Wie Goldabbau das Fundament des Amazonas zerstört

Der Geologe Josh West erforscht im Rahmen der National Geographic and Rolex Perpetual Planet Amazon Expedition den Wasserkreislauf des Amazonas-Regenwalds.

Von Natalie Hutchison
Veröffentlicht am 28. Nov. 2024, 08:56 MEZ
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Porträt des National Geographic Explorers und Professors Josh West, der in der Region Madre de Dios arbeitet. Das Gebiet ist vom handwerklichen Goldabbau betroffen.

Foto von Musuk Nolte, National Geographic

Der National Geographic Explorer Josh West hat inzwischen ein gutes Gespür für die Feinheiten von Prozessen in der Natur – auch wenn es darum geht, Lösungen für Umweltprobleme zu finden. Manche Abläufe erscheinen einfach, doch auch sie beruhen auf mehreren voneinander abhängigen Variablen. Das wird deutlich, wenn man den Lebenszyklus eines einzelnen Regentropfens betrachtet.

„Wenn Regen auf die Erde fällt, beginnt eine faszinierende Reise des Wassers durch den Boden, Felsen und Pflanzen, bevor es wieder in die Atmosphäre zurückkehrt“, erklärt West. „Es gibt noch Vieles über dieses verborgene Leben des Wasser zu erfahren – vor allem an einem Ort wie dem Amazonas-Regenwald, wo es für das Ökosystem und den globalen Wasserkreislauf eine entscheidende Rolle spielt.“

Wasserkreislauf im Regenwald des Amazonas

In keinem Gebiet der Erde ist die Evapotranspiration – also die Gesamtverdunstung aus Boden- und Wasserflächen sowie der Tier- und Pflanzenwelt – so stark wie im dichten Regenwald des Amazonas. Unzählige Baumwurzeln nehmen täglich Milliarden Tonnen Wasser auf, das schließlich wieder in die Atmosphäre abgegeben wird. Dort bilden Legionen von Tröpfchen eine Art Fluss am Himmel. Erreicht der unsichtbare, aber mächtige Strom seinen Sättigungspunkt, fällt das Wasser in Form von Regen zurück auf die Erde. Ein Teil wandert in den Boden und auf diesem Weg in die Vegetation. Der Rest fließt über den lehmigen, wenig durchlässigen Boden schnell in Bäche und Flüsse ab.

Die Reise eines einzelnen Wassertropfens durch diese Feuchtigkeitsrecyclingfabrik „ist im Kleinen das, was auf der ganzen Welt geschieht“, sagt West.

Der Geologe, Forscher und Lehrer West studiert schon seit Jahrzehnten, wie die Topographie der Erde sich verändert und so die Wege des Wassers durch Boden und Pflanzen verändert. Er hat mehrere Jahre im peruanischen Amazonas-Regenwald verbracht, wo der Zusammenhang zwischen Landschaft, Wald und Wasser für den Erhalt des Ökosystems besonders wichtig ist. Ein Zehntel aller Spezies unseres Planeten sind dort heimisch.

Ein empfindlicher Kreislauf

Gemeinsam mit den Explorern Jennifer Angel-Amaya und Hinsby Cadillo-Quiroz sowie einer Gruppe von Studierenden der Erdwissenschaften von der University of Southern California in Los Angeles hat West die Reise des Wassers im und seine Wirkung auf den Amazonas-Regenwald untersucht: Die Stationen vom Regentropfen zum Fluss, wann und wie das Wasser auf seinem Weg von der Vegetation aufgenommen und genutzt wird und wie große Flüsse Nähr- und andere Stoffe transportieren.

Sowohl natürliche als auch menschengemachte Veränderungen in der Umwelt können den Fluss des Wassers behindern oder beschleunigen – und dadurch die Lieferwege lebenswichtiger Nährstoffe beeinflussen.

Der Amazonas-Regenwald ist ein einzigartiges Umfeld für eine solche Studie. Die Mengen, in denen Pflanzen frisches Regenwasser aufnehmen und durch Verdunstung in die Atmosphäre zurückführen, ist beeindruckend. Manche Forschenden gehen davon aus, dass dieses System weitreichende, weltweite Effekte auf den Niederschlag und die Erdtemperaturen hat.

