Einsteins Relativitätstheorie in 4 einfachen Schritten
Der revolutionäre Physiker nutzte eher seine Vorstellungskraft als ausgefallene Mathematik, um die berühmteste und eleganteste Gleichung der Geschichte zu entwickeln.
Albert Einsteins Relativitätstheorie ist bekannt dafür, dass sie einige wirklich bizarre, aber tatsächlich existierende Phänomene vorhergesagt hat. Dazu gehört, dass Astronauten im Weltraum langsamer altern als Menschen auf der Erde und dass feste Gegenstände bei hoher Geschwindigkeit ihre Form verändern.
Nimmt man aber Einsteins ursprüngliche Veröffentlichung von 1905 zur Hand, ist das eine recht unkomplizierte Lektüre. Der Text ist einfach und deutlich, seine Gleichungen fast nur Algebra – nichts, was einem normalen Schüler der Oberstufe Probleme bereiten würde.
Das liegt daran, dass es Einstein nie um ausgefallene Mathematik und Formeln ging. Er dachte gern visuell, überlegte sich Gedankenexperimente und spielte in seinem Kopf so lange mit Ideen herum, bis er die Konzepte und physikalischen Prinzipien kristallklar vor seinem geistigen Auge sehen konnte. (10 Dinge, die ihr (wahrscheinlich) nicht über Einstein wusstet)
Der folgende Abriss zeigt, wie Einstein mit 16 Jahren mit seinen Gedankenexperimenten begann, die ihn schließlich auf die revolutionärste Gleichung der modernen Physik brachten.
1895: Der Lauf neben dem Lichtstrahl
Einstein konnte seine Verachtung für die strengen, autoritären Bildungsmethoden seines Heimatlands Deutschland kaum verschleiern. 1895 war er deshalb bereits der Schule verwiesen worden und zog nach Zürich. Dort, so hoffte er, würde er die Eidgenössisch Polytechnische Schule (heute die ETH Zürich) besuchen.
Zuerst wollte er sich jedoch ein Jahr lang in einer Schule im nahegelegenen Aarau vorbereiten. Die Einrichtung legte Wert auf Methoden wie eigenständiges Denken und die Visualisierung von Konzepten, was damals als avantgardistisch galt. In dieser unbeschwerten Umgebung begann er sich sehr bald zu fragen, wie es wohl wäre, neben einem Lichtstrahl herzulaufen.
Einstein hatte im Physikunterricht bereits gelernt, was ein Lichtstrahl war: schwingende elektrische und magnetische Felder, die sich mit fast 300 Millionen Metern pro Sekunde ausbreiteten – also mit der Lichtgeschwindigkeit. Wenn er mit derselben Geschwindigkeit nebenherlaufen würde, überlegte sich Einstein, sollte er in der Lage sein, neben sich zu blicken und die schwingenden Felder dort scheinbar stationär im Weltraum hängen zu sehen.
Allerdings war das unmöglich. Solche stationären Felder würden die Maxwell-Gleichungen missachten. In diesen mathematischen Gesetzen war zu jener Zeit alles festgeschrieben, was Physiker über Elektrizität, Magnetismus und Licht wussten.
Die Gesetze waren (und sind) ziemlich streng: Jegliche Wellen in den Feldern müssen sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen und können nicht stillstehen – ohne Ausnahme.
Schlimmer noch: Stationäre Felder würden auch nicht mit dem Prinzip der Relativität zusammenpassen – ein Konzept, das Physiker seit der Zeit Galileos und Newtons im 17. Jahrhundert akzeptiert hatten. Im Grunde besagt die Relativität, dass die Gesetze der Physik nicht davon abhängen können, wie schnell man sich bewegt. Man kann lediglich die Geschwindigkeit eines Objekts relativ zu einem anderen Objekt messen.
