Hawaii - Wellen des Protests

Die Hawaiianer haben das Surfen erfunden. Heute ist der Sport zum Symbol des Widerstands geworden – gegen den Einfluss der Fremden.

Von John Lancaster
Foto von Paul Nicklen

Zusammenfassung: Der Strand Makaha an der Westküste Hawaiis ist ein Paradies für Surfer. Doch hier haben die Einheimischen das Sagen, Fremde müssen sich ihren Respekt erst verdienen, um die Wellen reiten zu dürfen. Der Sport ist für die Hawaiianer eine Verbindung zu ihrer vorkolonialen Vergangenheit, ein Rest ihrer kulturellen Identität. John Lancaster beschreibt in seiner Reportage die Surfkultur Hawaiis zwischen sportlicher Virtuosität und einem Leben an der Armutsgrenze.

Vor den Inseln, wo das Surfen erfunden wurde, waren die Wellen an diesem Tag ein Reinfall – kraftlos, nicht besonders hoch, und sie kamen nur sporadisch. Aber Hawaiianer paddeln mit ihren Brettern fast jeden Tag hinaus auf den Pazifik. Und so war es sehr voll in der Warte-Zone. Teenager auf Shortboards, Mütter auf Longboards, Grundschüler auf Bodyboards, ein Typ mit grauem Pferdeschwanz, der aufrecht auf seinem Surfbrett stand, ein Stechpaddel in der Hand. Einige trugen traditionelle Tattoos im Stil der polynesischen Krieger. Im tiefen Wasser neben dem Riff saß ich auf meinem Brett und beobachtete die Menge mit einem flauen Gefühl im Magen – ich wusste, ich gehörte nicht dazu.

Schon lange gilt Makaha an der Westküste von Oahu als der Strand, an dem die Fremden sehen müssen, wie sie zurechtkommen, die haoles, wie sie uns hier nennen. Fernab der Nordküstenschickeria von Sunset Beach oder Banzai Pipeline und der Pauschaltouristen am Waikiki Beach hat sich eine streng abgeschottete Gemeinschaft gebildet, sie besteht vorwiegend aus den Nachfahren der frühen polynesischen Seefahrer, die die Inseln ursprünglich besiedelt haben.

Selbst die, die sich mit der Annexion Hawaiis durch die USA im Jahr 1898 abgefunden haben – und manche hadern immer noch damit –, wollen unbedingt verhindern, dass mit ihren Wellen dasselbe geschieht. Man hört immer wieder, dass fremde Surfer hier aus dem Wasser gejagt wurden, manche mit gebrochener Nase, weil sie gegen irgendein ungeschriebenes Gesetz verstoßen hatten. Diesem Schicksal wollte ich um jeden Preis entrinnen.

Eine halbe Stunde lang trieb ich im Wasser und wartete, bis ich eine Welle entdeckte, die noch niemand ritt. Ich drehte mein Brett in Richtung Strand und paddelte drauflos. Als ich gerade Fahrt aufgenommen hatte, bemerkte ich einen Teenager auf einem Bodyboard, der dieselbe Welle nehmen wollte. Ohne eine Miene zu verziehen, drückte er mir seine Hand auf die Schulter, schubste mich weg und stürzte sich in die Wellenwand. Ich gab auf und paddelte zurück. Von wegen „aloha“!

Nach ein paar Wochen in Makaha war mir klar, dass hinter diesem kleinen Gewaltakt mehr steckte. Die Hawaiianer surfen seit fast tausend Jahren. Für sie ist dieser Sport eine Verbindung zu ihrer vorkolonialen Vergangenheit, ein Rest ihrer kulturellen Identität. Sie pflegen eine fast mystische Beziehung zum Ozean. Kein Wunder, dass sie keinen Spaß verstehen, wenn es um ihre Wellen geht.

