China: Freiheit für die Pandas

Im Naturreservat Wolong züchten chinesische Forscher erfolgreich Große Pandas. Nun versuchen sie, die Bären auszuwildern und die frei lebende Population zu retten. Aber der Lebensraumder Pandas wird immer knapper.

Von Jennifer S. Holland
bilder von Ami Vitale
Foto von Ami Vitale

Zusammenfassung: Weltweit sind sie die Lieblinge in Zoos und Spielzeugläden: Große Pandas. In ihrem natürlichen Lebensraum in China, sind die Tiere vom Aussterben bedroht. Im Naturreservat Wolong im Südwesten des Landes, züchten Forscher erfolgreich Große Pandas und versuchen die Bären auszuwildern, um die frei lebende Population zu retten. Scheitert das Projekt, wird man die Bären bald nur noch in Zoos bewundern können.

Ich ducke mich tiefer ins Gras und beobachte das schwarz-weiße Fellknäuel, das da auf mich zutapst: ein Pandaweibchen, erst vier Monate alt. Es ist so groß wie ein Fußball, hat Kulleraugen, und duftet wahrscheinlich wie ein Baby. Am liebsten würde ich die Kleine knuddeln.

Die Bifengxia-Pandastation in Zentralchina, in der ich das Bärenmädchen aus der Nähe beobachten darf, ist einer der Orte, an dem sich die Zukunft von Ailuropoda melanoleuca entscheidet (und ein Happy End ist nicht garantiert). Bifengxia wirkt wie eine Mischung aus Tierpark und Labor. Besucher können hier Große Pandas beobachten, wie sie gemütlich im Außengehege sitzen und Berge von Bambuszweigen fressen.

In einer anderen Anlage, zu der nur Mitarbeiter Zutritt haben, befindet sich das Pandazuchtprogramm. Eine Art Hochsicherheitstrakt, die Gehege sind mit Betonmauern gesichert, die Türen mit Eisenstangen verstärkt. Jede Tür führt zu einem Außenbereich, in dem jeweils ein Pandaweibchen lebt – manche haben ein Junges im Arm. 18 Große Pandas wurden 2015 in Bifengxia geboren, mehr als in jedem Jahr zuvor. In ganz China waren es sogar 38 Junge. Und die Biologen, Pfleger und Reproduktionsexperten arbeiten daran, dass die Geburtenrate weiter steigt.

Die Großen Pandas sind die Popstars des Tierreichs. Weltweit sind die flauschigen Tollpatsche und gefräßigen Faulenzer die Lieblinge in Zoos und Spielzeugläden. Und im einzigen Land, in dem sie noch in freier Wildbahn existieren, ist ihre Bedeutung noch größer: In China ist der Pandabär ein Nationalsymbol, eine kulturelle Ikone und wichtige Einnahmequelle. Kein Wunder, dass die Regierung alles versucht, um eine der am stärksten bedrohten Tierarten der Erde vor dem Aussterben zu bewahren.

Die Zahl der Großen Pandas geht zurück, weil der Mensch immer tiefer in ihren natürlichen Lebensraum eindringt. Seit 1990 steht der Pandabär auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN. Seither haben die Chinesen die Zuchtmethoden perfektioniert und eine Population von einigen Hundert Exemplaren aufgebaut, die in Zoos und Forschungsinstituten leben. Doch einige Tiere in Gefangenschaft aufzuziehen und einer staunenden Menschenmenge zu präsentieren, sichert noch nicht das Überleben der Spezies in ihrem natürlichen Habitat. In einem nächsten Schritt wollen Wissenschaftler die Pandas auswildern und so die frei lebenden Populationen vergrößern. Scheitert das Projekt, ist der Große Panda dazu verdammt, für immer hinter Gittern zu leben.

Pandas sind Meister der Anpassung. „Wir Menschen sind daran gewöhnt, unsere Umwelt nach unseren Bedürfnissen zu verändern“, sagt Zhang Hemin, Leiter des chinesischen Naturschutz- und Forschungszentrums für den Großen Panda. Die Bären hingegen haben sich im Laufe der Zeit und aufgrund bestimmter Notwendigkeiten an eine sehr spezifische Umwelt angepasst. Zwar besitzen Pandas wie ihre karnivoren Verwandten scharfe Fangzähne, mit denen sie Fleisch zerreißen könnten, und Enzyme, die eine Verdauung von Fleisch ermöglichen (ihre DNA zeigt, dass sie tatsächlich zur Familie der echten Bären gehören). Knochenfunde aus einer Höhle in China deuten darauf hin, dass die Art, wie wir sie kennen, mindestens zwei Millionen Jahre alt ist.

