Drama am Schwarzen Loch: Einstein im Zentrum der Galaxie

Ein genauer Blick auf das Supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße bestätigt erneut die Relativitätstheorie.

Von Nadia Drake
Veröffentlicht am 1. Aug. 2019, 16:15 MESZ

Was geschieht, wenn ein Stern haarscharf an einem Schwarzen Loch vorbeischrammt? Für Astronomen ist die Antwort klar: Sie bekommen dann eine Chance, um Einsteins allgemeine Relativitätstheorie (erneut) auf die Probe zu stellen.

US-amerikanischer Wissenschaftler beobachteten zu diesem Zweck einen Stern dabei, wie er um das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße raste, und konnten so bestätigen, dass das starke Gravitationsfeld das Sternenlicht ausbremst. Auf seiner Reise durch den Kosmos wird das Licht durch diesen Vorgang messbar verlangsamt. Eine eben solche Messung ist die beste Möglichkeit, um eine der wichtigsten Vorhersagen zu testen, die sich aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie ergeben. Diese besagt, dass Licht Energie verliert, wenn es versucht, das Gravitationsfeld eines Schwarzen Loch zu durchdringen.

Wissen kompakt: Schwarze Löcher
Im Zentrum unserer Galaxie lauert ein Supermassereiches Schwarzes Loch. Erfahrt mehr über die verschiedenen Arten von Schwarzen Löchern, ihre Entstehung und ihre Geschichte in der Wissenschaft.

 „Diese Art von Experiment ist der erste direkte Test dafür, wie sich die Schwerkraft in der Nähe eines Supermassereichen Schwarzen Lochs verhält“, sagt Andrea Ghez, eine Astronomin des University of California in Los Angeles. Ihr Team veröffentlichte die Ergebnisse im Fachmagazin „Science“. „Die Schwerkraft ist enorm wichtig, sowohl für unser Verständnis des Universums als auch in unserem Alltag.“

Astronomen hoffen durchaus, eines Tages einen Beleg dafür zu finden, dass die Allgemeine Relativitätstheorie in extremen Gravitationsumgebungen nicht funktioniert. Das würde eine Möglichkeit für andere physikalische Theorien eröffnen, die einige der großen offenen Fragen über das Universum beantworten könnten.

Derzeit scheint es aber so, als hätte Einstein wieder mal richtiggelegen. Alternative Schwerkrafttheorien, darunter auch eine von Isaac Newton, ziehen den Kürzeren.

BELIEBT

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    Der Stern S0-2 bei seiner größten Annäherung an das Supermassereiche Schwarze Loch Sagittarius A*, das in dieser Illustration als bodenloses Loch in der Raumzeit dargestellt wird.
    Foto von Nicole R. Fuller, National Science Foundation (Illustration)

    Ein Datenhimmel für Sterne

    Was wir als Schwerkraft wahrnehmen, wird in der allgemeinen Relativitätstheorie als eine Krümmung der Raumzeit durch die Masse eines Objekts beschrieben. Die Theorie besagt auch, dass selbst Licht von der Schwerkraft beeinflusst wird und dass besonders massereiche Objekte das Licht um sich herum krümmen. Dieser Effekt konnte öffentlichkeitswirksam während einer Sonnenfinsternis im Jahr 1919 beobachtet werden – seither gilt die Relativitätstheorie als eine tragende Säule unserer Wissenschaft.

    Genau deshalb sind Astronomen so begeistert über einen Sternhaufen, der das Supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxie umkreist. Das gewaltige Objekt mit einer Masse von vier Millionen Sonnen trägt die Bezeichnung Sagittarius A* oder kurz: Sgr A*. Es liegt in etwa 26.000 Lichtjahren Entfernung hinter einem Vorhang aus Gas und Staub verborgen.

    Der sprichwörtliche Star dieser Show ist der Stern S0-2. Er rast mit variabler Geschwindigkeit in einem ovalen Orbit um das Schwarze Loch herum und benötigt für einen vollen Umlauf nur 16 Jahre. Während seiner kürzesten Entfernung zu Sgr A*bringt er es auf etwa 25 Millionen km/h, was fast drei Prozent der Lichtgeschwindigkeit entspricht.

