auch die EU-Fischerei-Kontrollverordnung vor: Sie verbietet das Entsorgen von Fischereigeräten im Meer und schreibt vor, dass verloren gegangene Netze den Behörden gemeldet werden müssen, die sich dann um die Bergung kümmern und die Kosten den Betrieben in Rechnung stellen können. Auch für Deutschland ist die Verordnung verpflichtend – doch bei der Umsetzung durch die EU-Mitgliedsstaaten gibt es, laut Greenpeace, noch Optimierungspotential, denn es existiere keine staatliche Erfassung verloren gegangener Netze, geschweige denn ein funktionierendes Bergungssystem.

    Daneben fordert der BUND ein Plastik-Einwegverbot, den Verzicht auf Mikroplastik sowie eine zügigere Umsetzung der EU-Einwegplastik-Richtlinie. Eine weitere zentrale Forderung ist auch, dass der Eintrag von Fischernetzen und Netzteilen in die Meere gestoppt wird. 
    Die Europäische Kommission betrachtet Kunststoffe als einen der sieben Schlüsselbereiche für die Erreichung einer Kreislaufwirtschaft in der EU bis 2050. Um Kunststoffabfälle zu bekämpfen, hat die Kommission bereits eine Europäische Strategie für Kunststoffe in einer Kreislaufwirtschaft vorgestellt, die unter anderem die schrittweise Einstellung der Verwendung von Mikroplastik vorsieht. 

    Bis zur konsequenten Umsetzung aller Maßnahmen, kann jeder einzelne bereits etwas tun: Plastik im Alltag vermeiden, wo immer es geht. Dann ist es nicht das eigene Wattestäbchen, das im Meer von einem Seepferdchen umklammert wird und als Bild um die Welt geht.

    Cover National Geographic 4/24

    Foto von National Geographic

    Noch mehr interessante Reportagen zu den Themen Natur und Umwelt finden Sie in der aktuellen Ausgabe NATIONAL GEOGRAPHIC Magazin 4/24.

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