Es ist unklar, wann und warum die Pandas zu Vegetariern wurden. Im Laufe der Äonen aber haben sie sich ihrer neuen Lebensweise immer weiter angepasst. Der moderne Panda hat abgeflachte Mahlzähne zum Zerkleinern faseriger Nahrung, eine Verlängerung des Handwurzelknochens an beiden Pfoten dient als eine Art Daumen, mit dem er Bambusäste besser greifen kann. Was er interessanterweise nicht hat, sind spezielle Darmbakterien, die den Bambus, der 99 Prozent seiner Nahrung ausmacht, aufspalten – ein Grund, warum Pandas über relativ wenig Energie verfügen. Um ausreichend Nährstoffe zu bekommen, nehmen sie täglich neun bis 18 Kilo Bambus zu sich.

Pandas sind keine reinen Vegetarier, manchmal fressen sie Raupen oder kleine Wirbeltiere. Aber sie bevorzugen Grünzeug, vor allem wenn es unter hohen, alten Bäumen mit versteckten Hohlräumen wächst, in denen sie ihre Jungen verstauen können. Die evolutionäre Spezialisierung, die ihnen früher einen Überlebensvorteil verschafft hat, erweist sich nun als kontraproduktiv. Waren sie einst in Süd- und Ostchina, im Norden von Myanmar und in Vietnam verbreitet, finden sie ihren bevorzugten Lebensraum heute nur noch in vereinzelten chinesischen Bergregionen. 99 Prozent ihres Habitats sind verschwunden.

Wie viele Große Pandas leben noch auf der Welt? In den 1970er-Jahren versuchten Forscher erstmals, diese Frage zu beantworten, und gingen von etwa 2500 wild lebenden Pandas aus. In den 1980er-Jahren sank ihre Zahl dramatisch, zum Teil wegen des periodischen Absterbens von Bambuspflanzen nach der Blüte. Normalerweise überleben Pandas solche ökologischen Ereignisse, indem sie in Regionen abwandern, in denen mehr Nahrung vorhanden ist. Doch wenn sie keine Ausweichmöglichkeiten finden, verhungern sie.

Laut einer Erhebung der chinesischen Regierung von 2014 leben 1864 Tiere in freier Wildbahn – 17 Prozent mehr als 2003. Eine positive Entwicklung? NATIONAL GEOGRAPHIC–Stipendiat Marc Brody, der die gemeinnützige Organisation Panda Mountain gegründet hat, warnt davor, den Zahlen allzu sehr zu vertrauen: „Vielleicht sind wir schlicht besser darin geworden, Pandas zu zählen.“ Es sei außerdem schwierig, Zahlen aus verschiedenen Jahrzehnten direkt zu vergleichen, da sich die Untersuchungsgebiete und Methoden immer wieder geändert haben. Unter anderem analysieren Forscher heute DNA, die in Panda-Kot enthalten ist.

Derweil wird die Pandazucht immer weiter intensiviert. Nach zahlreichen Rückschlägen in den Anfangsjahren gelang den chinesischen Wissenschaftlern Ende des 20. Jahrhunderts mit ausländischer Unterstützung die Wende. David Wildt vom Smithsonian-Institut für Naturschutzbiologie gehörte zu dem Team, das damals an der Pandazucht arbeitete. „Schon bald hatten wir einen Haufen Pandababys“, erzählt er. Die Forscher schafften es auch, Pandas mit hoher genetischer Vielfalt zu züchten, was bei kleinen Beständen mit begrenztem Genpool nicht einfach, für das Überleben einer Spezies aber entscheidend ist.

Waren Panda-Geburten früher eine Sensation, gehören sie heute zum Alltag in Bifengxia. Also: fast. „Selbst nach vielen Jahren auf der Station sind alle aufgeregt und voller Freude, wenn ein Panda trächtig ist und ein Junges zur Welt bringt“, erzählt der Tierpfleger Zhang Xin, der selbst eine ziemlich bärenartige Statur hat. „Wir kümmern uns jeden Tag um die erwachsenen Tiere und die Babys, kontrollieren, wie viel sie essen, wie ihr Kot aussieht und ob sie gute Laune haben. Wir wollen einfach, dass sie gesund sind.“

In dieser Umgebung läuft die Reproduktion natürlich alles andere als natürlich ab. Sperrt man Männchen und Weibchen einfach so zusammen, kommt es auch mal zu Kämpfen statt zur Paarung. Um die Tiere in Stimmung zu bringen, haben ihnen die Züchter „Panda-Pornos“ gezeigt – Videos von sich paarenden Pandas. Sie versuchten die Männchen mit Leckereien dazu zu bewegen, ihre Partnerin zu besteigen, und experimentierten mit chinesischen Kräutern, Viagra und Sexspielzeug. Direktor Zhang Hemin, der auch „Papa Panda“ genannt wird, erinnert sich an eine peinliche Einkaufstour in ein „Geschäft für Erwachsenenspielzeug“ in der Stadt Chengdu.

