Biolumineszenz: Licht an!

Wer sorgt für das schönste Leuchten auf der Erde? Jedenfalls nicht der Mensch.

Von Olivia Judson
Foto von David Liitschwager

Zusammenfassung: Wer sorgt für das schönste Leuchten auf der Erde? Jedenfalls nicht der Mensch. Nicht nur Glühwürmchen leuchten bei Nacht. Besonders in den Ozeanen haben sich viele Arten die Biolumineszenz zu Eigen gemacht. Das magische Leuchten dient zur Abwehr von Räubern oder lockt Beute und Paarungspartner an. Der Anglerfisch lässt zum Beispiel einen leuchtenden „Wurm“ von seinem Kopf baumeln. Das Licht lockt kleinere Fische an, die dann im Maul des Räubers landen.

Das Licht ist aus in der Dunkelkammer auf der „Western Flyer“. Die Luft ist warm und stickig, das Forschungsschiff schwankt in der See. Niemand stört sich daran. Auf einem Tisch liegt in einer kleinen Schale ein Tier, das die Meeresbiologen des Monterey Bay Aquarium Research Institute hier, 80 Kilometer vor der kalifornischen Küste, gefangen haben. Eine Rippenqualle. Sie ist ungefähr fünf Zentimeter lang, und wenn es nicht gar so dunkel wäre, sähe man so etwas wie eine geleeartige, durchsichtige Glocke mit seitlichen Längsrippen.

Steven Haddock, Experte für lichtproduzierende Lebensformen, stupst das Wesen mit einem Glasstab an – und für einen Augenblick erscheint in der Schale geisterhaft das Bild der Qualle. Ein Schemen aus bläulichem Licht, das herumwirbelt und dann schwächer wird, als würde das Tier sich nach dieser kurzen ätherischen Erscheinung wieder auflösen.

Diese Geleeglocke kann leuchten.

Das Tier in der Schale gehört zu einer Rippenquallenart, die tief unter der Meeresoberfläche lebt. Nur wenige Menschen haben ihresgleichen schon zu Gesicht bekommen, von ihrem Licht ganz zu schweigen.

Biolumineszenz – so nennen Biologen das Phänomen, wenn Lebewesen im Dunkeln leuchten. Dieses neonfarbige Glimmen ist von magischer Schönheit. Und gar nicht selten. Viele Tiere können Licht erzeugen. Am bekanntesten sind die sogenannten Glühwürmchen. Bei vielen dieser Käfer sitzt das Leuchtorgan im Hinterleib. Sie lassen es an Sommerabenden aufblitzen und locken so Paarungspartner an. Oder Beute. Andere strahlende Landtiere sind unter den Schnecken und Tausendfüßern zu finden. Auch manche Pilze leuchten.

Aber die prächtigste Lightshow findet in den Ozeanen statt. Dort unten kann eine erstaunliche Zahl von Lebewesen Licht erzeugen. Zum Beispiel die Muschelkrebse, winzige Tiere, die Sesamkörnern mit Beinen ähneln. Wie Leuchtkäfer, die sich ins Meer verirrt haben, locken sie Partner an. Auch die staubkorngroßen Dinoflagellaten leuchten auf, wenn das Wasser um sie bewegt wird. Wer in der Nacht schon mal mit dem Boot auf dem Meer gerudert ist, hat vielleicht eine mysteriöse Funkenspur entdeckt, die das Boot im Wasser zog. Das waren die Dinoflagellaten.

Und da wären die leuchtenden Rädertierchen, amöbenähnliche Lebewesen, die ihre Kolonien meist auf raffinierten Gerüsten aus selbst gemachtem Glas bauen. Von den Leuchtbakterien nicht zu reden. Und nicht nur Kleinzeug erzeugt Licht. Viele Fische können es, außerdem einige Tintenfische – einer wird darum auch Wunderlampe genannt –, Quallen, Krebse, Seegurken, Korallen und mehrere Arten von Würmern. Die räuberischen Staatsquallen wiederum lassen lange, fadenförmige Tentakel wie einen leuchtenden Vorhang im Wasser nach unten hängen. Mehr als vier Fünftel aller Tiergruppen, die Licht erzeugen, leben im Meer.

