Zukunft des Waldes: das Ende der Fichten-Monokultur
Die Wälder in Deutschland sind gefährdet: Trockenheit, Extremwetterereignisse und Schädlingsbefall machen vor allem den industriell gezüchteten Fichten-Monokulturen zu schaffen. Doch allmählich geht der Trend zur naturnahen Forstwirtschaft.
Viele Wälder in Deutschland sind gefährdet, weil Monokulturen anfällig für Stürme und Schädlinge sind. Dort, wo sich die Natur entfalten und eine große Artenvielfalt ausbilden kann, wie hier im Schwarzwald, ist der Bestand meist gesünder.
In seiner Kindheit in den Achtzigerjahren liebte es Constantin Prinz zu Salm-Salm, mit seinem Großvater durch die Wälder zu spazieren, die der Familie in der Nähe von Schloss Wallhausen eine Autostunde westlich von Frankfurt gehören. Die Fichten- und Douglasienwälder auf einer Fläche von 175 Hektar waren Jahrzehnte vor seiner Geburt gepflanzt worden, eine Investition, so hoffte der junge Prinz, die ihm eines Tages Gewinn bringen würde.
Orkantief „Wiebke“ machte seine Hoffnung in der Nacht zum 1. März 1990 zunichte, als es mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 200 Stundenkilometern über den Hunsrück hinwegfegte und die bewaldeten Hänge um Wallhausen verwüstete. Als sich der Sturm endlich gelegt hatte, gingen Großvater und Enkel durch die Wälder. Hunderte von 40 Jahre alten, hoch aufragenden Fichten lagen umgestürzt. „Er war in Tränen aufgelöst“, erinnert sich der Enkel. „Die große Frage, die mein Großvater beantworten musste, war: Was machen wir jetzt?“
Waldsterben: Borkenkäfer zerstört Fichtenwälder
Heute steht man in Deutschland vor einer ähnlichen Ausgangssituation, doch das Ausmaß ist weit größer. Von 2018 bis 2020 hat das Land drei aufeinanderfolgende Dürrejahre erlebt. Der Borkenkäfer hat Zehntausende Hektar deutscher Fichtenbestände vernichtet. Waldbrände in Brandenburg trieben Rauchschwaden zeitweilig bis nach Berlin-Mitte. Die Situation hat eine Debatte über die Zukunft des Waldes ausgelöst. Eine Möglichkeit besteht darin, verloren gegangene Bäume durch neue der gleichen Art zu ersetzen.
Fichten-Monokulturen sind anfällig für Sturmschäden oder für Borkenkäferbefall, wie hier im bayerischen Wald.
Salm-Salm probiert auf den bewaldeten Hügeln um Wallhausen etwas anderes aus. Er gehört zu einer wachsenden Gruppe von deutschen Waldbesitzern, die sich der sogenannten naturnahen Forstwirtschaft zugewandt haben. Dieser unkonventionelle Ansatz vermeidet Neuanpflanzungen und setzt auf einheimische Arten. Indem man Totholz liegenlässt und nur die reifsten Bäume selektiv erntet, wird das Ökosystem wilder Wälder imitiert. „Die Natur weiß besser, was hier stehen sollte“, sagt Prinz zu Salm-Salm.
Die Wälder der Familie liegen an Nordhängen, die für den Weinbau nicht geeignet sind. Abgesehen von der Jagd auf Rehe und Wildschweine und der jährlichen Ernte einiger der größten Bäume lassen sie die Wälder weitgehend in Ruhe. An einem Spätherbsttag im vergangenen Jahr stapft der Adelige in grünen Gummistiefeln und einer blauen Daunenweste durch seinen Wald. Unter den Kronen der hohen Douglasien, die „Wiebke“ überlebt haben, leuchten die letzten roten und gelben Blätter junger Eichen, Buchen und Kirschbäume, die hier in der Folge des Orkans Wurzeln geschlagen haben. „Alles, was Sie hier sehen, ist auf natürlichem Weg entstanden“, sagt er, während sein Cockerspaniel im Dickicht von Schösslingen und Gestrüpp verschwindet. In gewisser Weise entfernt sich die deutsche Forstwirtschaft damit von ihren Wurzeln.