Die Pfleger wiegen die Jungtiere im Arm, geben ihnen die Flasche und massieren ihnen den Bauch, bis die Bären ein Bäuerchen machen.

„Wir haben dem Verkäufer gesagt, wir bräuchten einen Stimulator für weibliche Genitalien, der sich auch erwärmt“, erzählt er. „Dann musste ich ihn um eine Rechnung bitten, um die Kosten von der Regierung erstattet zu bekommen.“

In der Pandazucht arbeitet man heute mit künstlicher Befruchtung, bei der einem Weibchen manchmal auch Sperma von zwei Männchen eingesetzt wird. Die Weibchen sind allerdings nur einmal im Jahr für 24 bis 72 Stunden fruchtbar. Endokrinologen überwachen deshalb den Hormonspiegel im Urin der Tiere, um ihren Eisprung vorherzusagen und sie an den entsprechenden Tagen mehrmals zu besamen. Das erhöht die Chance, dass eine Eizelle befruchtet wird und sich in der Gebärmutter einnistet.

Danach lassen die Weibchen ihre Pfleger erst einmal monatelang im Ungewissen. „Es ist schwer festzustellen, ob ein Panda trächtig ist“, sagt der stellvertretende Direktor, Zhang Guiquan. „Der Fötus ist so winzig, dass man ihn beim Ultraschall leicht übersieht.“ Bei den Pandas kann sich das Einnisten des Embryos zudem verzögern, ihr Hormonspiegel schwankt unvorhersehbar und Fehlgeburten ereignen sich fast unbemerkt.

Pandas sind, auch wenn sich dieser Eindruck aufdrängt, keine sexuellen Versager. Über Millionen Jahre haben sich die wilden Bären schließlich ohne menschliche Hilfe fortgepflanzt, angeleitet von einem natürlichen Zyklus und ihren Instinkten. Sie folgten Duftmarkierungen, Paarungsrufen und komplexen sozialen Beziehungen. Dinge, die in Gefangenschaft weitgehend fehlen. Die künstliche Umgebung führt bei den Tieren zu Stress – auch wenn man es ihnen nicht ansieht. „Im Grunde verlangen wir von ihnen, sich in einer Telefonzelle zu paaren, während viele Leute zuschauen“, sagt der Ökologe William McShea von der Smithsonian Institution. „Mit natürlicher Reproduktion hat das wenig zu tun.“

Im Panda-Kindergarten der Station werden Jungtiere, die schwach sind oder von ihrer Mutter nicht angenommen werden, rund um die Uhr von Pflegern betreut. Sie wiegen sie im Arm, geben ihnen die Flasche, massieren ihnen den Bauch, bis die Bären ein Bäuerchen machen, und passen auf, das keines der quiekenden Fellbällchen aus seinem Körbchen ausbüxt.

Liu Juan, eine zierliche Frau mit schüchternem Blick hinter einer eckigen Brille, absolviert bereits ihre zweite 24-Stunden-Schicht in dieser Woche. Ihr kleiner Sohn bleibt zu Hause bei der Familie, während sie die Pandas bemuttert. „Ich mache diesen Job sehr gerne“, sagt sie. „Aber mein Körper hat nie Zeit, sich zu erholen. Der Stress führt zu Haarausfall.“ Es herrsche ein enormer Druck, die Jungen am Leben zu erhalten. „Sie sind so wichtig für China.“

Die meisten Pandas aus Bifengxia werden ihr Leben in Gefangenschaft verbringen, in China oder in ausländischen Zoos. Forscher in anderen Pandastationen der Provinz Sichuan arbeiten daran, die Bären auszuwildern.

