In Gefahr: Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf das Wattenmeer?

Der Klimawandel schreitet weiter voran und auch das Wattenmeer wird früher oder später davon betroffen sein. Erste Veränderungen sind schon heute spürbar. Welche Auswirkungen wird es langfristig geben und sind diese aufzuhalten?

Von Sarah Langer
Veröffentlicht am 6. Juni 2023, 10:44 MESZ
Wattenmeer

Dieser wunderschöne Anblick könnte bald in großer Gefahr schweben: Der Klimawandel wird auch im Wattenmeer schwere Folgen haben. 

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Das Wattenmeer: ein besonderes Ökosystem

Das Weltnaturerbe Wattenmeer erstreckt sich entlang der Nordseeküste von den Niederlanden über Deutschland bis nach Dänemark. Es umfasst eine Fläche von etwa 11.500 km², die auf internationaler Ebene fast vollständig geschützt wird - in Deutschland durch drei Nationalparks. Im Jahr 2009 zeichnete die UNESCO das Wattenmeer zum Weltnaturerbe aus. Dadurch hat es den gleichen Status wie der Grand Canyon in den USA oder das Great Barrier Reef in Australien. „Ihnen gemeinsam ist ihr außergewöhnlicher universeller Wert, ihre Bedeutung nicht nur für nationale oder lokale Gemeinschaften, sondern für die gesamte Menschheit. Der Schutz und nachhaltige Erhalt dieser Stätten liegt deshalb in der Verantwortung der gesamten Völkergemeinschaft“, so die deutsche UNESCO-Kommission. 

Zu den einmaligen Naturspektakeln des Wattenmeers gehören die Gezeiten: Arbeit, Tiere und Tourismus sind vom Rhythmus der Ebbe und Flut abhängig. WWF-Mitarbeiter Jannes Fröhlich beschäftigt sich vor allem mit der Veränderung des Meeresspiegels im Wattenmeer und seinen Folgen. „Es gehört zu den natürlichsten Gebieten, die wir in Westeuropa noch haben“, erklärt er. Doch auch wenn das Watt größtenteils sich selbst überlassen werde und dadurch als spannendes und wichtiges Ökosystem für viele Tiere Nahrung und Lebensraum biete, „findet im Wattenmeer und in der Umgebung auch menschliche Nutzung wie Fischerei statt.“ 

Der Lebensraum dieser Tiere im Wattenmeer ist durch den Klimawandel und den ansteigenden Meeresspiegel sehr gefährdet. 

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Auswirkungen des Klimawandels auf das Wattenmeer

Ein Naturgebiet wie das Wattenmeer kann sich im Grunde selbst versorgen und selbst heilen, wenn man ihm Entfaltungsmöglichkeit gibt. Durch die Einwirkungen des Menschen ist es der Natur jedoch nicht mehr möglich, sich ihren eigenen Weg zu bahnen. Zusätzlich gefährdet der Klimawandel nun diese natürlichen Schutzräume. Insbesondere das Steigen des Meeresspiegels stellt eine große Bedrohung dar. Je mehr Wasser sich im Wattenmeer sammelt, umso mehr Wattflächen, Salzwiesen und Dünen werden durch Erosion verschwinden. Auch wenn es eine Besonderheit des Wattenmeers ist, dass sich die trockenen Flächen durch die Ablagerung von natürlichen Sedimenten wie Sand immer wieder verändern und aufwachsen können, könnte der Klimawandel dem ein Ende setzen: Steigt nämlich der Meeresspiegel zu schnell, könnten die Wattflächen durch natürlichen Aufwuchs nicht Schritt halten. Konkret hieße das: Nahrungsflächen für rund 10 Millionen Watt- und Wasservögel würden sich verringern oder ganz verschwinden. Doch auch alle anderen Tierarten vor Ort wären betroffen. „Ebenfalls können die Tiere durch Sommersturmfluten bei der Brut überrascht und ihre Bodennester überflutet werden“, ergänzt Jannes Fröhlich vom WWF. Steigt der Meeresspiegel durch den Klimawandel viel schneller an als normal, könnte das Wattenmeer und somit der Lebensraum regelrecht ertrinken.

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    Auch dieser Austernfischer könnte bald Schwierigkeiten haben, im Wattenmeer satt zu werden. 

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    Tiere und ihr Lebensraum im Wattenmeer

