Tiefe Trauer bei den Orcas: Diese Mutter trägt ihr totes Kalb auf dem Kopf

Zum zweiten Mal ist ein Baby des Schwertwalweibchens Tahlequah gestorben – und wie schon im Jahr 2018 kann sie sich von ihrem toten Nachwuchs nicht lösen.

Von Michelle Martin
Veröffentlicht am 8. Jan. 2025, 18:38 MEZ
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Tahlequah trägt den leblosen Körper ihres Kalbes am 1. Januar 2025 durch den Puget Sound im Nordwesten des US-Bundesstaats Washington.

Foto von Candice Emmons, Permit 27052, NOAA Fisheries, AP Images

Im Jahr 2018 erregte das Orca-Weibchen Tahlequah weltweit Aufmerksamkeit, weil es sein totes Kalb 17 Tage lang auf ihrem Kopf trug. Zwar sind auch andere Fälle von Meeressäugern bekannt, die ihre Toten auf ähnliche Weise mit sich nehmen, doch die Reise, die Tahlequah – die die Kennnummer J35 trägt – mit ihrem verstorbenen Kalb unternahm, war mit über 1.600 Kilometern außergewöhnlich lang. Sie war auch außergewöhnlich riskant, denn in dieser Zeit war es der Walkuh unmöglich, zu jagen.

Nun wiederholt sich die traurige Geschichte offenbar, denn Tahlequahs jüngster Nachwuchs, ein Mädchen, ist gestorben. Das Kalb wurde kurz vor Weihnachten 2024 zum ersten Mal gesichtet, doch vor dem Jahreswechsel war es bereits tot – und wieder trägt Talehquah ihr lebloses Baby auf ihrem Kopf.

Im engsten Kreis der Familie

Forschende sind nun besorgt, dass Tahlequah erneut nicht genug Nahrung aufnehmen wird, obwohl sie laut Michael Weiss, Forschungsleiter am Center for Whale Research in Friday Harbour, Washington, von ihrem Sohn Phoenix und ihrer Schwester Kiki begleitet wird. Im Jahr 2018 war Tahlequahs Mutter an ihrer Seite, diese ist jedoch inzwischen gestorben. Nun ist es vor allem Kiki, die ihre Beute mit der trauernden Schwester teilt.

Im Moment halten Tahlequah, Kiki und Phoenix „etwas Abstand von dem Rest des Pods“, sagt Weiss. „Sie schwimmen langsamer.” Die drei Orcas befänden sich jedoch in Hörweite der Familiengruppe.

Dass sie sich mit geringerer Geschwindigkeit fortbewegen, liegt vermutlich daran, dass das tote Kalb durch das Wasser gezogen und geschoben werden muss. Das verringerte Tempo könnte aber auch ein Zeichen der Trauer sein.

„Wir wissen, dass zwischen Orca-Müttern und ihrem Nachwuchs eine extrem starke Verbindung besteht“, so Weiss. „Es ist offensichtlich, dass J35 noch nicht bereit ist, loszulassen – und damit sind die Grenzen des Rahmens, in dem wir ihr Verhalten zu diesem Zeitpunkt interpretieren können, erreicht.“

Buckelwal

Einer Studie zufolge, die sich mit der Trauer und dem Verhalten verschiedener Walspezies gegenüber ihren Verstorbenen beschäftigt hat, könnten ausgewachsene Wale versuchen, den toten Nachwuchs wiederzubeleben, indem sie ihn auf dem Kopf tragen.

Southern Resident Killer Whales in Gefahr

Tahlequah gehört den Southern Resident Killer Whales (SRKW) an, einer Population ortstreuer Schwertwale, die im nordöstlichen Pazifik heimisch ist. Die Gruppe ernährt sich vorwiegend von Fisch, insbesondere von Lachs. Die Bestände des von den Orcas bevorzugten Königslachs (Oncorhynchus tshawytscha) sind inzwischen jedoch klein wie nie, was zu niedrigen Geburtenraten bei den SRKW und damit zu einem Schrumpfen der Population führt.

„Es ist weder der Fall, dass die Wale nicht trächtig werden, noch dass sie ihren Nachwuchs nicht eine Weile austragen“, sagt Weiss. „Kritisch wird es aber in der späten Phase – es gibt viele Totgeburten und Kälber, die sehr jung sterben.“ Der Verlust jungen Lebens sei in freier Wildbahn nichts Besonderes, doch die Häufigkeit, mit der dies bei den SRKW vorkommt, sei besorgniserregend.

Dass Tahlequah nun zum zweiten Mal ein Kalb verloren hat, sei auch für das Volk der Lummi herzzerreißend, sagt Kurt Russo von Se’Si’Le, einer Organisation der Indigenen. Die Lummi haben eine Jahrtausende alte Beziehung zu den SRKW und betrachten sie als Angehörige ihres Stammes. „Die Southern Resident Killer Whales sind Mitglieder des Clans Sk’aliCh’elh“, so Russo. „Sie sind mehr als Tiere, sie sind Verwandte. Und wir müssen dabei zusehen, wie die Kinder unserer Verwandten sinnlos sterben.“

Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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