Tsunamis auf dem Mars? Gewagte These ruft Stirnrunzeln hervor

Beobachtungen deuten auf katastrophale Wellen in der Vergangenheit hin, doch nicht alle Experten sind überzeugt, dass die dazu erforderlichen Ozeane existierten.

Von Nadia Drake
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:21 MEZ
Bilder möglicher zyklischer Schichtung in der Arabia Terra auf dem Mars
Ein NASA-Satellit zeigt Landformen in Arabia Terra, einer der auf frühere Tsunamis untersuchten Gegenden.
Foto von NASA, JPL, University of Arizona

Auf unserem Planeten können durch Erdbeben ausgelöste Tsunamis katastrophale Auswirkungen haben. Doch auf dem Mars haben Meteoriteneinschläge Tsunamis verursacht, die zehnmal größer sind als alles, was wir bisher erlebt haben – gigantische, zerstörerische Wellen, die die Freiheitsstatue und den Reichstag unter sich begraben könnten.

Die Mega-Tsunamis sollen vor etwa 3,4 Milliarden Jahren aufgetreten sein, als zwei große Felsbrocken in einen kalten See im Norden des Mars einschlugen. Einer diese Woche in der wissenschaftlichen Online-Zeitschrift Scientific Reports veröffentlichten Studie zufolge erzeugte der erste dieser Einschläge enorme, fast 120 Meter hohe Wellen, die Steine von der Größe eines Busses viele Kilometer weit landeinwärts beförderten. Sie setzten eine Fläche von mehr als 570.000 Quadratkilometern unter Wasser – das entspricht ziemlich genau der Größe der Nordsee.

Beim zweiten Einschlag, der ein paar Millionen Jahre später stattgefunden haben soll, war es auf dem Mars ein wenig kälter. Der Meteor landete nicht in einem nassen Meer, sondern kollidierte mit einem gefrorenen Ozean. Statt die Marsebenen zu fluten und wieder abzulaufen, blieben die verstreuten Eisbrocken im Inland liegen.

Heute deuten Kanäle, die von den zurückweichenden Wellen geformt wurden, mit Gesteinsblöcken übersäte Felder und Krater, die vermutlich mit mittlerweile verdampften Meerwasser gefüllt waren, auf diese uralten Naturereignisse hin, erklärt Co-Autor der Studie Alexis Rodriguez vom Planetary Science Institute in Arizona.

Eine interessante Geschichte, die sich mit den Beobachtungen verschiedener Raumfahrzeuge deckt, die den Mars umkreisen.

„Man hat hier eine stimmige und durch die angeführten Belege gestützte Geschichte hergeleitet“, meint auch Don Banfield von der Cornell University.

KEIN OZEAN, KEIN TSUNAMI

Banfield und andere weisen jedoch darauf hin, dass erst noch ein paar Details geklärt werden müssen, bevor diese These zum Fakt wird.

Damit es überhaupt zu einem Tsunami kommen kann, muss ein Ozean vorhanden sein. Ob der Mars in der Hesperianischen Periode, die vor rund 3,4 Milliarden herrschte und in der Rodriguez und seine Kollegen die Tsunamis vermuten, ein nördliches Meer hatte, ist nicht geklärt.

Es spricht viel dafür, dass einmal Wasser auf dem roten Planeten geflossen ist – es hat seine Fingerabdrücke in den Tälern hinterlassen und Abflusskanäle in die Marsoberfläche geschnitten. Diese Spuren sind jedoch in der Noachischen Periode entstanden und damit rund 3,8 Milliarden Jahre alt. Sie existierten also, bevor der Mars nach wissenschaftlicher Meinung den Großteil seiner isolierenden, wasserfreundlichen Atmosphäre verlor.

Mit dem Schwinden der Atmosphäre und dem Abkühlen des Planeten verlor dieser seine Fähigkeit, Wasser auf der Oberfläche zu speichern. Wir wissen nur wenig über das Ur-Klima des Mars, und auch wenn es dort irgendwann einmal Ozeane gegeben hat, ist nicht klar, ob im Hesperianischen Zeitalter große Gewässer fortbestanden.

„Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Atmosphäre des Mars gegenüber der späten Noachischen Periode, aus der die meisten Spuren von Erosion durch flüssiges Wasser stammen, deutlich verringert“, so Robin Wordsworth von der Harvard University.

Rodriguez zufolge ist dies nicht zwingend ein Problem. Es kann auf dem Mars zu einer späteren Zeit vorübergehend ein Meer gegeben haben – möglicherweise ein extrem salziges, das nicht gefror. Und selbst wenn ein Meteorit in einen vereisten Ozean einschlägt, kann dies zu einem Tsunami führen. Wie dies genau ablaufen könnte, muss allerdings noch weiter untersucht werden.