Der Ozean ist mit Abstand der größte Lebensraum unseres Planeten: Er bedeckt mehr als 70 Prozent der Erdoberfläche, ist im Durch rund 3 600 Meter tief und bis heute wenig erforscht. Das gilt insbesondere für die riesigen Regionen, die weder reiche Fischgründe noch Korallenriffe besitzen und auch nicht wegen ihrer Rohstoffe für den Menschen wirtinteressant sind.

Genau für diese unbeachteten Gebiete interessiert sich Haddock, der Expeditionsleiter auf der „Western Flyer“. „Ich will da hinschauen, wo sonst keiner hinschaut“, sagt er. Auf frühe- ren Expeditionen haben er und seine Kollegen in solchen Gewässern eine Reihe leuchtender Tierarten entdeckt, die noch keiner kannte.

Zu den berühmtesten zählt der Wurm mit dem schönen Namen Swima bombiviridis. Das heißt übersetzt so viel wie „Schwimmender Wurm mit grünen Bomben“. Er lebt im Pazifik in 2 000 bis 3 000 Meter Tiefe und wirft grün- lich glimmende Körperanhänge ab, wenn er von hungrigen Fischen angegriffen wird. Das irritiert die Räuber, und der Wurm hat eine gute Chance zu entkommen.

Um derart tiefe Meeresschichten zu erkunden, setzt Haddock ein ferngesteuertes Unterwasserfahrzeug ein – kurz ROV (remotely ope- rated vehicle) genannt. Das Gerät kann Tiere, die sich langsam bewegen, einfangen und lebend an die Oberfläche bringen. Es besteht aus einem stabilen Metallgestell, am Vorder- und Hinterende ist je eine Reihe durchsichtiger Plastikbecher mit Deckeln befestigt. Außerdem sind Videokameras angebracht, Scheinwerfer, Sensoren, Kabel, mehrere Roboterarme. Und ein simpler Pfannenwender.

Ein Pfannenwender?

„Klar, der ist gut, um im Schlick des Meeresbodens zu graben“, erklärt Haddock.

Um sieben Uhr am Morgen ist das ROV startklar. Männer mit Schutzhelmen nehmen die letzten Überprüfungen vor. Dann hebt ein Metallarm das ROV vom Boden des Schiffes hoch. An der Stelle, wo es gestanden hat, klappt der Boden auf und gibt einige Meter tiefer ein Stück Ozean frei. Der Metallarm senkt das Roboter-U-Boot ins Wasser; im nächsten Augenblick ist es in den Wellen verschwunden.

Als Lebensraum hat der Ozean einige Besonderheiten. Erstens kann man sich im freien Wasser hinter nichts verstecken; jede Methode, sich für Feinde unsichtbar zu machen, ist also besonders nützlich. Zweitens wird das Sonnenlicht mit zunehmender Tiefe immer schwächer. Zuerst wird das rote Licht absorbiert, dann folgen die gelben und grünen Anteile des Spektrums, schließlich ist nur noch Blau übrig. In 200 Meter Tiefe herrscht ständiges Dämmerlicht, bei 600 Metern ist auch das verschwunden. Im allergrößten Teil der Ozeane ist es also stockfinster. Immer. Und so ist es äußerst hilfreich, wenn man selbst das Licht anknipsen kann, sei es für die Jagd, zur Verteidigung oder bei der Partnersuche – oder auch, um sich zu verbergen.

Denn so schwer es ist, in den unteren Wasserschichten etwas zu entdecken, so schwer ist es auch, in den oberen nicht entdeckt zu werden. Man stelle sich vor, man tauche an einem sonnigen Tag im Meer. Über einem, an der Grenze von Wasser und Luft, schillert silbrig die Oberfläche. Nach unten zu geht das Wasser in dunkelblaue Schatten über, in allen anderen Richtungen hat es ein trübes Grünlichgrau. Der Meeresboden ist irgendwo tief unten, man denkt lieber nicht daran, wie tief. Aber Moment mal – was ist das da für ein Schatten? Vielleicht ein Hai? Ganz plötzlich wird einem bewusst, wie verwundbar man ist: eine dunkle Silhouette vor der silbrigen Wasseroberfläche, gut sichtbar für jedes hungrige Tier, das vielleicht unter einem lauert. Ein Räuber muss nur hinaufblicken und sieht vor der hellen Oberfläche deutlich seine Beute.