     „Diese Faktoren verändern sich binnen eines Menschenlebens“, sagt Ghez. „Die Sternbilder, die wir sehen, existieren in dieser Form schon seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte. Aber im Zentrum der Galaxie ist das Gravitationsfeld so stark, dass sich die Sterne tatsächlich bewegen.“

    Weil sein Orbit oval ist, ist S0-2 mal sehr nah am zentralen Schwarzen Loch der Milchstraße und mal sehr weit von ihm entfernt. Ghez und ihre Kollegen wollten seine größte Annäherung an Sgr A*, die sich zuletzt im Jahr 2018 ereignete, genauer unter die Lupe nehmen. Zwischen Mai und September führte das Team daher präzise Messungen der Sternbewegungen durch und nutzte dafür Teleskope in Chile und auf dem hawaiianischen Vulkan Mauna Kea.

    „Man muss die Form des Orbits wirklich ganz eindeutig nachvollziehen können”, sagt Ghez. „Während der größten Annäherung, wenn der Stern den stärksten Gravitationskräften ausgesetzt ist, kann man Einsteins allgemeine Relativitätstheorie testen.“

    Die Forscher kombinierten ihre neuen Daten mit einer großen Menge an Beobachtungsdaten, die seit 1995 gesammelt wurden. Zusammen ermöglichten es ihnen diese Informationen, den gesamten Orbit von S0-2 dreidimensional zu berechnen.

    Rotverschiebung am Schwarzen Loch

    Um die Relativitätstheorie zu testen, kombinierten die Forscher die Messungen zur Position des Sterns mit den Beobachtungsdaten von der Erde, um die sogenannte gravitative Rotverschiebung zu messen.

    In diesem Diagramm werden die Umlaufbahnen verschiedener Sterne um Sgr A* ersichtlich. Der Orbit des Sterns S0-2 ist farblich gekennzeichnet.
    Foto von Keck, Ucla Galactic Center Group

    Einfach ausgedrückt bremst Sgr A* den Stern S0-2 aus, wenn er sich dem Schwarzen Loch annähert. Aber nicht nur der Stern wird langsamer, sondern auch das Licht, das er ausstrahlt. Während es der Anziehungskraft des Schwarzen Lochs zu entkommen versucht, verschiebt sich seine Frequenz gewissermaßen nach oben in den langwelligeren Bereich, der für uns als rotes Licht sichtbar ist.

    Ghez verweist darauf, dass das Licht von S0-2 um etwa 201 Kilometer pro Sekunde verlangsamt wird – genau so viel, wie es Einsteins Theorie für ein Objekt mit der Anziehungskraft von Sgr A* vorhersagt. Und es gibt sogar noch einen kleinen Bonus: Die Forscher konnten die Masse und Entfernung von Sgr A* noch genauer bestimmen.

    Schon zuvor haben Wissenschaftler Einsteins Relativitätstheorie auf diese Weise getestet. Schwächere Gravitationsfelder gibt es auch in unserem eigenen Sonnensystem oder rund um die rotierenden Überreste einstiger Sterne, die man als Pulsare bezeichnet. GP-Satelliten müssen ständig den relativistischen Effekt der Erdanziehungskraft ausgleichen – ohne diese Korrekturen würden uns all unsere GPS-Navigationsgeräte im Stich lassen.

    Galerie: Astronomen haben womöglich endlich das erste Bild eines Schwarzen Lochs aufgenommen

    Auch das GRAVITY-Team vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in München erforscht unser galaktisches Zentrum seit Jahrzehnten. Im letzten Jahr verkündeten die Wissenschaftler, dass sie dieselbe gravitative Rotverschiebung am Licht von S0-2 beobachten konnten, die auch Ghez’ Team kürzlich beschrieb.

    Die Messdaten der beiden Teams stimmen überein und legen deshalb die Vermutung nahe, dass sich die Schwerkraft wie in Einsteins Theorie beschrieben verhält – und weniger wie im Newtonschen Modell. Ghez vermutet, dass bestehende Unstimmigkeiten durch systematische Fehler erklärt werden können, die auf die Messinstrumente und den Bezugsrahmen zurückzuführen sind. Deshalb sei es unerlässlich, dass diese Fehlerquellen bei künftigen Erforschungen des galaktischen Zentrums beseitigt werden.

    GRAVITYs Chefwissenschaftler Frank Eisenhauer findet es jedenfalls großartig, dass diese neuen, unabhängigen Messungen die gravitative Rotverschiebung bestätigen. Für ihn zeigen die Ergebnisse, dass das supermassereiche schwarze Ungetüm im Zentrum der Milchstraße von zentraler Bedeutung bleibt, was die Erforschung der Physik Schwarzer Löcher und der Relativitätstheorie anbelangt.

    „Die Zukunft für die Erforschung des galaktischen Zentrums sieht vielversprechend aus“, so Eisenhauer.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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