Klimaschutz: Darum sind viele Aktivisten so jung

Die Jugend der Welt ist mit Klimakatastrophen aufgewachsen. Sie haben Angst und wollen keine Kinder. Deshalb stehen sie jetzt auf und fordern Veränderung. Unter ihnen finden sich auch viele Deutsche.

Von Laura Parker
Veröffentlicht am 28. Apr. 2020, 09:08 MESZ
Klimaschutz - ungewisse Zukunft für die Jugend

Ungewisse Zukunft: Der Klimawandel wirft die Welt durcheinander. Jetzt stehen junge Leute auf. Ihre Forderung an die älteren ist simpel: Tut endlich mehr!

Foto von Kyle Johnson, Unsplash.com

Vor Greta kam Severn. Nordamerika werden Fotos der beiden oft nebeneinander  abgebildet – als wären sie Anfang und Ende des langen Feldzugs, mit dem junge Leute die Erwachsenen dazu bewegen wollen, endlich energisch gegen den Klimawandel vorzugehen. In jüngster Zeit ist es die junge Schwedin Greta Thunberg, die Alarm schlägt. Aber die Erste war Severn Cullis-Suzuki, Tochter eines Umweltforschers aus dem kanadischen Vancouver. Im Jahr 1992 – Severn war gerade zwölf – reiste sie mit drei anderen jungen Aktivisten zur Klimakonferenz der Vereinten Nationen nach Rio de Janeiro. Vier Jahre zuvor wurde der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) gegründet, der heute in der Klimaforschung die Führungsrolle innehat. Wissenschaftliche Erkenntnisse über die globale Erwärmung fanden erstmals größere Aufmerksamkeit. Aber Kindern zuzuhören und sich von ihnen belehren zu lassen, das waren die Staatschefs der Welt nicht gewohnt. Severn wurde bekannt als „das Mädchen, das die Welt für sechs Minuten zum Schweigen brachte“. Damit gab sie die Richtung für junge Aktivisten vor, die ihre Ahnung von dem bevorstehenden Unheil so klarsichtig zum Ausdruck bringen, wie nur Kinder es können: „Sie müssen umsteuern“, sagte Severn den Delegierten in Rio. „Wenn ich meine Zukunft verliere, ist das nicht das Gleiche, wie wenn Sie eine Wahl oder ein paar Prozent am Aktienmarkt verlieren.“

Jugendliche fordern Klimaschutz

Als Greta letzten September auf dem UN-Klimagipfel in New York ihre Wutrede hielt, waren die Ähnlichkeiten verblüffend. Auf den ersten Blick konnte man zu dem Schluss gelangen, dass in den vergangenen 27 Jahren nichts geschehen sei, um die existenzielle Gefahr für die Menschheit abzuwenden. In Wirklichkeit hat sich viel verändert, und möglicherweise wird jetzt, endlich, etwas unternommen. Dass Naturkatastrophen heftiger werden und häufiger auftreten, war vor drei Jahrzehnten noch nicht zu erkennen. Heute führen sie der Welt vor Augen, was auf dem Spiel steht. Die Altersgruppe, die mit den Folgen leben muss, geht auf die Straße und inszeniert seit vergangenem Jahr einige der größten Umweltdemonstrationen aller Zeiten. Weltweit sind mehr als drei Milliarden Menschen unter 25 Jahre alt, das sind zwei Fünftel der Gesamtbevölkerung. Millionen Kinder sind mit schmelzenden Gletschern und steigenden Temperaturen aufgewachsen. Jetzt haben sie es satt: Sie wollen nicht mehr darauf warten, dass die Regierungen etwas unternehmen.

Finkbeiner ist 22 Jahre alt und Young Explorer von NATIONAL GEOGRAPHIC. Als Neunjähriger gründete
er in Uffing am Starnberger See die gemeinnützige Organisation „Plant for the Planet”. Aus den Workshops, die Kinder über die globale Erwärmung aufklären, sind mehr als 63000 „Botschafter für Klimagerechtigkeit“
hervorgegangen.