Viele Lebensformen im Meer lösen dieses Problem, indem sie die helle Zone tagsüber meiden und nur nachts an die Oberfläche steigen. Andere haben sich in der Evolution zu transparenten, geisterhaften Tieren entwickelt. Wer öfter taucht oder schnorchelt, dem wird aufgefallen sein, dass fast alle Tiere, die einem begegnen – von der Qualle bis zur schwimmenden Schnecke – mehr oder weniger durchsichtig sind. Eine andere Methode, die eigenen Körperumrisse zu verbergen, ist bei vielen Fischen zu beobachten: Sie haben silbrige Körperflanken, die das Licht reflektieren, sodass ihre Silhouette verschwimmt.

Und dann gibt es die Tiere, die Licht einsetzen, um sich unsichtbar zu machen: Einige Fischarten, Tintenfische und auch der Krebs Sergestes similis. Sie lassen den eigenen Bauch so leuchten, dass er dem von oben kommenden Licht gleicht. Auf diese Weise verbergen die Tiere ihren Umriss. Das Tarnlicht kann nach Belieben ein- und ausgeschaltet werden – und hat bei einigen Arten sogar einen Dimmer. Der Sergestes similis zum Beispiel kann die Lichtstärke regulieren, je nachdem, wie hell das Wasser in seiner Umgebung ist. Zieht am Himmel eine Wolke vorüber, dimmt der Krebs seinen Bauch entsprechend.

Aber warum leuchten viele Lebewesen von den Rippenquallen bis zu den Dinoflagellaten gerade dann auf, wenn sie berührt werden oder das umgebende Wasser bewegt wird? Wenn also womöglich ein Feind naht? Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen kann plötzlich aufflammendes Licht den Angreifer verwirren, was dem Gejagten eine Fluchtchance eröffnet. Ein Tiefseetintenfisch etwa sendet im Falle eines Angriffs einen blendenden Lichtschein aus und schießt in die Dunkelheit davon. Der „Wurm mit grünen Bomben“ wiederum wirft unwichtige Körperteile wie Fackeln ab und kann verschwinden, während der Räuber sich auf die Leuchterscheinung stürzt.

Manchmal gilt auch das Prinzip „der Feind meines Feindes ist mein Freund“: Wer Licht abgibt, lockt unter Umständen den natürlichen Feind des Angreifers an. Besonders wichtig ist dieser Alarm-Effekt für winzige Lebewesen, die nicht schnell schwimmen können. Die Dinoflagellaten zum Beispiel haben nicht die Wahl „Flüchten oder Kämpfen“, also nutzen sie das Licht, um Unterstützung zu rufen.

Wenn sich ihnen kleine Krebse, die gern Dinoflagellaten fressen, nähern und das Wasser aufwirbeln, lassen die bedrohten Einzeller ihr Licht aufleuchten. Damit machen sie Fische aufmerksam, die in der Nähe schwimmen. Die Fische kommen heran, sehen die Krebse, fressen sie – und die Dinoflagellaten treiben davon.

Wenn diese leuchtenden Lebensformen in großen Schwärmen unterwegs sind, löst jede feindliche Annäherung gleich eine Reihe von aufblitzenden Bewegungsmeldern aus, ein schnell schwimmender Fisch zieht dadurch eine Spur wie eine Sternschnuppe am Nachthimmel. Jedes Tier, das von den eigenen Feinden nicht gesehen werden möchte, versucht, einen solch schrillen Auftritt zu vermeiden.

Die Mehrzahl der Tiefseebewohner hat allerdings im Lauf der Evolution ein Gegenmittel entwickelt: eine schwarze oder rote Färbung, mit der sie unsichtbar bleiben, wenn der Lichtalarm losgeht, denn die meisten Jäger können trotz „Suchschweinwerfer“ Rot nicht sehen.

Die meisten. Doch in der Biologie gibt es nichts, was es nicht gibt. Die Ausnahme von der Regel sind die Drachenfische der Gattung Malacosteus. Sie haben eine besonders raffinierte Eigenschaft: Im Unterschied zu allen anderen Tiefseeorganismen können sie nicht nur rotes Licht sehen, sie senden es auch selbst aus – und stöbern damit eine Beute auf, die aufgrund ihrer Rotblindheit nicht einmal bemerkt, dass sie sich im Suchlicht befindet.

