Darum hatte das FBI eine 1.400 Seiten dicke Akte über Einstein

Der weltbekannte Physiker äußerte sich offenherzig gegen Rassismus, Nationalismus und Atombomben, was ihm das tiefe Misstrauen von J. Edgar Hoover einbrachte.

Von Mitch Waldrop
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:31 MEZ
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Albert Einstein, der weltberühmte Physiker, kommt auf diesem Bild gerade in Los Angeles an. Er war auf dem Weg nach Pasadena, wo er seine verblüffende Reise in das Feld der höheren Mathematik am California Institute of Technology fortsetzen würde.
Foto von Bettmann Archive, Getty Images

Albert Einstein war bereits ein weltberühmter Physiker, als das FBI im Dezember 1932 eine Geheimakte über ihn anlegte. Er und seine Frau Elsa waren gerade aus ihrer Heimat Deutschland in die USA ausgewandert und Einstein äußerte sich lautstark zu den sozialen Belangen seiner Zeit. Unter anderem sprach er sich öffentlich gegen Rassismus und Nationalismus aus.

Zum Zeitpunkt seines Todes am 18. April 1955 würde die Akte des FBI 1.427 Seiten umfassen. Der Leiter der Behörde, J. Edgar Hoover, hegte ein tiefes Misstrauen gegenüber Einsteins Aktivismus. Laut Hoover war es gut möglich, dass der Mann Kommunist sei, aber mit Sicherheit war er „ein extremer Radikaler“.

Einstein selbst hätte über diese Bezeichnungen wahrscheinlich laut gelacht, wenn er von ihnen gewusst hätte. Von den Nazis zu Hause hatte er sich weitaus Schlimmeres anhören müssen. Und er ließ sich von der Bürokratie absolut nicht einschüchtern. "Autoritätsdusel ist der größte Feind der Wahrheit", erklärte er 1901.

Die Tausenden von Menschen, die auf diversen Instanzen des March for Science demonstrieren, würden sicher zustimmen.

In den USA wird der Protestmarsch von Kürzungen des nationalen Wissenschaftsbudgets und der antiwissenschaftlichen Rhetorik der Trump-Regierung motiviert. Wissenschaftler, Lehrer und andere Verfechter der Wissenschaft organisieren einen Protest in Washington ähnlich dem Women‘s March vom Januar. Die Bewegung ist mittlerweile gewachsen und schließt Hunderte von Demos in Städten auf der ganzen Welt ein.

Die Demonstranten sagen, dass sie für all das marschieren, was die Wissenschaft repräsentiert: Vernunft, Aufgeschlossenheit und evidenzbasierte Entscheidungsfindung auf jeder Ebene der Gesellschaft.

Obwohl der Protest die Unterstützung von mehr als 170 wissenschaftlichen Organisationen genießt, haben sich die Teilnehmer auch angesichts hitziger Debatten zwischen Wissenschaftlern selbst mobilisiert. Wie ein skeptischer Geologe in der New York Times schrieb, würde der Protestmarsch „nur dazu dienen [...] Wissenschaftler zu einer weiteren Gruppe zu machen, die sich in den Kulturkriegen verliert.“

Aber wenn man Einsteins rebellisches Leben bedenkt, dann handeln die Unterstützer des March for Science im Geiste eines der größten Wissenschaftler, der je gelebt hat.

BELIEBT

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    Einsteins ungehorsame Einstellung hatte dafür gesorgt, dass er mit 15 von der Schule flog, weshalb er seine Staatsangehörigkeit mit 17 aufgab. Er wollte nichts mehr mit den autoritären deutschen Schulen und dem grassierenden Militarismus zu tun haben, den er verachtete.

    Stattdessen besuchte Einstein das Polytechnikum in Zürich in der Schweiz und nahm die schweizerische Staatsbürgerschaft an. Nach seinem Abschluss arbeitete er in einem Patentbüro in Bern, wo er 1905 seine revolutionäre Arbeit über Relativität und Quantentheorie verfasste.

    Einstein kam erst 1914 wieder nach Deutschland zurück, als seine Leistungen ihm eine renommierte Lehrstelle an der Universität Berlin einbrachten. Dort entwickelte er seine Vorstellungen von Relativität und Gravitation weiter, die 1919 auf spektakuläre Weise durch die Beobachtung einer Sonnenfinsternis bestätigt wurden und unser Verständnis des Universums seither geprägt haben.

    Die aufsteigende Nazi-Partei denunzierte die Relativität schon bald als „eine jüdische Perversion“ – dem 1920er-Äquvalent zu „Fake News“ – und Einstein erhielt so viele anonyme Todesdrohungen, dass er es zu vermeiden versuchte, allein unterwegs zu sein.

