Insekteneier: Das Ei-Bett

Wohin wir kommen, sind Insekten schon da. Niemand kann sagen, wie viele Arten es gibt.

Von Rob Dunn
bilder von Martin Oeggerli
Foto von Martin Oeggerli

Machen wir uns nichts vor: die Erde gehört nicht uns, sondern ihnen – den Insekten . Wir wissen ja nicht einmal, wieviele Arten es gibt. Unter jedem Stück Holz sehen wir etwas, das wir nie zuvor gesehen haben. Aus der Nähe betrachtet, erscheinen uns manche Insekten wie Aliens. aber für einen Beobachter im All wären wir Menschen die Minderheit mit der ausgefalleneren Lebensweise.

Unzählige Arten von Wirbeltieren entwickelten sich – und starben wieder aus. Derweil haben die Insekten jedes Stück Boden besiedelt, jeden Sumpf und jeden Baum. In unseren Biologie­büchern sprechen wir vom Zeitalter der Dinosaurier oder der Säugetiere . Doch seit die ersten Tiere aus dem Meer an Land gingen, herrscht auf der Erde das Zeitalter der Insekten.

Zum Teil wissen wir, was sie so erfolgreich macht. Vögel , Reptilien und Säugetiere kümmern sich um ihren Nachwuchs. Sie versorgen ihre Jungen mit Nahrung und kämpfen für ihren Schutz – alles Verhaltensweisen, die man bei den Insekten kaum findet. Die verlassen sich auf zweierlei: auf besonders widerstandsfähige Eier und auf einen raffinierten Legeapparat, der die Eier im Boden platziert, im Inneren von Holz, unter Blättern, in Pflanzenstängeln unter ­Wasser, manchmal sogar in anderen Tieren. Wenn es et­was gibt, das man als Ursache für die Vielfalt und den Erfolg der Insekten benennen kann, dann ist es die Tatsache, dass sie ihren Nachwuchs so in die Welt setzen, dass eine große Anzahl überlebt. Und das liegt an den Eiern.

Vor mehr als 300 Millionen Jahren, zu Beginn ihrer Entwicklung, waren Insekteneier noch glatt und rund. Heute sind sie so vielgestaltig wie die Orte, an denen Insekten leben. Manche Eier sehen aus wie Dreck. Andere ähneln Pflanzenteilen; die meisten Menschen könnten sie in der Hand haben, ohne sie zu erkennen. Einige Eier atmen durch Röhren, die sie aus dem Wasser in die Luft strecken. Andere hängen an seidigen Stielen. Wieder andere treiben im Wind oder kleben auf dem Rücken von Fliegen. Sie können orange, gelb, türkis, dunkelgrau oder ­elfenbeinfarben sein, Stacheln tragen, Flecken, Spiralen oder Streifen. Es liegt nahe zu vermuten, dass hier nicht nur die Gesetze der Biologie im Spiel waren. Ihr Aussehen lässt an einen Künstler denken, der sich auf winzige Formen spe­ziali­siert hat. Und doch sind diese Meisterwerke das Ergebnis der Evolution . In jedem Ei wächst ein Tier heran und wartet auf den richtigen Zeitpunkt, sich aus seiner Hülle zu befreien.

Im Prinzip funktioniert ein Insektenei wie jedes andere Ei. Die Schale entwickelt sich noch im Mutterleib. Dort muss eine Samenzelle die Mikropyle finden, eine Öffnung an einem Ende der Eizelle. Auf die Gelegenheit dazu warten gespeicherte Samenzellen im Körper der Mutter manchmal jahrelang. Mit der Vereinigung der beiden Zellen beginnt die Entwicklung der Insektenlarve. Allmählich bilden sich Augen, Antennen und Mundwerkzeuge. Dabei atmet der Embryo durch Aeropylen; durch diese Art von Ventil gelangt Sauerstoff in das Ei hinein und Kohlendioxid hinaus. Das alles spielt sich in einem Gebilde von der Größe eines Zuckerkorns ab – unvorstellbar und zugleich ganz alltäglich. Schließlich hat so das Leben der allermeisten Tiere begonnen, die je auf der Erde existierten.

Die Fotos auf diesen Seiten zeigen die Eier von Vertretern einiger kleiner Zweige aus dem Stammbaum der Insekten. Darunter sind die Schmetterlinge, die mit großem Aufwand versuchen, natürliche Feinde zu täuschen – und manchmal ihrerseits von Pflanzen ausgetrickst werden, auf denen sie ihre Eier ablegen wollen. Denn die schlüpfenden Raupen würden ja nicht zögern, die Pflanze, ihre Herberge, aufzufressen. Deswegen haben manche Passionsblumen speziell geformte Blattteile, die Schmetterlingseiern ähneln. Wenn ein Schmetterlingsweibchen ­diese „Eier“ sieht, sucht es eine andere Pflanze für die Ablage seiner eigenen Brut. Die Nachahmung ist zwar nicht perfekt, aber das ist das Sehvermögen der Schmetterlinge auch nicht.

Weil die Eier so nährstoffreich sind, legen ­viele Insekten die ihren übrigens gern in die Eier ­anderer Insektenarten. Zu diesem Zweck haben parasitische Wespen und Fliegen oft einen langen Ablagestachel, der einer Injektionsnadel ähnelt. Ungefähr zehn Prozent aller Insekten­arten sind solche Parasiten. Es ist eine bewährte Lebensweise, die nur von einer Gruppe bestraft wird: den Hyperparasiten. Sie legen ihre Eier im Körper der Parasiten ab, während diese ihre Eier im Körper oder in den Eiern ihres Wirts unterbringen. Deswegen schlüpfen aus vielen Schmetterlingseiern und -raupen keine Falter, sondern winzig kleine parasitische Wespen.

Weil es aber in der Evolution nichts gibt, das es nicht gibt, findet man auch bei Insekten Arten, die sich aktiv um ihren Nachwuchs kümmern. Mistkäfer rollen Kugeln aus Exkrementen: Futter für ihre Larven. Aaskäfer vergraben tote Tiere und legen ihre Eier darauf. Bei den Schaben tragen manche Arten ihre frisch geschlüpften Larven auf dem Rücken. Die Eier solcher Insekten sind rund und verletzlich und für­sorgebedürftig wie die von Vögeln und Eidechsen. Auch das funktioniert seit Millionen Jahren. Kürzlich beobachtete ich einen Mistkäfer, der eine Dungkugel rollte, um ein Ei hineinzulegen. Über dem Käfer brummte eine Fliege, die versuchte, ein Ei im Kopf des Käfers abzulegen. Welche Strategie wird sich durchsetzen?

Aus Insekteneiern schlüpfte neues Leben schon lange, ehe es Menschen gab. Und so wird es wahrscheinlich auch bleiben, lange nachdem der letzte Mensch gestorben sein wird. Überall um uns herum, unhörbar für uns, knacken ­Eierschalen, wenn winzige Füße, immer sechs pro Tier, auf die Welt drängen. Auf ihre Welt.

(NG, Heft 9 / 2010, Seite(n) 127)

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