„Es gibt viele verschiedene Zusammenhänge im Klimasystem“, so West. Bei der Arbeit mit Klimamodellen, „kann man den Amazonas-Regenwald ausklammern, um zu sehen, welche Folgen das für ein Modell hat – doch dabei muss man viele kleine Verbindungen berücksichtigen“. Um eine korrekte Vorhersage zu erhalten, sei es also wesentlich, die Einzelheiten des Wasserkreislaufs tiefgreifend zu verstehen. Es geht um Nuancen.

Seit einigen Jahren verschwinden die Grundlagen dieses Systems – der Boden des Amazonas-Regenwalds und sein dichtes Blätterdach – nach und nach. Expert*innen warnen schon lange davor, dass die Region aufgrund von Entwaldung, Klimawandel und schweren Dürren dem Kipppunkt nahe ist. Wie groß die Bedrohung im Einzelnen jedoch ist und welche Rollen die individuellen Gefahren im Gesamtbild des Niedergangs des Amazonas spielen, ist jedoch kaum bekannt. Zu verstehen, welchen Schaden es anrichtet, wenn Wurzeln aus dem Boden und Boden von der Erde entfernt wird, ist ein Ziel der Forschung von West und seinen Kolleg*innen.

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    Luftaufnahme der peruanischen Region Madre de Dios, wo West und seine Kolleg*innen die Folgen des Goldabbaus und der damit verbundenen Quecksilberverschmutzung erforschen.

    Foto von Musuk Nolte, National Geographic

    Folgen des Goldabbaus für den Regenwald

    Teil des Forschungsteams, das seit dem Jahr 2022 im Rahmen der National Geographic and Rolex Perpetual Planet Amazon Expedition zu dem Thema forscht, sind neben West die Geologin Angel-Amaya und der Mikrobiologe Cadillo-Quiroz. Die auf mehrere Jahre angelegte Expedition umfasst mehrere wissenschaftliche Projekte im gesamten Gebiet des Amazonas, von den Anden bis zum Atlantik, die journalistisch begleitet werden.  

    Für ihre Arbeit untersuchen die drei Forschenden drei Gebiete in der peruanischen Region Madre de Dios. Dort wollen sie ermitteln, wie sich Entwaldung und Bergbau auf die Wasserqualität auswirken – und wenden dabei Techniken an, die noch nie zuvor in Abbaubauregionen des Amazonas zum Einsatz gekommen sind. Mit ihrer Hilfe wollen sie den Weg des Wassers beleuchten: von seiner sichtbaren Präsenz in Baggerseen bis hin zu seinem versteckten Vorkommen im Boden. Dabei stehen die Fragen im Mittelpunkt, wie der Abbau von Rohstoffen das Auftreten von Wasser verändert und welche Bedeutung diese Veränderungen für die Quecksilberverschmutzung und die Entstehung von Treibhausgasen haben.

    Der Abbau verwandelt undurchlässige Böden in Sand. Dadurch wird die Geschwindigkeit, mit der das Wasser fließt, erhöht – und die Zeit, die dem Boden bleibt, um die Nährstoffe aus dem Wasser aufzunehmen, verkürzt. „In Abbaugebieten fließt das Wasser um ein Vielfaches schneller als in Gebieten mit naturbelassenem Boden“, so West. „Wasser, das auf Sand fällt, sickert einfach durch.”

    Messungen des elektrischen Widerstands, der Triebkraft und des Eindringverhaltens des Wassers ermöglichten es West und den an der Expedition beteiligten Studierenden, einen Blick in die sonst verborgene Welt des Wassers unter unseren Füßen zu werfen. Dabei konnten sie sehen, wie sich das Wasser als Rinnsal durch den natürlichen Untergrund bewegt – ein Prozess, der eigentlich mehrere Stunden dauern sollte. Im Sand in ehemaligen Abbaugebieten legt das Wasser die gleiche Strecke aber in rund fünf Minuten zurück.