„Wir haben wirklich nette Leute hier, aber wenn du nicht nett bist, sind sie auch nicht nett zu dir.“ Das ist keine Drohung, nur eine klare Ansage. Der, der sie machte, saß auf einem angeschwemmten Ast am Strand. Der Mann war zwar schon ganz schön alt, sah aber aus wie jemand, mit dem man sich lieber nicht anlegen sollte. Sein Haar war strahlend weiß, und mit seinem zerfurchten Gesicht ähnelte er einem alii, einem hawaiianischen Häuptling aus früheren Zeiten. „Wenn die Typen sagen, dass sie dir etwas antun, dann tun sie dir auch etwas an“, sagte er. „Denk daran, wo du bist.“

Richard „Buffalo“ Keaulana kennt sich mit den Gepflogenheiten von Makaha besser aus als jeder andere, er ist einer der wenigen „echten“ Hawaiianer. Keaulana ist 80, hat den größten Teil seines Lebens an der Westküste von Oahu verbracht und war nicht nur ein außergewöhnlich begabter Surfer, sondern auch der erste hauptamtliche Rettungsschwimmer in Makaha und Begründer eines berühmten Surfwettbewerbs, des „Buffalo Big Board Surfing Classic“. Noch immer ist er der prominenteste unter den Ältesten, die die Gemeinschaft auf den Inseln zusammenhalten und für das hawaiianische Prinzip stehen: „Nimm nur, was du brauchst.“ Er wird als „Wassermann“ verehrt, als Weiser, der das Meer wie kaum jemand sonst kennt. Bei ihm vereint sich eine tiefe Ehrfurcht vor dem Ozean mit Wissen, Können und Mut. „Er ist der letzte Traditionalist“, sagt einer seiner Bewunderer.

Das Ethos der „Wassermänner“ geht auf die ersten Hawaiianer zurück, die, so glaubt man, um 700 n. Chr. in Doppelrumpfkanus von den Marquesas-Inseln kamen, erst fünf Jahrhunderte später folgten Seefahrer aus Tahiti. Diese ersten Siedler waren vermutlich mit dem Wellenreiten vertraut, zumindest in rudimentärer Form, doch erst in der neuen Heimat wurde es zu einem wichtigen Teil ihrer Kultur. Häuptlinge und Untertanen frönten diesem Zeitvertreib, den sie he’e nalu nannten. Es gab Surftempel, Surfgottheiten und Surfwettbewerbe, bei denen die Zuschauer auf die Sieger wetteten. Bei Seegang waren die Dörfer manchmal tagelang menschenleer. Die Könige surften auf den langen olos, die aus dem Holz des Wiliwili-Baums oder der Koa-Akazie hergestellt wurden; das gemeine Volk benutzte meist die kürzeren alaias.

Das Leben auf Hawaii änderte sich radikal, nachdem James Cook im Jahr 1778 auf Kauai, einer der acht Hauptinseln, gelandet war. Den Missionaren aus Neuengland, die ihm folgten, soll das Wellenreiten ein Dorn im Auge gewesen sein, sie wollten dem Treiben auf den Wellen ein Ende setzen. Am meisten störte sie anscheinend, dass die Eingeborenen nackt surften. Die Fremden verachteten die Kultur der Einheimischen und schleppten Krankheiten ein, etwa die Pocken. Von Cooks Landung bis zur Annektierung durch den US-Kongress 1898 war die Zahl der Urbevölkerung von 800.000 auf 40.000 zurückgegangen.

Das bittere Erbe des Kolonialismus hat die Hawaiianer aus Keaulanas Generation unwiderruflich geprägt. Seine Kindheit verbrachte er in Armut, größtenteils in dem Örtchen Nanakuli an der Westküste, auf sogenanntem „Homestead“-Land – Hawaiis Variante der Indianerreservate. Die Sprache der Einheimischen wurde zugunsten des Englischen aus den öffentlichen Schulen verbannt, aber tatsächlich sprachen die Hawaiianer Pidgin-Englisch, eine auf dem Englischen beruhende Kreolsprache, die in der Gegend immer noch verbreitet ist.

