Giftig, nutzlos und aus Plastik: Gehören Zigarettenfilter verboten?

Billionen Zigarettenstummel landen jedes Jahr in der Umwelt, wo sie Nikotin und Schwertmetalle absondern, bevor sie zum Plastikproblem werden.

Von Tik Root
Veröffentlicht am 14. Aug. 2019, 12:55 MESZ
Der häufigste Plastikmüll der Welt? Zigarettenfilter
Zigarettenfilter bestehen aus dem Kunststoff Celluloseacetat. Landen die benutzten Filter in der Umwelt, kleben an ihnen auch Nikotin, Schwermetalle und andere Schadstoffe, die darüber in Gewässer gelangen. Die Lösung des Problems ist naheliegend.

Pro Jahr werden weltweit um die 6,5 Billionen Zigaretten verkauft – das entspricht 18 Milliarden pro Tag. Ein Großteil des Tabaks und Papiers löst sich während des Konsums zwar in Rauch und Asche auf, aber etwas bleibt zurück: Billionen von Zigarettenfiltern, von denen schätzungsweise nur ein Drittel im Müll landen. Der Rest wird beiläufig auf die Straße, aus dem Fenster oder in die Umwelt geschnippt, wo man eben gerade geht und steht.

„Dieses Wegschnipsen des Zigarettenstummels hat so etwas an sich“, sagt Cindy Zipf, die leitende Direktorin der Clean Ocean Action. „Das kommt ganz automatisch.“

Zigarettenfilter bestehen aus dem Kunststoff Celluloseacetat. Wenn sie in die Umwelt gelangen, tragen sie nicht nur zur Plastikverschmutzung bei. Auch Nikotin, Schwermetalle und andere Chemikalien, die sie absorbiert haben, gelangen in die Ökosysteme.

Von den Billionen Zigarettenfiltern, die jedes Jahr im Einsatz sind, landen etwa zwei Drittel in der Umwelt.
Foto von Hannah Whitaker, National Geographic

Eine aktuelle Studie kam kürzlich zu dem Schluss, dass Zigarettenstummel das Pflanzenwachstum hemmen. Außerdem werden sie regelmäßig in Wasserwege und in die Meere gespült.

Zapf zufolge stehen Zigarettenfilter schon seit Langem an der Spitze der Liste von Dingen, die ihre Organisation bei Säuberungsaktionen an Stränden findet. Milliarden weitere verbleiben im Wasser und stellen dort eine Gefahr für Meerestiere dar, die die Filter beispielsweise fressen.

„Wenn sie auf der Meeresoberfläche schwimmen, sehen sie wie ein Häppchen Futter aus“, sagt Zipf.

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    Foto von Tania Velin, KELSEY NOWAKOWSKI. SOURCES: BRADFORD HARRIS, Tobacco Control, 2011 ; VICEROY; TRUTH INITIATIVE; TERRACYCLE; 5 GYRES INSTITUTE

    Ab den späten 1930ern fielen Wissenschaftlern erste Zusammenhänge zwischen Zigaretten und Gesundheitsrisiken auf. Aber erst 1957 erklärten Behörden in den USA offiziell den Kausalzusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs. 1964 erschien dann ein offizieller Bericht, der zeigte, dass Raucher im Vergleich zu Nichtrauchern ein um 70 Prozent erhöhtes Sterberisiko haben.

    Mit den wachsenden öffentlichen Bedenken suchte die Tabakindustrie fieberhaft nach Lösungen – und landete unter anderem beim Zigarettenfilter.

    „Es gab den Versuch, den Teer und das Nikotin zu reduzieren“, sagt Tom Novotny, ein Epidemiologe der San Diego State University. Er war einer der ersten Menschen, die sich mit der Auswirkung von Zigaretten auf die Umwelt befasst haben.

    In den Filtern bleiben einige der Chemikalien hängen, die die Raucher einatmen – nicht genug, um die Gesundheit der Raucher zu schützen, aber genug, um Fische abzutöten, die in der Nähe der weggeworfenen Filter leben.
    Foto von Hannah Whitaker, National Geographic

    Tatsächlich kann es Jahre dauern, bis sich Filter zersetzen. Und selbst dann zerfallen sie nur in Mikroplastikpartikel, die zu einer zunehmenden Belastung für Meere und andere Gewässer werden. Außerdem sind in den Filtern toxische Materialien enthalten, die für Meeresbewohner eine Gefahr darstellen – auch dazu hat Novotny in seinem Labor Untersuchungen angestellt.

    „Ein einziger Zigarettenfilter in einem Liter [Wasser] tötet die Hälfte der darin enthaltenen Fische“, lautet eines der Ergebnisse seiner Forschungen.

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    Wenn Cindy Zapf ihre Säuberungsaktionen an Stränden durchführt, gehören Zigarettenstummel zum ganz normalen Müll, den sie und andere Helfer aufsammeln. Aber vor etwa fünf Jahren kam ein neuer Gegenstand aus Plastik hinzu: E-Zigaretten.