Foto von Dana Scruggs

Deutsche Aktivisten

Erfahrung in der Klimaschutzbewegung der Jugendlichen besitzt auch der 22-jährige deutsche Aktivist Felix Finkbeiner. Den Weg in die Bewegung fand er mit neun Jahren: Ihn rührten die Fotos hungernder Eisbären, die in der Arktis nur mit Mühe etwas zu fressen fanden. Er wollte etwas tun und pflanzte an seiner Schule einen Baum. Heute leitet er „Plant for the Planet“. Die 2007 von ihm gegründete gemeinnützige Organisation hat in 74 Ländern mehr als acht Millionen Bäume gepflanzt und arbeitet mit den Vereinten Nationen in der „ Trillion Tree Campaign“ daran, eine Billion Bäume zu pflanzen. „Es gibt keinen Grund, warum diese Bewegung so lange warten oder eine Sache junger Leute sein musste“, sagt er. „Da geschieht gerade etwas Phänomenales. Es könnte der Wendepunkt sein, auf den wir gewartet haben.“ Letzten Herbst traf er sich mit Lesein Mutunkei, einem 15-jährigen Fußballspieler aus Nairobi zum Erfahrungsaustausch. Mutunkei hatte für jedes Tor, das er erzielt hatte, einen Baum gepflanzt, und so einen Beitrag zur Wiederaufforstung Kenias geleistet. Dann erweiterte er sein Projekt: Er bezog andere Jugendliche ein, damit sie eigene Leistungen gleichfalls mit neu gepflanzten Bäumen feierten. „Wenn du gut in Musik bist und ein bestimmtes Ziel erreicht hast, kannst du dafür einen Baum pflanzen. Und wenn du in einem Fach eine gute Note bekommen hast – ebenso“, sagt er.

Fast jeden Freitag ist der 16-Jährige Linus Steinmetz aus Göttingen im Klimastreik. Lieber würde er in die Schule gehen, aber die Untätigkeit der Erwachsenen zwinge ihn, seine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.

Foto von Kai Löffelbein

Aktuell versuchen junge Leute in vielen Ländern, Klimaschutz auf dem Rechtsweg durchzusetzen. In Deutschland hat der 16-jährige Schüler Linus Steinmetz Verfassungsbeschwerde eingelegt, weil er sein Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzt sieht.

Eine europäische Bewegung

Die jetzige Welle der Klimaproteste begann vor einigen Jahren in Europa. Deutsche Aktivisten organisierten Schulstreiks, doch die lockten zunächst nur wenige Mitstreiter an und erregten kaum Aufmerksamkeit. Sie bildeten aber einen fruchtbaren Boden für die Bewegung, die im August 2018 durch Greta Thunbergs einsamen Schulstreik in Gang kam und sich dann um die ganze Welt verbreitete. Als die heute 17-Jährige in Stockholm allein vor dem schwedischen Parlament saß, konnte niemand ahnen, dass sie zum Gesicht einer weltweiten Bewegung werden sollte, die sich mittlerweile mit Schulstreiks in mehr als 7000 größeren und kleineren Städten vieler Länder Gehör verschafft. Als sie nach ihrer Atlantiküberquerung in einem emissionsfreien Segelboot in New York eintraf, glich ihr Status dem eines Rockstars. Thunberg äußert sich geradeheraus und unverblümt, was zum Teil an ihrem Asperger- Syndrom liegen mag. Sie bedient sich nicht der sprachlichen Wendungen, denen man in politischen Diskussionen so häufig begegnet. Dem US-Kongress trug sie statt einer vorbereiteten Rede einen Bericht des Weltklimarats vor. „Ich will nicht, dass Sie auf mich hören; hören Sie auf die Wissenschaft“, sagte sie.

Kinder zwischen Klimalügen und Katastrophen

Die Menschenrechtsanwältin Elizabeth Wilson beeindruckt, wie die jungen Aktivisten ihren Standpunkt vertreten. „Wir haben uns damit abgefunden, dass wir in einer postfaktischen Welt leben, und diese jungen Leute sagen: ‚Wir glauben an die Tatsachen. Wir glauben der Wissenschaft. Was ihr uns erzählt, ist keine alternative Realität; es ist eine Lüge‘ “, sagt sie. Nur allzu leicht vergisst man, dass viele Klimaaktivisten bei aller Medienkompetenz und trotz ihres Organisationstalents noch Kinder sind. Viele kämpfen mit Angstzuständen und Depressionen. Alarmierende Berichte schüren ihre Sorgen: Eine Analyse der UN aus dem Jahr 2018 kam zu der Erkenntnis, dass die Kohlendioxidemissionen bis 2030 fast halbiert werden müssten, damit die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzt bleibt. Ähnliche Ergebnisse lieferten Untersuchungen der Weltorganisation für Meteorologie, die 2019 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurden: Temperaturen, die den Grenzwert überschreiten, werden nicht nur zu immer schlimmeren Wirbelstürmen, Überschwemmungen, Dürreperioden und Waldbränden führen, sondern auch zu landwirtschaftlichen Katastrophen und einer sinkenden globalen Lebensmittelversorgung.