    Aber die Drohungen ließen ihn nicht verstummen. Stattdessen nutzte er seine neugewonnene Berühmtheit immer wieder, um sich gegen die Missstände in der Welt auszusprechen. Beim Schweigen im Angesicht des Bösen, so sagte er einst, „hätte ich mich der Mittäterschaft schuldig gefühlt.“

    Einstein spricht während einer Lesung zu Wissenschaft und Zivilisation 1933 in der Royal Albert Hall in London.
    Foto von Hulton Archive, Getty Images

    Er denunzierte militanten Nationalismus. Als „Masern der Menschheit“ bezeichnete er ihn 1929.

    Er hinterfragte auch den Kapitalismus. „Die sozialen Klassenunterschiede empfinde ich nicht als gerechtfertigt und letzten Endes (…) [beruhen sie] auf Gewalt (…)“, schrieb er 1931. „Jeder soll als Person respektiert und keiner vergöttert sein.“

    Er protestierte gegen Rassismus. Als 1937 der afroamerikanischen Sängerin Marian Anderson ein Hotelzimmer in Einsteins neuer Heimatstadt Princeton, New Jersey verwehrt wurde, luden er und Elsa sie ein, bei sich zu bleiben – der Beginn einer lebenslangen Freundschaft. Er freundete sich auch mit dem afroamerikanischen Sänger Paul Robeson an, der als Kommunist geächtet wurde. In einer Ansprache an der historisch schwarzen Liberty University in Pennsylvania erklärte Einstein, die Rassentrennung sei „eine Krankheit der Weißen“.

    Nach 1933 zwang der Aufstieg Hitlers Einstein einzugestehen, dass bloßer Pazifismus nicht länger realistisch war. Im August 1939 schrieb Einstein einen Brief an US-Präsident Franklin D. Roosevelt – aus Angst, dass deutsche Physiker sich eilten, das neu entdeckte Phänomen der Kernspaltung auszunutzen –, in dem er davor warnte, dass „das Element Uranium in der unmittelbaren Zukunft eine neue und wichtige Energiequelle werden könnte“, sprich: eine Bombe.

    Roosevelts Antwort war das Manhattan-Projekt: ein Sofortprogramm, um die Atombombe vor Hitler zu entwickeln.

    Einstein spielte in dem Projekt keine weitere Rolle. Aber im Sommer 1945 schrieb er einen weiteren Brief an den Präsidenten, in dem er ihn dazu drängte, sich mit den Wissenschaftlern des Manhattan-Projekts zu treffen. Diese waren besorgt über die Eile, mit der die Fertigstellung der Bombe und ihr anschließender Einsatz vorangetrieben wurde, obwohl Deutschland fast besiegt war und seine Arbeit mit Uranium eindeutig aufgegeben hatte.

    Roosevelt starb am 12. April, bevor er den Brief lesen konnte. Als Einstein im August erfuhr, dass eine Atombombe über der japanischen Stadt Hiroshima abgeworfen wurde, konnte er nur noch flüstern: „Oh mein Gott.“

    Für den Rest seines Lebens trat er unermüdlich dafür ein, dass Nuklearwaffen unter irgendeine Art der internationalen Kontrolle gestellt würden. Im Atomzeitalter, so argumentierte er, war Krieg zu einer Form des Wahnsinns geworden.

    Wir können nur raten, was Einstein zur heutigen politischen Atmosphäre gesagt hätte. Aber wir kennen seine Reaktion auf eine frühere Ära des scharfen Vorgehens durch die Regierung: die antikommunistische Hysterie der 1950er.

    „Jeder Intellektuelle, der vor eines der Komitees beordert wird, sollte die Aussage verweigern“, erklärte Einstein 1953.

    Mit der Aussage verdiente er sich empörte Leitartikel in Zeitungen des ganzen Landes, einschließlich der Washington Post und der New York Times. Aber er trug ihre Verachtung mit Stolz.

    Nach seinen persönlichen Erfahrungen mit der „brutalen Gewalt und Angst“, die sich in Europa ausbreitete, beeindruckte Einstein an Amerika am meisten „die Toleranz des Landes für Freidenkertum, Redefreiheit und unangepasste Überzeugungen“ – jene Qualitäten, die schon immer auch seine Wissenschaft angeregt hatten, sagt sein Biograf Walter Isaacson.

    Einstein würde nicht einfach nur dastehen und zusehen, während sich – in den Worten des großen Physikers – „die deutsche Katastrophe der Vergangenheit wiederholte.“

     

    Der Artikel wurde am 19.04.2017 ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht

    Einstein

    Einstein könnte am Ende recht behalten – wieder mal

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