Hetaoping, eine traditionsreiche Station im Nationalpark Wolong, liegt in einem Tal im Qionglai-Gebirge. Ende der 1970er-Jahre gründeten die Chinesen hier an den bewaldeten Hängen einen Forschungsstützpunkt. Seit 1980 kooperieren die Wissenschaftler mit der Naturschutzstiftung WWF, deren Wappentier der Große Panda ist. Im Auftrag des WWF reiste der amerikanische Zoologe George Schaller nach Hetaoping und leistete wichtige Grundlagenforschung, auf der unser heutiges Wissen über die Spezies basiert. „Papa Panda“ hat damals mit Schaller im Feld gearbeitet und lernte, „den Panda von ganzem Herzen zu lieben“, wie er erzählt. Zhang Hemin hatte in der Zeit ein Lieblingstier, ein neugieriges Weibchen, das seinen Teekessel demolierte, sein Essen stahl und sein Zelt besetzte. „Monatelang kam es jede Nacht zurück und hinterließ Kothäufchen als Geschenk auf meinem Bett.“

Heute werden in der Station Hetaoping ausgewählte Tiere auf das Leben in der Wildnis vorbereitet. Pfleger tragen Panda-Kostüme, die mit Panda-Urin „parfümiert“ sind, damit die jungen Bären sich nicht zu sehr an Menschen gewöhnen. Die Jungtiere bleiben zunächst in der Obhut ihrer Mutter. Nach etwa einem Jahr werden beide in ein großes, eingezäuntes Habitat in den Bergen gebracht, wo das Muttertier weiterhin seinen Nachwuchs trainiert, bis das Junge freigelassen wird. Das geschieht aber nur, wenn es bestimmte Kriterien erfüllt. Ein Bär müsse unabhängig und anderen Tieren und Menschen gegenüber misstrauisch sein, erklärt Zhang Hemin. Und er müsse in der Lage sein, Nahrung zu finden und sich selbst zu beschützen. Nicht alle Individuen sind für die Auswilderung geeignet.

Ein weiteres Problem ist, eine neue Heimat für die Bären zu finden. Seit den 1970er-Jahren wurde die Zahl der Pandareservate von zwölf auf 67 erhöht. Doch viele dieser Schutzgebiete sind sehr klein, bewohnt und von Straßen durchzogen. Außerdem halten sich laut dem Ökologen McShea ein Drittel der wild lebenden Pandas außerhalb der Reservate auf, wo geeigneter Lebensraum knapp sei. Die Bevölkerung immerhin hält Abstand zu den Tieren. „Niemand rührt Pandas an“, sagt McShea. „Für Wilderer sind sie ein absolutes Tabu.“ In China war die Panda-Jagd bis in die 1960er-Jahre legal, heute wird das Töten eines Bären mit 20 Jahren Gefängnis bestraft.

Ein größeres Problem stellt das Nutzvieh dar, das in Panda-Habitaten weidet. „Genau wie Pandas lieben auch Pferde sanfte Hügel und Bambuswälder“, sagt Zhang Jindong von der Universität China West Normal, der in Wolong forscht. Die Behörden ordneten 2012 an, Pferde aus den Panda-Wäldern fernzuhalten und stattdessen Yaks zu züchten. Aber auch diese Tiere vertreiben die Pandas. Zhang Jindong klingt ein wenig ratlos, wenn er fragt: „Wohin können sie gehen?“

„Für Wilderer sind Pandas ein absolutes Tabu“, sagt der Ökologe McShea. Das Töten eines Bären wird mit einer Haftstrafe von bis zu 20 Jahren bestraft.

Im Jahr 2008 starben bei einem starken Erdbeben in der Region Zehntausende Menschen. Die Katastrophe zerstörte viele Häuser in den Bergen, auch einen Teil von Hetaoping. Danach baute die Regierung Dörfer in tiefer gelegenen Gebieten und siedelte die Menschen um. Li Shufang, eine 75 Jahre alte Frau, steigt nun täglich mehrere Stunden den Berg hinauf und hinunter. Dort oben, wo die Familie vor dem Erdbeben lebte, versorgt sie Schweine und einen Garten. Als ich frage, wie es sich anfühle, für Tiere Platz machen zu müssen, zischt sie: „Warum wurden nicht die Pandas umgesiedelt?“

Um das zurückgewonnene Bergland zu einem Bären-Habitat zu machen, setzen einheimische Arbeiter Jungpflanzen ein, wo Wälder durch Holzeinschlag und Erdbebenschäden zurückgegangen sind. Dabei werden jedoch schnell wachsende Baumarten bevorzugt, deren Wurzeln zwar die Bodenerosion verhindern, die für Pandas aber nicht ideal sind. Der nahrhafteste Bambus wächst im Unterholz von alten Urwäldern. Die Berge um Hetaoping erschweren eine Aufforstung im großen Stil, weshalb die Wälder fragmentiert bleiben. Und auch die Panda-Populationen bleiben voneinander getrennt.