„Es ist nicht schwer, junge Leute zu finden, die keine Kinder bekommen wollen, weil sie glauben, dass die Welt ins Chaos stürzt“, sagt Lise Van Susteren. Die amerikanische Psychiaterin hat sich mit der Frage beschäftigt, wie Jugendliche mit dem Klimawandel umgehen. „Für Kinder ist es eine heikle Zeit. Sie haben es mit eigenen Augen gesehen. Sie haben die Brände gesehen. Sie haben die Unwetter gesehen. Sie sind nicht dumm und sie sind wütend.“

Er lebt in München, doch sein Herz hängt am Meer. In Indonesien sah der Student beim Tauchen Mantarochen, die auf der Suche nach Plankton durch eine Brühe aus Plastikfetzen schwammen. Zurück
in Deutschland gründete Noack, 27, das Sozialunternehmen Mantahari. Er verkauft selbstgestaltete
Baseballkappen. Vom gesamten Gewinn adoptiert er Mantarochen und finanziert damit ein Bildungsprojekt
gegen Mikroplastik in Indonesien.

Foto von Jonas Strobel

Alexandria Villaseñor ist vierzehn. Seit Dezember 2018 geht sie freitags nicht mehr zur Schule, sondern demonstriert vor dem UN Hauptquartier in New York. Zusammen mit der achtzehnjährigen Jamie Margolin, Gründerin der Gruppe „Zero Hour“, spricht sie vergangenen Herbst bei einer Tagung in der Twitter-Niederlassung in Washington über ihre Ängste. Margolin, die in Seattle wohnt, berichtet von Verzweiflungsanfällen, die sie ans Bett fesseln: „Die Klimaangst ist für mich sehr real“, sagt sie. Wird die Bewegung letztlich Erfolg haben? Erfahrungen aus der Geschichte sprechen dagegen. Wenn gesellschaftliche Bewegungen sich gegen Despoten und ähnliche erkennbare  Übeltäter richten, haben sie oftmals Erfolg. Schwieriger ist es, eine Gesellschaft zu strukturellen Veränderungen zu bewegen, die unter Umständen Jahrzehnte dauern. Die Energiewirtschaft der ganzen Welt umzukrempeln, ist eine Sisyphusaufgabe. „Eine erfolgreiche Bewegung muss am Leben gehalten und in staatliche Politik umgesetzt werden“, sagt Kathleen Rogers, Präsidentin des Earth Day Network und altgediente Umweltaktivistin. „Wenn man keine politische Kraft aus ihr macht, stirbt sie irgendwann.“ In Europa stehen die Zeichen günstiger als in den USA. „In Deutschland hat in der Politik eine grundlegende Verschiebung der Maßstäbe stattgefunden“, sagt Felix Finkbeiner. „Hier hat noch der letzte Politiker verstanden, dass man ohne grüne Politik keine Wahl mehr gewinnen kann.“ Severn Cullis-Suzuki wohnt heute mit ihrem Mann und zwei Kindern auf einer Insel vor der Küste der kanadischen Provinz British Columbia. Angst, dass die Klimabewegung im Sande verläuft, hat sie nicht. „Mir fällt auf, dass vieles sich heute genauso anfühlt wie 1992“, sagt die 40-Jährige. „Rio war ein Erfolg. Wir haben alle Politiker dazu gebracht, zu unterschreiben. Und an derselben Stelle sind wir auch heute wieder. Das Bewusstsein ist gewachsen. Jetzt müssen wir daraus nur noch eine Revolution machen.“

 

Aus dem Englischen von Sebastian Vogel.

Der Artikel wurde ursprünglich in der April 2020-Ausgabe des deutschen National Geographic Magazins veröffentlicht. Jetzt ein Abo abschließen!

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