Und wie entsteht das Licht unter Wasser? Die meisten leuchtenden Lebewesen erzeugen es selbst. Sie brauchen dazu drei Zutaten: Sauerstoff sowie die Moleküle Luciferin und Luciferase. „Lucifer“ ist lateinisch und bedeutet „Träger des Lichts“. Luciferin ist ein Molekül, das mit Sauerstoff reagiert und dann Energie in Form von Lichtblitzen abgibt. Als Luciferase werden verschiedene Moleküle bezeichnet, die die Reaktion zwischen Luciferin und Sauerstoff in Gang setzen. Mit anderen Worten: Das Luciferin ist die leuchtende Substanz, und die Luciferase lässt sie leuchten.

Diese Art der Lichtproduktion hat sich in der Evolution auf mindestens 40 verschiedene Arten entwickelt. Viele Substanzen können als Luciferase wirken. Man mische zum Beispiel ein wenig Eiweiß im Dunkeln mit Sauerstoff und den luciferinhaltigen Ausscheidungen einer Leuchtqualle, und schon stellt sich ein bläuliches Flackern ein.

Manche Tiere produzieren ihr Luciferin selbst, andere nehmen es mit ihrer Beute auf. Wobei leuchtendes Futter ein neues Problem schafft. Wie bereits erwähnt, sind viele Tiere, die im offenen Wasser leben, im Laufe ihrer Evolution zur Tarnung durchsichtig geworden. Wer aber durchsichtig ist und etwas Leuchtendes gefressen hat, wäre plötzlich wieder sehr gut zu sehen. Aber auch hier hat die Evolution eine Lösung gefunden: Viele ansonsten transparente Tiere haben einen undurchsichtigen Darm.

Doch auch bei der Lichtproduktion gibt es Ausnahmen. Das Roboter-U-Boot vor der Küste Kaliforniens wird gleich einer davon begegnen. Es hat sich auf die Fahrt in die Tiefe gemacht, gesteuert aus einem fensterlosen Kontrollraum auf dem Schiff. Mehrere Bildschirme stehen darin vor einer Reihe von Stühlen. Die Monitore zu beobachten, hat etwas Hypnotisches. Die Kameras liefern gestochen scharfe Bilder, selbst winzige Lebewesen kann man erstaunlich genau erkennen. Meistens aber sieht man nur „Meeresschnee“, Schmutzteilchen, die langsam im Wasser abwärts sinken wie Staub.

Nur hin und wieder lässt sich ein Tier blicken. Eine Qualle. Ein Krebs. Oder – Moment mal! Gütiger Himmel. Gerade erscheint auf dem Bildschirm ein Fisch, den manche vielleicht schon in Zeitschriften gesehen haben. Aber dieser hier ist aus Fleisch und Blut.

Zum größten Teil sieht er aus wie ein ganz normaler Fisch. Nur, dass aus seinem Kopf ein langer Stiel entspringt, und am Ende des Stiels hängt etwas, das wie ein fetter, saftiger, leuchtender Wurm aussieht. Dieser „Wurm“ ist ein Teil des Fisches, er dient ihm als Köder und lockt die Unvorsichtigen und Hungrigen ins Verderben. Denn viele Tiere interpretieren Licht als Anzeichen für Nahrung. Darauf setzt der Anglerfisch, einer der gefräßigsten Räuber der Tiefsee. Wer nach dem „Wurm“ schnappt, landet selbst in einem Maul voller Zähne. Und anders als die meisten Tiere, erzeugt der Anglerfisch das Licht nicht einmal selbst. In dem Köder hausen Leuchtbakterien. Ein nützliches Arrangement: Die Bakterien erhalten Schutz, der Fisch bekommt Licht.

Nach dieser Begegnung taucht das ROV bald wieder auf. Die gefangenen Tiere werden in Kühlräume gebracht. Am Abend treffen sich die Biologen in der Dunkelkammer. In einer Schale schwimmt ein weiterer lebender Lampion. Steven Haddock stupst ihn mit dem Glasstab an.

Das Licht des Lebens erstrahlt.

Aus dem Englischen von Dr. Sebastian Vogel

(NG, Heft 2 / 2016, Seite(n) 114 bis 129)

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