Als er zehn Jahre alt war, riss Keaulana von zu Hause aus, nachdem ihn sein Stiefvater mit einem Messer bedroht hatte. Er kam bei Freunden und Verwandten unter, ging nach der achten Klasse von der Schule ab, und wenn er wieder einmal obdachlos war, schlief er in Pappkartons und stahl Hühner, um etwas zu essen zu haben. Der Ozean war seine Rettung, „ein Ort, wo ich allem entfliehen konnte“. Keaulana war ein kräftiger Schwimmer; fischen lernte er mit einer selbst gemachten Harpune aus einem angespitzten Kleiderbügel und einem Gummischlauch. Als Teenager arbeitete er als Taucher und befreite für die Filipinos die Netze ihrer Fischerboote, wenn sie sich in Korallenriffen verfangen hatten. Dann entdeckte er das Surfen.

Natürlich war der Sport nicht neu für Keaulana. Seit der Jahrhundertwende gab es in Hawaii Beachboys, die den Touristen beibrachten, wie man die sanften Brecher in Waikiki surfte. Er selbst lernte es auf einem Brett aus zusammengeleimten Eisenbahnschwellen. Aber erst als er sich einer Handvoll auswärtiger Surfpioniere anschloss, einige davon Kalifornier, die Anfang der Fünfzigerjahre nach Makaha gekommen waren, wurde das Surfen ganz und gar sein Ding.

Die Neuen hatten leichte Bretter aus Glasfaser und Balsaholz (bald durch Styropor ersetzt), die sie mit Finnen ausstatteten, sodass sie sich leicht steuern ließen. Makaha wurde zu einem Versuchslabor für neue Surftechniken und Bretter, und auch der erste internationale Wettbewerb im Wellenreiten fand 1954 hier statt. Keaulana war dabei und wurde schnell zu einem der besten Surfer seiner Generation.

Nach Zwischenstationen bei der Armee und als Beachboy in Waikiki kehrte Keaulana 1960 nach Makaha zurück. Er hatte jetzt eine Ehefrau und einen Job als Parkwächter, später wurde er Rettungsschwimmer. In seiner Wohnung über einem öffentlichen Badehaus am Strand zog er vier Kinder groß. Später, nachdem er einem wohlhabenden Texaner das Leben gerettet hatte, der bei einem Surfunfall das Bewusstsein verloren hatte, konnte sich Keaulana ein eigenes Haus bauen. Aus Dankbarkeit hatte der Mann ihm 30.000 Dollar geschenkt.

Das bittere Erbe des Kolonialismus hat die Hawaiianer geprägt.

Als „Wassermann“ spielte Keaulana auch eine herausragende Rolle in der kulturellen und politischen Rückbesinnung, der sogenannten Zweiten Hawaiianischen Renaissance. 1977 rief er den nach ihm benannten Surfwettbewerb ins Leben, der an das traditionelle Makahiki-Fest zu Ehren des hawaiianischen Gottes Lono erinnert. Keaulana hatte inzwischen einen Status wie ein Häuptling erlangt. Er war eine Autorität, ein Mann mit einem stattlichen Körper und „einem Blick, der durch Mark und Bein geht“, wie sein ältester Sohn Brian sagt: „Jedes Kind hier kennt diesen Blick.“

Zugleich war „Onkel Buff“ außerordentlich pragmatisch. Den Touristen, die mit Mietwagen von Honolulu zu seinem Wettbewerb kamen, wurden früher oft die Fenster eingeschlagen und die Brieftaschen gestohlen. „Das ist einfach dumm. Schließlich bringen sie uns jede Menge Geld ein“, sagte Keaulana. Er machte die Diebe ausfindig und stellte sie als Sicherheitskräfte ein. Seither gab es kaum noch solche Vorfälle.