Das Land war eines der ersten, das im Wald eine zu bewirtschaftende Ressource sah. Im Jahr 1713 plädierte der kursächsische Beamte Hans Carl von Carlowitz dafür, dass die Landbesitzer nur so viele Bäume für den Bergbau und als Baumaterial abholzen, wie sie neu anpflanzten. Er prägte den Begriff der Nachhaltigkeit – wenn auch in einem engeren Sinne als im heutigen Wortgebrauch. Nach Carlowitz haben deutsche Förster schnell wachsende Arten wie Fichten in sauberen Reihen und mit industrieller Effizienz angepflanzt. Dieser Ansatz hat sich weltweit durchgesetzt, auch in Deutschland ist er weiterhin verbreitet.
In Deutschland könnte die Zahl an Bäumen drastisch sinken
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden im Rahmen der sogenannten „Reparationshiebe“ in ganz Deutschland Wälder abgeholzt, um den Wiederaufbau zerstörter Städte in Großbritannien, Frankreich und der UdSSR zu unterstützen. Um sie zu ersetzen, pflanzten Förster in den 1950er-Jahren Millionen von Bäumen, meist Fichten. Es war der Beginn einer boomenden Forstwirtschaft, mit der auch der Großvater von Salm-Salm viel Geld verdiente. Holz und seine Nebenprodukte sind immer noch ein Milliardengeschäft, in dem mehr als 700000 Deutsche beschäftigt sind. Ein knappes Drittel des Landes ist mit Bäumen bedeckt.
Doch jetzt konfrontieren die Hiobsbotschaften von Schädlingsbefall und Dürre das Land mit einer möglichen Zukunft, in der es drastisch weniger Bäume gibt. „Wir wollen uns das in Deutschland, das sich selbst als Waldland sieht, nicht vorstellen“, sagt Pierre Ibisch, Ökologe an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. „Aber wir stehen vor diesem Risiko.“ Die Bundesregierung hat die Situation zur nationalen Krise erklärt und stellt zusammen mit den Ländern Waldbesitzern rund 1,5 Milliarden Euro an Subventionen zur Verfügung, um vom Käfer beschädigtes Totholz zu entfernen und wieder aufzuforsten.
Fichten sind bei Förstern beliebte Bäume, weil sie schnell wachsen und viel Ertrag bringen. Sägewerke sind in der Regel darauf ausgelegt, die dünnen Stämme der Fichten zu verarbeiten.
Befürworter der naturnahen Waldbewirtschaftung halten das für einen Fehler. Anstatt überstürzt mehr Bäume zu pflanzen, plädieren sie dafür, Totholz langsam verrotten zu lassen. So werden dem Boden Nährstoffe zugeführt, was sowohl die Gesundheit als auch die Vielfalt der lebenden Bäume fördert. „Aus unserer Sicht ist weniger immer mehr“, sagt Knut Sturm, der als Forstamtsleiter den Lübecker Stadtwald weitgehend sich selbst überlässt. Natürlich gibt es auch Vorbehalte gegen solche Positionen. Naturnahe Wälder können rentabel sein, aber sie fordern von Holzindustrie und Forstwirten eine andere Art des Wirtschaftens. Sägewerke sind zum Beispiel auf die Verarbeitung von schmalen, geraden Fichtenstämmen ausgelegt, nicht auf die Verarbeitung von dicken, alten Eichen.
Angesichts des sich beschleunigenden Klimawandels ist es auch wichtig, über trockenheitsresistentere Arten aus anderen Ländern nachzudenken, sagt Marcus Lindner, Wissenschaftler am Europäischen Forstinstitut. „Es ist möglich, zu einem naturnäheren Waldbau überzugehen und dennoch trockenheitstolerantere Arten einzuführen.“ Zurück in Wallhausen steht die Sonne mittlerweile tief. Im Dorf unten gehen langsam die Lichter an. „Ich möchte, dass meine Kinder unter zehn verschiedenen Baumarten wählen können, nicht nur unter Douglasie oder Fichte“, sagt Prinz zu Salm-Salm, ruft seinen hechelnden Spaniel und macht sich auf den Heimweg. „Wir müssen dafür sorgen, dass die gleichen Fehler nicht noch einmal gemacht werden.“
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