Aber als Einstein dieses Prinzip auf sein Gedankenexperiment anwandte, erzeugte es einen Widerspruch: Die Relativität schrieb vor, dass alles, was er bei seinem Lauf neben einem Lichtstrahl sehen könnte – einschließlich der stationären Felder –, etwas sein sollte, das Wissenschaftler auch in Laboren auf der Erde erzeugen können sollten. Aber nichts dergleichen war je beobachtet worden.
Das Problem sollte Einstein noch für weitere zehn Jahre beschäftigen, durch seine ganze Zeit an der Züricher Polytechnischen Schule bis zu seinem Umzug in die Schweizer Hauptstadt Bern. Dort erhielt er eine Anstellung als technischer Experte beim Schweizer Patentamt und beschloss, das Paradoxon ein für alle Mal zu lösen.
1904: Lichtgeschwindigkeit von einem fahrenden Zug aus messen
Es war nicht einfach. Einstein versuchte jeden Lösungsansatz, den er sich denken konnte, aber nichts funktionierte. Fast schon aus Verzweiflung heraus begann er, mit einer Idee zu spielen, die ebenso einfach wie radikal war. Vielleicht galten Maxwells Gleichungen ja für jeden, dachte er, aber die Lichtgeschwindigkeit war dabei eine Konstante.
Mit anderen Worten: Wenn man einen Lichtstrahl an sich vorbeischießen sehen würde, dann spielte es keine Rolle, ob sich dessen Quelle zu einem hin, von einem weg oder parallel zu einer Seite bewegte. Es wäre auch egal, wie schnell sich die Quelle des Strahls bewegen würde. Man würde die Geschwindigkeit des Lichtstrahls immer mit 299.792.458 Metern pro Sekunde messen. Das bedeutete unter anderem, dass Einstein die stationären, schwingenden Felder niemals sehen würde, da er den Lichtstrahl nie würde einholen können.
Das war für Einstein die einzige Möglichkeit, die Maxwell-Gleichungen mit dem Prinzip der Relativität in Einklang zu bringen. Zunächst schien seine Lösung aber eine fatale Schwachstelle zu besitzen. Einstein erklärte das Problem später mit einem weiteren Gedankenexperiment. Man stelle sich vor, dass ein Lichtstrahl in dem Moment neben einer Zugschiene abgefeuert würde, in dem ein Zug in selber Richtung mit etwa 3.000 Kilometern pro Sekunde vorbeifährt.
Jemand, der an den Gleisen steht, würde die Geschwindigkeit des Lichtstrahls mit der Standardgeschwindigkeit messen, etwa 300.000 Kilometer pro Sekunde. Aber für jemanden, der sich im Zug befindet, würde der Lichtstrahl nur mit 297.000 Kilometern pro Stunde vorbeiziehen. Wenn die Lichtgeschwindigkeit nicht konstant war, mussten die Maxwell-Gleichungen im Inneren des Zugwaggons irgendwie anders aussehen, schloss Einstein. Das würde auch das Prinzip der Relativität verletzen.
An diesem scheinbaren Widerspruch hatte Einstein ungefähr ein Jahr lang zu knabbern. Aber dann, an einem wunderschönen Morgen im Mai 1905, ging er mit seinem Freund Michele Besso zur Arbeit. Er und der Ingenieur kannten sich seit ihren Studententagen in Zürich. Die zwei Männer sprachen wie so oft über Einsteins Dilemma und ganz plötzlich erkannte Einstein die Lösung. Er arbeitete die ganze Nacht daran, und als sie sich am nächsten Morgen trafen, sagte Einstein zu Besso: „Danke. Ich habe das Problem vollständig gelöst.“
Mai 1905: Blitze treffen einen fahrenden Zug
Einsteins Offenbarung war, dass Beobachter in relativer Bewegung Zeit anders wahrnehmen. Es ist also absolut möglich, dass zwei Ereignisse aus der Sicht eines Beobachters gleichzeitig stattfinden, für einen anderen Beobachter aber nacheinander passieren. Und beide Beobachter hätten recht.