Laut Barney Long, dem Leiter des Artenschutzprogramms der Global Wildlife Conservation, sind lediglich neun von 33 Subpopulationen des Großen Pandas groß genug, um langfristig überleben zu können. Der Klimawandel wird die Lage weiter verschlechtern. Simulationsmodelle zeigen, dass sich der Lebensraum des Pandas durch die Folgen der Erderwärmung in den kommenden 70 Jahren um fast 60 Prozent reduzieren könnte. Wichtiger als die Zahl geborener Pandas sei es deshalb, den jungen Bären ein geeignetes Zuhause zu geben, meint Marc Brody von der Organisation Panda Mountain.

Die Auswilderung ist bislang nur teilweise erfolgreich. Von den fünf Pandas, die seit 2006 mit einem Sender am Halsband freigelassen wurden, sind nur noch drei am Leben. Zwei Bären wurden tot gefunden, einer davon fiel vermutlich einem aggressiven Artgenossen zum Opfer. Doch jeder Versuch führt auch dazu, dass die Wissenschaftler ein bisschen besser verstehen, wie sie die Bären optimal auf die wilde Wirklichkeit vorbereiten können.

Zhang Hemin ist deshalb zuversichtlich: „Unser großes Ziel ist es, Tier um Tier freizulassen“, sagt er. „Pandas zur Fortpflanzung zu bewegen, ist kein Problem mehr. Jetzt müssen wir jedoch dafür sorgen, dass es geeignete Lebensräume gibt, und die Pandas dorthin bringen.“ Das Pandamännchen Tao Tao („Kleiner Schlingel“) lebt seit vier Jahren in Freiheit und ist fortpflanzungsfähig. „Wir hoffen, dass die Tiere einander mögen, können aber nicht eingreifen“, sagt Yang Changjiang, Pfleger in Hetaoping. „Was dann kommt, liegt ganz an ihnen.“

Das Auswildern der Pandas wird Versuch und Irrtum, Zeit und Geld brauchen, sagt der Ökologe McShea. „Aber die Chinesen werden es schaffen.“

In einer Trainingsanlage in Wolong taucht Ye Ye am Zaun auf und wartet auf eine Leckerei. Ihr Junges Hua Yan („Hübsches Mädchen“) ist nirgends zu sehen, und das ist gut so. Unabhängigkeit ist der Schlüssel zum Überleben – und die Dreijährige wird bald ausgewildert.

Zunächst ist Hua Jiao („Zarte Schönheit“) an der Reihe. Die junge Bärin wird eingefangen, bekommt einen letzten Gesundheitscheck und ein Halsband mit Sender. In einem Käfig wird sie dann mit dem Auto ins 300 Kilometer entfernte Liziping-Naturreservat gebracht. Die Gegend ist ein gutes Panda-Habitat und die kleine Population bereit für ein neues Mitglied.

Es ist der Tag, auf den die Beteiligten seit dem Start dieses außergewöhnlichen Experiments hingearbeitet haben. Die Rettung der Pandas ist ein Prozess, an dem man Tag für Tag und Bär für Bär arbeiten muss. Die Auswilderung von Hua Jiao ist dabei ein kleiner, entscheidender Schritt. Fünf weitere Junge sollen ihr in den nächsten Jahren in die Wildnis folgen. Die Pandas werden weiter in den Schlagzeilen auftauchen, und niemand weiß, ob von einer Tragödie die Rede sein wird – oder von einem Triumph.

An diesem Morgen heben vier Männer unter einem strahlend blauen Himmel Hua Jiaos Käfig vom Lastwagen und stellen ihn mit der Öffnung in Richtung Wald ab. Barrieren aus Bambus weisen der Bärin den Weg und verbergen die neugierigen Zuschauer. Als ein Pfleger die Tür öffnet, bleibt das junge Pandaweibchen erst einmal sitzen und kaut unbeeindruckt weiter an seinem Bambus. Es ist Hua Jiaos letzte Mahlzeit in Gefangenschaft. Von jetzt an muss sie für sich selbst sorgen. In einigen Jahren sucht sie sich vielleicht einen Gefährten und wird, wenn alles gut geht, die Population um fünf oder mehr Junge vergrößern. Das ist zwar keine bahnbrechende Zahl, doch für die Großen Pandas, von denen nur noch knapp 2000 in Freiheit leben, zählt jedes einzelne Tier.

Die Pfleger reden Hua Jiao noch ein bisschen gut zu, und endlich wagt sie sich heraus. Sie blinzelt ins Licht, ihre Tatzen sinken in den weichen Waldboden. Und dann, ohne einen Blick zurück zu ihren Wärtern und auf ihr bisheriges Leben, spaziert sie in die Freiheit.

(NG, Heft 08 / 2016, Seite(n) 106 bis 127)

BELIEBT

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