Wie Schnee- und Eisalgen die Gletscher schmelzen lassen

Die Mikrobiologin Stefanie Lutz vom Deutschen GeoForschungsZentrum erforscht in der Arktis Algen auf Schnee und Eis – und damit die Wirkung des Klimawandels. Sie wird von der National Geographic Society gefördert.

Von Kathrin Fromm
Veröffentlicht am 21. Feb. 2018, 10:08 MEZ
Mikrobiologin Stefanie Lutz
Die Mikrobiologin Stefanie Lutz nimmt auf einem Gletscher auf Spitzbergen eine Probe mit Eisalgen.
Foto von GFZ, Liane G. Benning

Sie forschen über Schnee- und Eisalgen. Was muss man sich darunter vorstellen?
Das sind Mikroorganismen, die auf Gletschern vorkommen, also auf Schnee und Eis. Ihre aktive Wachstumsperiode haben sie im Frühjahr und Sommer, wenn Schnee und Eis schmelzen – denn die Algen benötigen flüssiges Wasser, um zu überleben und zu wachsen. Wenn im Sommer die Sonne viel scheint, produzieren die Algen Pigmente als Schutzmechanismus. Bei den Schneealgen ist es ein rotes, bei den Eisalgen ein braunes Pigment. Es wirkt wie Sonnencreme, schützt die Algen also vor Sonneneinstrahlung. Allerdings wird durch die Pigmente die Oberfläche von Schnee und Eis verdunkelt – und das verringert die Albedo.

Was ist das?
So wird das Verhältnis von einstrahlendem zu reflektierendem Licht genannt. Durch die Algen wird weniger Sonneneinstrahlung reflektiert und mehr Wärme aufgenommen. Ganz weißer Schnee hat eine Albedo von 90 Prozent, der rote Schnee mit den Algen nur 40 Prozent. Das heißt: Es wird viel, viel weniger Sonnenlicht reflektiert. Dadurch erwärmt sich der Schnee und das Eis, und die Gletscherschmelze verstärkt sich.

Steffi Lutz, National Geographic Explorer und Biologin

Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema?
Seit 2011, damals habe ich meine Promotion an der University of Leeds begonnen. Mich hat schon immer interessiert unter welchen extremen Umweltbedingungen Mikroorganismen überleben können, wie Leben so möglich ist. Die Polargebiete sind einer der extremsten Lebensräume, die man auf unserem Planeten finden kann und spielen dann auch noch eine wichtige Rolle für das Klima. So bin ich auf die Schnee- und Eisalgen dort gestoßen.

Wie kommen Sie an die Algen für Ihre Forschung?
Im Sommer, wenn die Algen wachsen, fahre ich zwei bis vier Wochen lang auf Expedition. Ich war bisher auf Spitzbergen, Island, Grönland und in Nordschweden. Jeden Tag unternehme ich mit Kollegen dann von der Forschungsstation aus Wanderungen auf einen Gletscher. Ich bin den ganzen Tag draußen, ausgestattet mit Daunenjacke, Bergstiefeln und Steigeisen. Und mit einem großen Rucksack mit Plastikcontainern für die Algen.

Und die nehmen Sie einfach mit?
Genau. Pro Probe packe ich ungefähr drei bis vier Liter Schnee oder Eis ein. Ich sammle so viele Proben, bis der Rucksack voll ist. Das können schon mal 20 Kilo pro Tag sein. Die Proben werden dann gefroren ins Labor gebracht.

BELIEBT

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    Mit Daunenjacke, Bergstiefeln und Steigeisen ist Stefanie Lutz, 31, auf den Gletschern unterwegs (hier auf Grönland). In einem Rucksack sammelt sie die Proben mit den Schnee- und Eisalgen – bis zu 20 Kilo jeden Tag.
    Foto von University of Bristol, Alexandre M. Anesio

    Was passiert dann?
    Ich bereite die Proben für die verschiedenen Analysen vor. Ich beschäftige mich überwiegend mit DNA, die ich extrahiere und sequenziere. So kann ich sagen, welche Algenarten in den Proben sind. Wir haben herausgefunden, dass bei den Schneealgen eigentlich überall die gleichen fünf bis sechs Arten vorkommen. Bei den Eisalgen gibt es zwei dominante Arten, aber die sind noch viel weniger erforscht als die Schneealgen.

    Woran liegt das?
    Weil es schwieriger ist, sie zu erkennen. Dadurch, dass sie das braune Pigment produzieren, sieht das Ganze aus wie dreckiges Eis. Das ist mit bloßem Auge kaum zu unterscheiden. Die Schneealgen sind durch ihre Rotfärbung viel präsenter. Eisalgen wurden zwar erstmals 1870 von grönländischen Polarforschern erwähnt, aber die Dokumente gerieten in Vergessenheit. Erst vor zehn Jahren ist wieder jemand auf die Idee gekommen, durchs Mikroskop zu schauen und hat gesehen: Ah, das sind ja Algen! Durch die neuen DNA-Methoden kann man die Arten heute viel genauer bestimmen und einfacher vergleichen.

    Was untersuchen Sie neben der DNA?
    Ich schaue mir an, wie viele Pigmente die Algen produzieren und bestimme mit chemischen Analysen, wie viel Nährstoffe in den Proben sind. So will ich feststellen, was sie zum Wachsen brauchen. Letztendlich geht es um die Frage, wie viel die Algen zur Gletscherschmelze beitragen.

    Gibt es schon Erkenntnisse?
    Nein, das ist ein längerer Prozess und recht komplex. Programmierer versuchen, die Ergebnisse aus den Feldversuchen und Laboranalysen in Modelle umzurechnen. Ich arbeite dafür mit einem Team zusammen. Das ist ein Netzwerk von mehreren Universitäten in Großbritannien. Wir wollen, dass der Effekt der Algen auf die Gletscherschmelze in die Klimamodelle einbezogen wird, die voraussagen, um wie viel Zentimeter der Meeresspiegel in den kommenden Jahren ansteigen wird. Im Moment ist der Faktor noch nicht enthalten. Wir rechnen damit, dass der Effekt der Algen in Zukunft zunehmen wird. Durch die globale Erwärmung wird die Wachstumsphase im Sommer wahrscheinlich früher anfangen und länger dauern.

    Das heißt die Entwicklung verstärkt sich selbst: mehr Algen führen zu mehr Gletscherschmelze und diese wiederum zu noch mehr Algen und noch mehr Gletscherschmelze?
    Genau das ist unsere Vermutung. Wir sprechen da von einem positiven Feedback. Diese Entwicklung kann zu noch schneller Gletscherschmelzraten führen als ohnehin schon vorhergesagt. Deshalb ist es so wichtig, dass die Algen in den Klimamodellen berücksichtigt werden.

    Beunruhigt Sie diese Entwicklung?
    Beunruhigen nicht. Es ist nur ein Faktor, über den man sich bewusst sein sollte, um präzisere Angaben über Gletscherschmelze zu machen. Die Algen sind ja auch nicht nur schlecht, sie sind ein wichtiger Bestandteil des Ökosystems auf Gletschern und bilden den Beginn der Nahrungskette. Sie versorgen andere Organismen durch die Photosynthese, die sie machen, mit Zucker und anderen Nährstoffen.

    Die National Geographic Society fördert Wissenschaftsprojekte. Stefanie Lutz wurde bei der Expedition nach Spitzbergen durch ein Stipendium der National Geographic Society unterstützt. Mehr Informationen gibt es hier.

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