Grönland: Erdrutsch in Fjord löst neuntägiges globales Beben aus
An diesem Ort entstand im September 2023 ein Tsunami, dessen Nachwirkungen auf der ganzen Welt zu spüren waren – auch bei uns in Deutschland. Menschen kamen bei dem Ereignis nicht zu Schaden.
Im September 2023 registrierten Erdbebenmessgeräte auf der ganzen Welt ein ungewöhnliches seismisches Signal, das an manchen Orten sogar bis zu neun Tage lang sichtbar war. Seinen Ursprung hatte das Beben in Grönland – und erreichte in kürzester Zeit sogar die fast 20.000 Kilometer entfernte Antarktis.
Fast ein Jahr später hat ein Forschungsteam nun den Auslöser der rätselhaften Erschütterungen gefunden: Ein durch einen Erdrutsch ausgelöster Mega-Tsunami hatte in einem Fjord tagelang riesige Wellen wie in einer Badewanne hin- und her schwappen lassen. Das Wasser schlug dabei immer wieder so kräftig gegen die Felswände des Fjords, dass es seismische Wellen auslöste, die auf der ganzen Welt zu spüren waren.
Die Studie, in der das Phänomen genau erklärt wird, ist im Fachmagazin Science erschienen.
Mega-Tsunami durch Erdrutsch
Schon beim ersten Ablesen der Messgeräte fiel Wissenschaftler*innen auf, dass es sich bei den seismischen Wellen nicht um ein gewöhnliches, von Massenverschiebungen ausgelöstes Erdbeben handelte. „Das Signal war eine Schwingung mit einer einzigen dominierenden Frequenz, wie ein monotones Brummen, das sehr langsam abklingt“, sagt Thomas Forbriger vom Geophysikalischen Institut des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Dann wurde bekannt, dass die Ausschläge auf der ganzen Welt zu spüren waren – ein weiteres Rätsel, das zunächst unlösbar schien.
Ein Team um Stephen Hicks, Seismologe am University College London und Mitautor der Studie, konnte schließlich erstmals Licht ins Dunkel bringen und den Ursprung des Signals grob in Grönland verorten. Durch die Zusammenarbeit mit lokalen Wissenschaftler*innen wurde schnell klar: Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem seismischen Signal und einem Tsunami, den es am 16. September im Dickson Fjord im Osten Grönlands gegeben hatte.
Dieser war durch einen Erdrutsch ausgelöst worden, bei dem mehr als 25 Millionen Kubikmeter Gestein rasant von einem mehrere hundert Meter hohen Berg in den Fjord hinabstürzten. „Das ist genug, um 10.000 olympische Schwimmbecken zu füllen“, sagt Kristian Svennevig vom Geologischen Dienst von Dänemark und Grönland (GEUS), der ebenfalls an der Studie beteiligt war. Das Gestein verdrängte auf einen Schlag so viel Wasser, dass die Welle des Tsunamis, der dem Erdrutsch folgte, eine Höhe von 200 Metern erreichte. Die Wellen, die daraufhin durch den Fjord schwappten, waren tagelang noch mehrere Meter hoch. Dieses Phänomen, das man auch in einer Badewanne beobachten kann, wenn man auf einer Seite beim Einsteigen schlagartig viel Wasser verdrängt, nennt man auch ,Seiche‘.
Einer der Gründe, warum es an dem Fjord einen derartig massiven Erdrutsch gab, ist wohl der Klimawandel. Der Gletscher am Fuß des Berges hatte sich in den vergangenen Jahren bereits stark ausgedünnt.
Einzigartiges Phänomen
In der Wissenschaft ist der Vorfall laut den Forschenden bislang einzigartig. „Dass er zu einer solchen Schwingung fähig ist, scheint eine besondere Eigenschaft des Dickson-Fjords zu sein“, sagt Rudolf Widmer-Schnidrig, Mitautor der Studie und Seismologe an der Universität Stuttgart. Es gebe bisher praktisch „keine Berichte über Schwappschwingungen dieser Frequenz, die derart langsam abklingen“. Wohl auch deshalb war das Interesse in der Forschungsgemeinde besonders groß. Insgesamt 68 Forschende von 40 Einrichtungen in 15 Ländern trugen letztendlich zur Aufklärung des wissenschaftlichen Rätsels bei.