    Dieser deutliche Unterschied hat West und seinen Kolleg*innen zufolge wesentliche Auswirkungen auf das Wachstum der Vegetation und für die Renaturierung der Gebiete. Denn wenn das Wasser zu schnell fließt, ist es für Pflanzen möglicherweise nicht verfügbar. Das Ergebnis sind Dürrezonen in der Landschaft.

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    Links: Oben:

    Die National Geographic Explorer Josh West, Jennifer Angel Amaya und Hinsby Cadillo-Quiroz untersuchen Sedimentproben aus einem Teich in der Region Madre de Dios.

    Rechts: Unten:

    Josh West bei der Untersuchung von Sedimentproben. Ziel des Forschungsteams ist es, innovative, skalierbare Lösungen gegen die Zerstörung des Ökosystems und Strategien für eine bessere Landnutzung zu entwickeln.

    bilder von Musuk Nolte, National Geographic

    Selbst dort, wo der Wald wieder wächst, sind die Spuren des Goldabbaus West zufolge auch Jahrzehnte später noch zu erkennen – in Form von Gruben, die so groß sind, dass man sie vom Weltall aus sehen kann. Das Blätterdach des Regenwalds mag nachwachsen, doch das Ausheben und Umwälzen des Bodens ist nicht so leicht rückgängig zu machen.  

    „Wenn man die Entwaldung mit einem brennenden Haus vergleicht, so wird beim Goldabbau außerdem auch noch das Fundament zerstört“, sagt West. Der Boden werde dabei in seiner Zusammensetzung so stark gestört, dass es unwahrscheinlich ist, dass Spezies, die dort einmal gelebt haben, sich wieder ansiedeln – selbst dann, wenn Maßnahmen zu ihrem Schutz ergriffen werden.

    West und sein Team vermuten, dass in den ehemaligen Abbaugebieten im Amazonasbecken nichts mehr wieder so werden wird, wie es war. Stattdessen sei die Zukunft der neuen Landschaften ungewiss. Diese sich im Wandel befindlichen Gebiete schreien darum förmlich nach verbesserten Renaturierungsstrategien.

    Naturbasierte Lösungen

    West und seine Kolleg*innen haben darum bereits begonnen, innovative, naturbasierte Maßnahmen zu testen. Unter anderem haben sie robuste Palmenarten gepflanzt, die sich auf sandigem, mineralstoffarmem Boden wohlfühlen. Dadurch hofft das Team, die Grundlage für ein Feuchtgebiet zu schaffen, dessen Wachstum die biologischen Prozesse wieder anschiebt, Kohlenstoff speichert, den Boden und seine Fruchtbarkeit regeneriert und dafür sorgt, er dass mit Mikroben und Nährstoffen angereichert wird.

    Mehr als tausend Palmen wurden zu Demonstrationszwecken gepflanzt. Sollte das Experiment erfolgreich sein, will das Team noch enger und mit mehr lokalen Gemeinschaften zusammenarbeiten, um die Wiederherstellung des Ökosystems langfristig zu begleiten und dabei zu helfen, das Leben im Wald und seine Funktionen wieder aufzubauen.

    Weil so viele Existenzen davon abhängen, ist eine Zukunft ohne den Goldabbau im Amazonas unvorstellbar. Die Industrie umweltverträglich zu machen ist laut West darum der einzige nachhaltige Weg.

    Hoffnung bleibt

    Es mag, so West, kontrovers klingen, doch das Bild, das sich bei einem Spaziergang durch ehemalige Abbaugebiete böte, sei teilweise nicht so apokalyptisch, wie man es erwarten würde. Zwar seien die Zeichen, dass die Erde dort verwundet wurde, deutlich, doch „man sieht auch Jaguar-Spuren, Schildkröten in den Baggerseen und viele andere Tiere, die man im Amazonas erwartet“. Sie können dort also überleben und das lässt laut West Hoffnung für die Zukunft dieser Orte zu. „Doch um den Weg in diese Zukunft bereiten zu können, müssen wir die völlig neu entstandene Landschaft erst in jedem Detail verstehen.“

    Es sei ein krasser Widerspruch: Dort wo noch immer abgebaut wird, komme es einem so vor, als sei man in der Endzeit gelandet – doch bei Sonnenuntergang kommen Tiere, um die Gewässer zu erkunden, die dort, wo die Erde aufgerissen wurde, entstanden sind. Laut West beweist das, dass das Leben weitergeht und die Natur widerstandsfähig ist. Man solle nicht vergessen, dass das System überlastet ist, doch es gäbe auch großes Potenzial. „Für mich stellt sich nur die Frage, wie weit wir gehen können, bevor die Widerstandsfähigkeit der Natur ausgereizt ist“, so West.