Die Entdeckung gut erhaltener Küstenlinien würde die These von Ozeanen auf dem Mars stützen. Aber auch diese Beweise sind äußerst schwer auszumachen.

„Es ist nicht undenkbar, dass es einmal einen Ozean gegeben hat”, bestätigt Joel vom University College London. „Doch da ein Großteil der Geologie in den nördlichen Ebenen inzwischen von jüngerem Material überdeckt wurde oder erodiert ist, lassen sich nur schwer direkte Hinweise auf ein ehemaliges Meer finden.“

Dem stimmt Banfield zu: „Die Suche nach charakteristischen Küstenstreifen alter Ozeane auf dem Mars gestaltet sich zäh. Manche glauben zwar, etwas gefunden zu haben, doch andere hegen Zweifel gegenüber diesen mutmaßlichen Küsten.“

Rodriguez und seine Kollegen glauben jedoch, dass ihre Arbeit eine Erklärung für das Fehlen der Küstenlinien bietet: Sie wurden von den Mega-Tsunamis, die in der Hesperianischen Periode durch Meteoriten auf dem Planeten ausgelöst wurden, verändert und ausradiert.

 „Wenn es einen Ozean gegeben hat, sind Tsunamis eine gute Erklärung dafür, dass keine wirkliche Küste erkennbar ist”, argumentiert Wordsworth.

EISIGE ALTERNATIVE

Es gibt Wissenschaftler, die glauben, die Tsunami-ähnlichen Merkmale lassen sich auch ohne Urzeitkatastrophen erklären. So können einige der Geröllfelder laut Edwin Kite von der Universität Chicago beispielsweise durch Gletschertransport entstanden sein.

„Felsgeröll ist auf und an den Rändern der Gletscher auf dem Mars zu finden, und es gibt Hinweise auf frühere Vergletscherung sowie aktuelles, von Geröll überdecktes Eis entlang des Deuteronilus Mensae“, sagt Kite in Bezug auf die untersuchte Marsregion.

Rodriguez hält es hingegen für unwahrscheinlich, dass die von seinem Team beobachteten Ströme, die sich bergauf bewegen und kleine Hindernisse auf eine andere Art umfließen als Gletscher es tun, anders erklären lassen. Und auch Brian Hynek von der University of Colorado Boulder ist der Meinung, dass die Tsunami-Hypothese die beste Erklärung für die Beobachtungen ist.

„Im Laufe der Zeit gab es an anderen Orten auf dem Mars jede Menge Gletscheraktivitäten, und diese großflächigen Spuren – Abflusskanäle und stromlinienförmige Schuttriegel mit sehr großen Felsen – findet man in anderen durch Gletscherbewegung veränderten Landschaften nicht“, beschreibt Hynek.

FLÜCHTIGE FINGERABDRÜCKE

Tatsache ist, dass es sogar auf der Erde unglaublich schwer sein kann, zu beweisen, dass bestimmte Landformen das Ergebnis einer tobenden See sind. „Die unverwechselbaren Merkmale eines Tsunami können nur an ganz besonderen Küsten entstehen“, weiß Ricardo Ramalho von der Universität Bristol.

„Sie muss bestimmte Eigenschaften aufweisen, damit sich ausreichend große Ablagerungen bilden können. Für große Felsbrocken benötigt man beispielsweise ein Riff oder eine Klippe. Und das kann auf dem Mars natürlich nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden.“

„Die Spuren kürzlicher Tsunamis auf der Erde, wie denen, die 2004 und 2011 durch Erdbeben vor den Küsten Indonesiens und Japans verursacht wurden, verschwinden bereits“, so Pedro Costa von der Universität Lissabon.

Zwar ist der Mars besser darin, seine Geschichte zu wahren, als die Erde, auf der tektonische Aktivität und andere Prozesse die Fingerabdrücke vergangener Ereignisse immer wieder vernichten. Letztendlich können aber nur weitere Beobachtungen wie die Entdeckung von transportierten Meeresablagerungen helfen, glaubhaft nachzuweisen, dass die Marslandschaft von Tsunamis geformt wurde.

„Ich hoffe, dass die Geschichte wahr ist und die Hypothese eines Ur-Ozeans bestätigen kann. Das wäre wirklich spannend“, erklärt Francois Forget von der Universität Paris. „Es ist mir jedoch bewusst, dass weitere Forschungen erforderlich sind, um dieses Szenario zu bestätigen. So funktioniert Wissenschaft.“

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