Wie die Plastikverpackung einer Zigarettenschachtel in einer Qualle landete

Das noch lesbare Label verdeutlicht, wo ein Großteil des Plastiks aus unserem Alltag am Ende landet.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 25. Sept. 2018, 12:13 MESZ
Das Label des Zigarettenherstellers Philip Morris ist auf dem dünnen Plastikstreifen noch erkennbar.
Foto von Alexander Semenov

Wenn man ganz genau hinsieht, kann man die Worte „Philip Morris International“ ausmachen. Der Name des Zigarettenherstellers prangt auf einem durchsichtigen Kunststoffstreifen, der einst die Folie einer Zigarettenschachtel zusammenhielt. Fotografiert wurde er jedoch in einer Leuchtqualle im Mittelmeer. 

Jene Tiere, die versuchen, dem Plastik im Meer aus dem Weg zu gehen, navigieren praktisch durch ein Minenfeld. Acht Millionen Tonnen an Kunststoffen landen jedes Jahr im Meer und machen es Tieren wie Quallen zunehmend schwieriger, den Kontakt zu vermeiden. 

Im vergangenen April dokumentierte eine Studie in „Scientific Reports“ zum ersten Mal einen Fall von Plastik in einer Qualle. 

Das Tier wurde 2016 im Mittelmeer von einer Gruppe von Forschern entdeckt, die an der Aquatilis Expedition teilnehmen – einer dreijährigen Forschungsreise zur Erkundung der Weltmeere. In ihrer Studie beschrieben die Forscher mehrere Leuchtquallen mit Plastikteilen, die sich unter ihrem Schirm verfangen hatten oder in ihrem Körper steckten. 

Galerie: Fotos von Tieren in einem Meer voller Plastik

Als sie 20 Exemplare einfingen und genauer untersuchten, entdeckten sie vier Tiere mit Plastik im Verdauungstrakt. Das führte die Forscher zu der Annahme, dass die Quallen die Plastikteile mit Nahrung verwechselt hatten. 

„Es scheint so, als würden sie wirklich auf Plastik stehen“, erzählt Armando Macali. Der Ökologe der italienischen Universität Tuscia ist einer der Autoren der Studie. Er und seine Co-Autoren seien davon überzeugt, dass die Quallen an dem Plastik festhielten, weil sie versuchten, es zu fressen. 

Frühere Studien hatten gezeigt, dass das versehentliche Verschlucken von Kunststoffen unter Meerestieren ein weit verbreitetes Problem darstellt. Die Wissenschaftler glauben, dass viele Tiere Plastik fressen, weil es ihrer natürlichen Beute ähnelt: Schildkröten verschlingen Plastiktüten, die Quallen ähneln, während Fische kleine, reiskorngroße Plastikteile fressen, die an ihre normale Nahrung erinnern. 

Für manche Meerestiere riecht das Plastiktreibgut sogar lecker. Das Ergebnis einer Studie, die 2016 in „Science Advances“ erschien, war, dass Algen oft problemlos an Plastik im Meer wachsen können. Wenn sich die Kunststoffe langsam in kleinere Bestandteile zersetzen, setzen sie dann eine organische Verbindung namens Dimethylsulfid frei, deren Geruch hungrige Tiere anlockt. 

BELIEBT

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    Warum genau die Quallen aus der Studie sich über das Plastik hergemacht haben, sei Macali zufolge nicht ganz klar. Nachdem das Plastik ins Meer gelangt ist, beginnt es zu verwittern und ein dünner Biofilm bildet sich auf seiner Oberfläche. Macali vermutet, dass entweder der Biofilm oder irgendein Molekül, das bei der Zersetzung der Kunststoffe freigesetzt wird, die Quallen anlockt. 

    In künftigen Experimenten will er den Quallen unter Laborbedingungen diverse Arten von Plastikmüll vorsetzen. Wenn die Wissenschaftler herausfinden können, was genau die Tiere an Plastik so verlockend finden, könnten sie vielleicht mit Herstellern zusammenarbeiten, um Plastik zu produzieren, das für Meerestiere weniger attraktiv ist. 

    Für die Gesundheit des Tieres sei es bedenklich, dass die Leuchtqualle das Kunststoffbändchen zu fressen versuchte, wie die Wissenschaftler anmerken. Leuchtquallen können bis zu 50 Prozent ihres Eigengewichts verzehren. Wenn sie zu viel Plastik fressen, kann das dazu führen, dass sie langsam verhungern. 

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    Als Beutetier für größere Bewohner des Mittelmeers könnten mit Plastik versetzte Quallen ähnlich gefährliche Konsequenzen für andere Tiere haben, die auf sie Jagd machen. Der Blauflossen-Thunfisch, der zu den häufigsten Fressfeinden die Leuchtqualle zählt, steht wiederum nicht nur auf dem Speiseplan anderer Meerestiere, sondern auch auf dem des Menschen. Mikroskopisch kleine Plastikteilchen, die von den Quallen verzehrt werden, könnten also am Ende im Magen der Thunfische und anschließend auch in unserem Magen landen. 

    Es ist ein komplexes Problem, dessen vollen Umfang die Wissenschaftler noch immer zu ergründen versuchen, sagt Macali. Zu verstehen, wie genau Quallen mit Plastik im Meer interagieren, sei ein Teil eines größeren Puzzles. 

    „Wenn wir das Schicksal des Plastiks im Meer begreifen wollen, müssen wir am unteren Ende der Nahrungskette beginnen.“ 

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht. 

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