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    Die Forscher*innen Josh West, Hinsby Cadillo-Quiroz und Jennifer Angel-Amaya nutzen ihr gemeinsames Wissen und ihre Erfahrung, um ein ganzheitliches Bild einer durch den Menschen veränderten Landschaft in der Region Madre de Dios in Peru zu erstellen.

    Foto von Musuk Nolte, National Geographic

    Seit zwei Jahrzehnten forscht West nun im Amazonasgebiet. In dieser Zeit hat er den langsam voranschreitenden Verfall der Landschaft mit eigenen Augen beobachtet. Das hat ihn dazu motiviert, die Gründe für diese Entwicklung zu untersuchen und Lösungen zu entwickeln – darunter der neuartige Renaturierungsansatz, der das wichtige Ökosystem wieder ins Gleichgewicht bringen soll.

    Als Doktorand in den frühen 2000er-Jahren beschäftigte sich West mit der Art und Weise, wie Wasser, das über und durch den Boden fließt, der Atmosphäre Kohlenstoff entzieht, indem es mit Gestein reagiert und Pflanzenreste in Flüsse spült. In Gebirgsregionen wie den Anden laufen diese Prozesse schnell ab. In tiefer gelegenen Gebieten wie dem Amazonasbecken dauern sie länger. Um diesen Unterschied genauer zu untersuchen, reiste West in die Amazonas-Region und erfuhr dort die Bedeutung des „verborgenen unterirdischen Wassers“ in dem natürlichen System.

    Er und sein Team arbeiten daran, den Wasserverbrauch von Bäumen im Tiefland und die Reaktion dieser Systeme auf den Klimawandel zu ermitteln. Neben dem Amazonasgebiet führte die Erforschung des Zusammenhangs zwischen Landschaft und Wasser West auch in den Himalaya, nach Alaska und an andere Orte.

    „Wir können aus katastrophenbedingten Veränderungen der Erdoberfläche viel lernen“, sagt er. „Sowohl aus den Folgen von Naturkatastrophen wie Erdrutschen als auch aus den Ergebnissen der Handlungen von Menschen wie dem Abtauen des Permafrosts oder dem Goldabbau im Amazonas.“

    Unter anderem war West Teil eines Forschungsteams, das fast 60.000 Erdrutsche untersuchte, die durch ein Erdbeben im Jahr 2008 im Kreis Wenchuan in China ausgelöst worden waren. Er rekonstruierte, wie Stürme und Flüsse Kohlenstoff transportieren, und untersuchte, was passiert, wenn diese Prozesse durch Katastrophen gestört werden.

    „Die Welt ist voller Wunder, aber ihre Zahl ist begrenzt“, sagt er. Die Endlichkeit der Dinge ist das, was sein Interesse an den Erdwissenschaften geweckt hat. „Ich denke viel über die Erhabenheit des Waldes nach – selbst wenn es gelingen würde, Kolonien auf dem Mars zu bauen, gäbe es dort keinen zweiten Amazonas-Regenwald.“

    Ein tiefes Verständnis vom Aufbau dieser Wunder ist ihm zufolge ein wichtiger Schritt zu ihrem Erhalt. „Zu wissen, wie die Natur funktioniert, ist wesentlich, wenn wir richtig mit ihr umgehen wollen.“

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

    Dieser Artikel wurde durch die Unterstützung von Rolex ermöglicht. Das Unternehmen pflegt eine langjährige Partnerschaft mit der National Geographic Society, um die Herausforderungen der Ökosysteme zu beleuchten, die unseren Planeten am Leben halten – mit Forschung, Expeditionen und Geschichten.

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