Seit einigen Jahren breiten sich an der Westküste Hotelanlagen aus, und an beiden Enden des Strandes von Makaha wachsen zwischen den bescheidenen Häusern im Plantagenstil Ferienbungalows. Sonst hat sich kaum etwas verändert. An einem Picknicktisch unter einem Portiabaum am Strand vertreiben sich Keaulana und andere Alte, die hier respektvoll „Onkel“ genannt werden, die Zeit mit Geschichtenerzählen oder Dominospielen. Fremden gegenüber sind sie misstrauisch, zumindest am Anfang. „Können Sie sich irgendwie ausweisen?“, fragte mich einer der „Onkel“, als ich das erste Mal mit meinem Notizbuch auf sie zukam. Als ich ihn später fragte, ob ihm der Zustrom von Fremden und der Kampf um die Wellen Sorgen machten, versicherte er mir, dass dem nicht so sei: „Wir kontrollieren das sehr streng.“

Das hier ist nicht das Hawaii aus den Hochglanzbroschüren.

Die West Side von Oahu erstreckt sich entlang dem Farrington Highway, der westlich von Pearl Harbor anfängt, durch Makaha verläuft und unweit der Nordwestspitze der Insel, am Kaena Point, endet. Dieser regenarme Küstenstreifen am Fuße der Waianae-Berge gehört zu den ältesten besiedelten Gebieten Oahus. Hier und dort finden sich Fischteiche und Ruinen von steinernen Tempeln, aber auch modernere Überbleibsel der hawaiianischen Tradition: Straßenstände, an denen poke (Salat aus rohem Fisch) und lau- lau (in Taroblätter gewickeltes Schweinefleisch) verkauft werden, am Strand von Pokai Bay liegen Auslegerkanus. Ansonsten ist das aber nicht das Hawaii aus den Hochglanzbroschüren. In der Stadt Waianae säumen Fast-Food-Läden, Pfandleiher und heruntergekommene Einkaufszentren die Hauptstraße. Im Dickicht am Hafenbecken schlafen Obdachlose.

In Waianae wollte ich einen der „Unruhestifter“ kennenlernen, von denen Keaulana gesprochen hatte, ein Surftalent mit turbulenter Vergangenheit: Sheldon Paishon, 1993 an der West Side geboren. Ich fuhr in eine Siedlung mit baufälligen Häusern, bei einem hing ein Bettlaken als Türersatz im Eingang. Paishon kam heraus und stieg zu mir ins Auto. Er trug eine Art Irokesenschnitt im Afro-Look, doch seine sonnengebleichten, schlaffen Haare gaben der Frisur keinen Halt. Er war erschreckend dünn. Ich fragte ihn, ob er frühstücken wolle. Er lehnte ab, er habe am Abend zuvor gut gegessen, sagte er. Seine Mutter sei an der Waianae Mall betteln gewesen, und jemand habe ihr eine Portion Hühnchen gekauft, die sie für die Familie mit nach Hause gebracht hatte.

Wir fuhren in Richtung Norden nach Makaha und hielten unterwegs kurz an, damit Paishon sein Surfbrett – ein erbärmliches Ding mit abgeschlagener Nase – mitnehmen konnte, das er dort in den Büschen versteckt hatte. Dann fuhren wir weiter und parkten ein paar Minuten später in der Yokohama Bay neben dem Strand.

„Yokes“ gilt als der krasseste Surfspot der Westküste, und an diesem Morgen war klar, warum. Gewaltige Wellen donnerten über das flache Riff. Paishon war im Nu im Wasser und gesellte sich zu vielleicht einem Dutzend anderen Surfern – mit waghalsigen Take-offs, lässigen Tube-Ritten und atemraubenden Sprüngen stellte er alle in den Schatten. Er surfte mit einer Anmut und Verwegenheit, wie ich sie außer in professionellen Surfvideos selten gesehen hatte. Nach einer halben Stunde zerbrach sein Brett, nur noch ein Stück davon hielt er in der Hand, als er zurück zum Strand schwamm.

Ein Rettungsschwimmer, der das beobachtet hatte, schüttelte den Kopf und sagte: „Man soll einen Fisch nicht danach beurteilen, wie gut er auf einen Baum klettern kann.“ Das hörte sich rätselhaft an, aber wenn man Paishon und seine Vergangenheit ein bisschen kannte, dann passte es haargenau: Nur wenige Surfer an der Westküste haben ein solches Geschick im Wasser und solche Schwierigkeiten an Land.