    „Sie sind komplett mit Hartplastik verkleidet“, sagt sie. „Sie sehen aus wie große USB-Sticks.“

    E-Zigaretten bestehen für gewöhnlich aus vier Komponenten: einem Liquidpod, einer Heizspirale, einem Akku und einem Mundstück. Mittlerweile sind die E-Zigaretten nachfüllbar, aber gerade zu Beginn waren sie für die einmalige Nutzung konzipiert. Das Plastikgehäuse landete dann mit dem gesamten Inhalt im Müll – oder auf der Straße.

    Mittlerweile sind die Verkaufszahlen von E-Zigaretten in ungeahnte Höhen geschossen. Der führende Hersteller Juul verzeichnete beispielweise einen fast siebenfachen Verkaufsanstieg zwischen 2014 und 2017. Insbesondere bei Jugendlichen scheint sich das Dampfen als beliebte Alternative zur Zigarette zu etablieren.

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    Filterverbot?

    Die Stadt San Francisco gibt jedes Jahr etwa 7,5 Millionen Dollar aus, um die Straßen und Parks von Zigarettenstummeln zu reinigen. Sie ist bei Weiten nicht die einzige Stadt mit derlei Problemen.

    „Das ist die einzige noch verbliebene, gesellschaftlich akzeptierte Form der Vermüllung“, sagt Novotny. „Die Leute heben eher den Kot ihrer Hunde auf als ihre eigenen Zigarettenstummel.“

    Deshalb schlägt Novotny eine radikale Lösung vor: ein generelles Verbot von Zigarettenfiltern.

    Es konnte bislang nicht nachgewiesen werden, dass sich Filter positiv auf die Gesundheit von Rauchern auswirken, wie er sagt. Tatsächlich könnten sie das Problem sogar verschlimmern, da sie den Eindruck vermitteln, dass Filterzigaretten weniger schädlich sind. Außerdem verweist er auf die Vorteile, die ein Verbot für die Umwelt hätte.

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    Hendlin ist genau wie Novotny der Ansicht, dass sich Veränderungen nur durch legislativen Druck erzielen lassen. Er verweist auf Dokumente, die belegen, dass das Tabakunternehmen R.L. Reynolds bereits in den Siebzigern biologisch abbaubare Filter testete. Trotzdem ist Celluloseacetat auch heute noch der Standard. Die meisten Unternehmen hätten sich bereits mit alternativen Filtermaterialien beschäftigt, wie er sagt, „haben dahingehend aber noch nichts unternommen, weil sie nicht dazu gezwungen wurden“.

    „Sie sind vorbereitet, aber unwillig“, so Hendlin.

    Die Firmen hingegen argumentieren, dass Filter der Schlüsselfaktor seien, um die schädlichen Emissionen in den gesetzlichen Grenzen zu halten. Außerdem würden die Konsumenten den Umstieg auf neue Filter verzögern.

    Imperial, eine der größten Tabakmarken in den USA, hat in Frankreich Papierfilter getestet. Laut einem Sprecher waren diese aber „leider kommerziell nicht erfolgreich“. Den Konsumenten hätte der Geschmack nicht zugesagt, wie er erklärte.

    Simon Cleverly von British American Tobacco drückt es wie folgt aus: „Aktuell gibt es keine praktikable Alternative zu Celluloseacetat-Filtern.“

    Einige Start-ups, die umweltfreundlicher Filter produzieren, sind derzeit in Verhandlungen mit großen Tabakunternehmen. Novotny und Hendlin bezweifeln aber, dass damit der Kern des Problems beseitigt wird: der Hang zum achtlosen Wegwerfen der Zigarettenstummel.

    E-Zigaretten stellen ein ähnlich ärgerliches Problem dar. Die Liquidpods müssen eigentlich ausgespült werden, bevor sie in den normalen Müll wandern können. Noch 2018 twitterte das Unternehmen Juul, dass es aktuell kein Recyclingprogramm zur Verfügung stellen kann.

    Hendlin schlägt eine Art Pfandsystem vor, um dem Müllproblem Herr zu werden: „Wenn man sich neue Pods kaufen geht, kann man die alten Pods abgeben und bekommt den Pfand zurück.“ Laut einem Sprecher der Juul Labs wird ein ähnliches System bereits intern getestet. Der Berliner Stephan von Orlow setzt sich derzeit mit seiner Initiative „Die Aufheber“ ebenfalls für ein solches Pfandsystem ein, allerdings für Filterzigaretten.

    In einigen Ländern und Bundesstaaten wurden bereits Schritte gegen die Plastikverschmutzung durch Zigaretten unternommen. 2016 verbot Indien das Verpacken von Zigarettenschachteln in Plastik. In diesem Jahr brachte New Jersey ein neues Gesetz auf den Weg, welches das Rauchen und Dampfen in öffentlichen Parks und an Stränden einschränkt. Zipf glaubt trotzdem, dass weiterhin zu viele Menschen ihre Zigarettenstummel und Pods einfach in die Gegend werfen werden.

    „Das passiert aus Ignoranz und Bequemlichkeit“, sagt sie. „Dafür gibt es einfach keine Entschuldigung.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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