Einstein verdeutlichte diesen Punkt später mit einem weiteren Gedankenexperiment. Man stelle sich vor, dass wieder ein Beobachter an Zuggleisen steht, als ein Zug vorbeifährt. Aber dieses Mal werden beide Enden des Zuges von einem Blitz getroffen, gerade als der Mittelpunkt des Zugs am Beobachter vorbeizieht. Weil beide Blitze die gleiche Entfernung zum Beobachter haben, erreicht ihr Licht dessen Augen auch im selben Moment. Er sagt also korrekterweise, dass beide Blitze gleichzeitig eingeschlagen haben.
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Derweil sitzt ein zweiter Beobachter genau in der Mitte des Zuges. Aus dessen Perspektive muss das Licht beider Blitze ebenfalls die gleiche Entfernung zurücklegen. Allerdings bewegt sich der Zug. Das Licht vom hinteren Blitz muss deshalb also ein Stück weiter reisen, um aufzuholen, und wird den zweiten Beobachter deshalb ein bisschen später erreichen als das Licht des vorderen Blitzes. Da die Lichtstrahlen ihn also zu unterschiedlichen Zeiten erreicht haben, muss er daraus schließen, dass die Blitze nicht gleichzeitig eingeschlagen haben.
Kurz gesagt: Einstein begriff, dass Gleichzeitigkeit relativ ist. Sobald man das akzeptiert, sind alle seltsamen Effekte, die wir heute mit Relativität assoziieren, nur eine Frage der simplen Mathematik.
Einstein schrieb seine Ideen in einem geradezu fieberhaften Anfall nieder und schickte seine Abhandlung nur wenige Wochen später zur Veröffentlichung ein. Er gab ihr den Titel „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“, der auf seine Bemühungen anspielte, die Maxwell-Gleichungen mit dem Prinzip der Relativität zu vereinbaren. Er schloss seine Arbeit mit einem Dankeschön an Besso und garantierte seinem Freund so einen Hauch von Unsterblichkeit.
September 1905: Masse und Energie
Mit dieser Veröffentlichung war es jedoch noch nicht getan. Einstein beschäftigte sich den ganzen Sommer des Jahres 1905 mit der Relativität und schickte eine zweite Abhandlung als eine Art Nachtrag ein.
Auch die basierte auf einem Gedankenexperiment. Man stelle sich ein Objekt vor, das stillsteht. Dann stößt es spontan zwei identische Lichtblitze in entgegengesetzte Richtungen aus. Das Objekt verharrt auf seiner Position, aber weil jeder Lichtblitz ein gewisses Maß an Energie mit sich nimmt, verliert das Objekt diese Energie.
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Nun überlegte Einstein, wie dieser Vorgang wohl für einen Beobachter aussehen würde, der selbst in Bewegung ist. Aus dessen Perspektive würde sich das Objekt in einer geraden Linie an ihm vorbeibewegen, während die Lichtblitze davonjagen. Obwohl die Geschwindigkeiten der beiden Blitze identisch wären – nämlich Lichtgeschwindigkeit –, würden sich ihre jeweilige Energie voneinander unterscheiden. Der Blitz, der nach vorn in Richtung der Bewegung reist, hätte eine höhere Energie als der, der sich nach hinten bewegt.
Mit ein bisschen mehr Algebra zeigte Einstein, dass dabei zwei Dinge passieren mussten, damit alles in sich konsistent war: Das Objekt musste Energie verlieren, wenn es die Lichtblitze ausstieß, und es musste außerdem ein bisschen Masse verlieren. Oder anders ausgedrückt: Masse und Energie sind austauschbar.
Einstein schrieb eine Gleichung nieder, die einen Zusammenhang zwischen beiden Größen herstellt. In der heutigen Schreibweise, in der die Lichtgeschwindigkeit mit dem Buchstaben c abgekürzt wird, entwickelte er so die berühmteste Gleichung, die je geschrieben wurde: E = mc².
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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