Zwischen Paishons Geschichte und der von „Buffalo“ Keaulana gibt es einige Parallelen. Beide sind in Armut und Obdachlosigkeit aufgewachsen, beide fanden im Ozean ihre Bestimmung. Doch während sich Keaulana mit seinen „Wassermann“-Talenten Ruhm und ein komfortables Leben erarbeitet hat, hat Paishon seinen Platz im Leben noch nicht gefunden. Er träumt von einer Karriere als Profisurfer, ohne genau zu wissen, wie er das bewerkstelligen könnte.

Wie bei vielen an der Westküste ist Paishons ethnische Herkunft nicht ganz eindeutig. Seine Mutter Sharon ist eine haole aus New Jersey. Sein Vater Don, der Pidgin spricht, stammt von portugiesischen Einwanderern ab, die – neben Chinesen, Japanern und Filipinos – vor mehr als hundert Jahren auf die Inseln kamen, um auf den Zuckerrohrplantagen zu arbeiten. Don Paishon nimmt an, dass er und sein Sohn auch Spuren hawaiianischen Blutes in sich tragen, doch genau weiß er es nicht. Als ich Sheldon fragte, ob er Hawaiianer sei, nickte er eifrig.

„Hier drin“, sagte er und klopfte sich auf die Brust. „Im Herzen.“

Paishon ist stolz auf seine hawaiianische Identität, doch er kämpft mit denselben Problemen wie die indigene Bevölkerung – insbesondere an der Westküste Oahus, einer der am stärksten benachteiligten Landstriche Hawaiis. Als er zwölf Jahre alt war, konnten seine arbeitslosen Eltern die Miete nicht mehr bezahlen. Mehrere Jahre lebte die Familie in einem Zelt im damals größten Obdachlosenlager Hawaiis nördlich von Makaha. Sharon litt unter Depressionen, Don nahm Drogen. Für Sheldon war es ein Campingausflug in die Hölle: „Ekelhaft, stinkend, feucht, kalt, gruslig“, erinnerte er sich. „Riesige Tausendfüßler krochen im Zelt herum. Im Bett war überall Sand.“ Ein Eimer diente als Toilette, und die Standardmahlzeit war Schweinefleisch mit Bohnen.

Wie auch Keaulana fand Paishon Trost im Ozean, auf Surfbrettern, die er sich auslieh oder die so alt waren, dass andere sie nicht mehr benutzten. Er war ein Naturtalent, und nach einiger Zeit wurden die „Onkel“ auf ihn aufmerksam. Sie gaben ihm immer wieder Surfbretter (wegen seines aggressiven Stils brechen Paishons Boards regelmäßig), aber auch Essen, Kleidung und Ratschläge – es war eine moderne Variante der uralten hawaiianischen hānai-Tradition, nach der eine Familie die Kinder von Freunden oder Verwandten formlos adoptiert und wie ihre eigenen aufzieht.

„In der Schule nannten sie mich den Slumdog-Surfer.“

Mit 13, 14 Jahren war Paishon schon Stammgast bei hochklassigen Juniorenwettkämpfen auf Oahu. Seine Rivalen kamen immer mit ihren Eltern – und natürlich hatten sie Strandpavillons, Videokameras und Kühltaschen dabei; ihre Surfbretter waren mit Logos gepflastert. Paishon hatte keine Sponsoren, manchmal schaute seine Mutter vorbei und brachte ihm ein Handtuch. Aber er war gut und gewann, manchmal gegen Kids, die später eine Profikarriere einschlugen.

In der Schule sah die Welt anders aus. Seine Klassenkameraden zogen ihn wegen seiner verschimmelten Kleidung auf. „Alle machten sich über mich lustig, weil sie wussten, dass ich obdachlos war. Sie nannten mich den Slumdog-Surfer.“ Er fing an, die Schule zu schwänzen und lieber surfen zu gehen. Wenn er mal zum Unterricht kam, las er Surfzeitschriften. Bei seinem zweiten Versuch, die neunte Klasse zu schaffen, brach er die Schule ab.