    Robben, Fische und mehr als 10 Millionen Watt- und Wasservögel finden im Wattenmeer eine Heimat oder einen Zwischenstopp auf ihrer Reise. Letztere sammeln hier Kräfte für die bevorstehenden Kilometer auf ihrem Weg von der Arktis bis nach Afrika und zurück. „Ganze Populationen sind in Gefahr, verlagern sich oder können vom Aussterben bedroht sein. Beispielsweise sind Ringelgänse mit fast ihrer ganzen Population auf das Wattenmeer angewiesen. Wenn sie ihren Raum hier verlieren, hat das große Auswirkungen“, so Fröhlich. Würde das Wattenmeer durch den Klimawandel zerstört, müssten auch die verschiedensten Arten in kältere Gefilde abziehen oder würden von anderen Arten vertrieben. Finden sie keinen passenden Lebensraum, sterben sie aus. Schon jetzt lasse sich beobachten, dass viele Tiere umsiedeln, da die Wasser- und Lufttemperatur sich bereits verändert hätte. „Klimawandel heißt ja nicht nur, dass es wärmere Sommer gibt, sondern auch, dass sich die Wassertemperatur ändert.“ Das AWI (Alfred-Wegener-Institut) zeichnet schon seit 50 Jahren eine kontinuierliche Erwärmung der Nordsee auf. Wo zu Beginn der Aufzeichnung im Sommer 1962 rund 14 Grad Wassertemperatur gemessen wurde, schnellte die Temperatur in den Jahres bis 2015 bis hin zu 17 Grad. Im Winter stieg die Temperatur ebenfalls. Auch dem WWF ist das bekannt: „Der Kabeljau wandert nach Norden ab, weil er kälteres Wasser braucht, um nur ein Beispiel zu nennen.“ Auch andere Tiere wanderten schon ab, weitere kämen hinzu, was Auswirkungen auf das ganze Ökosystem habe. 

    Dünen wie diese in Dänemark sind ebenfalls ein natürlicher Schutz vor Sturmfluten und starken Wellen. 

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    Steigender Meeresspiegel: Auch für die Menschen ein Problem

    Doch auch für Küstenbewohner können durch den steigenden Meeresspiegel Probleme entstehen: Höheres Wasser sorgt für kräftigere Wellen, was eine stärkere Einwirkung auf die bestehenden Deiche hätte. Und auch Sturmfluten würden weiter zunehmen. Deiche schützen derzeit die Küstenniederungen, also die Flächen, die Menschen bewohnen und bewirtschaften. „Wenn wir die Deiche nicht hätten, würden auch die Niederungen überfluten“, so Fröhlich. Einen sehr schnell steigenden Meeresspiegel und Sturmfluten würden die Deiche langfristig nur noch sehr schwer stemmen können. Ein weiteres Problem: „Historisch waren diese Niederungen eigentlich mit dem Wattenmeer verbunden. Die Menschen haben Deiche gebaut und das Land besser nutzbar gemacht. Allerdings ist der Preis dafür, dass das Land hinter den Deichen nicht mehr aufsedimentiert und durch Entwässerung absinkt.“ Fröhlich erklärt, dass die Salzwiesen und das Watt vor den Deichen aufwachsen, die Niederungen hinter den Dämmen sinken jedoch immer weiter ab, da sie zusätzlich entwässert werden. Durch den beschleunigten Meeresspiegelanstieg steige langfristig das Risiko, dass ein Deich breche oder irgendwann überströmt werde. „Bisher haben wir mit dem Wattenmeer ein flaches Küstenmeer mit relativ geringen Wellenhöhen“ - dass sich das ändern kann, ist mittlerweile aber bekannt. 

    Diese Wattflächen gilt es zu erhalten. Nicht nur, weil sie unter Naturschutz stehen. 

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    Schutz des Wattenmeers: Was zu tun ist

    Es gibt verschiedene Ansätze, die derzeit von der Wissenschaft erprobt und erforscht werden. Der WWF veröffentlichte bereits 2015 eine Studie, die sich mit der Klimaanpassung an weichen Küsten beschäftigt. Es gilt, einen Mittelweg zu finden, um die Küste und damit auch die Menschen zu schützen, ohne die Natur weiter anzugreifen oder ihr zu schaden. Küstenschutz und Naturschutz müssen Hand in Hand gehen. Jannes Fröhlich erklärt: „Es gibt bereits eine Diskussion um Küstenschutzmaßnahmen, die auch dem Wattenmeer nützen könnten. Eine Idee sind Sandaufspülungen. Statt einen Deich zu erhöhen, spült man davor eine größere Menge Sand auf. Auch das kann Wellen brechen und so einen zusätzlichen Schutz vor dem Deich darstellen“. Diese sogenannte „weiche Maßnahme“ wird in den Niederlanden schon erprobt. Im Gegensatz zu „harten Maßnahmen“, bei denen mit Steinen Deiche befestigt werden, passen erstgenannte besser in das Ökosystem und die Natur des Wattenmeeres. So könnten die aufgeschütteten Sedimente auch dem Wattenmeer helfen, dem steigenden Meeresspiegel entgegenzuwirken und sich anzupassen. Ein anderer Ansatz ist die Wiederherstellung von Naturräumen an der Küste, zum Beispiel von Salzwiesen. Würden solche wieder regelmäßig überflutet, können sie durch Sedimentation mit dem Meeresspiegel in die Höhe wachsen und als zusätzlicher Puffer gegen Sturmfluten wirken. 

    Welche Maßnahmen am besten vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen, wird intensiv diskutiert und erforscht. All diese Dinge sind jedoch lediglich die Behandlung der Symptome durch die Erderwärmung. Lösen lässt sich die Krise nur, indem der menschengemachte Klimawandel aufgehalten oder zumindest verlangsamt wird. Nur so können Ökosysteme und Lebensräume für Tiere, wie das Wattenmeer, langfristig geschützt werden. 

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