Manche Leute sorgten sich um Paishon und wollten ihm helfen. Ein Paar, gegen dessen Sohn Paishon bei den Juniorenwettbewerben antrat, wollte ihn bei sich aufnehmen und ihm die Teil­ nahme an Surfturnieren in Kalifornien finanzieren. Aber Paishons Mutter weigerte sich, die Vollmacht zu unterschreiben. „Vielleicht wäre es besser gewesen“, meinte Paishon. „Dann wäre ich jetzt wahrscheinlich Weltmeister.“

An manchen Problemen war er selbst schuld. Paishon ließ sich mit den falschen Leuten ein und verkaufte die geschenkten Surfbretter, um an Marihuana zu kommen. Seine Unterstützer verloren die Geduld. „Ich habe ihm eine Ohrfeige verpasst“, erzählte mir einer der „Onkel“. „Ich habe ihm gesagt: ‚Du vergeudest dein Talent, wieder eine verlorene Seele an der West Side.‘“

Doch am schlimmsten traf es Paishon, als man ihn beschuldigte, der Freundin eines Wett­bewerbsorganisators 1200 Dollar gestohlen zu haben. Zu einer Anklage kam es nicht, aber sein Ruf war dahin. Potenzielle Sponsoren wandten sich ab. „Die dachten, der taugt nichts, der ist aus Waianae“, sagte Paishon.

Eines Abends fuhr ich mit ihm an der Waianae High School vorbei, wo gerade die Absolventen­feier für Paishons Jahrgang zu Ende ging. Schweigend beobachtete er, wie seine ehema­ligen Mitschüler freudestrahlend mit ihren El­tern und Geschwistern aus dem Gebäude traten. Einige Minuten vergingen. Schließlich sagte er: „Ich hätte die Schule zu Ende machen sollen.“

Sechs Monate später erfuhr ich, dass Paishon Arbeit gefunden hatte: Autos waschen für acht Dollar die Stunde. Von seinem Verdienst wollte er eine Surfreise nach Indonesien finanzieren und dann nach Hawaii zurückkehren, wo er hof­fentlich Sponsoren auf sich aufmerksam ma­chen würde. „Ich weiß jetzt, was ich will: Profi­surfer werden. Das ist mein Traum.“

„Wenn du Respekt hast, kannst du bei uns surfen, wann du willst.“

Nach meinem ersten, misslungenen Surfver­such sprach ich mit Bruce DeSoto aus einer der prominentesten Familien in Makaha. Ich fragte ihn, wie ich Zoff im Wasser vermeiden könnte. Er lehnte sich im Sessel zurück, bevor er antwor­tete: „Das Wichtigste ist Respekt. Wenn du Res­pekt hast, bist du willkommen, dann kannst du hier surfen, wann du willst. Aber wenn du keinen Respekt hast, hast du ein Problem.“

Ein paar Tage später waren die Wellen höher, als ich sie hier je gesehen hatte. Ich schwamm hinaus und fing mit einem stämmigen Hawai­ianer Anfang 40 ein Gespräch an. Er war Ret­tungsschwimmer in Makaha und baute neben­ bei Surfbretter. Stolz erzählte er mir von seinen drei Kindern, die am Wochenende bei einem Wettbewerb in Honolulu antreten wollten.

Und dann kam die Welle. Sie sah vielverspre­chend aus. Wir verständigten uns mit einem Blick. Ich? Sein Nicken war kaum zu erkennen. Ich paddelte wie wild, erwischte den Wellen­ kamm, und dann war ich drin in dieser herr­lichen, 2,50 Meter hohen Wand aus Kobalt­blau, die mich am Riff vorbeitrug.

(NG, Heft 6 / 2015, Seite(n) 110 bis 133 )

BELIEBT

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